Index
90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
StVO 1960; keine Bedenken gegen die in §93 Abs1 erster Satz statuierte Gehsteigsäuberungspflicht der Anrainer; kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot und das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit in Art4 MRK; keine willkürliche oder denkunmögliche Verweigerung der Befreiung von dieser VerpflichtungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 46, vom 9. November 1976, Z MA 46/A/17-4/75, wurde dem Antrag der Bf., als Eigentümer der Grundstücke ... und ..., beide der EZ ... der KG Dornbach, auf Befreiung von der Verpflichtung zur winterlichen Betreuung des Gehsteiges in Wien, E-Stiege, gemäß §93 Abs4 StVO 1960 nicht stattgegeben.
1.2. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem vom Berufungssenat der Stadt Wien in seiner Sitzung vom 6. Dezember 1979 beschlossenen Bescheid gemäß §66 Abs4 AVG 1950 abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Begründend wurde ausgeführt, im Berufungsverfahren seien Stellungnahmen des Bezirksvorstehers für den 17. Bezirk, der Bundespolizeidirektion Wien-Verkehrsamt und des Bezirkspolizeikommissariates für den 17. Bezirk eingeholt worden, die sämtlich ergeben hätten, daß die "E-Stiege" sowohl im Sommer als auch im Winter von vielen Fußgehern benützt werde.
2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung, nämlich des §93 Abs1 StVO 1960, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
3.1. §93 StVO 1960 handelt von den Pflichten der Anrainer. Dessen Abs1 lautet:
"Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten haben dafür zu sorgen, daß die dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen. Die gleiche Verpflichtung trifft die Eigentümer von Verkaufshütten."
Abs2 und 3 leg. cit. treffen hiezu nähere Anordnungen.
Nach Abs4 hat die Behörde nach Maßgabe des Erfordernisses des Fußgängerverkehrs sowie der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs über Antrag durch Bescheid oder, wenn dies nicht in Betracht kommt, durch V auszusprechen, inwieweit eine Befreiung von den in Abs1 festgelegten Verpflichtungen gewährt wird.
3.2.1. Der Angriff der Bf. richtet sich zunächst gegen §93 Abs1 StVO 1960, dessen Verfassungswidrigkeit behauptet wird, weil die Bestimmung die Liegenschaftseigentümer, und nur diese, zu einer Zwangs- oder Pflichtarbeit verhalte; es handle sich hiebei keinesfalls um eine normale Bürgerpflicht. §93 Abs1 StVO 1960 verstoße sowohl gegen Art4 MRK als auch gegen das Gleichheitsgebot.
3.2.2. Der VfGH hat mit Erk. VfSlg. 6878/1972 ausgesprochen, daß der vorletzte Satz des §93 Abs1 StVO 1960 nicht gegen das Gleichheitsgebot verstößt. Da die im vorletzten Satz des §93 Abs1 getroffenen Anordnungen die Anordnung des ersten Satzes (mit Ausnahme einer räumlichen Einschränkung der Säuberungspflicht) einschließen, ergibt sich aus den im zitierten Erk. angestellten Erwägungen, daß auch der erste Satz nicht gleichheitswidrig ist. Damit genügt es, die Bf. hinsichtlich ihrer Gleichheitsbedenken auf das genannte Erk. zu verweisen.
Eine Verfassungswidrigkeit des §93 StVO 1960 behaupten die Bf. weiters, weil die Regelung gegen Art4 Abs2 MRK verstoße. Auch dies ist verfehlt. "Zwangs- oder Pflichtarbeit" können, wie der VfGH in VfSlg. 7826/1976 ausgesagt hat, nur höchstpersönliche Dienstleistungen sein.
Abs5 zweiter Satz des §93 StVO 1960 lautet:
"Wird durch ein Rechtsgeschäft eine Verpflichtung nach Abs1 bis 3 übertragen, so tritt in einem solchen Falle der durch das Rechtsgeschäft Verpflichtete an die Stelle des Eigentümers."
Hieraus ergibt sich, daß es sich bei den Dienstleistungen, die aufgrund des §93 StVO 1960 zu erbringen sind, nicht um höchstpersönliche Verpflichtungen handelt.
Der VfGH hat auch sonst keine Bedenken, daß die angewendeten Gesetzesstellen verfassungswidrig wären.
3.3.1. Die Bf. behaupten weiters, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt zu sein.
Die "E-Stiege" liege im Wald- und Wiesengürtel. Der Meinung der bel. Beh., daß dies keine Rolle spiele, sei entgegenzuhalten, daß die in Frage stehende Stiege im Winter praktisch nicht begangen werde, ja daß sie zu dieser Jahreszeit wiederholt gesperrt gewesen sei. Liegenschaften im Wald- und Wiesengürtel dürften weder bebaut noch bewohnt werden. Auch die Bf. könnten ihr Grundstück nur in den Sommermonaten benützen, sodaß sie außerstande seien, die Betreuung der "E-Stiege" im Winter durchzuführen. Eine maschinelle Räumung der Stiege sei nicht möglich; eine manuelle Schneeräumung durch Dritte sei mangels verfügbarer Arbeitskräfte und im Hinblick auf die hiermit verbundenen Kosten weder möglich noch zumutbar. Die Betreuung der "E-Stiege" sei seit eh und je von der MA 48 durchgeführt worden. Die bel. Beh. hätte ihre Räumungsorgane über die Frequenz des Fußgängerverkehrs befragen müssen; da sie sich mit den eingeholten Auskünften begnügt habe, sei der angefochtene Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig.
Dazu komme, daß zwischen der Liegenschaft der Bf. und der "E-Stiege" ein Grünstreifen liege, der im Eigentum der Stadt Wien stehe. Die "E-Stiege" liege daher nicht "entlang" der Liegenschaft der Bf.; demnach sei es nicht deren Aufgabe, sondern die der Stadt Wien als Eigentümer dieses Grünstreifens, für die Betreuung der "E-Stiege" Sorge zu tragen. Auch das diesbezügliche Vorbringen der Bf. habe die bel. Beh. übergangen.
Dadurch, daß die bel. Beh. die Bf. zur Vornahme der Schneeräumung und Bestreuung der "E-Stiege" verpflichte und eine Einschränkung der Betreuungspflicht ablehne, greife sie zusätzlich in die Freiheit des Eigentums ein und verletze damit ein verfassungsgesetzlich geschütztes Recht.
3.3.2. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen könnte eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrechtes nur vorliegen, wenn die Behörde Willkür geübt hätte. Ein denkunmöglicher Gesetzesvollzug würde Willkür indizieren. All dies trifft jedoch nicht zu.
Inhalt des angefochtenen Bescheides ist die Ablehnung einer beantragten Befreiung von einer gesetzlich nach §93 Abs1 StVO 1960 festgelegten Anliegerverpflichtung; die Verweigerung einer Ausnahmebewilligung zieht somit nach sich, daß keine Befreiung von der gesetzlichen Verpflichtung eintritt, daß also der Betroffene zur Erbringung der ihm gemäß §93 Abs1 leg. cit. obliegenden Anrainerleistung verpflichtet ist. Damit ist (auch) §93 Abs1 StVO 1960 - mittelbarer - Maßstab für die Beurteilung des Verwaltungsgeschehens.
Es ist nun unbestritten, daß sich die "E-Stiege", wie von der bel. Beh. im angefochtenen Bescheid angenommen, iS dieser zitierten Gesetzesstelle im Ortsgebiet von Wien befindet. Die Bf. verweisen jedoch darauf, daß der in Frage stehende Verkehrsweg, ebenso wie ihre Liegenschaft, im Wald- und Wiesengürtel liegt, was die bel. Beh. übergangen hätte, obwohl nach Meinung der Bf. wohl schon aus diesem Grunde ihrem Ansuchen stattzugeben gewesen wäre. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Lage im Wald- und Wiesengürtel nur als Indiz für das Vorliegen der Voraussetzungen, die für eine Befreiungsgenehmigung nach §93 Abs4 StVO 1960 in Betracht kommen, anzusehen ist, sodaß der allein geltend gemachte Umstand, daß sich der angefochtene Bescheid mit dieser Situierung nicht auseinandergesetzt hat, keinesfalls als Willkür indizierend gewertet werden kann. Die Erhebungen, die die bel. Beh. über die Erfordernisse des Fußgeherverkehrs hinsichtlich der "E-Stiege" gepflogen hat, zeigen vielmehr, daß sich die bel. Beh. bei der Beurteilung der im Beschwerdefall maßgeblichen Gegebenheiten am Gesetz orientiert hat. Wenn die Bf. meinen, die bel. Beh. hätte weitere Erhebungen durchzuführen gehabt, um zu einem richtigen Ergebnis zu kommen, weisen sie allenfalls Verfahrensmängel auf, ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler wird aber nicht dargetan.
In dem Umstand, daß sich die bel. Beh. mit der Behauptung der Bf.,
zwischen ihren Grundstücken und der "E-Stiege" liege ein der Stadt
Wien gehöriger Grundstreifen, nicht auseinandergesetzt hat, kann
schließlich schon deshalb keine Verfassungsverletzung liegen, weil
sich die Beschwerdebehauptung entsprechend einer vom VfGH
beigeschafften Mappenkopie (Ausschnitt aus dem Plandokument 5683/2)
als unrichtig erwiesen hat. Die MA 41 verwies zur Erläuterung dieses
Dokumentes darauf, daß die Grundstücke ... und ... direkt an die im
öffentlichen Gut liegenden, zur Stiegenanlage gehörenden
Grundstücke ... und ... angrenzen.
Selbst wenn sich zwischen den Grundstücken der Bf. und der "E-Stiege" ein der Stadt Wien gehöriger Grundstreifen befände, käme diesem Umstand nur die Bedeutung zu, daß sich die bel. Beh. mit der Behauptung der Bf. nicht auseinandergesetzt hat. Dies würde zeigen, daß die bel. Beh. eine solche Auseinandersetzung als verfahrensunerheblich angesehen hat, offensichtlich, weil sie davon ausgegangen ist, daß ein Gehweg auch dann "entlang" einer Liegenschaft verläuft, wenn ein im fremden Eigentum stehender Grünstreifen dazwischen liegt. Diese Auffassung mag richtig sein oder falsch, denkunmöglich und damit Willkür indizierend ist sie jedenfalls nicht.
Die behauptete Gleichheitsverletzung liegt somit keinesfalls vor.
Im Hinblick auf die Denkmöglichkeit des Gesetzesvollzuges ist aber auch ausgeschlossen, daß die Bf. im Eigentumsrecht verletzt wurden, ohne daß zu untersuchen war, ob durch den angefochtenen Bescheid überhaupt in dieses Grundrecht eingegriffen wurde.
3.4. Das Verfahren hat aber auch nicht ergeben, daß die Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wären. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Schlagworte
Straßenpolizei, Zwangsarbeit, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B73.1980Dokumentnummer
JFT_10159079_80B00073_00