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43 WehrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Heeresdisziplinargesetz; Abweisung von Anträgen des Beschuldigten auf Zulassung eines Rechtsanwaltes als Verteidiger im Zuge eines Disziplinarverfahrens; Verletzung des Gleichheitsrechtes durch Unterstellung eines verfassungswidrigen Inhaltes, da Berechtigung zur Beiziehung eines Verteidigers iS des §8 RAO auch im Disziplinarverfahren durch den Disziplinarvorgesetzten gewährleistetSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Bescheid des Kommandanten des Panzerstabsbataillons 9 des Bundesheeres vom 8. April 1983, Z 2708-3171/83, wurde - im Zuge eines gegen den Wehrmann E X anhängigen Disziplinarverfahrens - Anträgen des Disziplinarbeschuldigten (vom 9. März 1983) auf Zulassung des Rechtsanwaltes Dr. KZ als Verteidiger und auf bescheidmäßige Absprache über die Gewährung der Akteneinsicht nicht stattgegeben.
1.2.1. Der dagegen vom Disziplinarbeschuldigten ergriffenen Berufung gab der Kommandant der 9. Panzergrenadierbrigade mit seinem (an Dr. K Z ersichtlich in der Eigenschaft als Vertreter des Berufungswerbers adressierten) Bescheid vom 6. Juni 1983, Z 2869-3171/01/83, keine Folge.
1.2.2. In der Begründung dieser Entscheidung heißt es ua.:
"... Gemäß §7 Abs1 Heeresdisziplinargesetz (HDG), BGBl. 151/1956 idF BGBl. 369/1975 ist im Disziplinarverfahren nach dem VII. Abschnitt dieses Gesetzes lediglich die Mitwirkung des Soldatenvertreters auf Verlangen des Beschuldigten vorgesehen. Die Mitwirkung eines Rechtsanwaltes ist gemäß §46 Abs1 HDG lediglich im Verfahren vor den Disziplinarkommissionen zulässig. Aus §7 HDG ergibt sich, daß die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte durch andere Vertreter als den Soldatenvertreter nicht zulässig ist. Der vom Berufungswerber unterstellte Zweck dieser Bestimmung, nämlich klarzustellen, daß die Beiziehung des Soldatenvertreters nicht als Winkelschreiberei zu qualifizieren sei, vermag die Aufnahme dieser Bestimmung in das HDG nicht zu rechtfertigen. ArtIX Abs1 Z4 EGVG und §7 Abs1 HDG haben völlig verschiedene Regelungsbereiche und berühren einander nicht. Daraus, daß nur der im Verfahren nach dem VII. Abschnitt des HDG nicht anzuwendende §46 Abs1 auch das Recht des Beschuldigten normiert, sich durch eine in die Verteidigerliste eingetragene Person oder einen anderen Soldatenverteidigen zu lassen, eine diesbezügliche Norm jedoch in den im Verfahren nach dem VII. Abschnitt des HDG anzuwendenden Bestimmungen fehlt und §7 Abs1 HDG ausschließlich den Soldatenvertreter bzw. das hier nicht relevante Organ der Personalvertretung erwähnt, muß ... geschlossen werden, daß die Verteidigung durch andere als im §7 HDG angeführte Organe bzw. Personen nicht zulässig ist. Diese unterschiedliche Regelung der Verteidigungsmöglichkeiten im Disziplinarverfahren vor einem Kommandanten und im Verfahren vor einer Disziplinarkommission ergibt sich offensichtlich aus den Intentionen des Gesetzgebers, für das Verfahren vor dem Kommandanten eine möglichst einfache und den Umständen des militärischen Dienstbetriebes Rechnung tragende Regelung vorzusehen.
Der ... Schluß, daß damit die Beiziehung eines Verteidigers unzulässig wäre, erscheint im Hinblick auf das Recht des Beschuldigten, die Mitwirkung des Soldatenvertreters zu verlangen, unzutreffend.
Gemäß §50 Abs3 und 4 HDG steht dem Beschuldigten und seinem Verteidiger das Recht der Akteneinsicht zu. Wenn auch diese Bestimmungen ... im Verfahren vor dem Kommandanten nicht anzuwenden sind, so ist doch die Schlußfolgerung zulässig, daß im Verfahren vor dem Kommandantendem Beschuldigten jedenfalls nicht mehr Rechte zukommen als im kommissionellen Verfahren, wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Gesetz ergibt.
Da ... die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten
mangels gesetzlicher Grundlagen nicht zuerkannt werden konnte, ...
war es nicht möglich, ... Akteneinsicht zu gewähren."
1.3.1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des E X an den VfGH, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
1.3.2. Der Kommandant der 9. Panzergrenadierbrigade als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Der angefochtene Bescheid unterliegt keinem weiteren administrativen Rechtszug (§§23 und 77 Abs1 HDG).
2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig (vgl. VfSlg. 7156/1973, 9728/1983; VwSlg. 8862 A/1975).
2.2.1.1. Zur Ahndung der hier den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildenden Tat des Bf. war gemäß §77 Abs1 HDG der Disziplinarvorgesetzte berufen. Auf das entsprechende Verfahren hatten die Vorschriften des II. Abschn. des HDG sinngemäße Anwendung zu finden, die - wie die bel. Beh. an sich richtig herausstellt - der Verteidigungsrechte nicht gedenken. Doch normiert §8 Rechtsanwaltsordnung (RAO), daß sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwaltes auf alle "Gerichte und Behörden" erstreckt und die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und Privatangelegenheiten umfaßt.
2.2.1.2. Der VfGH führte zu §8 RAO bereits in seinem Erk. VfSlg. 1425/1931 ua. aus:
"... Die Prozeßordnungen, die das zivil- und das strafgerichtliche Verfahren sowie das Verwaltungsverfahren einschließlich des Disziplinarverfahrens für öffentliche Angestellte regeln, enthalten allerdings zumeist ausdrückliche Bestimmungen darüber, daß und unter welchen Voraussetzungen die Parteien sich im Verfahren durch einen Rechtsbeistand vertreten lassen dürfen. Diese Bestimmungen sind aber, ganz abgesehen von den Fällen, in denen es sich nur um die Abgrenzung der Fälle der bloßen Befugnis zur freiwilligen Zuziehung eines Rechtsanwaltes gegenüber den Fällen eines absoluten oder relativen Anwaltszwanges handelt, nur als eine ausdrückliche Hervorhebung einer Befugnis der Parteien anzusehen, die auch ohne diese besonderen Bestimmungen der Prozeßordnungen schon aus dem §8 RAO abzuleiten ist. ...
Die Parteien sind ... schon zufolge §8 RAO befugt, zur Vertretung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen in dem dort bezeichneten Umfang einen Rechtsanwalt zu bestellen; sie sind insbesondere dann unmittelbar aufgrund dieser Gesetzesbestimmung hiezu berechtigt, wenn die einschlägigen Prozeßordnungen über diese Frage keine ausdrückliche Bestimmung enthalten.
Dafür, daß §8 RAO iS eines subjektiven Rechtes der Parteien auf Zulassung ihrer Vertretung durch einen Rechtsanwalt aufzufassen ist, spricht überdies auch die Bestimmung des §10 Abs3 RAO, wonach einer zahlungsfähigen Partei, deren Vertretung kein Rechtsanwalt freiwillig übernimmt, der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer einen Rechtsanwalt zu bestellen hat. Wenn auch diese Gesetzesbestimmung mit der vorliegenden Frage gewiß in einem nur entfernteren Zusammenhang steht, so ist doch daraus zu ersehen, daß der Gesetzgeber bei Schaffung der Rechtsanwaltsordnung den Parteien die Möglichkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt sichern wollte. Diese Absicht des Gesetzgebers, den Parteien eine solche Vertretung zu sichern, wäre aber unverständlich, wenn der Gesetzgeber den Parteien nicht auch gegenüber den Behörden einen Rechtsanspruch darauf geben wollte, sich im Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.
Der VfGH ging daher bei der Entscheidung der vorliegenden Rechtssache von der Annahme aus, daß § RAO nicht nur den Rechtsanwälten ein subjektives Recht auf Betätigung innerhalb der dort gezogenen Grenzen, sondern auch den Parteien ein subjektives Recht darauf eingeräumt hat, sich in den dortselbst bezeichneten Angelegenheiten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen zu dürfen ..."
2.2.2.1. Der VfGH hält an dieser Rechtsauffassung fest. Für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß sich für den Bereich des hier anzuwendenden - die Verteidigungsrechte insgesamt ungeregelt lassenden - II. Abschn. des HDG die Berechtigung des Disziplinarbeschuldigten zur Beiziehung eines Verteidigers im Disziplinarverfahren allein schon aus der suppletorischen (allgemeinen) Vorschrift des §8 RAO ergibt: Die bel. Beh. unterstellt dem HDG, wie der Bf. zutreffend rügt, in der Tat einen verfassungswidrigen Inhalt, wenn sie - im angefochtenen Bescheid - der Rechtsmeinung anhängt, eine Verteidigerzulassung sei deshalb unstatthaft, weil es im II. Abschn. des HDG an einer Bestimmung fehle, die, analog zu §46 HDG für das Disziplinarverfahren nach dem III. Abschn. des HDG, dem Beschuldigten ausdrücklich das Recht zur Verteidigerbeiziehung einräume. Denn nach §77 Abs2 HDG haben Disziplinarvorgesetzte im Verfahren nach dem II. Abschn. des HDG, wenn sie die Voraussetzungen für die Ausschließung von der Beförderung oder für die Degradierung (eines beschuldigten Präsenzdieners) für gegeben erachten, die Anzeige an die zuständige Disziplinarkommission zu erstatten, deren (weiteres) Verfahren sich nach den sinngemäß zu handhabenden Vorschriften des III. Abschn. richtet. Treffen hingegen die Voraussetzungen für freiheitsentziehende Disziplinarstrafen zu (§72 HDG), verbleibt es bei der Kompetenz des Dienstvorgesetzten und bei der Anwendung der (Verfahrens-)Vorschriften des II. Abschn. des HDG: Es gäbe nämlich nach Lage der Verhältnisse keine sachliche Rechtfertigung dafür, bei Übergang der Zuständigkeit an die Disziplinarkommission eine Verteidigerbestellung zu gestatten, bei Fortdauer der Kompetenz des Disziplinarvorgesetzten jedoch nicht, obwohl dem Disziplinarbeschuldigten auch in diesem Fall überaus einschneidende Disziplinarstrafen drohen. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die im I. Hauptstück des HDG für alle Disziplinarverfahren geschaffene Einrichtung der "Soldatenvertreter" die Institution der Verteidigung - schon vom anders gearteten, eingeschränkten Aufgabenbereich her (s. §7 Abs1 und 2 HDG) - der Auffassung der bel. Beh. zuwider nicht zu ersetzen vermag.
2.2.2.2. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid aus den dargelegten Erwägungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) verletzt wurde.
Demzufolge mußte der angefochtene Bescheid, und zwar wegen seines engen Spruchzusammenhanges zur Gänze, aufgehoben werden.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Vertreter (Verwaltungsverfahren), Rechtsanwälte, Berufsrecht (Rechtsanwälte), Heeresdisziplinarrecht, Disziplinarrecht Heer, Militärdienst, MilitärrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B425.1983Dokumentnummer
JFT_10159073_83B00425_00