TE Vfgh Erkenntnis 2006/6/27 B18/04

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Veröffentlicht am 27.06.2006
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Kärnten ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die mitbeteiligte Partei beantragte am 13. März 2000 die Erteilung der Baubewilligung für "eine Verlegung der Geschäftsstiege in den nördlichen Bereich des Geschäftslokal(s)" auf dem Grundstück Nr. 315, KG Klagenfurt. Das Baugrundstück ist vom Grundstück der beschwerdeführenden Nachbarin durch die 2,5 m breite Verkehrsfläche Eisengasse getrennt. Die geplante "Stiege neu" auf der öffentlichen Verkehrsfläche Eisengasse erreicht eine Höhe von 6,8 m, eine Breite von 0,85 m und eine Länge von 8,05 m. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Klagenfurt erteilte mit Bescheid vom 17. April 2000 die beantragte Baubewilligung. Die Einwendungen der beschwerdeführenden Nachbarin wurden abgewiesen. Die Berufungskommission wies die dagegen erhobene Berufung der Nachbarin als unbegründet ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 4. September 2001, Z2000/05/0155, den abweisenden Vorstellungsbescheid der Kärntner Landesregierung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Der anzuwendende Bebauungsplan "Hoffmannplan" enthalte für das vom Bauvorhaben betroffene Grundstück mit Ausnahme der Festlegung der Grundstücksgrenze als Baulinie keine näheren Regelungen über die Abstände. Mangels einer derartigen Regelung sei gemäß §4 Abs2 Kärntner Bauvorschriften §6 leg. cit. anzuwenden. Gemäß §6 Abs2 litc leg. cit. dürfen in Abstandsflächen nur die nachstehend angeführten Gebäude oder sonstige bauliche Anlagen errichtet werden, und zwar unabhängig davon, ob sie in Verbindung mit einem Gebäude oder einer sonstigen baulichen Anlage oder für sich allein errichtet werden: "Dachvorsprünge, Sonnenblenden, Erker, Balkone, Wetterdächer u.ä. bis zu einer Ausladung von 1,30 m". Der Verwaltungsgerichtshof führte in seiner Begründung aus, dass der bewilligte in die öffentliche Verkehrsfläche ragende erkerähnliche Bauteil (Vorbau), welcher der Unterbringung eines Stiegenhauses diene, nicht unter diese Gesetzesstelle falle; er erreiche eine flächenmäßige Ausgestaltung, die die üblichen Größenvorstellungen von Erkern und Balkonen bei weitem übersteige.

Die Kärntner Landesregierung hob mit Bescheid vom 12. Oktober 2001 den Bescheid der Bauberufungskommission der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 22. Mai 2000 auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Landeshauptstadt Klagenfurt zurück. Im Zuge des auf Gemeindeebene fortgesetzten Verfahrens ersuchte die Bauberufungskommission die Abteilungen Stadtplanung, Baupolizei, Tiefbau, Berufsfeuerwehr und Gesundheit, ein Gutachten darüber zu erstellen, ob im vorliegenden Fall die im §9 Kärntner Bauvorschriften angeführten Voraussetzungen für eine Verringerung der Tiefe der Abstandsflächen gegeben seien. Aus der Stellungnahme vom 16. April 2002 ergibt sich, dass durch die vorhandenen Bauabstände bereits Abstände verwirklicht seien, die von den Bestimmungen der §§4 bis 7 Kärntner Bauvorschriften abweichen. Die Schaffung der Fußgängerpassage durch Öffnung der Eisengasse entspreche dem Stadtentwicklungsstil der Aufwertung und verbesserten Erschließung der Altstadt. Für den Lichteinfall beim Haus, Baufläche .314 sei die historisch vorgegebene Höhe des nördlichen Anrainerhauses, Baufläche .315, mit einer Traufhöhe von 20,30 m maßgeblich und nicht der auskragende Stiegenhausvorbau. Interessen des Schutzes des Ortsbildes seien durch die Baumaßnahme nicht verletzt. Im Gegenteil, das Ortsbild in dem kleinteiligen Bereich der historischen Altstadt sei sowohl durch die Öffnung der Eisengasse als auch durch den betreffenden Stiegenhauserker bereichert worden. Am 18. April 2002 brachte die Beschwerdeführerin beim Gemeinderat einen Devolutionsantrag ein und beantragte den Übergang der Zuständigkeit an diesen. Mit Schreiben vom 11. Juni 2002 gab die Abteilung Feuerwehr zum Projekt eine aus brandschutztechnischer Sicht positive Stellungnahme ab. Auch der medizinische Amtssachverständige gab am 15. Juli 2002 eine positive Stellungnahme ab. Der Gemeinderat übermittelte der Beschwerdeführerin die eingeholten Stellungnahmen mit Schreiben vom 5. November 2002 zur Äußerung. Mit Verfügung vom 4. November 2002 stellte der Verwaltungsgerichtshof dem Gemeinderat die Säumnisbeschwerde der Beschwerdeführerin mit der Aufforderung zur Äußerung zu. Der Gemeinderat wies mit Bescheid vom 7. Mai 2003 die Berufung der Beschwerdeführerin ab. Er führte aus, dass die Voraussetzungen für eine Verringerung der Tiefe der Abstandsflächen nach §9 Abs2 Kärntner Bauvorschriften erfüllt seien. Darüber hinaus werde darauf verwiesen, dass am 11. Oktober 2002 eine Änderung des Bebauungsplans vom 15. Jänner 1948, nämlich "textliche Ergänzungen", in Kraft getreten sei.

Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Vorstellung. Sie führte unter anderem aus, dass der bestehende Bau bereits entsprechend dem Hoffmannplan an der Grundstücksgrenze situiert sei und eine Verringerung der Abstandstiefe auf dem Grundstück selbst gemäß §9 leg. cit. daher nicht in Frage kommen könne. Die Kärntner Landesregierung gab der Vorstellung mit Hinweis auf die in Kraft getretene textliche Ergänzung des Bebauungsplanes keine Folge.

2. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Änderung des Bebauungsplanes behauptet.

3. Die Kärntner Landesregierung und der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt erstatteten eine Gegenschrift bzw. eine Äußerung; es wurde die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. 1. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 5. Oktober 2005 beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 1. Oktober 2002, mit der der Bebauungsplan vom 15. Jänner 1948 (Hoffmannplan) für die Innenstadt "textlich ergänzt" wurde, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 10. Oktober 2002 bis 25. Oktober 2002, von Amts wegen zu prüfen.

Mit Erkenntnis vom 23. Juni 2006, protokolliert zu V109/05, hat der Verfassungsgerichtshof die Verordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 1. Oktober 2002, mit der der Bebauungsplan vom 15. Jänner 1948 (Hoffmannplan) für die Innenstadt "textlich ergänzt" wurde, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 10. Oktober 2002 bis 25. Oktober 2002, zur Gänze als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die gesetzwidrige Verordnung. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsposition der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr in Höhe von € 180,-

sowie Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B18.2004

Dokumentnummer

JFT_09939373_04B00018_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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