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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art19Leitsatz
Vbg. Sozialhilfegesetz; kein Bescheidcharakter der Erledigungen der Landesregierung gemäß §14 Abs4; Entscheidung der Schiedskommission für Sozialhilfekosten gemäß §16 in erster und letzter (also einziger) InstanzSpruch
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Das Vbg. Sozialhilfegesetz (SHG) - LGBl. 26/1971 - bestimmt in §14 Abs4: Die Gemeinden haben die Kosten ihrer Förderungstätigkeit nach §18 Abs2 dieses Gesetzes (das ist die Förderung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege durch die Gemeinden als Träger von Privatrechten) zu tragen und außerdem dem Land jährlich einen Beitrag in Höhe von 75 vH zu den vom Land nach §18 Abs3 dieses Gesetzes zu tragenden oder zu ersetzenden Kosten der Sozialhilfe zu leisten (1. Satz); der Beitrag ist von der Landesregierung auf die einzelnen Gemeinden nach Maßgabe ihrer Finanzkraft aufzuteilen, die aus der Summe des auf den Hebesatz von 150 vH umgerechneten Gewerbesteueraufkommens des dem Beitragsjahr vorangegangenen Jahres und der aus den Grundsteuermeßbeträgen des dem Beitragsjahr vorangegangenen Jahres und dem Hebesatz von 300 vH errechneten Grundsteuer zu ermitteln ist (2. Satz); die Gemeinden haben auf Verlangen vierteljährlich Vorschüsse in der Höhe je eines Sechstels des zu erwartenden Beitragsanteiles gegen nachträgliche Verrechnung zu überweisen (3. Satz); die Vorschüsse sind unter Zugrundelegung der im Landesvoranschlag für Sozialhilfe vorgesehenen Einnahmen und Ausgaben zu ermitteln (4. Satz).
Das SHG bestimmt weiters in §16, daß über den Kostenersatz zwischen Land und Gemeinden sowie über die Leistung der Beiträge (nach §14 Abs3 und 4 des Gesetzes) im Streitfalle die Schiedskommission für Sozialhilfekosten zu entscheiden hat (Abs1), die nach dem Typus einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag nach Art20 Abs2 und Art133 Z4 B-VG eingerichtet ist (Abs2 und 3) und für deren Verfahren die Bestimmungen des AVG gelten (Abs4).
1. Die Vbg. Landesregierung verlangte mit Note vom 24. Feber 1983 von der Marktgemeinde Lustenau Vorschüsse auf die Beitragsanteile 1983, die sie wie folgt errechnet: Der Beitragsanteil der Gemeinde zu den voraussichtlichen Sozialhilfekosten laut Landesvoranschlag 1983 beträgt nach ihrer Finanzkraft 1983 von 46720349 S (11,76983% der Summe der Finanzkraft 1983 der Gemeinden des Landes) voraussichtlich zirka 17174000 S. Die Gemeinde wird ersucht, im Jahre 1983 zum Ende eines jeden Vierteljahres je ein Sechstel des zu erwartenden Beitragsanteiles für das Jahr 1983, somit zum 31. März, 30. Juni, 30. September und 31. Dezember 1983 je 2862000 S an die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zu überweisen bzw. die Vorschüsse gemäß §14 Abs3 SHG mit dem der Gemeinde durch die Mitwirkung bei der Gewährung der Sozialhilfe entstandenen Zweckaufwand des entsprechenden Vierteljahres zu verrechnen.
Dieses Schreiben ist Gegenstand des Verfahrens zu B228/83.
2. Mit Note vom 9. Feber 1984 hat die Vbg. Landesregierung von der Marktgemeinde Lustenau Vorschüsse auf die Beitragsanteile 1984 auf folgender Berechnungsgrundlage verlangt: Der Beitragsanteil der Gemeinde zu den voraussichtlichen Sozialhilfekosten laut Voranschlag 1984 beträgt nach ihrer vorläufigen Finanzkraft 1984 von 52888168 S (12,80569% der Summe der vorläufigen Finanzkraft 1984 der Gemeinden des Landes) voraussichtlich zirka 20588000 S. Das nach denselben Modalitäten wie für das Jahr 1983 angesprochene Sechstel des zu erwartenden Beitragsanteiles ist mit 3431000 S beziffert.
Dieses Schreiben ist Gegenstand des Verfahrens zu B207/84.
3. Mit Note vom 24. März 1983 hat die Vbg. Landesregierung die Notwendigkeit einer neuen Aufteilung des von den Gemeinden für das Jahr 1981 zu leistenden Beitrages in der Höhe von 126690973 S aufgrund der endgültigen Finanzkraft bekanntgegeben und den Anteil der Marktgemeinde Lustenau wie folgt errechnet: Die Finanzkraft der Gemeinden des Landes wurde für das Jahr 1981 nun endgültig mit insgesamt 374507698 S festgestellt. Die Marktgemeinde hat aufgrund ihrer nun festgestellten Finanzkraft von 32546795 S einen Anteil von 8,69055% vom Beitrag der Gemeinden zu den Kosten der Sozialhilfe des Jahres 1981, das sind 11010142 S zu tragen. Die Gemeinde hat Vorschüsse und vorläufige Beitragsanteile in der Höhe von insgesamt 11030388 S geleistet. Es sind ihr daher im Wege der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn 20246 S zu erstatten.
Mit Note vom 5. April 1983 hat die Vbg. Landesregierung die Höhe der Kosten der Sozialhilfe im Jahre 1982 mit 170071550,53 S bekanntgegeben und den Beitrag der Marktgemeinde Lustenau wie folgt errechnet: Die Gemeinden haben dem Land einen Beitrag in der Höhe von 127553663 S zu den Kosten der Sozialhilfe zu leisten. Die Finanzkraft der Gemeinden wurde für das Jahr 1982 endgültig mit insgesamt 360155923 S festgestellt. Die Marktgemeinde hat aufgrund ihrer Finanzkraft von 42231699 S einen Anteil von 11,72595% vom Beitrag der Gemeinden zu den Kosten der Sozialhilfe des Jahres 1982, das sind 14956879 S, zu tragen. Die Gemeinde hat Vorschüsse in der Höhe von insgesamt 10753200 S geleistet. Es sind daher im Wege der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn 4203679 S nachzuzahlen.
Diese beiden Schreiben sind Gegenstand des Verfahrens zu B326/83.
4. Mit Note vom 26. März 1984 hat die Vbg. Landesregierung die Höhe der Kosten der Sozialhilfe im Jahre 1983 mit 180188065,85 S bekanntgegeben und den Beitrag der Marktgemeinde Lustenau wie folgt errechnet: Die Gemeinden haben dem Land einen Beitrag in der Höhe von 135141049 S zu leisten. Die Finanzkraft der Gemeinden wurde für das Jahr 1983 endgültig mit insgesamt 396949955 S festgestellt. Die Marktgemeinde Lustenau hat aufgrund ihrer Finanzkraft von 46720349 S einen Anteil von 11,76983% vom Beitrag der Gemeinden zu den Kosten der Sozialhilfe des Jahres 1983, das sind 15905872 S, zu tragen. Die Gemeinde hat Vorschüsse in der Höhe von insgesamt 11448000 S geleistet. Es sind daher im Wege der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn 4457872 S nachzuzahlen.
Dieses Schreiben ist Gegenstand des Verfahrens zu B361/84.
II. 1. Gegen diese von der Bf. - "allenfalls" und "vorsichtshalber" (nämlich im Hinblick auf das Erk. des VfGH vom 30. September 1982 B431/79 und Folgezahlen = VfSlg. 9520/1982) - als Bescheide gewerteten Schreiben der Vbg. Landesregierung erhebt die Marktgemeinde Lustenau inhaltlich - weitgehend wörtlich - übereinstimmende Beschwerden nach Art144 B-VG.
Die Beschwerden sind zunächst damit begründet, daß bei Wertung der angefochtenen Erledigungen als Bescheide die gemäß §16 SHG gegebene Möglichkeit der Anrufung der Schiedskommission für Sozialhilfekosten gegen Entscheidungen der Landesregierung mit der Stellung der Landesregierung als oberstem Verwaltungsorgan (Art19, 20 und 101 B-VG) unvereinbar ist, sodann sind die Beschwerden in der Sache damit begründet, daß die in §14 Abs4 SHG getroffene Regelung der Finanzkraft wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig ist.
In den Beschwerden wird jeweils der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (nämlich auf Gleichheit, auf Schutz des Eigentums, auf Selbstverwaltung und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter) und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes kostenpflichtig aufzuheben.
2. Die Vbg. Landesregierung hat zu den Beschwerden inhaltlich - weitgehend wörtlich - übereinstimmende Gegenschriften erstattet.
Sie vertritt die Meinung, daß die angefochtenen Schriftstücke der Landesregierung Bescheide seien, daß aber der in Betracht kommende Instanzenzug an die Schiedskommission für Sozialhilfekosten (auch wenn die Partei der Ansicht ist, diese Regelung sei verfassungswidrig) zu erschöpfen sei. In der Sache führt die Landesregierung aus, daß der Landesgesetzgeber ermächtigt sei, Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag iS des Art133 Z4 B-VG zu errichten, sowie daß der Landesgesetzgeber bei Festlegung des Finanzkraftschlüssels im Rahmen - zulässiger - rechtspolitischer Überlegungen gehandelt habe und daß dieser Schlüssel auch nicht zwischenzeitlich durch eine wesentliche Veränderung der Rahmenbedingungen verfassungswidrig geworden sei.
Die Landesregierung beantragt daher, die Beschwerdebegehren kostenpflichtig wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen oder allenfalls als unbegründet abzuweisen.
III. Der VfGH hat erwogen:
1. Der VfGH hat schon im Erk. vom 23. Juni 1984 A4/83, A19/84 seine Rechtsauffassung, daß Ansprüche der Gemeinden an das Land aus den Bestimmungen des SHG durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind, sodaß die Zuständigkeit des VfGH nach Art137 B-VG nicht gegeben ist, aus der Regelung des §16 SHG abgeleitet.
Damit ist jedoch keine Aussage darüber getroffen, ob der nach §16 SHG ergehende Bescheid der Schiedskommission für Sozialhilfekosten von dieser Verwaltungsbehörde als Rechtsmittelbehörde gegenüber einer allenfalls als Bescheid zu wertenden Erledigung der Landesregierung nach §14 Abs4 SHG zu ergehen hat, oder ob es sich bei dem Bescheid der Schiedskommission um die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde in erster und letzter (also einziger) Instanz handelt. Diese Frage kann hier nicht dahingestellt bleiben, weil die Frage, ob die für die Anrufung des VfGH zu erfüllende Prozeßvoraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzuges hier vorliegt, davon abhängt, ob die angefochtenen Erledigungen der Landesregierung, wenn sie als Bescheide zu werten sind, einem verfassungsrechtlich unbedenklichen Instanzenzug unterliegen. Die weitere Frage aber, ob es sich bei den angefochtenen Erledigungen der Landesregierung überhaupt um Bescheide handelt, die einer unmittelbaren Anfechtung beim VfGH unterliegen können, kann ihrerseits - wie die folgenden Darlegungen zeigen - nur im Hinblick auf die in §16 SHG normierte Zuständigkeit der Schiedskommission beantwortet werden.
Der VfGH hat im Erk. vom 30. September 1982 B431/79 und Folgezahlen (VfSlg. 9520/1982) - worauf in den Beschwerden hingewiesen wird - ausgeführt, aus der Bestimmung des §13 Abs5 des Tir. Sozialhilfegesetzes, LGBl. 105/1973, (die dem dritten und vierten Satz des §14 Abs4 S HG wörtlich gleicht) ergebe sich, daß ein Verlangen der Landesregierung auf Überweisung von Vorschüssen und die Vorschreibung von bestimmten Vorschüssen sowie die Endabrechnung der Beiträge Bescheide seien.
Die diesen Ausführungen zugrunde liegende Rechtslage war jedoch dadurch gekennzeichnet, daß sie kein dem §16 SHG entsprechendes Verfahren vorgesehen hat. Würden nun die im Erk. VfSlg. 9520/1982 zur Rechtslage in Tirol gemachten Aussagen undifferenziert auf die im SHG gestaltete Rechtslage übertragen, würde dies heißen, daß der Landesgesetzgeber gegen Bescheide der Landesregierung ein Rechtsmittel an die Schiedskommission für Sozialhilfekosten eingeräumt hat. Dies widerspräche jedoch dem aus der Bundesverfassung abzuleitenden Grundsatz, daß die Entscheidung eines obersten Organes (wie es die Landesregierung iS der Art19, 20 und 101 B-VG ist) keinem Instanzenzug unterliegt (VfSlg. 3506/1959, 8917/1980, 9164/1981, 9476/1982).
Es ist daher zu prüfen, ob die in §14 Abs4 SHG getroffene Regelung ebenso auszulegen ist wie die Regelung des §13 Abs5 des Tir. Sozialhilfegesetzes, oder ob sie wegen ihres inhaltlichen Zusammenhanges mit §16 SHG eine andere Auslegung erlaubt. Einem Gesetz darf nämlich im Zweifel kein Inhalt gegeben werden, der es verfassungswidrig erscheinen ließe (VfSlg. 8468/1978, 8940/1980, 9432/1982 mit der jeweils angeführten Vorjudikatur). Da der Wortlaut des §14 Abs4 dritter und vierter Satz SHG die Auslegung nicht gebietet, daß darauf gestützte Erledigungen der Landesregierung Bescheide sind und auch - anders als bei der Tir. Regelung - wegen des Bestandes des §16 SHG eine solche Auslegung nicht aus Gründen des Rechtsschutzes geboten ist, muß die Regelung des SHG dahin verstanden werden, daß die Erledigungen der Landesregierung nach §14 Abs4 SHG keine Bescheide sind und daß daher die Schiedskommission für Sozialhilfekosten bei ihren Entscheidungen nicht als Rechtsmittelinstanz gegenüber der Landesregierung, sondern - zulässigerweise (vgl. VfSlg. 4819/1964, 4820/1964, 6092/1969) - als erste und letzte (also einzige) Instanz zur Entscheidung berufen ist.
Es deutet auch nichts darauf hin, daß die angefochtenen Erledigungen der Landesregierung als Bescheide erlassen worden wären. Sie entsprechen nicht den für Bescheide geltenden Formerfordernissen (§§58 ff. AVG 1950) und können vor dem Hintergrund der dargestellten - von der für die Entscheidung VfSlg. 9520/1982 maßgeblichen abweichenden - Rechtslage auch inhaltlich nicht als Bescheide gewertet werden.
2. Die Beschwerden waren daher mangels Bescheidcharakters der angefochtenen Erledigungen wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.
Schlagworte
Instanzenzug, Landesregierung, Oberste Organe, Auslegung, Bescheidbegriff, Sozialhilfe, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B228.1983Dokumentnummer
JFT_10158872_83B00228_00