Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
StGG Art8; VStG 1950 §35; vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung gemäß §76 Abs1 StVO; zunächst keine Feststellung der Identität möglich; Festnehmung und Anhaltung daher aufgrund §35 lita VStG bis zum Auffinden des Führerscheins rechtmäßig; nach erfolgter Ausweisleistung jedoch kein Haftgrund mehr; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch weitere AnhaltungSpruch
1. Die Bf. sind durch ihre am 10. September 1980 um etwa 22.15 Uhr in Wien, Sonnenfelsgasse, durch ein Organ der Bundespolizeidirektion Wien erfolgte Festnahme sowie durch ihre nachfolgende Anhaltung bis etwa 23.30 Uhr desselben Tages weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird in diesem Umfang abgewiesen.
2. Die Bf. sind durch ihre Anhaltung durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 10. September 1980 in der Zeit von etwa 23.30 Uhr bis etwa 0.30 Uhr des folgenden Tages im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, daß die Bf. am 10. September 1980 gegen 21.45 Uhr in Wien aus der Schönlaterngasse kommend durch die Sonnenfelsgasse in Richtung Bäckerstraße gegangen seien. In der Sonnenfelsgasse hätten sie die Fahrbahn "schräg" benützt, weil verschiedene Personenkraftfahrzeuge und ein Funkstreifenwagen der Polizei am Gehsteig abgestellt gewesen seien und dieser daher nicht benützbar gewesen sei. Ein Polizeibeamter sei damit beschäftigt gewesen, die auf bzw. halb auf dem Gehsteig stehenden Fahrzeuge zu notieren. Als die Bf. im Begriffe gewesen seien, nach dem letzten am Gehsteig parkenden Fahrzeug wieder auf den Gehsteig zu gehen, habe der Polizeibeamte sie angeschrieen "Gehts's am Gehsteig!". Weil ein sofortiges Betreten des Gehsteiges nicht möglich gewesen sei, da an dieser Stelle noch Fahrzeuge halb am Gehsteig geparkt hätten, hätten die Bf. auf diese Aufforderung nicht reagiert; der Polizeibeamte sei nun ungefähr zwei bis drei Meter auf die Bf. zugegangen, habe dem in der Mitte gehenden Drittbf. einen Stoß gegen die Brust gegeben und nochmals geschrieen "Geht's am Gehsteig!".
Da der Polizeibeamte sie geduzt und den Drittbf. angegriffen hätte, habe die Erstbf. den Polizeibeamten aufgefordert, sich mit der "Polizeikarte" auszuweisen. Dies habe der Polizeibeamte verweigert und dafür seinerseits verlangt, daß sich die Bf. ausweisen. Weil die Bf. geglaubt hätten, keine Ausweispapiere mitzuhaben, hätten sie die Ausweisleistung verweigert. Daraufhin sei von dem Polizeibeamten die Festnahme ausgesprochen worden und ein zweiter Polizeibeamter, der in der Nähe beschäftigt war, hinzugekommen. Mittlerweile habe sich bereits auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine größere Menschenansammlung gebildet, die für die Bf. Partei ergriffen habe.
Der Polizeibeamte habe dann begonnen, die Erstbf. zum Funkstreifenwagen zu zerren. Hiedurch sei ein unbeteiligter Autofahrer an der Weiterfahrt gehindert worden, der ausgestiegen sei, den Polizeibeamten aufgefordert habe, die Erstbf. loszulassen, und sich als Zeuge zur Verfügung gestellt habe. Der Polizeibeamte habe diesen Autofahrer unter Androhung der Festnahme zur Weiterfahrt aufgefordert.
In der Zwischenzeit sei eine weitere Funkstreife mit weiteren zwei Polizisten gekommen, sodaß nunmehr vier Beamte gegen die Bf. eingeschritten seien. Angesichts dieser Anzahl hätten sich die Bf. ab sofort passiv verhalten und seien ruhig stehengeblieben.
Plötzlich sei der ersteinschreitende Polizist wieder auf die Erstbf. zugekommen und habe sie gegen den Funkstreifenwagen gedrückt. Weil sie zu ihrer achtjährigen, allein daheim wartenden Tochter zurückkehren habe wollen, habe sie sich geweigert, den Funkstreifenwagen zu besteigen. Der einschreitende Polizist habe sie aber weiter gegen den Funkstreifenwagen gedrückt, wobei er das rechte Bein der Erstbf. in Höhe des Knies seitlich gegen den Türrahmen gestoßen habe, wodurch am Knie eine handflächengroße Kontusion entstanden sei und sich die Erstbf. in ambulante Spitalspflege des Allgemeinen Krankenhauses habe begeben müssen; sie befinde sich wegen dieser Verletzung nach wie vor in ärztlicher Behandlung.
In weiterer Folge seien die drei Bf. gemeinsam von einem inzwischen angeforderten Arrestantenwagen in das Polizeikommissariat Wien I, Deutschmeisterplatz, gebracht worden.
Die Bf. hätten jederzeit und wechselseitig ihre Identität bezeugen können. Die Erstbf. würde überdies nur ca. 5 Minuten vom Ort der Amtshandlung entfernt wohnen; die Bf. hätten auch reichlich finanzielle Mittel bei sich gehabt, um im Wege einer Sicherheitsleistung gemäß §37 VStG eine Festnahme abzuwenden.
Im Polizeikommissariat hätten die Bf. auf Befragen ihre Namen, Wohnadressen, Geburtsdaten udgl. mehr angegeben.
Beim Durchsuchen der Taschen habe der Drittbf. festgestellt, daß er seinen Führerschein bei sich führte und sich ausweisen könnte; obwohl er sich nun ausweisen habe können und auch anbot, die beiden anderen Bf. zu identifizieren, seien sie eine weitere Stunde bis etwa 0.30 Uhr in Haft behalten worden.
Die Erstbf. habe Schmuck und Geld abgeben müssen und sei in eine Einzelzelle gesperrt worden. Nach einiger Zeit sei sie nach dem Mädchennamen gefragt worden, später sei sie dann dem Polizeiamtsarzt vorgeführt worden, der ihre Verletzung untersucht hätte. Zu diesem Zeitpunkt sei diese aber noch nicht deutlich sichtbar gewesen.
Etwa 15 Minuten nach der Untersuchung durch den Amtsarzt sei eine weibliche Beamtin in die Einzelzelle gekommen und habe sie aufgefordert, sich zur Gänze auszuziehen; ihr seien auch die Haare durchwühlt worden. Um etwa 0.30 Uhr sei sie aus der Einzelzelle entlassen worden, ihre Sachen seien zurückerstattet worden und sie habe nach Hause gehen dürfen.
Auch die Zweitbf. sei leibesvisitiert worden.
Die Zweit- und Drittbf. hätten gehört, wie ein Polizeibeamter bei der Fahndungsanfrage gesagt hätte "Aber Du kannst Dir Zeit lassen".
b) Die Bf. stellen abschließend fest, daß sie sich in ihren verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten verletzt fühlen, weil sie, ohne eine Verwaltungsübertretung begangen zu haben, festgenommen worden seien und weil diese Festnahme ohne vorherige Abmahnung erfolgt sei, weil sie festgenommen worden seien, obwohl sie gemäß §37 VStG bereit gewesen wären, eine Sicherheit zu erlegen, weil der Drittbf. im Arrest behalten worden sei, obwohl er sich mit seinem Führerschein ausgewiesen hätte, weil die Erst- und Zweitbf., E und W N, im Arrest behalten worden seien, obwohl der mit Führerschein ausgestattete Drittbf. ihre Identität hätte bezeugen können, weil die Erst- und Zweitbf. einer Leibesvisitation unterzogen worden seien, obwohl sie kein damit im Zusammenhang stehendes Delikt gesetzt hätten. Die Bf. beantragen, der VfGH wolle erkennen, daß die Bf. in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit ihres Eigentums verletzt worden sind, allfällige weitere Verstöße gegen das Bundesverfassungsgesetz als verfassungswidrig feststellen, ihnen Kostenersatz zusprechen und - in eventu - die Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG an den VwGH abtreten.
2. a) Die Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. hat - vertreten durch die Finanzprokuratur - eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den Sachverhalt folgendermaßen darstellt:
Am 10. September 1980 seien aufgrund einer Mitteilung die Inspektoren K N und J W um ungefähr 22.00 Uhr zum betreffenden Straßenstück entsandt worden, um gegen verkehrsbehindernd geparkte Kraftfahrzeuge vorzugehen. Inspektor W habe am Ignaz Seipel-Platz begonnen, die in der gesamten Länge der Sonnenfelsgasse auf der linken Straßenseite vorschriftswidrig abgestellten Kraftfahrzeuge zu notieren, während Inspektor N vom Lugeck aus beginnend vorgegangen sei.
Etwa 10 Minuten nach ihrem Eintreffen habe Inspektor N - als er sich bereits ein Stück oberhalb der Kreuzung mit der Schönlaterngasse befand - gehört, wie ein Mann sagte "Schau, der blöde Wachmann schreibt die Autos auf, obwohl die Feuerwehr und die Rettung sowieso durchfahren kann". Inspektor N habe zwei Frauen und einen Mann erblickt, die - offenbar aus der Schönlaterngasse kommend - ineinander eingehängt auf der Fahrbahn der Sonnenfelsgasse in Richtung Lugeck gegangen seien. Wegen dieser Äußerung des Mannes sei der Beamte in die Mitte der Fahrbahn getreten und habe die Fußgänger, die noch etwa fünf Meter von ihm entfernt gewesen seien, aufgefordert, den rechten Gehsteig der Straße zu benützen. Dessen ungeachtet hätten die drei Personen ihren Weg solange fortgesetzt, bis der Mann gegen den Beamten gestoßen sei, und ihn angeherrscht habe "Was halten Sie mich auf; was erlauben Sie sich eigentlich! Wir möchten weitergehen!". Auch die beiden Frauen hätten sich eingemengt und von Inspektor N lautstark verlangt, daß er sie ihren Weg fortsetzen lasse. Nun habe der Beamte die Fußgänger aufgefordert, sich auszuweisen, was diese jedoch nicht nur unterlassen, sondern auch mit heftig vorgebrachten Äußerungen wie "In Österreich besteht keine Ausweispflicht. Außerdem sind wir nur Fußgänger und geben daher unsere Nationale nicht bekannt!" zu tun sich geweigert hätten. Inspektor N habe daher von den drei Personen verlangt, ihr lautstarkes Gehabe, das mittlerweile zu einer Ansammlung mehrerer Personen geführt habe, einzustellen und sie darauf hingewiesen, daß er sie, wenn sie sich nicht ausweisen sollten, festnehmen würde. Da die Fußgänger jedoch bei ihrer Weigerung geblieben seien und noch weiterhin auf den Beamten eingeschrieen hätten, habe er sie für festgenommen erklärt.
Mittlerweile sei Inspektor W auf den Vorfall aufmerksam geworden. Als er gehört habe, daß die Fußgänger von seinem Kollegen festgenommen worden seien, sei er zum Funkwagen zurückgekehrt und mit diesem das Stück bis zum Orte der Amtshandlung vorgefahren. Dann hätten die beiden Beamten die Festgenommenen aufgefordert, sich in das Fahrzeug zu setzen, was diese jedoch verweigert hätten; sie seien nach wie vor eingehängt auf der Fahrbahn der Sonnenfelsgasse gestanden. Daraufhin hätten die Beamten die Festnahme mit Körperkraft durchzusetzen versucht: Inspektor N habe die eine der Frauen am rechten Arm gefaßt, Inspektor W ihren linken Arm von dem Mann gelöst und gemeinsam hätten sie die Festgenommene zum Funkwagen geführt. Es sei ihnen jedoch weder gelungen, sie zum Einsteigen zu bewegen, noch sie mit Körperkraft in das Fahrzeug zu bringen, da sich die Frau mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hätte.
Durch den auf der Fahrbahn stehenden Funkwagen sei der kaufmännische Angestellte M T an der Durchfahrt mit seinem Personenkraftwagen gehindert worden; er sei daher Zeuge der Vorfälle geworden, die sich nach Ausspruch der Festnahme ereignet hätten. Noch während die beiden Beamten versucht hätten, die Frau mit Körperkraft in den Funkwagen zu bringen, sei er hinzugetreten und habe sie gefragt, ob denn ein derartiges Vorgehen gegen eine Frau wirklich erforderlich sei, anschließend habe er in scharfen Worten die Freigabe der Durchfahrt verlangt. Um die Amtshandlung nicht durch dem Zweck nicht angepaßte Gewaltanwendung noch mehr "aufzuschaukeln", hätten die Beamten von ihrem Vorhaben abgelassen und Inspektor W habe über Funk um Unterstützung angesucht, worauf um 22.14 Uhr die Besatzungen der Funkwagen "Sektor 4" und "Anton 2" zum Vorfallsort entsandt worden seien.
Als die Besatzungen der beiden unterstützenden Funkwagen eingetroffen seien, sei der festgenommene Mann plötzlich in deren Richtung gelaufen. Er sei von Inspektor W schnell eingeholt, am Oberarm erfaßt und zu den beiden Frauen zurückgebracht worden. Nun habe Inspektor W über Funk die Entsendung des Arrestantenwagens angefordert und habe anschließend den Funkwagen zur Seite gestellt, sodaß M T mit seinem Personenkraftwagen weiterfahren habe können. Die Festgenommenen hätten schließlich widerstandslos gegen 22.25 Uhr den Arrestantenwagen bestiegen und seien mit diesem zum Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt überstellt worden.
Am Wachzimmer Wien I, Deutschmeisterplatz, hätten die Bf. angegeben, keine Ausweise bei sich zu haben, hätten jetzt aber ihre Nationale bekanntgegeben. Diese Angaben seien vorerst von Inspektor W und Inspektor N durch "Meldeanfragen" verifiziert worden, anschließend sei der zuständige rechtskundige Beamte des Zentraljournaldienstes verständigt worden. Dieser habe angeordnet, die Identität der Festgenommenen definitiv - die "Meldeanfrage" sei hiezu ja kein verläßliches Mittel - zu klären und sie anschließend auf freien Fuß zu setzen.
Es habe daher die Notwendigkeit bestanden, die Häftlinge in den Arrest abzugeben, da die Identifizierung ausweisloser Personen erfahrungsgemäß länger dauere.
Anläßlich der Einweisung in die Arrestzelle sei bei J N dessen Führerschein aufgefunden worden. Da sich somit für seine Identifizierung ein zweifelsfreier Anhaltspunkt gefunden hätte, sich die Angaben aller drei Häftlinge mit den im Zentralmeldeamt erhobenen Daten deckten, die Personenfahndungsanfragen negativ verlaufen seien und da außerdem J N hinsichtlich der beiden Frauen als Identitätszeuge aufgetreten sei, habe die Amtshandlung zur Klärung der Identität vergleichsweise rasch abgeschlossen werden können; alle drei Häftlinge seien am 11. September 1980 um 0.30 Uhr entlassen worden.
b) Die bel. Beh. beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, in eventu zurückzuweisen. Sie führt im wesentlichen aus, die Festnehmung sei gemäß §35 lita VStG gedeckt gewesen, weil die Bf. bei Übertretung des §76 Abs1 StVO auf frischer Tat betreten worden seien und sich nicht ausgewiesen hätten; auch der Festnehmungsgrund des §35 litc sei verwirklicht worden, weil die Bf. trotz mehrmaliger Abmahnung weiterhin ungebührlicherweise störenden Lärm hervorgerufen hätten und damit in der Verwaltungsübertretung des ArtVIII EGVG verharrt hätten. Bei einer Festnehmung nach §35 litc VStG sei §36 Abs1 VStG unanwendbar und dürfe nur die gesetzliche Verwahrungszeit nicht überschritten werden. Die sonst gegenüber den Bf. ergriffenen Maßnahmen seien zur Durchführung der Festnehmung bzw. der Anhaltung notwendig gewesen.
3. Aufgrund der von Inspektor N verfaßten Anzeige wurden gegen die Erstbf. unter Z Pst 15675 bis 15677-S/80, gegen die Zweitbf. unter
Z Pst 15672 bis 15674-S/80 und gegen den Drittbf. unter Z Pst 15669 bis 15671-S/80 je drei Verwaltungsstrafverfahren wegen Verwaltungsübertretungen gemäß §99 Abs3 lita iVm. §76 Abs1 StVO 1960, gemäß ArtVIII, 2. Tatbestand EGVG 1950 und gemäß ArtIX Z1 EGVG 1950 eingeleitet, die noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Ein gegen den Drittbf. wegen des ihm angelasteten Ausdruckes "blöder Wachmann" eingeleitetes Strafverfahren beim Strafbezirksgericht Wien, Z 2 U 1416/80, endete mit Urteil vom 18. Dezember 1980 mit Freispruch gemäß §259 Abs3 StPO.
Aufgrund eines an den Polizeipräsidenten gerichteten "offenen Briefes" der Zweit- und Drittbf. wurde zu Z P 627/f/80 ein dienstaufsichtsbehördliches Verfahren durchgeführt, im Zuge dessen das Sicherheitsbüro zu Z II-12499/SB/80 auch Erhebungen gegen die Beamten wegen Verdachtes der leichten Körperverletzung, begangen unter der Ausnützung der ihnen durch ihre Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit, und wegen Verdachtes der fahrlässigen Verletzung der Freiheit von Personen durchgeführt und deren Ergebnis der Staatsanwaltschaft Wien zur Kenntnis gebracht hat. Die Anklagebehörde hat die Anzeige unter Z 22 St 49950/80 gemäß §90 StPO zurückgelegt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen M T, Dr. F R, G S, F W, K N, J W, R B, M F und der Bf. als Parteien im Rechtshilfewege sowie durch Einsichtnahme in die Akten 2 U 1416/80 des Strafbezirksgerichtes Wien und Pst 15669 bis 15677-S/80, P 627/f/80 der Bundespolizeidirektion Wien.
2. Der VfGH nimmt aufgrund des Parteienvorbringens und der durchgeführten Beweisaufnahme folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt als erwiesen an:
Die Bf. gingen am 10. September 1980 um zirka 22.10 Uhr in Wien aus der Schönlaterngasse kommend auf der Fahrbahn der Sonnenfelsgasse in Richtung Lugeck.
Zu diesem Zeitpunkt war der auf der linken Seite in Gehrichtung der Beschwerdeführer befindliche Gehsteig durch halb auf dem Gehsteig geparkte Kraftfahrzeuge verstellt. Die rechte Seite der Sonnenfelsgasse, auf der auch die Schönlaterngasse einmündet, war mit entlang des Gehsteiges ordnungsgemäß geparkten Fahrzeugen verparkt, der Gehsteig selbst aber war frei.
Der gerade in der Sonnenfelsgasse amtshandelnde Bezirksinspektor K N trat auf die Fahrbahn und forderte die noch etliche Meter entfernten Bf. auf, den rechten Gehsteig zu benützen. Ob die Aufforderung des Beamten - wie behauptet - auf eine vorangegangene beleidigende Äußerung des Drittbf. zurückzuführen war, kann im Hinblick auf die hier zu beantwortenden Rechtsfragen (s. den folgenden Pkt. III.2) dahingestellt bleiben. Ungeachtet dieser Aufforderung gingen die Bf. weiter auf der Fahrbahn auf den in deren Mitte stehenden Sicherheitswachebeamten zu. Dieser wiederholte die Aufforderung, den Gehsteig zu benützen. Die Bf. begehrten, ihren Weg fortsetzen zu können, und die Erstbf. verlangte, daß Inspektor N seinen Dienstausweis vorweise und seine Dienstnummer bekanntgebe. Daraufhin forderte dieser die Bf. auf, sich auszuweisen, da er die Bf. zur Anzeige bringen wollte. Da die Bf. weder ihre Namen nannten noch sich auswiesen, sprach Inspektor N gegen 22.15 Uhr die Festnahme gemäß §35 lita und c VStG aus.
Auch nach dem Ausspruch der Festnehmung folgten die Bf. den Weisungen des Bezirksinspektors N und des mittlerweile hinzugekommenen Bezirksinspektors W nicht und weigerten sich, sich in die inzwischen herangeführten Funkstreifenwagen zu setzen. Daraufhin versuchten Bezirksinspektor N und Bezirksinspektor W unter Anwendung von Körpergewalt, die noch immer eingehängt auf der Fahrbahn, nunmehr zwischen den parkenden Autos stehenden Bf. zu trennen und die Erstbf. in den Funkstreifenwagen zu setzen. Hiebei wurde die sich entgegenstemmende und am Dach des Funkstreifenwagens abstützende Erstbf. mit dem rechten Knie gegen den Türrahmen des Funkstreifenwagens gepreßt, sodaß sie ein etwa handgroßes Hämatom erlitt. Bezirksinspektor W faßte den auf einen weiteren hinzugekommenen Funkstreifenwagen zueilenden Drittbf. am Oberarm und brachte ihn zu den beiden Bf. zurück.
Da die Bf. ihren Widerstand gegen die Festnehmung noch immer nicht aufgaben, wurde über Funk ein Arrestantenwagen angefordert, den die Bf. widerstandslos bestiegen. Mit diesem wurden sie ins Bezirkspolizeikommissariat Wien I, Deutschmeisterplatz, gebracht.
Dort gaben die Bf. schließlich Namen, Wohnadressen, Geburtsdaten udgl. an. Auf Weisung des zuständigen Journalbeamten der Bundespolizeidirektion Wien wurde das Verfahren zur endgültigen Klärung der Identität der Bf. eingeleitet (Anfrage im Zentralmelderegister, Personenfahndungsanfrage usw.) und wurden die Bf. zwischenzeitig verwahrt.
Um etwa 23.30 Uhr wurde beim Drittbf. dessen Führerschein aufgefunden. Mit diesem erfolgte die Identifikation des Drittbf. und aufgrund seiner Angaben auch die der Erst- und Zweitbf. Nachdem die Ergebnisse der Personenfahndungsanfrage und der Anfage an das Zentralmelderegister vorlagen, wurden die Bf. um zirka 0.30 Uhr entlassen.
3. Diese Feststellungen stützen sich auf die insofern im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Zeugen K N, J W, R B, G S, Dr. F R, M
F und der Bf. als Parteien sowie auf die - in diesem Umfang ebenfalls im wesentlichen übereinstimmenden - Vorbringen der Bf. und der bel. Beh.
Dem Vorbringen der Bf., daß sie lediglich deswegen "schräg" über die Straße gegangen seien, weil die linke Seite der Sonnenfelsgasse durch Fahrzeuge verparkt war, und sie zum Zeitpunkt der Abmahnung durch den Sicherheitswachebeamten bereits wieder dem Gehsteig zustrebten, konnte nicht gefolgt werden. Der diesbezüglichen Zeugenaussage des M T kann keine hinreichende Verläßlichkeit beigemessen werden, weil er im Gegensatz zu allen übrigen Zeugen und auch zu den Bf. selbst die Gehrichtung der Bf. anders angibt - sie seien ihm entgegen in Richtung Ignaz Seipel-Platz gegangen.
Auch die Angaben der Bf. selbst sind in diesem Punkt widersprüchlich:
Bei ihrer Einvernahme gaben sie an, sie seien deswegen "weiter" auf der Fahrbahn gegangen, weil "der Gehsteig" weiterhin mit Fahrzeugen verstellt gewesen sei. Es erscheint keineswegs folgerichtig, daß die Bf. die Fahrbahn der Sonnenfelsgasse betreten haben, um durch Wechsel der Straßenseite einen freien Gehsteig zu erreichen, da sie aus der auf der rechten Seite mündenden Schönlaterngasse kamen und auf dieser Seite der Gehsteig frei benützbar war; von dieser Seite konnte auch bereits ohne Schwierigkeiten erkannt werden, daß der linke Gehsteig wegen der parkenden Fahrzeuge unbenützbar war. Auch nach den eigenen Angaben der Bf. steht jedenfalls fest, daß sie auf der Fahrbahn der Sonnenfelsgasse gegangen sind.
Weitere Feststellungen sind, wie sich zeigen wird, aus rechtlichen Erwägungen entbehrlich.
III. 1. Die Festnehmung der Bf. durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien, ihre Verbringung in das Polizeikommissariat Wien I, Deutschmeisterplatz, und ihre Verwahrung dort sind in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte, die nach Art144 B-VG beim VfGH bekämpft werden können.
Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der festgestellte Sachverhalt ist unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des - hier in Wahrheit geltend gemachten - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt zu beurteilen:
a) Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die bel. Beh. beruft. Die Bf. wären sohin durch die Festnehmung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden, wenn die Festnehmung nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 9368/1982, 9266/1981, 9208/1981, 8654/1979, 8580/1979). Nach der lita des §35 VStG dürfen auf frischer Tat betretene Personen zum Zwecke ihrer Vorführung vor die Behörde festgenommen werden, wenn sie dem anhaltenden Organ unbekannt sind, sich nicht ausweisen und ihre Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist. Nach der litc dieser Bestimmung dürfen auf frischer Tat betretene Personen zum Zwecke ihrer Vorführung vor die Behörde festgenommen werden, wenn sie trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharren oder sie zu wiederholen suchen.
Die Festnehmung einer Person nach dieser Bestimmung setzt demnach voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten wird". Das Sicherheitswacheorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. auch hiezu zB VfSlg. 9368/1982, 9208/1981).
§76 Abs1 StVO verpflichtet Fußgänger grundsätzlich, auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen. Der einschreitende Sicherheitswachebeamte N hat selbst wahrgenommen, daß die Bf. auf der Fahrbahn der Sonnenfelsgasse gegangen sind. Das festgestellte Verhalten der Bf. und die gesamte konkrete damalige Situation (wie sie sich aus den obigen Ausführungen ergibt) war jedenfalls so, daß Inspektor N vertretbarerweise von der Annahme ausgehen konnte, die Bf. hätten gegen §76 Abs1 StVO verstoßen und somit eine Verwaltungsübertretung begangen. Da sich die Bf. auch nicht auswiesen bzw. nicht ausweisen konnten, fand die Festnehmung in §35 lita VStG Deckung. Es erübrigt sich daher festzustellen, ob die Festnahme auch gemäß §35 litc VStG gerechtfertigt war. Auf den in diesem Zusammenhang von der bel. Beh. erst in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH herangezogenen Haftgrund der litb des §35 VStG war nicht einzugehen (s. VfSlg. 10019/1984 und die dort angeführte Vorjudikatur).
Daß die Bf. zur Abwendung der Festnehmung eine Sicherheitsleistung gemäß §37 VStG (gemeint offenbar: §37a VStG) anboten, ändert an der Rechtmäßigkeit der Festnehmung nichts, zumal Inspektor N (wie er bei seiner Zeugenvernehmung angab) die nach §37a VStG erforderliche Befugnis nicht hatte.
Die Festnehmung und die Anhaltung der Bf. bis zum Auffinden des Führerscheins des Drittbf. um etwa 23.30 Uhr (s. hiezu die folgenden Erwägungen unter Punkt b) waren daher rechtmäßig.
Die Beschwerde war daher insoweit abzuweisen.
Da der VfGH unter dem Blickwinkel des Rechtes auf persönliche Freiheit die Gesetzmäßigkeit einer Verhaftung schlechthin zu prüfen hat, wird mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen und angehalten worden zu sein, ausschließlich die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht. Eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH kommt daher diesbezüglich nicht in Betracht (vgl. VfSlg. 9368/1982), weswegen der darauf gerichtete Antrag der Bf. in dem Umfang, in welchem die Beschwerde abgewiesen wurde, ebenfalls abzuweisen war.
b) Hingegen war die (weitere) Anhaltung der Bf. ab dem Zeitpunkt der Auffindung des Führerscheins des Drittbf. um etwa 23.30 Uhr aus folgenden Gründen nicht (mehr) gerechtfertigt:
Obgleich sich die Bf. zunächst geweigert hatten, ihre Identität bekanntzugeben, teilten sie ihre Personaldaten schließlich nach Eintreffen am Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt der Behörde mit. Diese Angaben wurden vorerst von Inspektor W und Inspektor N durch "Meldeanfragen" verifiziert. Als ungeachtet dessen weitere Erhebungen zur Feststellung der Identität der Bf. eingeleitet und die Bf. für diesen Zeitraum in Arrestzellen untergebracht werden sollten, wurde der Führerschein des Drittbf. in dessen Kleidung aufgefunden (wobei es im gegebenen Zusammenhang nicht von Belang ist, ob der Drittbf. tatsächlich vergessen hatte, daß er ohnehin einen Ausweis bei sich trug). Die Daten auf diesem Führerschein deckten sich mit den Angaben des Drittbf. über seine Person. Der Drittbf. bezeugte überdies die Identität der Erst- und der Zweitbf. Daß irgendwelche besonderen Umstände vorlagen, welche bei dieser Sachlage ernsthafte Zweifel an der Identität der Bf. gerechtfertigt hätten, ist weder behauptet worden noch im Verfahren hervorgekommen.
Aufgrund dessen kann daher nicht gesagt werden, daß ab diesem Zeitpunkt (um etwa 23.30 Uhr) der Haftgrund der lita des §35 VStG (noch) gegeben war.
Zu bemerken bleibt, daß - entgegen dem Vorbringen der bel. Beh. - auch in dem Fall, daß zunächst auch ein Haftgrund iS des §35 litc VStG vorgelegen wäre, dieser Haftgrund zu dem hier relevanten Zeitpunkt (23.30 Uhr) zweifellos nicht mehr gegeben war, weil die Bf. auch nach dem Vorbringen der bel. Beh. zu diesem Zeitpunkt in der Fortsetzung der ihnen von der bel. Beh. angelasteten Übertretungen nach dem EGVG 1950 längst nicht mehr verharrten (zum Wegfall des Haftgrundes nach §35 litc VStG s. VfSlg. 9368/1982). Es bestand auch nicht der geringste Anhaltspunkt für die Annahme, daß die Bf. im Falle ihrer Freilassung das ihnen angelastete strafbare Verhalten wieder aufnehmen würden.
Es war daher festzustellen, daß die Bf. durch ihre Anhaltung ab etwa
23.30 Uhr des 10. September 1980 bis zu ihrer Freilassung um etwa 0.30 Uhr des folgenden Tages im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sind.
c) Im Hinblick auf die oben getroffene Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Anhaltung der Bf. ab dem Zeitpunkt der Auffindung des Führerscheines des Drittbf. erübrigt sich ein Eingehen auf das Beschwerdevorbringen bezüglich der Modalitäten dieser Anhaltung (insbesondere die bekämpften Leibesvisitationen).
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Identitätsfeststellung, Ausweisleistung, Straßenpolizei, Fußgänger, VfGH / Abtretung, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B526.1980Dokumentnummer
JFT_10158878_80B00526_00