TE Vfgh Erkenntnis 1984/10/1 B372/84, B373/84

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Veröffentlicht am 01.10.1984
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
DSt 1872 §49 Abs2
VfGG §87 Abs2

Leitsatz

Disziplinarstatut 1872; Erlassung eines - aufhebenden - Ersatzbescheides durch die OBDK in Bindung an die Rechtsanschauung des VfGH ohne eine gemäß §49 Abs2 durchgeführte Verhandlung; Sachentscheidung durch OBDK infolge dieser Bindung jedenfalls ausgeschlossen; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der VfGH verweist zunächst auf die Sachverhaltsdarstellungen in seinen aufgrund von Beschwerden desselben bf. Rechtsanwaltes gefällten Erk. B655/81 sowie B268/82 vom 3. Oktober 1983, mit denen (nachdem die Gesetzwidrigkeit des §6 Abs2 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. - Beschluß der Vollversammlung vom 21. Mai 1957 - mit dem hg. Erk. V96/82 ua. vom 1. Juli 1983 festgestellt worden war) die im Disziplinarverfahren ergangenen Berufungsbescheide der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter - ObDK - (im Umfang der Anfechtung) aufgehoben wurden. In diesen Erk. bezog sich der Gerichtshof auf sein einen gleichgelagerten Beschwerdefall betreffendes Erk. B398/80 vom 30. September 1983, in dem folgendes ausgeführt ist:

"Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ua. dann verletzt, wenn eine Kollegialbehörde bei der Erlassung eines Bescheides nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt ist und der Mangel der unrichtigen Zusammensetzung, falls er bei einer Kollegialbehörde unterer Instanz vorliegt, von der in letzter Instanz zur Entscheidung berufenen Behörde nicht wahrgenommen wird (vgl. VfSlg. 8309/1978).

Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland war bei der dem erstinstanzlichen Bescheid zugrunde liegenden Beschlußfassung der als gesetzwidrig erkannten Bestimmung der Geschäftsordnung (Pkt. II) entsprechend zusammengesetzt. Infolge Bestätigung dieses Bescheides durch die belangte Behörde ist dieser Mangel weiterhin aufrechterhalten und der Beschwerdeführer hiedurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden."

2. Die OBDK erließ an den Bf. zwei am 12. März und 2. April 1984 innichtöffentlicher Sitzung beschlossene Ersatzbescheide, mit denen in Stattgebung der Berufungen das jeweilige Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. in dem der Anfechtung der Berufungsentscheidung vor dem VfGH entsprechenden Umfang (einschließlich des Ausspruches über die Strafe und des Kostenausspruches) aufgehoben und die Disziplinarsache zur Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der genannten Rechtsanwaltskammer zurückverwiesen wurde. Diese Bescheide wurden im wesentlichen folgendermaßen begründet: Die OBDK könne (im Hinblick auf die angeführten Erk. des VfGH) nicht in der Sache selbst erkennen, sondern müsse - weil der schwerwiegende Mangel der nicht gesetzlichen Zusammensetzung einer Kollegialbehörde erster Instanz nach der Judikatur des VfGH auch durch die Entscheidung einer ordnungsgemäß zusammengesetzten Berufungsbehörde nicht geheilt werden kann - nunmehr auch das Erk. des Disziplinarrates zwecks neuerlicher Durchführung des Verfahrens vor einer dem Gesetz entsprechenden Behörde aufheben. Dies habe ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung bereits in nichtöffentlicher Sitzung geschehen können. Die Anordnung des §49 Abs2 des Disziplinarstatutes - DSt. - (Gesetz vom 1. April 1872, RGBl. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, zuletzt geändert durch das BG BGBl. 140/1980) stehe dem nicht im Wege, weil sie die Frage, wann eine mündliche Verhandlung vor dem Berufungssenat anzuberaumen sei, keineswegs abschließend regle. Sie beziehe sich ihrem Wortlaut nach zwar nur auf den Fall der unzulässig oder verspätet erhobenen Berufung - in dem eine Entscheidung in der Sache selbst von vornherein unstatthaft sei - müsse ihrem Sinngehalt nach aber dahin gehend ausgelegt werden, daß auch dann in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden sei, wenn die Berufungsbehörde aus anderen Gründen zu einer Sachentscheidung über die Berufung nicht berechtigt ist.

3. Gegen die Bescheide der OBDK vom 12. März und 2. April 1984 richtet sich die - gemeinsam ausgeführte - Beschwerde nach Art144 B-VG, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die Aufhebung der Bescheide begehrt.

II. Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

1. Der Bf. leitet die geltend gemachte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ausschließlich daraus ab, daß die OBDK ihre Entscheidung nicht nach mündlicher Verhandlung, sondern in nichtöffentlicher Sitzung getroffen hat. Er wirft ihr Zuwiderhandeln gegen §49 Abs2 DSt. vor, aus dem sich das Erfordernis einer mündlichen Verhandlung zwingend ergebe, und kritisiert die für die Handhabung der bezogenen Vorschrift maßgebende Ansicht der bel. Beh., daß ihr eine Sachentscheidung jedenfalls verwehrt gewesen sei.

Dieser Beschwerdevorwurf ist aber schon vom Ansatz her verfehlt. Der Bf. übersieht die Bestimmung des §87 Abs2 VerfGG, welche die Verwaltungsbehörden im Fall der Stattgebung einer Beschwerde durch den VfGH verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VfGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Beim gegebenen Inhalt der angeführten Erk. B655/81 und B268/82 bestand für die belangte OBDK demnach die Verpflichtung, aus Anlaß der vom Bf. erhobenen Berufungen die vom nicht gesetzmäßig zusammengesetzten Disziplinarrat gefällten Disziplinarentscheidungen zwecks neuerlicher Entscheidungen durch die Disziplinarbehörde erster Instanz aufzuheben, was eine Sachentscheidung durch die Berufungsbehörde in diesem Verfahrensstadium unter allen Umständen ausschließt. Daraus folgt, daß die vom Bf. aufgeworfene Frage nach der richtigen Handhabung des §49 Abs2 DSt. im gegebenen Zusammenhang für das Ergebnis der Berufungsentscheidungen völlig belanglos und vom VfGH unter dem Gesichtswinkel des geltendgemachten Grundrechtes nicht zu beantworten ist, weil dieses nach ständiger Rechtsprechung bloß die Entscheidung durch die sachlich zuständigen Behörden, nicht aber die verfahrensrechtliche oder inhaltliche Richtigkeit ihrer Entscheidungen gewährleistet (vgl. zB VfSlg. 7645/1975).

2. Das Beschwerdeverfahren ergab auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Bf. durch die angefochtenen Bescheide aus von ihm nicht vorgebrachten Gründen im geltend gemachten oder in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. Da schließlich auch nicht hervorkam, daß eine rechtswidrige generelle Norm angewendet wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B372.1984

Dokumentnummer

JFT_10158999_84B00372_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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