TE Vfgh Erkenntnis 1984/11/24 B262/84

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Veröffentlicht am 24.11.1984
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; mangelnde Darlegung schwerer Gewissensnot; keine Verletzung des in §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Willkür

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. beantragte mit einer an das Militärkommando Wien gerichteten Eingabe vom 19. April 1983, ihn nach dem Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974 idF der Nov. BGBl. 496/1980, (im folgenden: ZDG) von der Wehrpflicht zu befreien.

Die Zivildienstkommssion beim Bundesministerium für Inneres lehnte mit Bescheid vom 20. Juni 1983 diesen Antrag gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG ab.

Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDOK) wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Bescheid vom 8. Feber 1984 die dagegen vom Bf. erhobene Berufung ab.

Dieser Bescheid ist wie folgt begründet:

"Der ... Berufungswerber ..." (der Beschwerdeführer dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens) "begründete seinen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht vom 19. 4. 1983 lediglich damit, 'er verabscheue jeden Gebrauch bzw. Inbetriebnahme von Waffen und sei allergisch gegen alle militärischen Einrichtungen etc.'

Die Zivildienstkommission verzichtete auf die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und wies das Begehren mit der Begründung ab, der schriftliche Antrag sei nicht ausreichend begründet. Der Antragsteller habe es unterlassen, zur Glaubhaftmachung seiner Angaben Tatsachen anzuführen bzw. Unterlagen beizuschließen. Daher sei seine Ladung zur mündlichen Verhandlung für entbehrlich erachtet und aufgrund der Aktenlage entschieden worden. Aufgrund seines Vorbringens im Antrag habe nicht als bescheinigt angesehen werden können, daß er die Anwendung von Waffengewalt aus schwerwiegenden Gewissensgründen ablehne und bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde.

Gegen die abweisende Entscheidung richtet sich die innerhalb offener Frist eingebrachte Berufung, in der beantragt wird, dem Rechtsmittel stattzugeben, den Bescheid vom 20. 6. 1983 aufzuheben und den Antrag an die Zivildienstkommission zur mündlichen Verhandlung zurückzuverweisen. In der Begründung bringt der Berufungswerber im wesentlichen vor, dadurch, daß weder er noch seine Vertrauensperson gehört worden seien, sei das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft geblieben. Da sich seine Eltern frühzeitig scheiden ließen und seine Mutter einer beruflichen Tätigkeit nachgehen mußte, sei er praktisch bei sogenannten 'Zigeunern' aufgewachsen, die ihn aufgrund ihrer Erfahrungen während der NS-Zeit antimilitärisch erzogen.

In der Berufungsverhandlung brachte er ergänzend vor, er nehme an, daß jeder einen Zivildienstantrag stellen könne, der nicht in der Lage sei, den Militärdienst zu leisten. Er habe auch die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht nicht gelesen. Er sei von Kindheit an gegen den Militärdienst erzogen worden und bekomme auch, wenn er einen Polizisten sehe, Angstgefühle. Er könnte beim Bundesheer gezwungen werden, zB in ein fremdes Land einzumarschieren, obwohl er das nicht wolle. Auf seine Angaben hin habe sein Bruder die Berufungsschrift verfaßt.

Die Vertrauensperson R S sagte aus, den Berufungswerber seit Kindheit zu kennen. Er könne den Dienst beim Bundesheer nicht verkraften. Dies hänge wahrscheinlich mit dem Aufwachsen im Kreise der Zigeuner zusammen. Der Berufungswerber habe sich ihm gegenüber sinngemäß so geäußert, wie in der Berufungsverhandlung.

Die Berufung ist nicht begründet.

Zunächst ist festzuhalten, daß die Berufungsbehörde das Vorgehen der Zivildienstkommission für verfehlt hält, bei ihrer Beurteilung nach unzureichender Antragsbegründung ohne Anberaumung einer mündlichen Verhandlung eine Sachentscheidung zu fällen. Ergibt nämlich die Prüfung des Antragsvorbringens, daß die Voraussetzungen gemäß §5 Abs3 (1. Halbsatz) ZDG vorliegen, so wird in aller Regel, zur Vermeidung wesentlicher Mängel im Ermittlungsverfahren, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Antragsteller unumgänglich sein, da sich der Senat nur auf diesem Wege einen für die Gewissensprüfung unerläßlichen Eindruck vom Zivildienstwerber zu verschaffen vermag. Vertritt die Zivildienstkommission aber die gegenteilige Auffassung und gelangte sie zum Schluß, daß der Antrag den gesetzlichen Voraussetzungen gemäß §5 Abs3 (1. Halbsatz) ZDG nicht genügt, so hat sie, ohne in die Sache selbst eingehen zu dürfen, den Antrag mangels Erfüllung der formalen Voraussetzungen zurückzuweisen.

Die Berufungsbehörde hat zwecks Zeit- und Kostenersparnis von der gemäß §66 Abs3 AVG offenstehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht und statt Rückverweisung der Sache an die Behörde 1. Instanz sogleich eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumt.

Der Berufungssenat verkannte bei der Würdigung der schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Berufungswerbers keineswegs, daß es ihm offensichtlich große Schwierigkeiten bereitet, sich verbal auszudrücken, noch dazu, wenn es sich um innere Vorgänge im Bereiche des Gewissens handelt. Andererseits mußte das Verständnis für individuelle, nicht vom Berufungswerber verschuldete, Wesenszüge darin seine Grenze finden, daß in seine Äußerungen nicht Inhalte hineininterpretiert werden konnten, die ihnen nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht zukommen. Unter diesem Gesichtswandel betrachtet, ist den Darlegungen des Berufungswerbers nur zu entnehmen, daß er aus gewissen Gründen gegen das Militär und überhaupt gegen Uniformen eingestellt ist. Nirgends ist aber eine Behauptung dahin zu finden, daß er bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde. Ein Grund für das mangelhafte Vorbringen des Berufungswerbers mag auch darin liegen, daß er sich über die gesetzlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht nur äußerst mangelhaft informiert zeigte. Bei dieser Sachlage war mangels Zutreffens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen gemäß §2 Abs1 ZDG bereits auf der Basis des eigenen Vorbringens des Berufungswerbers die Abweisung seines Begehrens unumgänglich, ohne daß auf die Prüfung der Glaubwürdigkeit der geltend gemachten Argumente eingegangen werden brauchte.

Es mußte daher in Abweisung der Berufung spruchgemäß entschieden werden."

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch §2 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die ZDOK als bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, 9549/1982).

Das gesamte Vorbringen des Bf. im Zuge des Verwaltungsverfahrens - wie es im oben unter I.1. zitierten Bescheid (von einer noch zu erwähnenden Ausnahme abgesehen) zutreffend wiedergegeben wird - enthält nur die Behauptung, daß er jeden Waffengebrauch und die Leistung eines Dienstes beim Bundesheer ablehne, ohne aber auch nur anzudeuten, was der Grund dieser - behaupteten - ablehnenden Haltung sei. Er hat für seine Person nicht dargetan, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot geraten würde. Auch die (im angefochtenen Berufungsbescheid unerwähnt gelassene) Bemerkung des Bf. anläßlich der mündlichen Verhandlung vor der ZDOK "Ich könnte auf keinen anderen Menschen schießen, der vielleicht auch auf Befehl handelt" kann nicht als derartige vom Gesetz geforderte Behauptung gewertet werden.

Bei einer solchen Sachlage war die ZDOK iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8787/1980, 9257/1981, VfGH 10. März 1983 B308/78) schon auf dem Boden der Behauptungen des Antragstellers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber schon in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es auch unerheblich, ob die bel. ZDOK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.

Die behauptete Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hat also nicht stattgefunden.

2. Bei der verfassungsgesetzlichen Unbedenklichkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften könnte der Bf. im Gleichheitsrecht nur durch eine willkürliche Handhabung des Gesetzes verletzt worden sein.

In dieser Hinsicht bringt der Bf. vor, die Behörde habe ihn wegen seiner geringen Artikulationsfähigkeit und seiner mangelhaften Kenntnis der Rechtslage - sohin aus unsachlichen Gründen - benachteiligt (vgl. zB VfSlg. 9015/1981).

Ein solcher Vorwurf kann der Behörde hier nicht gemacht werden: Sie hat sich mit den Schwierigkeiten des Bf., sich auszudrücken, auseinandergesetzt, und zwar in durchaus vertretbarer Weise. Eine in der Person des Bf. gelegene Benachteiligung war sohin ebensowenig feststellbar wie schwerwiegende verfahrensrechtliche oder inhaltliche Fehler (s. hiezu die vorstehende Z1).

Der Bf. ist mithin auch nicht im Gleichheitsrecht verletzt worden.

3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B262.1984

Dokumentnummer

JFT_10158876_84B00262_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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