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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / PrüfungsmaßstabLeitsatz
Bgld. Bauordnung; Verpflichtung zur Abtretung von Verkehrsflächen anläßlich einer Bauplatzerklärung gemäß §17 Abs1; Abtragung bereits auf diesen Flächen bestehender Bauwerke und begehbare Befestigung der Grundstreifen jedoch nicht erfaßt; denkunmögliche Auslegung des §17 Abs1, Verletzung des EigentumsrechtesSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Rohrbach (Bgld.) vom 16. Jänner 1980 wurde das im Eigentum der Bf. stehende Grundstück Nr. ..., EZ ..., KG Rohrbach, zum Bauplatz erklärt. Im Punkt II. 1. dieses Bescheides wurde als Auflage verfügt: "Die Straßenfluchtlinie wird mit einem Abstand von 1,50 m hinter der straßenseitigen Bordsteinkante festgelegt. Da die bestehende Einfriedung zur Gänze vor der oben festgesetzten Straßenfluchtlinie steht, ist dieselbe bis 0,30 m unter das durch den Bordstein gegebene Gehsteigniveau abzutragen und der Grundstreifen zwischen dem Bordstein und der Straßenfluchtlinie begehbar zu befestigen". Im Punkt III. des Bescheides wurde gemäß §17 Abs1 der Bgld. Bauordnung, LGBl. 13/1970 (BauO), ausgesprochen, daß die in Punkt II.1. festgelegte Grundfläche unentgeltlich und kostenfrei an die Gemeinde abzutreten sei.
Der Gemeinderat von Rohrbach hat der von den Bf. gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung mit Bescheid vom 14. April 1980 keine Folge gegeben.
Die gegen den letztinstanzlichen Gemeindebescheid erhobene Vorstellung hat die Bezirkshauptmannschaft Mattersburg mit Bescheid vom 17. September 1980 als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Bf. die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend machen und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragen.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Nach dem ersten Satz des §17 Abs1 BauO hat der Grundeigentümer im Falle der Bauplatzerklärung die Grundflächen, die zum Zwecke der Aufschließung von Bauplätzen für die Anlage neuer oder zur Verbreiterung bestehender öffentlicher Verkehrsflächen benötigt werden, ... unentgeltlich und kostenfrei, ... an die Gemeinde abzutreten.
Der angefochtene Bescheid wird - soweit dies für die Entscheidung des vorliegenden Falles von Bedeutung ist - damit begründet, das Gesetz enthalte keine Ausnahme von der Verpflichtung zur Abtretung von Verkehrsflächen anläßlich einer Bauplatzerklärung für den Fall, daß die abzutretende Liegenschaft - wie hier - bereits verbaut ist; es sei lediglich bestimmt, daß diese Anliegerleistung nur einmal zu erbringen sei. Die Vorstellungswerber hätten bisher keine Grundabtretung iS des §17 BauO durchgeführt. Diese Gesetzesbestimmung biete für die von den Vorstellungswerbern vertretene Auffassung, daß eine Grundabtretung nur bei der erstmaligen Bebauung eines Grundstückes vorgeschrieben werden könne, keinerlei Hinweise. Das bedeute, daß die im vorliegenden Falle erfolgte Bauplatzerklärung den Anlaß für eine Grundabtretung zu bilden habe, und es sei somit für die Verpflichtung zur Grundabtretung unerheblich, ob das Grundstück zum Zeitpunkt der Bauplatzerklärung bebaut oder unbebaut sei. Die Vorschreibung zur Abtragung der Mauer sei eine Notwendigkeit, die sich aus der Verpflichtung zur Grundabtretung ergebe, weil ansonsten die bestehende Verkehrsfläche nicht verbreitert werden könne. Im übrigen bestehe für die vorhandene Mauer keine Baubewilligung.
2. Die Bf. bringen vor, sie würden nunmehr zum zweitenmal verpflichtet, eine Abtretung "weiterer Teile" ihres Bauplatzes in das öffentliche Gut vorzunehmen. Sie hätten nämlich zwei Trennstücke im Ausmaß von 7 bzw. 19 Quadratmeter an die Gemeinde abgetreten, als aufgrund eines Teilungsplanes vom 24. März 1975 die von der gegenständlichen Bauplatzerklärung betroffene Parzelle ... neu gebildet worden sei. Anliegerleistungen seien jedoch nur einmal zu erbringen.
Die Bf. haben in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH zum Nachweis dessen eine beglaubigte Kopie eines Auszuges aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderates von Rohrbach vom 11. Juni 1975 vorgelegt, aus welcher sich ergibt, daß der Gemeinderat unter dem Tagesordnungspunkt 11 über Antrag des Bürgermeisters beschlossen hat, die beiden unentgeltlich an das öffentliche Gut abgetretenen Trennstücke der Parzelle ... (bisherige Eigentümer J und H M) im Ausmaß von 7 bzw. 19 Quadratmeter in das öffentliche Gut zu übernehmen und dem Gemeingebrauch zu widmen. Die Bf. haben weiters den vom Bürgermeister zu Z 221/76 am 20. September 1976 genehmigten Teilungsplan vom 24. März 1975 vorgelegt, aus dem zu ersehen ist, daß das Trennstück im Ausmaß von 19 Quadratmeter an dasselbe Grundstück (Nr. ..., öffentliches Gut) grenzt, dem auch die Grundfläche zufallen soll, deren Abtretung im vorliegenden Verfahren verfügt worden ist. Der Vertreter der bel. Beh. hat dem Vorbringen der Bf. in der mündlichen Verhandlung nicht widersprochen.
Die Bf. haben im Verwaltungsverfahren in keiner Weise (auch nicht in der Vorstellung gegen den letztinstanzlichen Gemeindebescheid) auf die im Jahr 1975 erfolgte Grundabtretung hingewiesen, sondern dies erst im verfassungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht. Wenn sich die Vorstellungsbehörde mit der - aus den Verwaltungsakten nicht ersichtlichen - Grundabtretung im Jahre 1975 nicht auseinandergesetzt und auf sie nicht Bedacht genommen hat, kann unter diesen Umständen darin kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler der bel. Beh. erblickt werden.
3. In der Beschwerde wird weiters vorgebracht, nach dem Wortlaut des §17 Abs1 BauO obliege dem Eigentümer im Rahmen der Anliegerleistungen lediglich eine Grundabtretung, keineswegs aber darüber hinausgehende Verpflichtungen. Die hier festgesetzte Verpflichtung, die bestehende Einfriedung bis 0,30 m unter das Gehsteigniveau abzutragen und den Grundstreifen zwischen dem Bordstein und der Straßenfluchtlinie begehbar zu befestigen, sei durch das Gesetz nicht im geringsten gedeckt und stelle daher einen gesetzlosen Eingriff in das Eigentumsrecht der Bf. dar.
Dieses Vorbringen der Bf. trifft zu.
Zwar hegt der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des §17 Abs1 erster Satz BauO (zur Sachlichkeit der Anknüpfung von Anliegerleistungen an Grundabteilung bzw. erstmalige Bauführung vgl. VfSlg. 6448/1971).
Der VfGH hält es aber für eine mit den Denkgesetzen nicht mehr in Einklang zu bringende Auslegung des Wortes "kostenfrei", wenn darunter auch die Abtragung von Bauwerken und die Verpflichtung subsumiert werden, einen Grundstreifen begehbar zu befestigen (vgl. hiezu Krzizek, System des Österreichischen Baurechts, Wien 1972, S 383, der es allerdings nur als "fraglich" bezeichnet, ob die Verpflichtung zur Straßengrundabtretung mit Rücksicht auf den Zweck der Grundabtretung - Herstellung einer öffentlichen Verkehrsfläche - auch die Verpflichtung zur Abtragung der darauf befindlichen Bauten in sich schließt). Wenn der Gesetzgeber auch eine derartige Verpflichtung des Grundeigentümers erfaßt wissen wollte, hätte er dies entsprechend zum Ausdruck bringen müssen (s. zB §13 Abs1 der Nö. BauO, LGBl. 166/1969, wonach derartige Grundflächen dem Straßenerhalter geräumt und frei von Baulichkeiten im vorgeschriebenen Niveau zu übergeben sind). Hiezu kommt, daß Grundeigentümer nach der (Bgld.) BauO grundsätzlich nicht zur Herstellung eines Gehsteiges, sondern vielmehr zur Erstattung eines entsprechenden Kostenanteiles verpflichtet sind (s. §18 Abs2 litb BauO). Auch der Umstand, daß für das abzutragende Bauwerk allenfalls gar keine Baubewilligung erteilt worden war, vermag daran nichts zu ändern: In einem solchen Fall könnte die Baubehörde gemäß §104 Abs3 BauO die Herstellung des ursprünglichen Zustandes verfügen und so die Abtragung des Bauwerkes erzwingen; keinesfalls kann aber dieser Umstand Anlaß dafür bieten, den Abbruch des ohne Bewilligung errichteten Bauwerkes in einem Verfahren betreffend die Bauplatzerklärung zu verfügen.
Die Behörde hat somit das Gesetz denkunmöglich in der Weise angewendet, daß sie einen mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellenden schweren Fehler begangen hat, wodurch die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sind (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des VfGH, zB VfSlg. 8866/1980, 9047/1981).
Bei diesem Ergebnis brauchte auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr eingegangen zu werden.
4. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
Schlagworte
Baurecht, Anliegerrechte u -pflichten, Grundabtretung, Gehsteigherstellung, Bauplatzgenehmigung, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B556.1980Dokumentnummer
JFT_10158991_80B00556_00