TE Vfgh Erkenntnis 1984/9/21 B109/80

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Veröffentlicht am 21.09.1984
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
EStG §4 Abs5

Leitsatz

EStG 1972; keine Bedenken gegen §4 Abs5; keine denkunmögliche oder willkürliche Interpretation des Wortes "Reise" in dieser Bestimmung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die bf. Gesellschaft betreibt ein Zimmerei- und Bauunternehmen.

Für das Veranlagungsjahr 1977 machte sie beim Finanzamt Landeck Aufwendungen für Verpflegung iS des §4 Abs5 des Einkommensteuergesetzes 1972 (EStG 1972) in der Höhe von 33971 S für ausschließlich durch den Betrieb veranlaßte Reisen des J Z, der Kommanditist und Einzelprokurist der bf. KG ist, als Betriebsausgaben geltend.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tir. vom 1. Feber 1980 erfolgte die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für das Jahr 1977. Die geltend gemachten Reiseaufwendungen wurden nicht als Betriebskosten anerkannt.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die Finanzlandesdirektion für Tir. als bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid ist an eine KG gerichtet. Eine KG kann in Ansehung der Rechte und Pflichten, die eine solche Gesellschaft treffen können, verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte für sich in Anspruch nehmen. Sie ist beschwerdelegitimiert (vgl. zB VfSlg. 6599/1971, 6830/1972, 7165/1973, 8149/1977).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8856/1980, 9015/1981) durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur verletzt werden, wenn dieser auf einer mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Der bekämpfte Bescheid schreibt eine Abgabe vor; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980, 9014/1981) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

3. a) Mit dem angefochtenen Bescheid wird den geltend gemachten Verpflegungsaufwendungen die Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe mit der Begründung versagt, daß die Voraussetzungen des §4 Abs5 EStG 1972 nicht vorlägen.

Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

"(5) Aufwendungen für Verpflegung und Unterkunft bei ausschließlich durch den Betrieb veranlaßten Reisen sind ohne Nachweis ihrer Höhe als Betriebsausgaben anzuerkennen, wenn sie die im §26 Z7 angeführten Sätze nicht übersteigen ..."

Die bel. Beh. hat dieser Bestimmung den Inhalt beigemessen, daß von Reisen iS des §4 Abs5 EStG 1972 nur dann die Rede sein könne, wenn sie über den Nahbereich des Betriebes (etwa 20 km) hinaus erfolgten.

b) Die bf. Gesellschaft hält diese Auslegung für denkunmöglich und willkürlich. Der Begriff "Reisen" gemäß §4 Abs5 EStG 1972 sei nicht nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auszulegen (es sei daher darunter nicht ein Fortbewegen über größere Entfernungen zu Fuß oder mit einem Beförderungsmittel zu verstehen); vielmehr sei der Reisebegriff iS der Legalinterpretation des §26 Z7 EStG 1972 auszulegen. Die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen hinge daher nicht von der zurückgelegten Entfernung ab.

Außerdem seien die Finanzbehörden in früheren Veranlagungsjahren der Rechtsmeinung der bf. Gesellschaft gefolgt und hätten daher bisher auf den Nachweis derartiger Ausgaben durch Belege verzichtet, weshalb die bf. Gesellschaft nun - nachdem die bel. Beh. ihre Rechtsmeinung geändert habe - nicht mehr in der Lage sei, die tatsächlichen Aufwendungen nachzuweisen, da sie vom Sammeln von Belegen im Hinblick auf die geschilderte Rechtsansicht abgesehen habe.

c aa) Die bel. Beh. hat den im §4 Abs5 EStG 1972 verwendeten Begriff "Reise" in Übereinstimmung mit der ständigen Judikatur des VwGH (vgl. zB VwSlg. 4446 F/1972; VwGH 31. Oktober 1972 Z 2133/71, 29. Mai 1973 Z 1644/72, 28. Oktober 1975 Z 696/74, 12. Oktober 1977 Z 1464/75, 2234/77, 19. Feber 1979 Z 2463/78, 238/79, 18. Jänner 1983 Z 82/14/0301, 0306) sowie in Übereinstimmung mit dem Großteil der Literatur (zB Schögl - Wiesner - Nolz - Kohler, Einkommensteuergesetz 1972, 6. Aufl., Anm. 13 zu §4; Hofstätter - Reichel, Die Einkommensteuer, Bd. III, Stand 1. September 1983, Anm. 5 zu §4 Abs5; anders allerdings: Weinberger, Verpflegungsmehraufwendungen bei beruflichen Verrichtungen außerhalb des Betriebsortes - Betriebsausgaben, ÖStZ 1978, S 252 ff.) ausgelegt.

Auch die Judikatur des VfGH geht in dieselbe Richtung: Hinsichtlich §4 Abs5 EStG 1972 wurde in VfSlg. 9475/1982 und neuerlich in VfGH 29. Feber 1984, B103/79 - unter Hinweis auf das zur gleichen verfassungsrechtlichen Frage zur vergleichbaren Vorläuferbestimmung, nämlich §4 Abs6 EStG 1967, ergangene Erk. VfSlg. 6590/1971 -, ausgesagt, daß gegen diese Vorschrift keine Gleichheitsbedenken bestehen, auch wenn sie nur Reisen in größeren Entfernungen erfassen sollte.

Von einer denkunmöglichen oder willkürlichen Interpretation des im §4 Abs5 EStG 1972 gebrauchten Wortes "Reise" durch die Behörde kann also keine Rede sein.

Es hat sich auch kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler der Behörde bei Feststellung des Sachverhaltes ergeben. So ist insbesondere unstrittig, daß die Reisen nur bis höchstens 13 km von der Betriebsstätte (also nach der zitierten Judikatur im Nahbereich) stattfanden.

Der VfGH hat - auch wenn §4 Abs5 EStG 1972 den von der bel. Beh. angenommenen Inhalt hat - keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesbestimmung (vgl. zB VfSlg. 9475/1982, 9480/1982).

bb) Was den Vorwurf der bf. Gesellschaft anlangt, die bel. Beh. habe ihre Praxis geändert und damit gegen Treu und Glauben verstoßen, weist sie auch damit keinen in die Verfassungssphäre reichenden Fehler nach: Es ist keinesfalls denkunmöglich oder willkürlich, wenn die Behörde tatsächlich, wie in der Beschwerde behauptet wird, von ihrer bisherigen Handhabung des Gesetzes abgegangen sein sollte; diese Änderung der Vollzugspraxis wäre dann erfolgt, um sie der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes anzupassen.

cc) Die bf. Gesellschaft ist sohin nicht in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Einkommensteuer, Gewinnermittlung (Einkommensteuer), VfGH / Prüfungsmaßstab, Treu und Glauben, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B109.1980

Dokumentnummer

JFT_10159079_80B00109_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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