TE Vfgh Erkenntnis 1984/11/29 V41/82

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Veröffentlicht am 29.11.1984
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Söll vom 07.07.81
Tir RaumOG 1972 §8 Abs1 lita
Tir RaumOG 1972 §9 Abs1

Leitsatz

Flächenwidmungsplan der Gemeinde Söll; Umwidmung eines Baugrundstückes in Freiland; mangelnde Berücksichtigung der bisherigen Widmungsart und Nutzung sowie der bestmöglichen Anordnung und Gliederung des Baulandes iS der §§9 Abs1 und 8 Abs1 lita Tir. Raumordnungsgesetz 1972; Gesetzwidrigkeit der Umwidmung

Spruch

Der Flächenwidmungsplan der Gemeinde Söll vom 7. Juli 1981 (genehmigt mit Bescheid der Tir. Landesregierung vom 23. September 1981, kundgemacht vom 28. Oktober bis 13. November 1981) wird hinsichtlich des als Freiland ausgewiesenen Grundstückes Nr. 727/9, EZ 604 II KG Söll, als gesetzwidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit V des Gemeinderates der Gemeinde Söll vom 7. Juli 1981 ist für diese Gemeinde (erstmalig) ein Flächenwidmungsplan nach den Bestimmungen des Tir. Raumordnungsgesetzes (TROG) - in der damals geltenden Fassung vor der Nov. LGBl. 88/1983 - erlassen worden.

Diesen Flächenwidmungsplan bekämpfen die beiden Antragsteller als anteilige Eigentümer an dem Grundstück Nr. 727/9, EZ 604 II KG Söll, gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG insoweit, als für das genannte Grundstück die Widmung Freiland festgelegt worden ist, und beantragen die Aufhebung des Flächenwidmungsplanes hinsichtlich dieses Grundstückes.

Die Antragsteller begründen - nach näherer Darlegung der Voraussetzungen für ihre Antragslegitimation - ihr Begehren damit, das Grundstück sei seit 18. März 1966 Bauland mit der Widmung "gemischtes Wohngebiet mit offener Bauweise" gewesen und sei von drei Seiten durch Gebäude begrenzt; auf der vierten Seite befinde sich eine Straße. Im Zeitraum zwischen Juni 1980 und September 1981 hätten im Rahmen eines Straßenbauvorhabens der Gemeinde (ergebnislose) Verhandlungen mit den Antragstellern über die Abtretung eines 700 Quadratmeter großen Teiles des Grundstückes 727/9 an die Gemeinde stattgefunden. Der Bürgermeister habe den Antragstellern mitgeteilt, daß es Absicht der Gemeinde Söll sei, auf die Antragsteller "im Rahmen der Flächenwidmung etwas Druck auszuüben", damit sie der Abtretung der benötigten Grundflächen eher zustimmten. Im Antrag werden die Bedenken gegen die bekämpfte Widmung wie folgt zusammengefaßt:

"1) Es liegt keinerlei - zumindest vom Tiroler Raumordnungsgesetz anerkannter - wichtiger Grund für die gegenständliche Umwidmung unseres Grundstückes vor, das seit dem 18. 3. 1966 als Bauland gewidmet war;

2) die durchgeführte Umwidmung widerspricht den Zielen der örtlichen Raumordnung gemäß §8 Tiroler Raumordnungsgesetz, weil es einer geordneten baulichen Entwicklung wohl kaum dienlich ist und auch sicher nicht zur 'bestmöglichen Anordnung und Gliederung des Baulandes' führt, wenn ein von drei Seiten von Bauland und an der vierten Seite von einer Straße umgebenes Grundstück plötzlich von Bauland in Freiland umgewidmet wird;

3) von der Gemeinde Söll wurde keinerlei Interessensabwägung gemäß §28 Abs2 Tiroler Raumordnungsgesetz vorgenommen und nicht darauf Bedacht genommen, daß die durchgeführte Änderung unsere wesentlichen privaten Interessen aufs schwerste beeinträchtigt."

2. Die Tir. Landesregierung und der Gemeinderat von Söll haben in Äußerungen die Abweisung des Antrages begehrt und die bekämpfte Widmung ausschließlich mit dem Baulandüberhang in der Gemeinde Söll verteidigt. Im Flächenwidmungsplan habe eine erhebliche Reduzierung des früheren Baulandes vorgenommen werden müssen; davon sei auch das Grundstück der Antragsteller betroffen gewesen. Der Gemeinderat habe ausschließlich aus Überlegungen wegen des großen Baulandüberhanges, in welchen die Gemeinde seitens des planenden Architekten und der für die örtliche Raumordnung zuständigen technischen Abteilung beim Amt der Landesregierung bestärkt worden seien, das Grundstück 727/9 als Freiland gewidmet und nicht wegen allfälliger Differenzen zwischen den Antragstellern und der Gemeinde.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig (zur Anfechtbarkeit von Flächenwidmungsplänen in Tirol durch den Grundeigentümer s. VfSlg. 9260/1981).

2. Zunächst sei bemerkt, daß bei der erstmaligen Erlassung eines Flächenwidmungsplanes nach den Bestimmungen des TROG dessen §28 betreffend Änderung eines Flächenwidmungsplanes nicht anzuwenden ist (s. hiezu VfSlg. 9951/1984 betreffend den Flächenwidmungsplan Aldrans).

3. Das sich auf §8 sowie auf §9 TROG stützende Antragsvorbringen ist berechtigt.

a) Wie den Verordnungsakten zu entnehmen ist, befindet sich das Grundstück 727/9 an einer Straße südlich des Ortskerns (Kerngebiet) von Söll, nicht weit von diesem entfernt. Das Gebiet in unmittelbarer Nähe nördlich des Grundstückes (also zwischen dem Grundstück und dem Ortskern) weist die Widmung Bauland-Mischgebiet (Fremdenverkehrsgebiet) iS des §14 Abs2 litb TROG auf.

b) Es trifft zu, daß sich die bezughabende - vor Inkrafttreten des bekämpften Flächenwidmungsplanes als Bauland gewidmet gewesene - Liegenschaft schon infolge ihrer oben beschriebenen Lage an sich zu einer Widmung als Bauland in technischer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht (§11 Abs1 erster Satz TROG) eignet. Es trifft ebenso zu, daß die bereits vorgegebene Widmung der Liegenschaft bei der Bestandsaufnahme zu berücksichtigen ist (§9 Abs1 TROG, s. hiezu auch die EB zur RV des TROG 1972, S 7).

Andererseits hat sich das Ausmaß des Baulandes nach dem in der Gemeinde in absehbarer Zeit bestehenden Bedarf zu richten (§11 Abs1 zweiter Satz TROG). Ziel der örtlichen Raumordnung ist nach §8 Abs2 TROG ua. die bestmögliche Anordnung und Gliederung des Baulandes (lita).

c) Der Verordnungsgeber hat sich bei der hier bekämpften Widmung ausschließlich auf den - in den Verordnungsakten näher begründeten - Baulandüberhang in der Gemeinde Söll berufen. Der VfGH hat aber in seinem Erk. VfSlg. 9975/1984 (betreffend den Flächenwidmungsplan Kirchberg in Tirol) ausgesprochen, daß die Notwendigkeit einer Reduzierung des Baulandes es allein (noch) nicht rechtfertigt, ein beliebiges Grundstück unter Berufung auf den zweiten Satz des §11 Abs1 TROG in Freiland zu widmen. Der VfGH hat in diesem Erk. auch darauf hingewiesen, daß die bisherige Widmungsart und Nutzung zweifellos zu den bei der Bestandsaufnahme bedeutsamen Gegebenheiten (§9 Abs1 TROG) gehöre.

Es ist nicht erkennbar und wurde auch nicht vorgebracht, daß der Gemeinderat von Söll diese Gegebenheiten bei seiner Entscheidung mitberücksichtigt oder eine Abwägung in der Richtung vorgenommen hat, ob die Widmung des vorliegenden Grundstückes als Freiland in bezug auf dessen Lage der bestmöglichen Anordnung und Gliederung des Baulandes (§8 Abs1 lita TROG) entspricht. Der Gemeinderat hat offensichtlich - wie bereits ausgeführt - der Festlegung der Widmungsart in unzulässiger Weise ausschließlich den in der Gemeinde vorhandenen Baulandüberhang zugrundegelegt.

4. Damit erweist sich der Flächenwidmungsplan im bekämpften Umfang als gesetzwidrig und ist deshalb aufzuheben.

Bei Erlassung des insoweit neu zu beschließenden Flächenwidmungsplanes wird der Gemeinderat alle oben angeführten (und allenfalls auch weitere) Gründe abzuwägen und hiebei gegebenenfalls entweder dieselbe Widmung wie bisher oder eine andere Widmung des Grundstückes festzulegen haben.

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:V41.1982

Dokumentnummer

JFT_10158871_82V00041_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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