TE Vfgh Erkenntnis 1984/11/23 B50/84

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Veröffentlicht am 23.11.1984
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; mangelhafte Glaubhaftmachung des Vorliegens schwerwiegender Gewissengründe; keine Verletzung des in §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, insbesondere nicht im Bereich der freien Beweiswürdigung; keine Willkür

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 4, vom 20. April 1982, Z 124120/1-ZDK/4/82, wurde ein von J T - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974 (ZDG) - gestellter Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

1.2.1. Der dagegen von J T erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, vom 28. Oktober 1983, Z 124120/2-ZDOK/2/83, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.2. Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:

"... Da die Berufungsbehörde ... das Ermittlungsverfahren zur Gänze wiederholte und sonach zu eigenen Feststellungen gelangte, erübrigt es sich, auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides im einzelnen einzugehen.

J T hatte sein Begehren - zusammengefaßt wiedergegeben - im wesentlichen damit begründet, daß er auf keinen Fall mit Waffen gegen andere Menschen vorgehen wolle. Seine Familie bekenne sich zu den Zeugen Jehovas und er sei dadurch mit der Bibel bekannt geworden. Wenn er auch kein tätiger Zeuge Jehovas sei, lasse es sein Gewissen nicht zu, seine Hand gegen andere Menschen zu erheben.

In der Verhandlung vor der ZDK am 20. April 1982 fügte er hinzu, er sei an sich gegen die Glaubensauffassung des Christentums und für die Zeugen Jehovas, besuche deren Veranstaltungen aber nicht regelmäßig. Er würde Österreich nicht verteidigen, sondern lieber helfen.

In der Berufungsschrift führte er aus, wir seien alle Geschöpfe Gottes und hätten nicht das Recht, andere zu töten. Daher werde er auf keinen Fall eine Waffe gegen andere Menschen gebrauchen. Das sei seine innerste Überzeugung, die er mit allem Nachdruck vertrete. Dazu brauche er auch kein Zeuge Jehovas zu sein. Sein Bestreben wäre es, dem Staat auf hilfreiche Weise zu dienen und nicht mit Waffengewalt.

In der Berufungsverhandlung schließlich deponierte er, es sei einfach in ihm drinnen, daß er nicht einmal einem Tier, geschweige denn einem Menschen etwas zuleide tun könne. Er selbst sei ohne religiöses Bekenntnis. Was er aber früher bei den Zeugen Jehovas gehört habe, wirke noch nach. Er glaube, daß man Gewalt nicht mit Gewalt vergelten solle und daß Gewaltanwendung zu keinen positiven Ergebnissen führe.

Die Berufung ist nicht begründet.

Soweit man - bei großzügiger Auslegung - in den Darlegungen des Rechtsmittelwerbers die Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe iS des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) erblicken kann, ist es ihm nicht gelungen, seiner gesetzlichen Verpflichtung (§6 Abs2 ZDG), diese Gründe auch glaubhaft zu machen, Genüge zu tun. Sein vages, wenig substantiiertes und durch Unsicherheit gekennzeichnetes Parteienvorbringen erweckte beim Berufungssenat nicht den Anschein, daß es einer entsprechenden inneren Einstellung, dh. der gefestigten Überzeugung, Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich abzulehnen, entspringe, der Rechtsmittelwerber also im Falle der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würde. Damit steht im Einklang, daß sich der Berufungswerber mit den Belangen der Landesverteidigung ersichtlich kaum auseinandersetzte und zB - obwohl er in der ersten Instanz darauf ausdrücklich hingewiesen worden war - auch in der Berufungsverhandlung über Maßnahmen des passiven Widerstandes nicht Bescheid wußte. Sehr dürftig war auch seine Bezugnahme auf die Religion, die kaum über allgemein gehaltene Wendungen hinausging. All dies rechtfertigt die Annahme, daß beim Berufungswerber eine seriöse Gewissensbildung auf der Basis entsprechender Überlegungen noch nicht stattgefunden hat ..."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des J T an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG, behauptet ferner, er sei im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) verletzt worden, und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.3.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982; VfGH 12. März 1982 B561/81).

2.1.2. Eine Verletzung Grundrechts liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Zutreffen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982, VfGH 26. November 1982 B667/81).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.1.3.1. Der Bf. sucht in weitwendigen Ausführungen darzutun, daß der bel. ZDOK ein derartiger gravierender Verfahrensverstoß unterlaufen sei, indem er - teils auch mit nur verbaler, nicht weiter begründeter Behauptung einer materiellen Unrichtigkeit des angefochtenen Bescheides - sinngemäß vermeint, die Bescheidbegründung sei unzulänglich und ziehe insbesondere das Parteivorbringen nicht ausreichend genug in Betracht.

Dieser Vorwurf eines qualifizierten Verfahrensfehlers hält einer Nachprüfung nicht stand, mag auch die Begründung des Bescheides der ZDOK sehr knapp gehalten sein und auf die Verfahrensergebnisse, so auch auf die Einlassungen des Bf. selbst, nicht in allen Einzelheiten eingehen. Von - verfassungsrechtlich relevanten - Verfahrensmängeln schwerer Natur kann hier keinesfalls gesprochen werden, zumal die tragenden Erwägungen und Ableitungen der Berufungsinstanz nach Wortlaut und Sinngehalt der Bescheidbegründung nicht zweifelhaft bleiben.

2.1.3.2. In Wahrheit laufen die Beschwerdeausführungen bloß auf eine subjektive Kritik der behördlichen Beweiswürdigung hinaus, wenn die - für den Bf. negativen - Schlußfolgerungen der ZDOK in tatsächlicher Beziehung als unrichtig und verfehlt hingestellt werden: Abgesehen davon, daß ein nach §2 ZDG bedeutsamer grober Verstoß verfahrensrechtlicher Art im gegebenen Zusammenhang nur in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechenden Beweiswürdigung der ZDOK liegen könnte (s. VfGH 23. Juni 1983 B501/78), was hier nicht zutrifft, ist dieses Bestreben des Bf. jedoch schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es angesichts des das Kommissionsverfahren beherrschenden Prinzips der freien Beweiswürdigung (iS freier Würdigung der Bescheinigungsmittel verstanden) - das allein Gewähr für die Berücksichtigung der Einmaligkeit der Umstände jedes einzelnen Falls bietet - der in der Beschwerdeschrift ersichtlich verfochtenen Auffassung zuwider keineswegs angeht, die für die Kommissionsentscheidung in der Glaubhaftmachungsfrage maßgebenden komplexen Überlegungen, soweit sie in die schriftlichen Entscheidungsgründe Eingang zu finden vermochten, ungeachtet all ihrer Verzahnungen und Verästelungen schrittweise in ihre Bestandteile zu zerlegen und diese - so aus dem Kontext der Kommissionsüberlegungen gelösten - Begründungsdetails in isolierter Wertung für nicht tragfähig zu erklären. Zudem kann die Gesamtheit aller Umstände, die dem zur Entscheidung berufenen Kollegialorgan die Überzeugung vom Wert und von der Aussagekraft des Bescheinigungsmterials vermitteln, überhaupt nicht restlos analysiert werden, zumals sich vor allem das Ergebnis des persönlichen Eindrucks, den Aussagende im Zuge ihrer Befragung hinterlassen, nicht immer in voller Breite in Worte kleiden läßt (VfGH 24. November 1983 B300/83 und B304/83, VfSlg. 9785/1983).

2.1.4. Zusammenfassend ist hier ein in die Verfassungssphäre reichender gravierender Verstoß auf verfahrensrechtlicher Ebene, insbesondere im Bereich der Beweiswürdigung, nicht zu ersehen.

Der VfGH kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Judikatur des OGH, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die kraft unmittelbaren Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen; zB aus jünster Zeit: OGH 23. März 1982, 9 Os 38/82; 27. Juli 1982, 10 Os 86/82; s. dazu VfSlg. 9573/1982 ua.).

2.1.5. Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

2.2.1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmungen unter dem Aspekt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebots wurden nicht geltend gemacht und kamen - aus der Sicht dieses Beschwerdefalls auch sonst nicht hervor. Bei dieser Betrachtung schied im übrigen die Vorschrift des §2 Abs1 ZDG, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, von vornherein aus.

2.2.2. Da es auch an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt, daß die bel. Beh. dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte, könnte das - vom Bf. relevierte - Gleichheitsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH /zB VfSlg. 7466/1974, 8238/1978, 9233/1981) nur dann verletzt sein, wenn der angefochtene Bescheid ein Willkürakt wäre.

Es finden sich jedoch keine wie immer gearteten Hinweise dafür, daß die bel. Beh. bei ihrer Entscheidung von subjektiven, in der Person des Bf. gelegenen Momenten bestimmt oder von anderen unsachlichen Erwägungen geleitet worden sei.

2.2.3. Daher ergibt sich, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht nicht verletzt wurde.

2.3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam (s. schon Punkt 2.2.1.), mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B50.1984

Dokumentnummer

JFT_10158877_84B00050_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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