TE Vfgh Erkenntnis 1984/9/28 B536/83

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.1984
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
ASVG §343 Abs4 lita
ASVG §343 Abs4 litb
ASVG §346 Abs5

Beachte

ebenso B537/83 vom selben Tag; ähnlich: B514/83 vom selben Tag

Leitsatz

ASVG; keine Bedenken gegen die Begriffe der "sozialen Härte" und der "besonderen Verhältnisse der Vertragspartner" in §343 Abs4 lita und b unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Die Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte schloß am 4. Feber 1957 mit dem praktischen Arzt Dr. A R - aufgrund der Bestimmungen eines Gesamtvertrages iS der §§338, 341 und 342 ASVG (vom 4. Juli 1956) - einen sog. Einzelvertrag iS des §343 ASVG ab.

Im Jahr 1982 kündigte die Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte den Einzelvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. März 1983 auf.

1.1.2. Der dagegen von Dr. A R fristgerecht erhobene Einspruch wurde laut Entscheidung der Landesschiedskommission für das Land Stmk. vom 17. März 1983, Z LSK 5/82-20, abgewiesen.

1.2.1.1. Gegen die Entscheidung der Landesschiedskommission ergriff Dr. A R innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Berufung, welchem die Bundesschiedskommission mit Bescheid vom 24. Juni 1983, Z R 14-BSK/83-10, Folge gab und den angefochtenen Verwaltungsakt dahin abänderte, daß die Kündigung des mit dem Berufungswerber abgeschlossenen Einzelvertrags (zum 31. März 1983) für unwirksam erklärt wurde.

1.2.1.2. Zur Begründung führte die Bundesschiedskommission ua. aus:

"... In der Sache selbst hat die Bundesschiedskommission in ihrer grundlegenden Entscheidung vom 16. Mai 1983, Z R 5-BSK/83, und in weiteren Entscheidungen vom selben Tag mit ausführlicher Begründung dargetan, daß den Trägern der Krankenversicherung im Regelfall kein freies Kündigungsrecht zusteht, aber auch bei Vertragsverletzungen grundsätzlich nicht sogleich mit Kündigung des Vertrages vorgegangen werden darf, sondern zunächst von den umfangreichen Schlichtungs- und Entscheidungsbehelfen, wie sie die §21 Abs7 und 36 des Gesamtvertrages und §344 ASVG vorsehen, Gebrauch zu machen ist. Eine unmittelbare Kündigung des Vertragsverhältnisses ohne vorherige Belehrung bzw. Verwarnung des Vertragsarztes und Durchführung der im Gesamtvertrag und im §344 ASVG vorgesehenen Verfahren ist nur statthaft, wenn der Vertragsarzt ein Verhalten gesetzt hat, das den im §343 Abs2 Z4 bis 6 ASVG aufgezählten Gründen, die ein Erlöschen des Vertrages ohne Kündigung vorsehen, nahekommt, insbesondere dann, wenn einem Arzt Bereicherungsvorsatz zur Last zu legen ist.

..."

1.2.2. In der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Entscheidung der Bundesschiedskommission vom 16. Mai 1983, Z R 5-BSK/83, finden sich ua. folgende Darlegungen:

"... Zunächst ist darauf Bedacht zu nehmen, daß der auf den vorliegenden Fall anzuwendende §343 Abs4 ASVG, der die Kündigung von Verträgen zwischen Trägern der Krankenversicherung und Ärzten regelt, mit 1. Jänner 1983 neu gefaßt wurde. Die Bundesschiedskommission hat in ihrem der Landesschiedskommission bereits bekannten Bescheid vom 7. März 1983, R 3, 4/83, mit ausführlicher Begründung dargetan, daß auf den vorliegenden Fall, da die Kündigung des Vertrages mit dem Antragsteller noch im Jahre 1982 ausgesprochen wurde, die Bestimmung des §343 Abs4 ASVG in der vor dem 1. Jänner 1983 geltenden Fassung anzuwenden ist, die Neufassung des Gesetzes aber im wesentlichen nur die vorherige Rechtsprechung der Bundesschiedskommission festgeschrieben bzw. bisher allenfalls aus dem Gesetz ableitbar gewesene Zweifel beseitigt hat. Die Landesschiedskommission - und in Überprüfung ihrer Entscheidung die Bundesschiedskommission - kann also eine von einem Träger der Krankenversicherung ausgesprochene Kündigung eines mit einem Arzt abgeschlossenen Einzelvertrages für unwirksam erklären, wenn die Kündigung für den Arzt eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist. Es ist heute ein so erheblicher Teil der Bevölkerung von der gesetzlichen Krankenversicherung erfaßt, daß es in der Regel für einen Arzt, der in einem Vertragsverhältnis zu einem Träger der Krankenversicherung steht, eine erhebliche soziale Härte bedeutet, wenn der Vertrag aufgekündigt wird. Das Gesetz ist daher dahin zu verstehen, daß in Wahrheit, zumindest für den Regelfall, kein freies Kündigungsrecht des Trägers der Krankenversicherung besteht, sondern, wenn der gekündigte Arzt Einspruch erhebt, wichtige Gründe für die Kündigung nachgewiesen werden müssen (vgl. BSK SozSi 1982, 267). Die Kündigung eines Arztvertrages hat für den Arzt in der Regel eine wesentlich einschneidendere Wirkung als die Beendigung eines Dienstverhältnisses, da ein gekündigter Dienstnehmer im allgemeinen doch die Möglichkeit hat, sofort oder in absehbarer Zeit eine gleichartige anderweitige Beschäftigung zu erlangen..."

1.2.3. In der von der Bundesschiedskommission im Erk. vom 16. Mai 1983, Z R 5-BSK/83, ausdrücklich bezogenen Entscheidung vom 7. März 1983, Z R 3, 4-BSK/83, hieß es - im hier bedeutsamen Zusammenhang - bereits ua. wörtlich:

"... Mit der 38. ASVG-Novelle, BGBl. 647/1982, wurde auch der §343 Abs4 ASVG, der die Möglichkeit der Kündigung des Vertragsverhältnisses zwischen den Trägern der Krankenversicherung und Ärzten regelt, neu gefaßt. Die Bestimmung trat am 1. Jänner 1983 in Kraft (ArtX Abs1). Da die Kündigung der Verträge der Antragsgegnerinnen mit dem Antragsteller vor dem 1. Jänner 1983 zum Jahresende 1982 erfolgte, die Landesschiedskommission aber erst im Jänner 1983 entschied, ist zunächst zu beurteilen, welche rechtliche Bedeutung die inzwischen in Kraft getretene Gesetzesänderung auf den vorliegenden Fall hat. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH und des VwGH sind die Rechtsgrundlagen, auf die sich ein Bescheid zu stützen hat, nach der Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung (mündlichen Verkündung oder Zustellung) zu beurteilen (VfSlg. 6405/1971; VwSlg. 7227 A ua.). Auf vorhergegangene Handlungen haben Gesetzesänderungen hingegen keinen Einfluß (vgl. §5 ABGB). Das neue Gesetz bezieht sich also im Zweifel nur auf Sachverhalte, die sich nach dem im Gesetz bezeichneten Tag ereignen (Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 4. Auflage, 141). Bei der Kündigung eines Vertragsverhältnisses kann es dann bei der Beurteilung ihrer Berechtigung nur auf den Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung ankommen. Entgegen der Auffassung der Landesschiedskommission ist daher die Berechtigung der Kündigungen des Vertragsverhältnisses noch nach der Rechtslage zu beurteilen, wie sie vor dem 1. Jänner 1983 bestand ..."

1.3.1. Gegen den Bescheid der Bundesschiedskommission vom 24. Juni 1983, Z R 14-BSK/83-10, richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte an den VfGH, in der ausschließlich die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich der Vorschrift des §343 Abs4 ASVG (in der bis zum 31. Dezember 1982 geltenden Stammfassung), hilfsweise - und zwar nur für den Fall, daß sich der bekämpfte Verwaltungsakt nicht auf §343 Abs4 ASVG in der Stammfassung gründen sollte - aber der Bestimmung des §343 Abs4 ASVG idF der 38. ASVG-Nov. behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.3.2. Die Bundesschiedskommission als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

1.3.3. Hingegen brachte Dr. A R als Beteiligter des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens eine - auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde antragende - Gegenschrift ein.

2.1. Abs4 des §343 des BG vom 9. September 1955, BGBl. 189, über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG) hat - in seiner Stammfassung - folgenden Wortlaut:

"Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gelöst werden. Der gekündigte Arzt kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung des Versicherungsträgers bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Der Einspruch hat aufschiebende Wirkung. Die Landesschiedskommission kann die Kündigung des Versicherungsträgers für unwirksam erklären, wenn

a) die Kündigung für den Arzt eine soziale Härte bedeutet

oder

b) die Kündigung nicht in den besonderen Verhältnisses der Vertragspartner begründet ist."

2.2.1. Gemäß ArtV Z1 der 38. Nov. zum ASVG, BGBl. 647/1982, - die insoweit aufgrund ihres ArtX Abs1 am 1. Jänner 1983 in Kraft trat - lautet §343 Abs4 ASVG wie folgt:

"Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Kündigt der Träger der Krankenversicherung, so hat er dies schriftlich zu begründen. Der gekündigte Arzt kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Die Landesschiedskommission kann die Kündigung für unwirksam erklären, wenn sie für den Arzt eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist. Eine vom gekündigten Arzt eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung."

2.2.2. Diese Neufassung des §343 Abs4 ASVG geht auf einen Abänderungsantrag des Abgeordneten Tirnthal (zur RV einer 38. Nov. zum ASVG) im (Nationalrats-)Ausschuß für soziale Verwaltung zurück, zu dem es im Ausschußbericht (1344 BlgNR XV. GP, S 3) wörtlich heißt:

"Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat schon wiederholt vorgeschlagen, die geltenden Kündigungsbeschränkungen (§343 Abs4 ASVG) für die Auflösung eines Einzelvertragsverhältnisses zwischen dem Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung einer Überprüfung zu unterziehen. Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, stellt sich dieser Kündigungsschutz als überaus großes Hemmnis dar, bei groben Vertragsverletzungen durch den Inhaber eines Einzelvertrages oder sogar bei strafgesetzlich zu ahndenden Vergehen den Einzelvertrag kurzfristig aufzulösen. Durch Ausschöpfung aller Rechtsmittel sowohl im Schiedsverfahren nach den Bestimmungen der §§343 ff ASVG als auch aller Rechtsmittel im Zuge eines anhängigen Strafverfahres kann ein Vertragsarzt, der einer strafbaren Handlung überführt worden ist, noch durch Jahre hindurch auf Rechnung der Krankenversicherungsträger tätig sein.

Durch die nunmehr vorgeschlagene Änderung, über deren Inhalt der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und die österreichische Ärztekammer Einvernehmen erzielt haben, wird folgendes bewirkt:

a) die Kündigungsfrist wird von drei Monaten auf ein Monat verkürzt;

b) die Landesschiedskommission hat innerhalb von 6 Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung.

c) Die Landesschiedskommission kann die Kündigung für unwirksam erklären, wenn sie für den Arzt eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist.

d) Eine vom gekündigten Arzt eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung."

3. über die Beschwerde wurde erwogen:

3.1.1. Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungsweg (§346 Abs5 ASVG); der administrative Instanzenzug ist darauf erschöpft (VfSlg. 8692/1979).

3.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.

3.2.1. Die bf. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte macht - sinngemäß zusammengefaßt - geltend, daß die Regelung des §343 Abs4 ASVG (aF) der Vorschrift des Art18 Abs1 B-VG widerspreche, weil sie nur allgemein und unbestimmt gehalten sei und der Schiedskommission bei Beurteilung der Einzelfälle völlig freie Hand lasse.

3.2.2. Die Bundesschiedskommission ging teils in ausdrücklicher, teils in mittelbarer Berufung auf ihre Vorentscheidungen vom 16. Mai 1983, Z R 5-BSK/83, (s. Punkt 1.2.2.) und vom 7. März 1983, Z R 3, 4-BSK/83, (s. Punkt 1.2.3.) unmißverständlich davon aus, daß die strittige (Vertrags)-Kündigung aus dem Jahr 1982 an dem damals herrschenden Recht, gemeint vor allem: an §343 Abs4 ASVG idF vor der 38. Nov. zum ASVG, gemessen werden müsse. Der VfGH tritt dieser Rechtsauffassung bei, vermag allerdings die in der Beschwerdeschrift geäußerten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten - und daher im vorliegenden verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren präjudiziellen - Bestimmung des §343 Abs4 ASVG in der Stammfassung aus folgenden Erwägungen nicht zu teilen:

3.2.3. Soll ein Gesetz dem Prinzip inhaltlicher Bestimmtheit iS des Art18 Abs1 B-VG entsprechen, muß es nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH - auch wenn es sich eines sog. "unbestimmten", durch unscharfe Abgrenzung gekennzeichneten Rechtsbegriffes bedient - verwaltungsbehördliches (Vollzugs-)Handeln in einem solchen Maß determinieren, daß die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes überprüfen können, ob die erlassenen individuellen Verwaltungsakte mit der Norm übereinstimmen. Dabei sind in Ermittlung des Inhalts der gesetzlichen Regelung alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilt werden kann, was im Einzelfall Rechtens sein soll, verletzt die Norm die in Art18 Abs1 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. ua. VfSlg. 8395/1978).

Davon kann hier - der in der Beschwerdeschrift verfochtenen Rechtsmeinung zuwider - nicht gesprochen werden. Denn der in §343 Abs4 (lita) ASVG in der Stammfassung geprägte Begriff "soziale Härte" ist - nach Wortlaut und Sinngehalt - ebenso auslegbar wie die dort gleichfalls aufgenommene Wendung, daß die Kündigung "nicht in den besonderen Verhältnissen der Vertragspartner begründet ist" (litb):

3.2.3.1. Angesichts der Tatsache, daß §343 Abs4 (lita) ASVG in der Stammfassung der Vorschrift des §25 Abs4 Betriebsrätegesetz, BGBl. 97/1947, weitgehend nachgebildet wurde (s. auch §105 Abs3 Z2 ArbVGes), sei in diesem Zusammenhang namentlich auf die langjährige einschlägige Rechtsprechung der Gerichte zum Merkmal der "sozialen Härte" im Betriebsrätegesetz verwiesen, worunter - vom Wortsinn her - besondere Verhältnisse verstanden werden, welche eine Kündigung als unbillige Härte erscheinen lassen.

3.2.3.2. Zur alternativen Voraussetzung einer Unwirksamerklärung der Kündigung wiederum, wie sie die litb des §343 Abs4 ASVG in der Stammfassung vorsieht, führte die Bundesschiedskommission in ihrer grundlegenden Entscheidung vom 5. Dezember 1980, Z R 2/80 (= SVSlg. 28.036), mit Bezugnahme auf die Judikatur des OGH über die Auflösung von Vertragsverhältnissen ua. wörtlich aus:

"... Gemeint kann aber (unter den 'besonderen Verhältnissen der Vertragspartner') nur sein, daß in Wahrheit kein freies Kündigungsrecht des Versicherungsträgers besteht, sondern nach Einspruch bewiesen werden muß, daß wichtige Gründe die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen. Es haben also mehr oder weniger die Grundsätze zu gelten, die im Privatrecht bei Dauerschuldverhältnissen allgemein gelten: Die Auflösung des Vertragsverhältnisses ist nur aus Gründen zulässig, die es demjenigen, der die Vertragsauflösung erklärt, nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, das Vertragsverhältnis aufrechtzuerhalten; vor allem also bei Verstößen gegen Treu und Glauben gegenüber dem Vertragspartner (OGH SZ 48/77; SZ 46/109; SZ 45/20 und 29; SZ 42/15 uva.) ..."

Der VfGH kann unter den obwaltenden Verhältnissen - insbesondere im Hinblick auf diese an der Judikatur des OGH orientierten Darlegungen der Bundesschiedskommission - nicht finden, daß §343 Abs4 litb ASVG in der Stammfassung unter dem Blickwinkel des Art18 Abs1 B-VG verfassungsrechtlich bedenklich sei. Es kommt vielmehr (auch) dieser Norm, wie aus den Ableitungen der Bundesschiedskommission erhellt, ein der Vollziehung durchaus fähiger Begriffsinhalt zu. Der von der bf. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte hervorgekehrte Umstand, daß sich der Gesetzgeber mit der 38. ASVG-Nov. zu einer näheren Umschreibung des Tatbestandes (der litb) entschloß, vermag an dieser ausreichenden Determinierung der ursprünglichen (Gesetzes-)Fassung ebensowenig zu ändern wie der Hinweis in der Beschwerdeschrift auf Erk. der bel. Beh. aus früherer Zeit, die eine von der herrschenden Rechtsmeinung abweichende Deutung des §343 Abs4 ASVG in der Stammfassung erkennen lassen, zumal sich dem Gesetz zwanglos entnehmen läßt, daß der nunmehr gewählten Auslegung der Vorzug zu geben ist (s. auch VfSlg. 9937/1984 zu Art83 Abs2 B-VG).

3.3. Über die bereits als unbegründet befundene Behauptung eines Verstoßes gegen Art18 Abs1 B-VG hinaus wurde nicht eingewendet, daß die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides verfassungswidrig seien. Auch der VfGH hegt - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - keine solchen Bedenken.

3.4. Demnach bleibt es festzuhalten, daß die Bf. durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

3.5. Dabei war nicht zu prüfen, ob die Bf. durch den bekämpften Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, weil sie eine derartige Rechtsverletzung nicht behauptet hatte (vgl. VfSlg. 8792/1980, 8814/1980, 8920/1980, 9144/1981, 9869/1983).

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Sozialversicherung, Ärzte, Kassenvertrag, Rechtsbegriffe unbestimmte, Auslegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B536.1983

Dokumentnummer

JFT_10159072_83B00536_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten