TE Vfgh Erkenntnis 1984/11/23 B395/80

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Veröffentlicht am 23.11.1984
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
VwGG §63 Abs1

Leitsatz

B-VG Art144 Abs1; Ersatzbescheid nach Erk. des VwGH; grundsätzliche Bindung des VfGH an das Erk. des VwGH; kein Verstoß der bel. Beh. gegen die bindende Rechtsanschauung des VwGH

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Bf. war als Konsulent für die BP Austria AG tätig.

2.1. In den vom Bf. an das Finanzamt abgegebenen Steuererklärungen für 1973 und 1974 gab er Einkünfte aus selbständiger Arbeit an und beantragte das Pauschale nach §4 Abs6 EStG 1972.

Das Finanzamt erließ für 1973 und 1974 je einen Einkommen- und einen Gewerbesteuerbescheid sowie einen Gewerbesteuervorauszahlungsbescheid 1977; die vom Bf. einbekannten Konsulentenhonorare seien nicht Einkünfte aus selbständiger Arbeit, sondern Einkünfte aus Gewerbebetrieben. Mangels Einkünften aus selbständiger Arbeit könne der Pauschbetrag nach §4 Abs6 EStG 1972 nicht in Anspruch genommen werden.

2.2. Mit Berufungsentscheidung vom 30. Oktober 1978 gab der Berufungssenat VI der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. den vom Bf. erhobenen Berufungen Folge, hob die angefochtenen Bescheide ersatzlos auf und berücksichtigte vor Festsetzung der Einkommensteuer für 1973 und 1974 den Pauschbetrag nach §4 Abs6 EStG 1972.

2.3. Der gegen diesen Bescheid durch den Präsidenten der Finanzlandesdirektion erhobenen Beschwerde gab der VwGH mit Erk. vom 10. Dezember 1979, Z 32/79 und 3184/79, Folge und hob den angefochtenen Bescheid mit folgender - auszugsweise wiedergegebener - Begründung auf:

"... Die Tätigkeit eines Wirtschaftstreuhänders - zu der nach Auffassung des Mitbeteiligten seine Tätigkeit ähnlich sein soll - besteht neben der Beratung und Prüfung in der Erstattung von einschlägigen Gutachten, der Führung von Geschäftsaufzeichnungen für die Klienten, der Erstellung von Bilanzen und Steuererklärungen sowie der Vertretung von Klienten bei Abgabenbehörden und sonstigen Behörden in Abgaben- und Wirtschaftsfragen. Das Schwergewicht dieser Tätigkeit liegt in der befugten Rechtsberatung auf den Gebieten des Steuer-, Bilanz- und Wirtschaftsrechtes (vgl. Hofstätter - Reichel, Kommentar EStG 1972, Lfg. Jänner 1976, §22 TZ 45).

Gerade die Rechtsberatung auf den Gebieten des Steuer-, Bilanz- und Wirtschaftsrechtes besorgt aber der Mitbeteiligte nicht. Nach dem Konsulentenvertrag ist es Aufgabe des Mitbeteiligten, 'im Zuge seiner Tätigkeit mit Behörden, Firmen und allen sonst in Frage kommenden Institutionen Verhandlungen auf dem kaufmännischen und technischen Sektor zu führen', und nach der von der BP A ausgestellten Bestätigung umfaßt die Tätigkeit 'alle für den Bau einer Tankstelle samt Nebenanlagen notwendigen Vorarbeiten von der Grundstücksakquisition, Standortuntersuchung, Behördenverkehr bis zur Baureife'. Es ist damit ausgeschlossen, die Tätigkeit des Mitbeteiligten als eine der Tätigkeit eines Wirtschaftstreuhänders ähnliche freiberufliche Tätigkeit im Sinne des §22 Abs1 Z1 EStG 1972 zu qualifizieren.

Die Tätigkeit eines Vermögensverwalters (Hausverwalters) - die nach Auffassung der belangten Behörde hinter der des Mitbeteiligten zurückbleiben und der nach Auffassung des Mitbeteiligten seine Tätigkeit 'ähneln' soll - besteht vornehmlich in der Verwaltung fremden Vermögens (vgl. Hofstätter - Reichel, Kommentar EStG 1972, Lfg. Jänner 1976, §22 TZ 51).

Auch die Verwaltung fremden Vermögens besorgt der Mitbeteiligte nicht. Die belangte Behörde stellt selbst fest, daß das 'Hauptgewicht' der Tätigkeit des Mitbeteiligten 'auf dem kaufmännischen und technischen Sektor liegt'. Es ist daher ausgeschlossen, die Tätigkeit des Mitbeteiligten als selbständige Arbeit im Sinne des §22 Abs1 Z2 EStG 1972 zu qualifizieren.

Gemäß §28 BAO - dessen Begriffsumschreibung in §23 EStG 1972 übernommen wurde - ist eine selbständige, nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, Gewerbebetrieb im Sinne der Abgabenvorschriften, wenn die Bestätigung weder als Ausübung der Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes noch als eine andere selbständige Arbeit im Sinne des Einkommensteuerrechtes anzusehen ist. Ein Gewerbebetrieb liegt, wenn seine Voraussetzungen im übrigen gegeben sind, auch dann vor, wenn das Streben nach Gewinn (die Gewinnabsicht) nur ein Nebenzweck ist.

Die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr - deren Fehlen die belangte Behörde in Übereinstimmung mit der Auffassung des Mitbeteiligten annimmt - ist gegeben, wenn der Abgabepflichtige nach außen hin in Erscheinung tritt und sich an die Allgemeinheit wendet. Ihr Wesen liegt in der Erstreckung einer Tätigkeit auf eine unbestimmte Anzahl von Personen und in der Bereitschaft des Abgabepflichtigen, mit jedem in Geschäftsverbindung zu treten, der Bedarf nach seinen Sachgütern oder Leistungen hat, auch wenn der Abgabepflichtige tatsächlich nur gegenüber einem einzigen Auftraggeber tätig wird. Keine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr liegt jedoch dann vor, wenn die Beschäftigung ihrer Natur nach nur Geschäftsbeziehungen zu einem einzigen Partner ermöglicht (vgl. zB das Erkenntnis des VwGH vom 6. März 1973, Z 1032/72, Slg. Nr. 4511/F; Reeger - Stoll, BAO,

5. Auflage, 51; Philipp, Kommentar zum GewStG, TZ 1 - 60 ff., besonders 62).

Die Tätigkeit des Mitbeteiligten aber ermöglicht nicht schon ihrer Natur nach nur Geschäftsbeziehungen zu einem einzigen Partner. Die im Konsulentenvertrag vom Mitbeteiligten eingegangene Verpflichtung, 'ausschließlich für die BP A und, soweit erforderlich, auch darüber hinaus für deren Konzerngesellschaft tätig' zu sein, zeigt, daß es sich um Leistungen handelt, die nach ihrer Art geeignet sind, eine Auftragserteilung nicht nur durch einen einzigen Auftraggeber zu ermöglichen, ..."

2.4. Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld., Berufungssenat VI, hat mit Bescheid vom 9. Mai 1980, Z 6/1-3280/13/78, im fortgesetzten Verfahren, der Rechtsanschauung des VwGH folgend, die steuerlichen Konsequenzen daraus gezogen, daß die vom Bf. erzielten Einkünfte solche aus einem Gewerbebetrieb darstellen, demgemäß dem Bf. Gewerbesteuer für die Jahre 1973 und 1974 vorgeschrieben und ihm das Pauschale nach §4 Abs6 EStG 1972 nicht gewährt. Der Berufung des Bf. gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 wurde jedoch insofern teilweise Folge gegeben, daß das im Zeitraum Juli bis Dezember 1973 erzielte Betriebsergebnis gemäß §10 Abs1 GewStG auf einen Jahresbetrag umgerechnet wurde, da laut Überschußrechnung 1973 des Bf. Einnahmen erst ab Juli 1973 erzielt wurden und die Gewerbesteuerpflicht erst in diesem Monat begonnen hatte; die Gewerbesteuerbescheide 1973 und 1974 erster Instanz wurden somit in dieser Richtung abgeändert, die Berufung gegen den Gewerbesteuervorauszahlungsbescheid 1977 wurde als unbegründet abgewiesen.

3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

4. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Der Bf. hält dem angefochtenen Bescheid entgegen, daß seine berufliche Tätigkeit sehr wohl als freiberufliche zu werten sei. Die Aufzählung der freiberuflichen Tätigkeiten in §22 Abs1 Z1 EStG 1972 sei keine taxative, die von ihm erbrachten Tätigkeiten seien am ehesten der eines Vermögensverwalters gleichzuhalten, soweit er Tätigkeiten anderer Art erbracht habe, seien diese ebenfalls ausnahmslos als freiberufliche einzustufen; insbesondere habe er in erheblichem Umfang Rechtsberatung auf den Gebieten des Bau-, Gewerbe-, Wasser-, Straßen- und Naturschutzrechtes ausgeübt, wie dies zB Wirtschaftstreuhändern obliege. Die "Subsumtion seiner Tätigkeit unter die eines Gewerbes" sei daher willkürlich, er werde somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und im Eigentumsrecht verletzt.

In einem "ergänzenden Schriftsatz" verweist der Bf. schließlich darauf, daß er mit der BP Austria AG am 25. August 1981 - also erst während des vorliegenden Beschwerdeverfahrens - einen gerichtlichen Vergleich abgeschlossen habe, aus dem sich ergebe, daß er zur genannten Firma in einem Angestelltenverhältnis gestanden habe. Wenn der Vergleichszeitraum auch lediglich die Jahre 1978 bis 1981 betreffe, sei davon auszugehen, daß sein Dienstverhältnis zur BP Austria AG auch schon vor dem Vergleichszeitraum das gleiche gewesen sei.

4.2. Da der angefochtene Bescheid nach einem stattgebenden Erk. des VwGH iS des §63 Abs1 VwGG 1965 erging, hatte die bel. Beh. dem Gesetz den der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Inhalt beizumessen. Von diesem Inhalt muß auch der VfGH bei Entscheidung über die Beschwerde gegen den Ersatzbescheid ausgehen. Die grundsätzliche Bindung des VfGH an das Erk. des VwGH, in dessen Folge der Ersatzbescheid erlassen wurde (vgl. VfSlg. 7330/1974, 8536/1979), ist eine umfassende, es sei denn, daß er verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angewendeten Rechtsvorschriften hegt oder daß dem Gesetz ausschließlich aus Gründen verfassungskonformer Interpretation ein anderer als der ihm vom VwGH zugemessene Inhalt zukommen muß (vgl. VfSlg. 9386/1982).

Der VfGH hat unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. insbesondere auch VfSlg. 8958/1980, 9324/1982). Auch der Bf. hat keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Rechtsnormen vorgebracht.

Ebenso fehlen auch jegliche Anhaltspunkte dafür, daß das Gebot einer verfassungskonformen Auslegung erfordern würde, dem Gesetz einen anderen Inhalt zu unterstellen als den, der ihm vom VwGH zugemessen wurde.

Mit den Beschwerdeausführungen wird nicht behauptet, daß die bel. Beh. gegen die bindende Beurteilung des VwGH verstoßen habe. Da die Entscheidung des VwGH der bel. Beh. eine andere als die getroffene Entscheidung gar nicht erlaubt hätte - ein Verstoß gegen die bindende Beurteilung des VwGH wird in der Beschwerde auch gar nicht behauptet -, wird vom Bf. in Wahrheit demnach nicht der angefochtene Bescheid, sondern die Entscheidung des VwGH bekämpft.

4.3. Unter diesen Umständen war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Bindung (des VfGH an VwGH), VfGH / Prüfungsmaßstab, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VwGH)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B395.1980

Dokumentnummer

JFT_10158877_80B00395_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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