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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art137 / AllgLeitsatz
B-VG Art140 Abs1; Individualantrag auf Aufhebung des §71 Abs1 Nö. Krankenanstaltengesetz 1974; Zulässigkeit einer Klage nach Art137 B-VG zur Geltendmachung des gemäß §72 Abs1 der Gemeinde zustehenden Anspruchs an den Krankenanstaltensprengel; in diesem Verfahren auch Vorbringen der Bedenken gegen §71 Abs1 leg. cit. möglich; daher keine LegitimationSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen:
Begründung
Begründung:
I. 1. a) Die Stadtgemeinde N/NÖ ist Träger einer öffentlichen Krankenanstalt.
Sie begehrt mit dem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag, §71 Abs1 des Nö. Krankenanstaltengesetzes 1974, LGBl. 9440-2, (nö. KAG) als verfassungswidrig aufzuheben.
b) Die angefochtene Bestimmung und der darin zitierte §70 Abs1 (soweit hier von Belang) lauten:
"§70
(1) Das Land Niederösterreich hat den Trägern der öffentlichen Krankenanstalten, welche ihren Sitz in Niederösterreich haben, ... 40 vH der sich aufgrund der genehmigten Rechnungsabschlüsse ergebenden Betriebsabgänge zu ersetzen. Der Betriebsabgang ist die um allfällige Zweckzuschüsse des Bundes (§§57 und 58 des Krankenanstaltengesetzes, BGBl. Nr. 1/1957, in der Fassung BGBl. Nr. 27/1958 und BGBl. Nr. 281/1974) verminderte Summe jener Betriebs- und Erhaltungskosten der öffentlichen Krankenanstalten, die durch die Einnahmen nicht gedeckt sind ..."
"§71
(2) Die Träger von öffentlichen Krankenanstalten, soweit es sich um Gemeinden handelt, haben jenen Teil des Betriebsabganges (§70 Abs1 zweiter Satz), der sich aus dem Anstaltsaufenthalt von Patienten ergibt, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der spitalerhaltenden Gemeinde haben, mindestens jedoch 18 vH und höchstens 30 vH desselben abzudecken. §87 gilt sinngemäß.
(3) ..."
c) Die antragstellende Gemeinde bringt vor, durch §71 Abs1 Nö. KAG dadurch in ihren Rechten verletzt zu sein, daß sie als spitalserhaltende Gemeinde mit der angefochtenen landesgesetzlichen Bestimmung verpflichtet werde, mindestens 18 vH des Betriebsabganges für 1983 abzudecken, statt bloß 13 vH, wie dies der in zehnjährigem Durchschnitt ermittelten Belagszahl an Patienten, die ihren ordentlichen Wohnsitz in N haben, entspreche. Dieser überhöhte Prozentsatz sei auch der Grund, weshalb die angefochtene Bestimmung unsachlich sei und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.
2. Die Nö. Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Antrag stellt, der VfGH wolle
1. den Antrag der Stadtgemeinde N mangels Prozeßvoraussetzungen als unzulässig zurückzuweisen, in eventu
2. den Antrag, soweit er nicht die Worte "mindestens" und die Wortfolge "18 vH und" betrifft, als unzulässig zurückweisen, in eventu
3. aussprechen, daß §71 Abs1 Nö. KAG 1974 nicht verfassungswidrig ist, und den Aufhebungsantrag als unbegründet abweisen, in eventu
4. für den Fall einer Aufhebung gemäß Art140 Abs5 B-VG eine Frist von einem Jahr für das Außerkrafttreten bestimmen.
II. Der VfGH hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar durch das Gesetz selbst tatsächlich erfolgt ist. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 9084/1981).
2. a) Gemäß §23 Abs1 Nö. KAG unterliegen Krankenanstalten, die Beiträge zum Betriebsabgang oder zur Errichtung, Umgestaltung oder Erweiterung (§§70 und 72) oder Zweckzuschüsse des Bundes (§§57 und 59 KAG) erhalten, der wirtschaftlichen Aufsicht durch die Landesregierung.
Die Träger dieser Krankenanstalten haben dem §25 Abs1 zufolge nach Abschluß des Rechnungsjahres (Kalenderjahres) die gesamten, innerhalb dieses Jahres vorgesehenen Gebarungsvorgänge in Rechnungsabschlüssen nachzuweisen. Der folgende Abs2 bestimmt, daß der Rechnungsabschluß bis spätestens 15. März des dem Rechnungsjahr folgenden Jahres der Landesregierung mit dem Antrag auf Genehmigung vorzulegen ist. Der Rechnungsabschluß ist nach Abs3 von der Landesregierung auf seine rechnerische Richtigkeit, die darin enthaltenen Gebarungsvorgänge auf ihre Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Der Abs4 sieht vor, daß über rechtzeitig eingebrachte Anträge auf Genehmigung der Rechnungsabschlüsse die Landesregierung bis spätestens 10. April des dem Rechnungsjahr folgenden Jahres - und zwar offenkundig bescheidmäßig - zu entscheiden hat.
Mit Rechtskraft des Genehmigungsbescheides steht auch der Betriebsabgang fest.
Für die Belastung der spitalserhaltenden Gemeinden mit den im §71 Abs1 Nö. KAG vorgesehenen Prozentsätzen dieses Betriebsabganges bedarf es - wie die Nö. Landesregierung zutreffend ausführt - keines rechtskonkretisierenden Aktes, etwa eines verwaltungsbehördlichen Bescheides oder eines gerichtlichen Urteiles; vielmehr ergibt sich diese Belastung unmittelbar aus dem Gesetz.
b) Ungeachtet dieser Wirkung dieses Gesetzes ist der Antrag unzulässig. Der antragstellenden Gemeinde steht nämlich ein anderer Weg offen, die Frage der angenommenen Verfassungswidrigkeit an den VfGH heranzutragen:
Gemäß Art137 B-VG erkennt der VfGH ua. über vermögensrechtliche Ansprüche an die Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
Dem §61 Abs1 Nö. KAG zufolge ist das Landesgebiet Beitragsbezirk und Krankenanstaltensprengel für alle öffentlichen Krankenanstalten in NÖ. Beitragsbezirk und Krankenanstaltensprengel sind ein Gemeindeverband. Dem Gemeindeverband gehören alle Gemeinden NÖ an. Er trägt die Bezeichnung "Nö. Krankenanstaltensprengel".
§72 Abs1 leg. cit. lautet auszugsweise:
"(1) Der Nö. Krankenanstaltensprengel hat den Trägern der in §70 genannten Krankenanstalten" (siehe oben I.1.b) "soweit der Träger nicht das Land Niederösterreich ist, ... den nach Abzug der Leistungen nach §§70 und 71 verbleibenden Betrag als Beitrag zur Deckung des Betriebsabganges (§70 Abs1 zweiter Satz) dieser Krankenanstalten zu bezahlen ..."
Diese Verpflichtung des Nö. Krankenanstaltensprengels, einen Beitrag zur Deckung des Betriebsabganges zu bezahlen, ist durch Gesetz auferlegt worden; diese Verpflichtung ist öffentlich-rechtlicher Natur. Eine besondere Zuständigkeit der Gerichte ist nicht normiert. Zur Geltendmachung des der Leistungsverpflichtung des Nö. Krankenanstaltensprengels entsprechenden vermögensrechtlichen Anspruches kann daher der ordentliche Rechtsweg nicht beschritten werden. Es besteht aber keine positive Rechtsnorm, wonach über solche Ansprüche im Verwaltungsweg zu entscheiden wäre (vgl. hiezu zB VfSlg. 3736/1960, 4818/1964, 8288/1978, 9033/1981).
Die Gemeinde N hätte sohin die Möglichkeit, den ihr gemäß §72 Abs1 erster Satz Nö. KAG zustehenden Anspruch gegenüber dem Nö. Krankenanstaltensprengel mit Klage nach Art137 B-VG geltend zu machen.
In dieser Klage könnte die antragstellende Gemeinde vom Nö. Krankenanstaltensprengel jene Beträge begehren, die ihr nach ihrer Ansicht bei verfassungskonformer Fassung des §71 Abs1 Nö. KAG gebühren würden; sie könnte also nur 13 vH des Betriebsabganges als Eigenleistung iS des §71 Abs1 Nö. KAG abziehen und in der Klage darlegen, daß und weshalb ein höherer Abzug an Eigenleistung (nämlich von mindestens 18 vH, wie dies das Gesetz vorschreibt) verfassungswidrig sei, um solcherart den VfGH zur Einleitung eines amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens zu veranlassen.
Eine solche Klage wäre, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, zulässig, sodaß der VfGH bei Entscheidung über sie ua. §71 Abs1 Nö. KAG (bzw. die die antragstellende Gemeinde belastenden Stellen dieser landesgesetzlichen Bestimmung) anzuwenden hätte; würde der Gerichtshof gegen sie verfassungsrechtliche Bedenken haben, wäre er verpflichtet, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der präjudiziellen Gesetzesbestimmung einzuleiten.
Die Nö. Landesregierung weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, daß der Österreichische Gemeindebund im Punkt II der Nebenabrede zur "Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Krankenanstaltenfinanzierung und die Dotierung des Wasserwirtschaftsfonds" (diese "Nebenabrede" wurde in der Kundmachung der Vereinbarung, BGBl. 118/1983 und Nö. LGBl. 0801-0, nicht publiziert) erklärt habe, der im Punkt I dieser Nebenabrede zwischen Bund und Ländern als Träger von Privatrechten vereinbarte (und bis 31. Dezember 1984 wirksame) Klagsverzicht sei auch für die Stadtgemeinde N verbindlich. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde N habe aber den Österreichischen Gemeindebund zu dieser Erklärung nicht ermächtigt. Selbst wenn man annehme, der erwähnte Klagsverzicht beziehe sich auch auf Klagen nach Art137 B-VG von spitalserhaltenden Gemeinden gegen Gemeindeverbände (hier gegen den Nö. Krankenanstaltensprengel), so fehle für einen Verzicht der Stadtgemeinde N im konkreten Fall die rechtsgültige Ermächtigung.
Der VfGH braucht nicht zu erörtern, ob diese Meinung der Nö. Landesregierung zutrifft. Denn selbst wenn das nicht der Fall wäre, würde dies an der Unzulässigkeit des vorliegenden Individualantrages wegen des an sich bestehenden zumutbaren anderen Weges (nämlich der Klage nach Art137 B-VG) nichts ändern; die Gemeinde hätte sich dann nämlich freiwillig des ihr von Gesetzes wegen zukommenden Weges begeben. Dies kann aber nicht dazu führen, daß die sonst nicht gegebene Legitimation zur Stellung eines Individualantrages erzwungen werden könnte.
Da der Rechnungsabschluß für das N Krankenhaus mit Bescheid der Nö. Landesregierung vom 3. April 1984 gemäß §25 Abs4 Nö. KAG genehmigt wurde, steht auch der Betriebsabgang ziffernmäßig fest, sodaß eine Leistungsklage möglich wäre; es braucht daher nicht erörtert zu werden, ob - falls der Betriebsabgang noch nicht allgemein verbindlich feststünde - eine Feststellungsklage nach §38 VerfGG 1953 zulässig wäre.
Auch sonst sind keine Umstände erkennbar, weshalb die Klage unzumutbar sein sollte (vgl. zB VfSlg. 8187/1977, 8212/1977, 8312/1978).
Der Stadtgemeinde N steht also ein anderer zumutbarer Weg - nämlich eine Klage nach Art137 B-VG - zur Verfügung, die angenommene Verfassungswidrigkeit des Nö. KAG an den VfGH heranzutragen.
Die Stadtgemeine N ist sohin zur Stellung des Individualantrages nicht legitimiert. Ihr Antrag war daher zurückzuweisen (vgl. zB VfSlg. 9285/1981).
Schlagworte
Krankenanstalten, Rechtsquellensystem, VfGH / Individualantrag, VfGH / Klagen, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:G136.1984Dokumentnummer
JFT_10158872_84G00136_00