TE Vfgh Erkenntnis 1984/11/28 V3/84

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Veröffentlicht am 28.11.1984
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z8
B-VG Art118 Abs6
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
ProstitutionsV des Gemeinderates der Gemeinde Mistelbach vom 13.12.83 Nö GdO 1973 §33

Leitsatz

Prostitutionsverordnung Mistelbach; Individualantrag, zulässig; ortspolizeiliche V iS des Art118 Abs6 B-VG; keine Überschreitung des der Gemeinde im Rahmen des Art118 Abs3 Z8 auf dem Gebiet der Sittlichkeitspolizei gewährleisteten eigenen Wirkungsbereiches

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Gemeinderat der Gemeinde Mistelbach/NÖ hat am 13. Dezember 1983 nachstehenden Beschluß gefaßt:

"Verordnung

§1. Die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) und das Anbieten hiezu im Hause Lanzendorfer Hauptstraße 114, Mistelbach, ist verboten.

§2. Übertretungen dieser Verordnung werden als Verwaltungsübertretung nach den Bestimmungen des ArtVII EGVG 1950 mit einer Geldstrafe bis zu 3000 S, wenn aber mit einer Geldstrafe nicht das Auslangen gefunden werden kann, mit Arrest bis zu 2 Wochen bestraft.

§3. Bestehende Gesetze des Bundes und Landes werden durch diese Verordnung nicht berührt.

§4. Diese Verordnung tritt am 1. Jänner 1984 in Kraft."

Dieser Beschluß wurde durch Anschlag an der Gemeindetafel in der Zeit vom 14. bis 30. Dezember 1983 kundgemacht.

2. Die Antragstellerin bringt vor, Mieterin des Obergeschoßes des Hauses Mistelbach, Lanzendorfer Hauptstraße 114 zu sein. Durch die oben zitierte V (im folgenden kurz: PrV Mistelbach) sei ihr unter Strafsanktion verboten worden, dort weiterhin die Prostitution auszuüben, weshalb sie durch die V unmittelbar in ihren Rechten verletzt sei.

Die Antragstellerin begehrt mit der vorliegenden, auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Eingabe, die PrV Mistelbach zur Gänze aufzuheben.

3. Die Nö. Landesregierung und der Gemeinderat der Gemeinde Mistelbach haben Äußerungen erstattet, in denen sie die Rechtmäßigkeit der angefochtenen V verteidigen, und begehren, den Individualantrag abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Der bekämpfte Beschluß des Gemeinderates der Gemeinde Mistelbach vom 13. Dezember 1983 ist eine V (vgl. zB VfSlg. 8734/1980, Punkt II.1, und 9253/1981 Punkt II.1.).

b) Die Voraussetzungen für die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG sind gegeben, da die bekämpfte V für die Antragstellerin nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist (vgl. zB VfSlg. 9253/1981, Punkt II.2.).

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Individualantrag zulässig.

2. a) Die PrV Mistelbach ist keine Durchführungsverordnung iS des Art18 Abs2 B-VG, sondern eine ortspolizeiliche V nach Art118 Abs6 B-VG und der gleichlautenden Vorschrift des §33 der Nö. Gemeindeordnung, LGBl. 1000-4.

Danach hat die Gemeinde das Recht, ortspolizeiliche V nach freier Selbstbestimmung unter den folgenden drei Voraussetzungen zu erlassen:

Zum ersten muß eine ortspolizeiliche V in einer Angelegenheit erlassen werden, deren Besorgung der Gemeinde nach Art118 Abs2 und 3 B-VG im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist,

zum zweiten darf die V nicht gegen bestehende Gesetze oder V des Bundes und des Landes verstoßen und

zum dritten muß die V den Zweck verfolgen, die das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Mißstände abzuwehren oder zu beseitigen (s. zB VfSlg. 7960/1976, 9762/1983).

b) Die von der Antragstellerin vorgebrachten Bedenken gehen dahin, daß die erste und die dritte dieser Voraussetzungen hier nicht vorlägen:

Die PrV Mistelbach regle keine in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallende Angelegenheit, insbesondere falle sie nicht unter den Tatbestand "Sittlichkeitspolizei", da das Haus Lanzendorfer Hauptstraße 114 ("Haus Paradies") außerhalb des Ortsgebietes liege und die dort ausgeübte Prostitution der Öffentlichkeit gegenüber nicht in Erscheinung trete, sodaß die Sittlichkeit nicht bedroht werde. Deshalb läge kein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Mißstand vor. Daran ändere nichts, daß im selben Haus die "Zeugen Jehovas" ihre Zusammenkünfte abhielten; ihr Versammlungssaal hätte einen separaten Eingang; der Umstand, daß einige Personen gegen die im Hause ausgeübte Prostitution protestieren, rechtfertige die Erlassung der V nicht.

c) aa) Der VfGH hat iZm. ortspolizeilichen V, mit denen die Anbahnung und Ausübung der Prostitution im gesamten Gemeindegebiet absolut verboten wurde, wiederholt ausgesprochen (zB VfSlg. 7960/1976 und 8734/1980), daß eine ortspolizeiliche V (Art118 Abs6 B-VG) nur in einer Angelegenheit erlassen werden dürfe, deren Besorgung im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde nach Art118 Abs2 und 3 B-VG gewährleistet sei. Zu den den Gemeinden gewährleisteten Selbstverwaltungsaufgaben gehöre nach Art118 Abs3 Z8 B-VG die "Sittlichkeitspolizei". Die Ordnung und Überwachung der Prostitution zähle zur Sittlichkeitspolizei, sofern es darum gehe, Gefahren abzuwehren, die der Sittlichkeit durch die Ausübung der Prostitution drohen. Der Sittlichkeit drohende Gefahren könnten zumindest von einigen Erscheinungsformen der Prostitution, zB vom sogenannten "Gassenstrich", ausgehen. Insoweit gehöre die Regelung der Prostitution zum Tatbestand "Sittlichkeitspolizei". Die damit im Zusammenhang stehenden behördlichen Aufgaben seien gemäß Art118 Abs3 Z8 B-VG der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet. Wenn die ortspolizeiliche V aber die Anbahnung und die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) für den Bereich der Gemeinde schlechthin verbiete, dann untersage diese V auch solche Formen der Prostitution, die die Sittlichkeit nicht bedrohen; eine solche V regle also zT eine Angelegenheit, die weder eine solche der Sittlichkeitspolizei sei, noch sonst durch Art118 Abs2 und 3 B-VG der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet sei.

Der VfGH bleibt bei dieser Rechtsprechung.

bb) Der Gemeinderat der Gemeinde Mistelbach schildert in seiner Äußerung zusammengefaßt folgenden Sachverhalt:

In Lanzendorf - einer Katastralgemeinde von Mistelbach mit überwiegend bäuerlichem Charakter - sei in bis dahin als Wohnung benützten Räumlichkeiten in dem Haus Lanzendorfer Hauptstraße 114 im September 1983 ein Bordell eingerichtet worden. Eine - näher geschilderte - auffällige "Dekoration" des Hauses lasse diese Verwendung nach außen sehr deutlich und aus weiter Entfernung erkennen. Die Eröffnung des Bordells habe in der Mistelbacher Bevölkerung einen Proteststurm hervorgerufen, so deshalb, weil es in einem Stadtteil mit fast ausschließlich bäuerlicher Bevölkerung errichtet wurde und das Haus als Ort religiöser Zusammenkünfte bekannt war. Im genannten Haus befinde sich - wie es in der Sachverhaltsdarstellung des Gemeinderates weiter heißt - seit Jahren (also schon wesentlich länger als das Bordell) ein sogenannter "Königreichssaal" der Zeugen Jehovas, in welchem dreimal wöchentlich Gottesdienste stattfinden. Unter Anführung konkreter Vorfälle wird vom Gemeinderat dargestellt, daß diese Gottesdienste wiederholt durch den Bordellbetrieb gestört sowie Teilnehmer an den Gottesdiensten "angepöbelt" und "in unflätiger Weise angesprochen" wurden.

Dieser geschilderte Sachverhalt - der von der Antragstellerin unbestritten geblieben ist - wird durch die vorgelegten Verordnungsakten bestätigt; der VfGH geht von diesem Sachverhalt aus.

cc) Seine rechtliche Beurteilung anhand der in der vorstehenden sublitaa) dargestellten Kriterien führt zum Ergebnis, daß die von der Antragstellerin gegen die Rechtmäßigkeit der PrV Mistelbach ins Treffen geführten Argumente nicht stichhältig sind.

Die V verbietet keineswegs schlechthin die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht für den gesamten Bereich von Mistelbach, sondern lediglich für ein bestimmtes Gebäude. Die dort ausgeübte Prostitution gefährdet allein schon wegen der im selben Haus abgehaltenen religiösen Veranstaltungen evident die Sittlichkeit; die PrV Mistelbach dient dazu, diese der Sittlichkeit drohenden Gefahren abzuwehren. Sie wurde sohin auf dem Gebiet der Sittlichkeitspolizei erlassen, deren Besorgung nach Art118 Abs3 Z8 B-VG der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist (vgl. zB 7960/1976, 8734/1980).

Aus dem oben dargestellten Sachverhalt ergibt sich deutlich, daß die im erwähnten Haus ausgeübte Prostitution einen Mißstand darstellt, der das Gemeinschaftsleben in der Gemeinde Mistelbach stört (vgl. VfSlg. 7960/1976).

dd) Die von der Antragstellerin vorgebrachten Bedenken treffen mithin nicht zu.

Der Antrag war daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Prostitution, Verordnungsbegriff, Gemeinderecht, Verordnung ortspolizeiliche, Wirkungsbereich eigener

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:V3.1984

Dokumentnummer

JFT_10158872_84V00003_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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