TE Vfgh Erkenntnis 1984/6/28 B478/80

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Veröffentlicht am 28.06.1984
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §56
AVG §68 Abs1
AVG §68 Abs4
BDG 1979 §123 Abs2 und Abs3

Leitsatz

AVG 1950 §68 Abs4; ex-nunc-Wirkung der Nichtigerklärung eines Bescheides; Verletzung des gesetzlichen Richters durch neuerliche Entscheidung in derselben Sache vor Nichtigerklärung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des dritten Senats der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 29. Juli 1980 war gegen den Bf. - einen Bundesbeamten - gemäß §123 BDG 1979 ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden.

Gegen diesen Bescheid hatte der Bf. Beschwerde an den VfGH erhoben (protokolliert zu B431/80). Nach Aufhebung des Einleitungsbeschlusses durch die Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt (s. den folgenden Punkt 2.) war das Beschwerdeverfahren wegen Klaglosstellung mit Beschluß des VfGH vom 29. November 1980, B431/80, eingestellt worden.

2. Mit Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 8. Oktober 1980 wurde der Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 29. Juli 1980 gemäß §68 Abs4 lita AVG als nichtig erklärt, weil er von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen worden sei.

Gegen diesen Bescheid hat der Bf. ebenfalls Beschwerde an den VfGH erhoben (protokolliert zu B514/80). Der VfGH hat diese Beschwerde mit Beschluß vom 28. Juni 1984, B514/80, zurückgewiesen.

3. Bereits vor Erlassung des Bescheides der Diziplinaroberkommission vom 8. Oktober 1980 hat der dritte Senat der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (in nunmehr geänderter personeller Zusammensetzung) mit Bescheid vom 16. September 1980 - dem Bf. zugestellt am 17. Septemer 1980 - abermals die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Bf. verfügt, und zwar wegen desselben Sachverhaltes, der Anlaß für den Einleitungsbescheid vom 29. Juli 1980 gewesen war. Die Disziplinarkommission hat der Begründung ihrer Entscheidung folgendes hinzugefügt:

"Die Erlassung des gegenständlichen Bescheides erfolgt unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Beschluß vom 29. Juli 1980 (Zl. DK 35/3/80) von einem nicht richtig zusammengesetzten Disziplinarsenat gefaßt wurde und somit ein nichtiger, dem Rechtsbestand nicht angehörender Verwaltungsakt vorlag."

Gegen den Bescheid vom 16. September 1980 richtet sich die vorliegende, zu B478/80 protokollierte Beschwerde, in welcher sich der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen V in seinen Rechten verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Beschwerde ist zulässig (zum Bescheidcharakter von Beschlüssen auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach §83 BDG 1977 s. VfSlg. 8686/1979, S 287, und 9489/1982; gleiches gilt im Hinblick auf den gegenüber dem §83 BDG 1977 hier unverändert gebliebenen Wortlaut der Bestimmungen des §123 Abs2 und 3 BDG 1979 auch für den vorliegenden Fall).

2. Die belangte Kollegialbehörde hat mit dem hier angefochtenen Bescheid - in geänderter personeller Zusammensetzung - ihre Entscheidung vom 29. Juli 1980 wiederholt, wobei in der Zwischenzeit keine Änderung des Sachverhaltes oder der Rechtslage in entscheidungswichtigen Punkten eingetreten war. Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die bel. Beh. dazu befugt war (was in der Beschwerde in Abrede gestellt wird).

Im Erk. VfSlg. 1733/1948 hat der VfGH die Auffassung vertreten, daß Verwaltungsbescheide nur dann als nichtig angesehen werden können, wenn sie von der in Betracht kommenden Oberbehörde nach §68 Abs4 AVG als nichtig erklärt worden sind, und daß daher der Begriff der absoluten Nichtigkeit im Verwaltungsverfahren grundsätzlich keine Berechtigung hat.

Der VfGH hat dem im Erk. VfSlg. 2262/1951 hinzugefügt, die österreichische Rechtsordnung kenne - von den Fällen abgesehen, in denen anderes ausdrücklich bestimmt ist - absolut nichtige Bescheide nicht, sondern ermögliche nur die Vernichtung von Bescheiden, die an bestimmten, besonders schweren Mängeln leiden, durch ausdrückliche Nichtigerklärung. Solange eine solche Nichtigerklärung nicht erfolgt sei, bestehe der Bescheid mit allen Rechtsfolgen, die sich an ihn knüpfen, in voller Wirksamkeit.

Auch der VwGH vertritt diese Auffassung (vgl. VwSlg. 7900 A/1970).

Der VfGH sieht keine Veranlassung, von dieser Ansicht abzugehen (zumal die bel. Beh. ihre Behauptung, der Bescheid vom 29. Juli 1980 sei ein dem Rechtsbestand nicht angehörender Verwaltungsakt, nicht begründet hat).

Zu dem - vor der Nichtigerklärung des Bescheides vom 29. Juli 1980 durch die Oberbehörde liegenden - Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides stand somit ein rechtskräftiger, bindender Bescheid in derselben Sache in Wirksamkeit.

Auch die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte Nichtigerklärung dieses Bescheides durch die Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt führt zu keiner anderen Beurteilung. Nach der ständigen Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VfSlg. 1532/1947, S 39, VfSlg. 5224/1966, S 113, VwGH 28. 11. 1972 Z 1275/72) und nach der herrschenden Lehre (Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen, I, S 433, Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren, I/1, S 381, und Ringhofer, Verwaltungsverfahren, Wien 1983, S 63; anderer Ansicht Walter - Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht 2, S 209) bewirkt die Erklärung eines Bescheides als nichtig gemäß §68 Abs4 AVG nur, daß der Bescheid für die Zukunft nicht mehr besteht ("ex nunc-Wirkung"), daß aber für die Vergangenheit die rechtlichen Wirkungen unberührt bleiben, die der Bescheid während der Zeit seines Bestehens mit sich gebracht hat.

Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß die bel. Beh. - bei unverändertem Sachverhalt - ungeachtet der Rechtskraft einer hierüber bereits früher ergangenen Entscheidung neuerlich in der Sache entschieden hat. Die bel. Beh. hat hiedurch den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (s. VfSlg. 9188/1981, S 669).

3. Der Bescheid ist daher schon deshalb als verfassungswidrig aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbingen einzugehen war.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Abänderung und Behebung von amtswegen, Bescheid Rechtskraft, Nichtigkeit absolute, Dienstrecht, Disziplinarrecht Beamte, Bescheidbegriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B478.1980

Dokumentnummer

JFT_10159372_80B00478_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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