TE Vfgh Erkenntnis 1984/9/20 B417/83

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Veröffentlicht am 20.09.1984
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §6 Abs2
ZivildienstG §47 Abs4
ZivildienstG §48 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung - kein gravierender Verstoß auf verfahrensrechtlicher Ebene, insbesondere bei der Beweiswürdigung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 6, vom 22. September 1982, Z 126046/1-ZDK/6/82, wurde der von E M - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974, (ZDG) - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

1.2.1. Der dagegen von E M erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, vom 16. März 1983, Z 126046/3-ZDOK/2/83, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.2. Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:

"... Der Berufungswerber wurde mit rechtskräftigem Straferkenntnis vom 15. Juni 1981 schuldig erkannt, am 10. Mai 1981 in Markt Piesting einen Personenkraftwagen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (laut ärztlichem Gutachten mittelstarke Alkoholisierung) gelenkt zu haben, und hiefür mit einer Geldstrafe von 6000 S belegt.

Der Berufungswerber wurde ferner mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 12. März 1982 schuldig erkannt, am 19. Februar 1982 in Markt Piesting als Lenker eines Personenkraftwagens einen Verkehrsunfall mit Sachschaden (Beschädigung des Wasserwerkes der Gemeinde) verursacht sowie es anschließend unterlassen zu haben, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken und ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen beziehungsweise dem Geschädigten die Identität nachzuweisen. Er wurde hiefür mit einer Geldstrafe von insgesamt 1500 S belegt. Aus der Gendarmerieanzeige geht hervor, daß der Berufungswerber sich etwa 1 1/2 Stunden nach dem Unfall bei dem von ihm gelenkten Personenkraftwagen befand und bei Annäherung der Gendarmeriebeamten davonlief. Nach seinen Angaben wies der hintere Reifen des von ihm gelenkten Personenkraftwagens kein Profil mehr auf. Unmittelbar nach dem Unfall habe er bei Bekannten eine größere Menge Schnaps und einige Flaschen Bier getrunken.

Die Berufung ist nicht begründet.

Der größte Teil der Darlegungen des Berufungswerbers erweist sich bei näherer Betrachtung als wenig konkret und geht am Kern der Sache vorbei. So hat er es verabsäumt, die näheren Inhalte der Gespräche mit seiner Großmutter zu erläutern und etwa auch zu schildern, welche Begebenheiten aus den Erzählungen ihn besonders beeindruckt haben und für die Antragstellung auf Befreiung von der Wehrpflicht maßgebend waren. Die Ausführungen über seine Betätigung in einem Jugendclub und seine sonstigen Aktivitäten lassen Art, Intensität und Häufigkeit dieses angeblichen Engagements nicht erkennen.

Der Antragsteller hätte für den im Antrag vertretenen Grundsatz, das Leben eines Menschen sei unersetzlich und müsse daher am meisten geschützt werden, nur dann Glaubwürdigkeit beanspruchen können, wenn er die beiden Verfehlungen erwähnt und schlüssig dargetan hätte, daß seither bei ihm ein grundlegender Gesinnungswandel eingetreten wäre. Die Benützung eines Kraftfahrzeuges mit einem abgefahrenen Reifen spricht eher dagegen, daß der Lenker der Sicherheit im Straßenverkehr, die die Gefährdung und Verletzung von Verkehrsteilnehmern verhindern soll, besonderes Augenmerk zuwendet.

Die Ausführungen des Berufungswerbers im Zusammenhang mit seiner angeblichen christlichen Grundeinstellung sprechen nicht für die Annahme, daß er sich intensiv mit den tragenden Grundsätzen des Christentums beschäftigt hat. Aus dem gesamten bisherigen Verhalten des Berufungswerbers ist nur ein verschwindend geringer Teil den Zivildienstbehörden zur Kenntnis gelangt. Aus dem Wenigen kann jedoch die begründete Annahme abgeleitet werden, daß er dem Alkohol nicht abgeneigt ist und wiederholt betrunken war. Jemand, der sich freiwillig in einen Zustand begibt, in dem er nicht mehr in der Lage ist, sein gesamtes Verhalten zu kontrollieren und der daher mögliche Gefährdungen oder Verletzungen von Personen in Kauf nimmt, kann wohl kaum glaubwürdig behaupten, das Leben als das höchste und unersetzliche Gut zu achten. Die zweifellos als positiv zu wertende frühere und seit Antragstellung nicht mehr fortgesetzte Tätigkeit des Berufungswerbers beim Roten Kreuz, die im Verfahren erster Instanz zur Sprache kam, konnte an der Gesamtbeurteilung nichts ändern, zumal kein zwingender Zusammenhang zwischen dieser Aktivität und schweren Gewissenskonflikten bei Einberufung zum Bundesheer besteht.

Da das schriftliche und persönliche Vorbringen des Berufungswerbers sowie die wenig aufschlußreiche Aussage seiner Vertrauensperson auch die ZDOK nicht davon zu überzeugen vermochten, daß er aus glaubhaften schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde, mußte die Berufung abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt werden."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des E M an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.3.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfGH 12. März 1982 B561/81, 24. November 1983 B304/83; VfSlg. 9391/1982).

2.1.2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982; VfGH 26. November 1982 B667/81).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978 ua.), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.2.1.1. Die ZDOK gelangte - nach dem offenkundigen Sinn- und Aussagegehalt der Begründung des angefochtenen Bescheides insgesamt - zum Ergebnis, dem Bf. sei die im §2 Abs1 ZDG vorausgesetzte Glaubhaftmachung, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen aus Gewissensgründen ablehne, nicht gelungen.

2.2.1.2. Der Bf. hält den unmißverständlichen (Tatsachen-)Feststellungen der bel. Beh. zur (mißlungenen) Glaubhaftmachung von Gewissensgründen im Kern nur bestimmte Aspekte seiner von der ZDOK nicht für hinreichend überzeugend und bescheinigungskräftig genug erachteten Einlassungen im Administrativverfahren entgegen: In Wahrheit sollen damit, ebenso wie mit den sonstigen, sich inhaltlich in einer subjektiven Kritik der behördlichen Beweiswürdigung erschöpfenden Beschwerdedarlegungen, bloß die Schlußfolgerungen der ZDOK in tatsächlicher Beziehung als unrichtig und verfehlt hingestellt werden. Abgesehen davon, daß ein verfassungsgesetzlich relevanter Verstoß verfahrensrechtlicher Art im gegebenen Zusammenhang nur in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechenden Beweiswürdigung der ZDOK liegen könnte (s. zB VfSlg. 9732/1983; VfGH 24. November 1983 B304/83), was hier keinesfalls zutrifft, ist dieses Bestreben des Bf. jedoch schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es angesichts des das Kommissionsverfahren beherrschenden Prinzips der freien Beweiswürdigung (hier iS freier Würdigung der Bescheinigungsmittel verstanden) - das allein Gewähr für die Berücksichtigung der Einmaligkeit der Umstände jedes einzelnen Falls bietet - der in der Beschwerdeschrift ersichtlich verfochtenen Auffassung zuwider keineswegs angeht, die für die Kommissionsentscheidung in der Glaubhaftmachungsfrage maßgebenden komplexen Überlegungen, soweit sie in die schriftlichen Entscheidungsgründe Eingang zu finden vermochten, ungeachtet all ihrer Verzahnungen und Verästelungen schrittweise in ihre Bestandteile zu zerlegen und diese - so aus dem Kontext der Kommissionsüberlegungen gelösten - Begründungsdetails in isolierter Wertung für nicht tragfähig zu erklären. Zudem kann die Gesamtheit aller Umstände, die dem zur Entscheidung berufenen Organ die Überzeugung vom Wert und von der Aussagekraft des Bescheinigungsmaterials vermitteln, überhaupt nicht restlos analysiert werden, zumal sich vor allem das Ergebnis des persönlichen Eindrucks, den Aussagende im Zuge ihrer Befragung hinterlassen, nicht immer in voller Breite in Worte kleiden läßt (vgl. VfSlg. 9785/1983; VfGH 24. November 1983 B300/83, B304/83).

2.2.1.3. Entgegen der in der Beschwerdeschrift herausgestellten Meinung hat der VfGH im übrigen im gegebenen Zusammenhang auch nicht etwa zu prüfen, ob all die - beweiswürdigenden - Schlußfolgerungen, die aus den beiden verwaltungsrechtlichen Vorstrafen des Bf. gezogen wurden, in jeder Hinsicht zutreffen. Denn es kommt unter Zugrundelegung des Prüfungsmaßstabes des VfGH (s. schon oben Punkte 2.1.2. und 2.2.1.2.) nur darauf an, ob die einschlägigen Überlegungen der bel. Beh. der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens zuwiderlaufen, wovon hier - auch unter voller Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - aber nicht die Rede sein kann (s. VfSlg. 8749/1980, 9362/1982, 9732/1983).

2.2.1.4. Die Rüge des Bf., ein grober Verfahrensmangel sei darin zu erblicken, daß seine nach §47 Abs4 ZDG dem Senat als "nicht ständiges Mitglied" angehörende Vertrauensperson an der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mitgewirkt habe, entzieht sich schon deswegen einer näheren Erörterung, weil dem nicht ständigen Senatsmitglied - das laut Verhandlungsschrift an der Berufungsverhandlung ohnedies teilnahm - kraft der ausdrücklichen Norm des §48 Abs1 Satz 2 ZDG kein Stimmrecht zukommt.

2.2.2. Zusammenfassend ist hier ein in die Verfassungssphäre reichender gravierender Verstoß auf verfahrensrechtlicher Ebene, insbesondere etwa im Bereich der Beweiswürdigung, nicht zu ersehen.

Der VfGH kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Judikatur des OGH, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen; zB aus jüngster Zeit: OGH 23. März 1982 9 Os 38/82, 27. Juli 1982 10 Os 86/82, s. dazu VfSlg. 9573/1982, 9785/1983).

2.2.3. Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

2.3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B417.1983

Dokumentnummer

JFT_10159080_83B00417_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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