TE Vfgh Erkenntnis 1984/6/27 B48/80

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Veröffentlicht am 27.06.1984
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6650 Landwirtschaftliches Siedlungswesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MRK Art6
StGG Art5
AgrBehG §7 Abs2 idF BGBl 476/1974
AgrVG §11 Abs1
Nö FlVfLG 1975 §11
Nö FlVfLG 1975 §17

Leitsatz

Nö. Flurverfassungslandesgesetz 1975; keine denkunmögliche oder willkürliche Ermittlung des Abfindungsanspruches in Anwendung der §§11 und 17

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Nachdem der im Zusammenlegungsverfahren Rannersdorf ergangene Bescheid der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 3. November 1976 vom Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung mit Erk. vom 25. Jänner 1978 hinsichtlich der Abfindung von R und E M behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückverwiesen worden war, wurde mit Bescheid der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 24. November 1978 die Abfindung der Parteien R und E M sowie der durch die Neueinteilung betroffenen Parteien neuerlich festgelegt. Der Bescheid stützt sich in formeller Hinsicht auf §5 Abs2 Agrarbehördengesetz idF der Nov. 1974, in materiell-rechtlicher Hinsicht insbesondere auf §17 des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1975 (FLG).

1.2. Der gegen diesen Bescheid von R und E M erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Nö. Landesregierung vom 3. Dezember 1979, Z VI/3-AO-7/12-1979, keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid in Ansehung der Abfindung der Berufungswerber bestätigt.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der R und E M behaupten, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, sowie auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein, und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragen.

2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

3.1. Nach §7 Abs2 des Agrarbehördengesetzes 1950 idF der Nov. 1974 ist eine Berufung gegen den Bescheid der Landesagrarbehörde an den Obersten Agrarsenat nur in bestimmten Fällen zulässig. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Der Instanzenzug ist somit erschöpft. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde zulässig.

3.2.1. Die Bf. behaupten im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, weil "die Zusammensetzung der Kollegialbehörde Landesagrarsenat, welcher als Tribunal im Sinne des Art6 der MRK über zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden hat, denkunlogisch" sei. Gemäß §5 Abs2 bzw. §6 Abs2 des Agrarbehördengesetzes 1950 idF der Nov. BGBl. 476/1974 gehörten dem Senat grundsätzlich drei Sachverständige als beamtete Mitglieder mit Stimmrecht an, gleichgültig, ob die Notwendigkeit der Beiziehung aller drei Sachverständiger bestehe. Nicht nur, daß bei Abgabe des Stimmrechts jeweils zwei Sachverständige das Stimmrecht für eine sachfremde Materie ausübten; es sei auch die gemäß §11 Abs2 Agrarverfahrensgesetz 1950 normierte Reihenfolge der Abstimmung nicht gewährleistet, "weil das durch den Beamten des Höheren agrartechnischen Dienstes abgegebene Gutachten, soweit es sich natürlich um eine Fachfrage handelt, bekannt" sei, woraus auch auf seine abzugebende Stimme geschlossen werden könne. Aber auch dadurch, daß demnach die Abstimmung nicht geheim sei, sei "die freie Meinungsbildung der übrigen Mitglieder nicht mehr gewährleistet". Beachte man die Stellung "der dem Senat angehörigen Sachverständigen, ... so wäre gem. §5 Abs2, bzw. ebenso §6 Abs2 des zit. Agrarbehördengesetzes 1950 nur der gem. §52 AVG 1950 landwirtschaftliche Sachverständige sachverständig und berechtigt und verpflichtet, ein Gutachten abzugeben". Dies ziehe nach sich, daß das Erk. von einer unrichtigen zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde.

Im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachten sich die Bf. auch deshalb verletzt, weil die Zusammensetzung des Agrarsenates als Tribunal verfassungsrechtlich deshalb bedenklich sei, weil für die Mitglieder des Senates, soweit diese nicht dem Richterstand angehören, nur Weisungsfreiheit, nicht aber auch Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit vorgesehen sei.

3.2.2. Soweit die Verletzung des verfassungsgetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen Erlassung des angefochtenen Bescheides durch eine verfassungswidrig zusammengesetzte Kollegialbehörde behauptet wird, weil es unsachlich sei, daß mehrere Sachverständige dem Senat angehören, genügt es, auf Art12 Abs2 B-VG zu verweisen, welche Verfassungsbestimmung vorsieht, daß in den Angelegenheiten der Bodenreform die Entscheidung in der Landesinstanz Senaten zusteht, die aus dem Vorsitzenden und aus "Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen als Mitglieder" zu bestehen haben (vgl. auch VfSlg. 8729/1980, 8735/1980, 8795/1980, 8796/1980).

Soweit weiters eine Verfassungswidrigkeit des §5 Agrarbehördengesetz 1950 idF der Nov. 1974 behauptet wird, weil die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Mitglieder des Landesagrarsenates gesetzlich nicht ausreichend gewährleistet sei und damit Bedenken bestünden, ob die Regelung mit Art6 MRK im Einklang stünde, erübrigt sich hierauf überhaupt einzugehen, da gegen die Entscheidung eines Landesagrarsenates, wenn ein Rechtszug an den Obersten Agrarsenat nicht vorgesehen ist, die Möglichkeit der Anrufung sowohl des VfGH als auch des VwGH - also von Gerichten - offensteht. Der Forderung des Art6 Abs1 erster Satz MRK, daß über den in Rede stehenden Anspruch ein Tribunal iS der genannten Stellen der MRK zu entscheiden hat, ist demnach schon hiedurch Genüge getan (vgl. insbesondere VfSlg. 5100/1965, 7068/1973).

Zu bemerken bleibt lediglich, daß der Vorwurf der Bf. betreffend die Reihenfolge bei der Abstimmung keinesfalls in die Verfassungssphäre reicht.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt nicht vor. Der VfGH sieht aber auch keine Veranlassung, den von den Bf. behaupteten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen angewendete gesetzliche Bestimmungen beizutreten.

3.3.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Saatsbürger vor dem Gesetz wird von den Bf. geltend gemacht, weil "im Zuge der Zuteilung der Abfindungsgrundstücke der Betriebserfolg gegenüber anderen Abfindungswerbern nicht einmal gleichgeblieben" sei. Die Bf. gehörten zu den Kleinstbesitzern der Zusammenlegungsgemeinschaft, sodaß "bereits eine Zuteilung von einer Querneigung von fast 10% eine Betriebserschwernis" darstelle, die den Betriebserfolg hintanhalte, der auch durch Zuteilung von Grundstücken der Bonität der 1. bis 3. Klasse nicht aufgehoben werden könne, zumal bei "der Abfindung 1147 ein Flächenverlust von 0,3416 ha eingetreten" sei.

3.3.2. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlage, insbesondere des §17 des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1975 (FLG) - verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung wurden weder erhoben, noch sind solche entstanden - könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit nur vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte (vgl. VfSlg. 8823/1980, 9186/1981), was insbesondere dann der Fall wäre, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stünde (vgl. zB VfSlg. 8783/1980, 9024/1981) oder in einem entscheidenden Punkt die Ermittlungstätigkeit überhaupt unterblieben wäre (vgl. zB VfSlg. 8808/1980 und die dort zitierte Vorjudikatur). All dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Nach §17 FLG 1975 hat jede Partei nach Maßgabe der Abs2 bis 8 leg. cit. Anspruch, mit dem gemäß §11 Abs1 bis 6 ermittelten Wert für ihre dem Verfahren unterzogenen Grundstücke abgefunden zu werden. Der Unterschied zwischen dem Wert der Grundabfindung und dem nach Abs6 errechneten Abfindungsanspruch darf gemäß §17 Abs7 FLG 1975 bis 5 vH des Wertes des gemäß Abs6 lita ermittelten Abfindungsanspruches betragen. Nach Auffassung der Behörde wurden diese Werte eingehalten. Der VfGH kann keinerlei Anhaltspunkte dafür finden, daß die bel. Beh. zu dem im angefochtenen Bescheid dargelegten Ergebnis willkürlich gelangt ist; insbesondere kann der bel. Beh. auch nicht ein gehäuftes Verkennen der Rechtslage angelastet werden (vgl. auch VfSlg. 7760/1976).

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.

3.4.1. Die Bf. behaupten schließlich, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt zu sein, weil ihnen ein im Wege der Ersitzung erworbenes Grundstück "nicht zur Gänze wieder zugeteilt wurde". Das Ausmaß der ersessenen Fläche habe zirka 11 ar betragen und sei bei der "Einbringungsfläche nicht berücksichtigt, sodaß eine Minderabfindung in diesem Ausmaß erfolgte". Auch gebe das FLG 1975 keine Deckung dafür, daß, "wie im Z-Verfahren Rannersdorf, ... ersessene Flächen scheinbar grundsätzlich in Geld abgefunden werden".

3.4.2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. zB VfSlg. 8866/1980, 9047/1981).

Soweit die bel. Beh. unter Hinweis auf den Bescheid der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 4. April 1975 den Bf. entgegenhält, sie hätten ihre Behauptung, daß sie für weitere Grundflächen zufolge Ersitzung erworbener Grundstücke abzufinden wären, vor Erlassung des "Ersitzungsbescheides" vom 4. April 1975 erheben müssen, nun stehe ihren Forderungen die Rechtskraft diese Bescheides entgegen, sind auch diese Ausführungen nicht als denkunmöglich zu werten. Zur Frage der Grundabfindung führt die bel. Beh. aus - dies wurde auch von den Bf. nicht bestritten -, daß diese den Kriterien des §17 FLG entspreche und gegenüber dem unter Einrechnung des Beitrages zu den gemeinsamen Anlagen ermittelten Abfindungsanspruch nur einen Unterschied von 192,46 Punkten aufweise. Der Ausgleich in Geld sei aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensablaufes (Anordnung der vorläufigen Übernahme der Grundabfindung am 13. November 1974) zuerkannt worden. Wenn die Behörde somit erklärt, daß der Ausgleich innerhalb der gemäß §17 Abs7 FLG zulässigen Toleranzgrenze liege, so entspricht auch dies einer jedenfalls vertretbaren Gesetzesanwendung. Die Beurteilung der Frage, ob das Gesetz richtig angewendet wurde, obliegt dem VwGH.

3.5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Prüfungsmaßstab, Agrarbehörden, Agrarverfahren, Landesagrarsenat, Bodenreform, Flurverfassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B48.1980

Dokumentnummer

JFT_10159373_80B00048_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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