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L4 Innere VerwaltungNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Prostitutionsverordnung Micheldorf; Individualantrag zulässig; keine "verschleierte Verfügung in Verordnungsform"; Voraussetzungen des §2 Abs3 Oö. Polizeistrafgesetz für die Erlassung einer Durchführungsverordnung gegeben; kein Verstoß gegen Art8 MRK und Art6 StGG; keine Gesetzwidrigkeit der VSpruch
Die V des Gemeinderates der Gemeinde Micheldorf in OÖ vom 30. Juni 1983, Z 975/1983, betreffend das Verbot der Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken, wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.
Der von B K eingebrachte Antrag auf Aufhebung dieser V wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Gemeinderat der Gemeinde Micheldorf hat am 30. Juni 1983 zu
Z 975/1983 - gestützt auf §2 Abs3 des Oö. Polizeistrafgesetzes, LGBl. 36/1979, (Oö. PolStG) - eine V betreffend das Verbot der Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedung anderer Personen zu Erwerbszwecken (im folgenden: PrV Micheldorf) mit folgendem Wortlaut beschlossen:
"§1
Die Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken im Hause Hauptstraße 32 in der Gemeinde Micheldorf in OÖ ist verboten.
§2
Wer diesem Verbot zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafen bis zu S 50000,- zu bestrafen.
§3
Diese Verordnung tritt mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft."
Dieser Beschluß wurde durch Anschlag auf der Gemeindeamtstafel in der Zeit vom 1. bis 19. Juli 1983 kundgemacht.
2. a) B K bringt in ihrer zu V50/83 protokollierten Eingabe vor, sie gehe in der von ihr gemieteten Wohnung in Micheldorf, Hauptstraße 32, der Prostitution nach. Durch den erwähnten Gemeinderatsbeschluß werde ihr die Ausübung der Prostitution verboten, weshalb sie durch die V unmittelbar in ihren Rechten verletzt sei.
Die Antragstellerin begehrt mit der auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Eingabe, die zitierte V zur Gänze aufzuheben.
b) die Oö. Landesregierung hat mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. November 1983 S R schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §10 Abs1 litb Oö. PolStG in Verbindung mit §2 Abs3 leg. cit sowie der PrV Micheldorf begangen zu haben, daß sie vom 20. Juli bis 30. September 1983 im Haus Nr. 32 in Micheldorf ihren Körper zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken hingegeben habe, obwohl dies aufgrund der PrV Micheldorf untersagt ist. Über die Einschreiterin wurde eine Geldstrafe von 5000 S verhängt.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B76/84 erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird. In der Beschwerde wird unter anderem geltend gemacht, daß die PrV Micheldorf gesetzwidrig sei. Es werden dieselben Vorwürfe wie in dem zu V50/83 eingebrachten Individualantrag erhoben (s. unter II.2.b).
Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde am 18. Juni 1984 gemäß Art139 Abs1 B-VG beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der PrV Micheldorf von Amts wegen zu prüfen. Dieses amtswegige Verordnungsprüfungsverfahren wird zu hg. Z V24/84 geführt.
3. Die Oö. Landesregierung und der Gemeinderat der Gemeinde Micheldorf haben Äußerungen erstattet, in denen sie die Rechtmäßigkeit der in Prüfung gezogenen PrV Micheldorf verteidigen, und begehren, diese nicht als gesetzmäßig aufzuheben.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die in Prüfung gezogene PrV Micheldorf ist eine V (vgl. zB VfSlg. 9253/1981, Punkt II.1.).
b) B K ist iS des Art139 Abs1 letzter Satz B-VG legitimiert, den zu V50/83 eingebrachten Individualantrag zu stellen, da die bekämpfte V für sie nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (vgl. zB VfSlg. 9253/1981, Punkt II.2.).
c) Die von S R zu B76/84 erhobene, auf Art144 B-VG gegründete Beschwerde ist zulässig. Der VfGH würde in diesem Beschwerdeverfahren (das Anlaß zur Einleitung des zu V24/84 von Amts wegen eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren bildet) diese V - die eine untrennbare Einheit bildet - anzuwenden haben. Die PrV Micheldorf ist sohin im Anlaßverfahren zur Gänze präjudiziell.
d) Beide Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig, weil auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen.
2. a) Die PrV Micheldorf wird auf §2 Abs3 Oö. PolStG gestützt.
Diese Gesetzesbestimmung lautet:
"Die Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken kann von der Gemeinde für den Bereich bestimmter Gebäude, Gebäudeteile oder Gruppen von Gebäuden durch Verordnung untersagt werden, wenn durch diese Tätigkeit die Nachbarschaft unzumutbar belästigt, das örtliche Gemeindebild zerstört wird oder sonstige öffentliche Interessen, insbesondere solche der Ruhe, Ordnung und Sicherheit und des Jugendschutzes, verletzt werden. Wer einem solchen Verbot zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung."
Dem §10 Abs1 litb Oö. PolStG zufolge sind Verwaltungsübertretungen gemäß §2 von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, mit Geldstrafe bis 50000 S zu ahnden.
b) Der zu V50/83 eingebrachte Individualantrag wird - zusammengefaßt - wie folgt begründet:
Die PrV Micheldorf stelle eine verfassungsrechtlich unzulässige "verschleierte Verfügung in Verordnungsform" dar. Sie verstoße gegen Art8 MRK, da sie auch Sexualverhalten regle, das nicht öffentlich in Erscheinung tritt. Ferner verletze die V das Recht auf freie Berufsausübung iS des Art6 StGG. Schließlich lägen die Voraussetzungen des §2 Abs3 Oö. PolStG nicht vor; es seien nämlich keine Störungen eingetreten, wie sie das Gesetz verhindern wolle.
c) Der VfGH hat seinen Beschluß, mit dem er zu V24/84 von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der PrV Micheldorf eingeleitet hat, damit begründet, daß die Voraussetzungen des §2 Abs3 Oö. PolStG anscheinend nicht vorgelegen seien; es sei vorerst nicht erkennbar, daß ein im Gesetz erwähnter Anlaß vorgelegen wäre.
d) Alle diese Bedenken treffen nicht zu:
aa) Aus den dem VfGH vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß in und vor dem Haus Micheldorf, Hauptstraße 32, ("Herzerl-Bar") in den Jahren 1983 und 1984 wiederholt Schlägereien zwischen Kunden der Prostituierten sowie zur Nachtzeit äußerst lautstarke Auseinandersetzungen stattgefunden haben.
Aufgrund dieses Sachverhaltes konnte die Behörde mit Recht annehmen, daß durch die Begleitumstände, die mit der Ausübung der Prostitution in Micheldorf, Hauptstraße 32, verbunden sind, zumindest die Nachbarschaft unzumutbar belästigt wird und die Interessen der Ruhe, Ordnung und Sicherheit verletzt werden, dies unabhängig davon, wer dort der Prostitution nachgeht. Die Voraussetzungen für die Erlassung einer Durchführungsverordnung zu §2 Abs3 Oö. PolStG lagen daher vor.
bb) Der Vorwurf, die PrV Micheldorf sei eine verfassungsrechtlich verpönte sogenannte "verschleierte Verfügung in Verordnungsform", trifft nicht zu: Zwar verbietet der bekämpfte Beschluß die Ausübung der Prostitution nur in einem bestimmten Gebäude; dennoch handelt es sich um eine generelle Norm, die sich nicht an eine individuell bezeichnete Person wendet, sondern abstrakt an jene Personen, die jeweils beabsichtigen, in diesem Haus der Prostitution nachzugehen. Es handelt sich sohin um eine verfassungsrechtlich zulässige Rechtsordnung (vgl. zB VfSlg. 3732/1960, S 217 f.; 8163/1977, S 266; 9074/1981, S 263; 9254/1981, S 234).
cc) Die PrV Micheldorf untersagt - in Übereinstimmung mit §2 Abs3 Oö. PolStG - lediglich die gewerbsmäßige Prostitution. Die V erfaßt daher nur solche Formen der Prostitution, die der Öffentlichkeit gegenüber in Erscheinung treten. Daraus ergibt sich, daß die V die dem Schutz des Art8 MRK unterliegende Privatsphäre gar nicht berührt (vgl. zB VfSlg. 9252/1981, S 223 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
dd) Das durch Art6 StGG geschützte Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung steht unter Gesetzesvorbehalt. Ein solches Recht kann durch ein Gesetz im formellen Sinn (hier durch das Oö. PolStG), aber auch durch eine V, die sich im Rahmen einer gesetzlichen Bestimmung hält (wie hier die PrV Micheldorf), eingeschränkt werden (vgl. zB VfSlg. 9254/1981, S 234 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung). Durch die V wird der Wesensgehalt des erwähnten Grundrechtes nicht berührt. Eine Verletzung des Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung liegt also nicht vor. Bei diesem Ergebnis braucht nicht untersucht zu werden, ob die Prostitution überhaupt ein von Art6 StGG erfaßter Erwerb ist.
e) Die im Individualantrag vorgebrachten und im Einleitungsbeschluß enthaltenen Bedenken gegen die PrV Micheldorf haben sich sohin als nicht zutreffend erwiesen.
Die bekämpfte V war daher nicht als gesetzwidrig aufzuheben (V24/84); der Individualantrag war abzuweisen (V50/83).
Schlagworte
RechtsV, VerwaltungsV, verschleierte Verfügung, Prostitution, VfGH / Individualantrag, ErwerbsausübungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:V50.1983Dokumentnummer
JFT_10158995_83V00050_00