Index
80 Land-und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzBeachte
s. Kundmachung Nö. LGBl. 6500-5 am 26. März 1985; vgl. den Anlaßfall B325/79 vom 2. März 1985Leitsatz
B-VG; Regelung des Rechtes zum freien Betreten des Waldes fällt gemäß Art10 Abs1 Z6 ("Forstwesen") in die Zuständigkeit des Bundes; keine Zuordnung zum "Zivilrechtswesen"; Verpflichtung des Gesetzgebers zur Bedachtnahme auf die vom Gesetzgeber der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft kompetenzgemäß wahrgenommenen Interessen, insoweit, als die Gesetze der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft ihrerseits die Rücksichtnahmepflicht nicht verletzen (Berücksichtigungsprinzip); bei Prüfung der Einhaltung der Rücksichtnahmepflicht sind die Normen beider Gesetzgeber präjudiziell Forstgesetz 1975; nur forstrechtliche Vorschriften über das Betreten des Waldes in §§33 und 34; Anordnung verwaltungsrechtlicher Sperren anderer Art durch andere Gesetzgeber nicht ausgeschlossen Nö. Jagdgesetz 1974; Verletzung der verfassungsgesetzlichen Rücksichtnahmepflicht in §94 Abs4 durch die exzessive Bevorrangung von jagdwirtschaftlichen und wildbiologischen Interessen durch den Landesgesetzgeber gegenüber den vom Bundesgesetzgeber wahrgenommenen Interessen der Erholungsfunktion des WaldesSpruch
I. §33 Abs1 bis 3 und §34 des Forstgesetzes 1975, BGBl. 440, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
II. 1. Im §94 Abs4 des Nö. Jagdgesetzes 1974, LGBl. 6500-2, werden die Worte "Jagd- und" als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1985 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
2. Im übrigen wird das Verfahren zur Prüfung des Nö. Jagdgesetzes eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.
A. 1. Beim VfGH ist zu Z B325/79 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Die Nö. Landesregierung hat mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 12. Juli 1979 den Bf. schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §94 Abs4 iVm. §135 Abs1 Z19 den Nö. Jagdgesetzes 1974, LGBl. 6500-2, (im folgenden: Nö. JagdG) begangen zu haben, daß er am 13. Mai 1979 ein näher bezeichnetes, mit behördlicher Bewilligung gesperrtes Jagdgehege betreten habe. Dem Bf. wurde gemäß §21 VStG 1950 eine Ermahnung erteilt. Dieser Bescheid bildet den Gegenstand des oben zitierten verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens.
2. Der VfGH hat gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, aus Anlaß der erwähnten Beschwerde von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des §94 Abs4 Nö. JagdG sowie des §33 Abs1 bis 3 und des §34 des Forstgesetzes 1975, BGBl. 440, (im folgenden: ForstG 1975) zu prüfen.
B. 1. Die in Prüfung gezogene landesgesetzliche Bestimmung steht in folgendem Zusammenhang:
Dem §7 Abs1 Nö. JagdG zufolge bildet eine zusammenhängende Grundfläche von mindestens 115 ha, welche im Hinblick auf ihre Gestaltung und den Pflanzenbewuchs eine jagdliche Wildhege erwarten läßt und die gegen das Ein- und Auswechseln von Wild gegenüber allen benachbarten Grundstücken vollkommen abgeschlossen ist, ein Jagdgehege.
Gemäß §7 Abs2 leg. cit. bilden abgeschlossene Flächen geringeren Ausmaßes, auf denen vom Grundeigentümer Wild gehalten wird und die der Schau oder Zucht von Wild dienen, Schau- und Zuchtgehege. Die Anlage von Schau- und Zuchtgehegen bedarf der Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde.
§94 Abs4 Nö. JagdG lautet:
"Jagd- und Zuchtgehege können vom Jagdausübungsberechtigten unter Bedachtnahme auf die im Abs3 angeführten Ausnahmen gesperrt werden, wenn aus Gründen des Zuchterfolges oder der Sicherheit von Personen eine Sperre erforderlich ist. Die Sperre bedarf der Bewilligung durch die Bezirksverwaltungsbehörde. Wenn sich die Sperre auf regelmäßig innerhalb eines Jahres wiederkehrende Zeiträume beziehen soll, kann die Bewilligung auch zugleich mit der Bewilligung gemäß §7 auf die Dauer des Bestandes des Geheges erteilt werden. Die Sperre solcher Gehege sowie die Sperre des Wildfütterungsbereiches ist vom Jagdausübungsberechtigten durch Hinweise an der Einfriedung sowie durch Hinweise an den zu den Futterstellen führenden Straßen, Wegen und Steigen kundzumachen. Die Art der Hinweise für diese Sperren hat die Landesregierung im Verordnungswege zu bestimmen."
Gemäß §135 Abs1 Z19 bzw. Z23 Nö. JagdG, LGBl. 6500-2 bzw. 6500-3, begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ein gesperrtes Jagdgebiet betritt oder dieses nach Aufforderung nicht unverzüglich verläßt (§94).
2. §33 Abs1 bis 3 und §34 ForstG 1975 bestimmen:
"Arten der Benützung
§33. (1) Jedermann darf, unbeschadet von Bestimmungen der Abs2 und 3 und des §34, Wald zu Erholungszwecken betreten und sich dort aufhalten.
(2) Zu Erholungszwecken gemäß Abs1 dürfen nicht benützt werden:
a) Waldflächen, für die die Behörde ein Betretungsverbot aus den Gründen des §28 Abs3 litd, §41 Abs2 oder §44 Abs7 verfügt hat,
b) Waldflächen, mit forstbetrieblichen Einrichtungen, wie Forstgärten und Saatkämpe, Holzlager- und Holzausformungsplätze, Material- und Gerätelagerplätze, Gebäude, Betriebsstätten von Bringungsanlagen, ausgenommen Forststraßen, einschließlich ihres Gefährdungsbereiches,
c) Wiederbewaldungsflächen sowie Neubewaldungsflächen, diese unbeschadet des §4 Abs1, solange deren Bewuchs eine Höhe von drei Metern noch nicht erreicht hat.
(3) Eine über Abs1 hinausgehende Benützung, wie ein Lagern über den Tag hinaus, ein Zelten, Befahren oder Reiten, ist nur mit Zustimmung des Waldeigentümers, hinsichtlich der Forststraßen mit Zustimmung jener Person, der die Erhaltung der Forststraße obliegt, zulässig. Die Zustimmung kann auf bestimmte Benützungsarten oder -zeiten eingeschränkt werden. Sie gilt als erteilt, wenn die Zulässigkeit der Benützung und deren Umfang im Sinne des §34 Abs10 ersichtlich gemacht wird.
(4) ..."
"Benützungsbeschränkungen
§34. (1) Unbeschadet der Bestimmungen des §33 Abs2 darf Wald von der Benützung zu Erholungszwecken vom Waldeigentümer befristet (Abs2) oder dauernd (Abs3) ausgenommen werden (Sperre).
(2) Befristete Sperren sind nur zulässig für folgende Flächen:
a) Baustellen von Bringungsanlagen und anderen forstbetrieblichen Hoch- und Tiefbauten;
b) Gefährdungsbereiche der Holzfällung und -bringung bis zur Abfuhrstelle auf die Dauer der Holzerntearbeiten;
c) Waldflächen, in denen durch atmosphärische Einwirkungen Stämme in größerer Anzahl geworfen oder gebrochen wurden und noch nicht aufgearbeitet sind, bis zur Beendigung der Aufarbeitung;
d) Waldflächen, in denen Forstschädlinge bekämpft werden, solange es der Bekämpfungszweck erfordert;
e) Wildwintergatter, die dem Schutz des Waldes vor Wildschäden dienen, soweit ihr Ausmaß bei einem Jagdgebiet bis zu 800 ha 25 ha und bei einem Jagdgebiet über 800 ha 3% dieser Fläche nicht übersteigt;
f) Waldflächen, wenn und solange sie wissenschaftlichen Zwecken dienen und diese ohne Sperre nicht erreicht werden können.
(3) Dauernde Sperren sind nur zulässig für Waldflächen, die
a) aus forstlichen Nebennutzungen entwickelten Sonderkulturen, wie der Christbaumzucht, gewidmet sind;
b) der Besichtigung von Tieren und Pflanzen, wie Tiergärten oder Alpengärten, oder besonderen Erholungseinrichtungen, ohne Rücksicht auf eine Eintrittsgebühr gewidmet sind;
c) der Waldeigentümer sich oder seinen Beschäftigten im engeren örtlichen Zusammenhang mit ihren Wohnhäusern vorbehält und die insgesamt 5% von dessen Gesamtwaldfläche, höchstens aber 15 ha, nicht übersteigen; bei einer Gesamtwaldfläche unter 10 ha dürfen bis zu 0.5 ha gesperrt werden.
(4) Beabsichtigt der Waldeigentümer aus den Gründen des Abs3 eine dauernde Sperre von Waldflächen, deren Ausmaß 5 ha übersteigt, so hat er hiefür bei der Behörde die Bewilligung zu beantragen. In dem Antrag sind die Grundstücksnummern und der Sperrgrund anzugeben. Dem Antrag ist eine Lageskizze anzuschließen.
(5) Wald, der von der Benützung zu Erholungszwecken ausgenommen wird, ist in den Fällen
a) des Abs1 und des §33 Abs2 litb vom Waldeigentümer,
b) des §33 Abs2 lita von der Behörde
zu kennzeichnen. Flächen gemäß §33 Abs2 litc, sowie Flächen, hinsichtlich derer eine Kundmachung nach §41 Abs3 erlassen worden ist, bedürfen keiner Kennzeichnung.
(6) Die Kennzeichnung gemäß Abs5 ist mittels Hinweistafeln an jenen Stellen, wo öffentliche Straßen und Wege, markierte Wege und Forststraßen in die zu kennzeichnende gesperrte Flächen führen, anzubringen.
(7) Ist die Benützung einer Waldfläche zu Erholungszwecken aus den in Abs2 und 3 im §33 Abs2 lita und b angeführten Gründen nicht zulässig, so erstreckt sich die Sperre
a) in den Fällen des Abs2 lita bis d sowie des §33 Abs2 lita auch auf alle durch die Waldfläche führenden nicht öffentlichen Wege,
b) in den Fällen des Abs2 lite und f, des Abs3 sowie des §33 Abs2 litb aufnichtöffentliche Wege, jedoch unbeschadet bestehender Benützungsrechte.
(8) Im Fall einer Sperre gemäß Abs3 hat der Waldeigentümer die Umgehung der gesperrten Fläche zu ermöglichen; erforderlichenfalls hat er geeignete Umgehungswege anzulegen. Ist dies nach der Lage der gesperrten Waldfläche nicht möglich, so hat er, im Falle die Sperre durch Beschilderung gekennzeichnet ist, die Möglichkeit der Benützung der durch die gesperrte Waldfläche führenden Wege durch Hinweistafeln zu kennzeichnen, im Falle die Waldfläche eingezäunt ist, diese Möglichkeit durch Überstiege oder Tore zu gewährleisten.
(9) Innerhalb von Waldflächen, die wegen einer Sperre gemäß Abs1 oder eines Betretungsverbotes gemäß §33 Abs2 litc zu Erholungszwecken nicht benützt werden dürfen, dürfen Wege, soweit sie nicht bereits gemäß Abs7 in die Sperre miteinbezogen sind, nicht verlassen werden.
(10) Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft hat durch Verordnung die Arten der Kennzeichnung, Form und Wortlaut von Hinweistafeln sowie die Art der Ersichtlichmachung näher zu regeln. Auf den Hinweistafeln ist jedenfalls auch darauf zu verweisen, daß mit besonderen Gefahren durch Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung gerechnet werden muß."
Die Errichtung von Sperren entgegen den Vorschriften des §34 Abs2 bis 4 ist gemäß §174 Abs1 litb Z5 ForstG 1975 als Verwaltungsübertretung strafbar.
C. Der VfGH hat in dem dieses Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschluß seine Bedenken wie folgt umschrieben:
"...
III. ...
1. §94 Abs4 Nö. JagdG ermöglicht die Sperre aller mindestens 115 ha umfassenden Gebiete, sofern sie bestimmte Erfordernisse erfüllen (§7 Abs1 Nö. JagdG), sowie aller Gebiete, die der Schau und der Zucht von Wild dienen (§7 Abs2 Nö. JagdG). Damit scheint erlaubt zu werden, relativ große und viele Gebiete für die Öffentlichkeit zu sperren. Bei diesen Gebieten handelt es sich offenbar zwar nicht ausschließlich, aber doch vornehmlich um Waldflächen, sind doch Jagdgebiete praktisch zu einem wesentlichen Teil Wald (vgl. §§1 ff. Nö. JagdG). Der VfGH geht daher vorläufig davon aus, daß es die zitierte jagdrechtliche Bestimmung ermöglicht, allen jagdfremden Personen das Betreten von Wald in bedeutendem Umfang - unter Strafsanktion - zu verbieten.
§33 Abs1 des ForstG hingegen gestattet jedermann, den Wald zu betreten; das Bundesrecht verpflichtet gleichfalls unter Strafsanktion die Eigentümer von Wäldern, diese grundsätzlich frei zugänglich zu halten. Eine ausnahmsweise Sperre des Waldes nach dem ForstG ist anscheinend nur aus den im ForstG (§33 Abs2 und 3 sowie §34) taxativ aufgezählten Gründen zulässig. Unter diesen Voraussetzungen finden sich - allenfalls mit Ausnahme des §34 Abs3 litb - solche, die dem §94 Abs4 Nö. JagdG enstprechen, nicht.
Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß dieser Normwiderspruch (zunächst - nämlich vorbehaltlich einer allfälligen Aufhebung durch den VfGH) nach der Regel 'lex posterior derogat legi priori' gelöst werden kann, daß also der 1977 erlassene §94 Abs4 Nö. JagdG den §§33 ff. ForstG 1975 vorgeht.
Die bei Entscheidung über die vorliegende Beschwerde maßgebende Rechtsgrundlage scheint sohin ua. §94 Abs4 Nö. JagdG zu sein; der VfGH hätte diese Bestimmungen also in diesem - offenbar zulässigen - Beschwerdeverfahren anzuwenden.
Die unten stehende, vorläufig angenommene Verfassungswidrigkeit hat ihren Sitz anscheinend in dieser Bestimmung; sie könnte durch Aufhebung dieser Vorschrift - die eine untrennbare Einheit bilden dürfte - beseitigt werden.
§94 Abs4 Nö. JagdG dürfte sohin in diesem Beschwerdeverfahren präjudiziell sein.
2. Der VfGH hat gegen §94 Abs4 Nö. JagdG primär folgende Bedenken:
a) Die in der vorstehenden Z1 erwähnte Methode, das geschilderte Problem hier derart zu lösen, daß §94 Abs4 Nö. JagdG §33 Abs1 ForstG 1975 partiell verdrängt hat, führt aber anscheinend dazu, daß es der Gesetzgeber, der jeweils zuletzt die Norm erläßt, in der Hand hätte, seinem Gesetz den Vorrang zu verschaffen (vgl. hiezu Pernthaler, Militärisches Sperrgebiet und Naturschutz, ZfV 1977, S 1 ff., insbes.
S 8).
Ein derartiges Ergebnis kann offensichtlich von der Bundesverfassung nicht gewollt sein.
Es liegt vielmer die Annahme nahe, daß bei einem solchen (zunächst entstandenen) Normwiderspruch zwischen Bundesgesetz und Landesgesetz entweder der eine oder der andere Gesetzgeber seine Kompetenz überschritten hat.
Wie der VfGH wiederholt dargetan hat, sind in der Bundesverfassung konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen nicht vorgesehen; daher kann ein und dieselbe Materie nur einem einzigen Kompetenztatbestand zugeordnet werden; doch wird damit nicht ausgeschlossen, daß ein und dasselbe Sachgebietnachverschiedenen Gesichtspunkten geregelt werden kann (vgl. zB schon VfSlg. 2674/1954; siehe weiters VfSlg. 8831/1980 und VfGH 1. 3. 1982 KII-4/79).
aa) Nach Art10 Abs1 Z10 B-VG fällt das 'Forstwesen' in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Dieser Kompetenztatbestand umfaßt alle auf die Pflege, Erhaltung und auf den Schutz des Waldbestandes Bezug habenden Vorkehrungen, daher im besonderen auch die zur Verhütung und Bekämpfung von Waldbränden erforderlichen Maßnahmen (Rechtssatz des VfGH Slg. 2192/19851; BGBl. 252/1951).
Die hier zu lösende besondere Frage, ob die Regelung der Zulässigkeit, den Wald zu betreten, zum 'Forstwesen' zählt, ist nach diesem (auf Verfassungsstufe stehenden) Rechtssatz nicht eindeutig zu beantworten. Es ist daher im Sinne der sogenannten 'Versteinerungstheorie' (vgl. zB VfSlg. 2721/1954, 6137/1970, 7709/1975) zu untersuchen, ob die Zulässigkeit des Betretens des Waldes zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel (1. Oktober 1925) in der Rechtsordnung im Zusammenhang mit dem Forstwesen geregelt war.
Damals galten neben dem Forstgesetz, Kaiserliches Patent vom 3. Dezember 1852, RGBl. 250, (ReichsforstG 1852) zahlreiche forstrechtliche Landesgesetze.
Eine dem §33 Abs1 FostG 1975 gleiche Bestimmung findet sich darin nicht. Das ReichsforstG 1852 besagte darüber, ob es gestattet ist, den Wald zu betreten, nichts Ausdrückliches. §55 Abs1 ReichsforstG 1852 verpflichtete jedoch das Forstschutzpersonal, jeden außer den öffentlichen Wegen im Forst Betretenen, wenn sein Aufenthalt im Walde zu Besorgnissen für die öffentliche Sicherheit oder das Waldeigentum Anlaß gibt, aus dem Forst hinauszuweisen. Daraus scheint sich zu ergeben, daß das ReichsforstG 1852 stillschweigend davon ausging, an sich dürfe jedermann den Wald betreten (vgl. Gschnitzer, Sachenrecht, 1968, S 67; Gschnitzer, Gibt es noch Gewohnheitsrecht?, Verhandlungen des 3. Österr. Juristentages 1967, II/624-43; Gschnitzer nahm ein allgemeines Recht zum Betreten des Waldes schon vor dem Inkrafttreten des ForstG 1975 an).
In den Bundesländern Kärnten (LGBl. 17/1923), Oberösterreich (LGuVGl. 93/1921), Salzburg (LGBl. 122/1920) und Steiermark (LGuVGl. 107/1922) standen - bis zum erwähnten Stichtag 1. Oktober 1925 als Landesgesetze, seither als partielle Bundesgesetze geltende (teilweise materielles Forstrecht enthaltende) - Normen über die Wegefreiheit im Bergland in Kraft, die den freien Zugang zu den Bergen durch den Wald vorsahen.
Der VfGH nimmt (primär) vorläufig an, daß nach dem Stand der Rechtsordnung am 1. Oktober 1925 und wegen der Zulässigkeit einer 'intrasystematischen Fortbildung' (vgl. zB VfSlg. 3393/1958, 6137/1970, 8337/1978) (das ForstG 1975 scheint erstmals ausdrücklich auch die Erholungsfunktion des Waldes zu berücksichtigen) die in den §§33 und 34 ForstG 1975 enthaltene Regelung des Rechtes, den Wald zu betreten und zu begehen, zum 'Forstwesen' gehört und daher gemäß Art10 Abs1 Z10 B-VG vom Bund getroffen werden durfte. Zwar beschränken die §§33 ff. ForstG 1975 im Sinne des §364 Abs1 ABGB das im §354 dieses Gesetzes normierte Recht jedes Eigentümers, andere von der Benützung seines Eigentums auszuschließen.
Eigentumsbeschränkungen und überhaupt Eingriffe in ein Privatrecht können aber nach der Judikatur des VfGH (zBv VfSlg. 2658/1954, 4605/1963, 6344/1970) auch durch öffentlich-rechtliche Vorschriften statuiert werden, die anscheinend nicht unter dem Kompetenztatbestand 'Zivilrechtswesen' fallen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß nach dieser vorläufigen Annahme der Bund zur Erlassung der §§33 ff. ForstG 1975 auf Grund des Kompetenztatbestandes 'Forstwesen' (Art10 Abs1 Z10 B-VG) kompetent gewesen zu sein scheint.
Die Konsequenzen für den Fall, daß diese (primäre) Ausgangsposition nicht zutrifft, sondern die zitierten forstgesetzlichen Bestimmungen dem 'Zivilrechtswesen' (Art10 Abs1 Z6 B-VG) zuzuordnen sind, werden unter III.4. behandelt.
bb) Die Generalkompetenz zur Gesetzgebung liegt nach dem System der Bundesländerverfassung bei den Ländern. Von der Zuständigkeit der Bundesländer sind nur diejenigen Angelegenheiten ausgenommen, welche ausdrücklich in die Zuständigkeit des Bundes verwiesen sind (vgl. zB VfSlg. 8831/1980).
Dies könnte auch anders so ausgedrückt werden, daß den Ländern die Restkompetenz zukommt; alle vom Bund zu regelnden Angelegenheiten fallen nicht in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Daraus könnte gefolgert werden, daß dann, wenn der Bundesgesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Kompetenz einen bestimmten Lebenssachverhalt zu regeln befugt war, dem Landesgesetzgeber von vornherein die Zuständigkeit zur Regelung desselben Lebenssachverhaltes mangelt.
Sollte diese Annahme zutreffen, ergäbe sich - unter der Prämisse der Verfassungsmäßigkeit des ForstG 1975 - anscheinend, daß der Landesgesetzgeber nicht eine - im Gegensatz zu den §§33 ff. FostG 1975 stehende - Sperre des Waldes verfügen oder ermöglichen (und so das Betreten des gesperrten Waldgebietes verbieten) darf.
cc) Die erwähnte Annahme steht jedoch in Widerspruch zur sogenannten 'Gesichtspunkttheorie', wonach es die Bundesverfassung nicht ausschließt, einen Lebenssachverhalt unterverschiedenen, sich aus bestimmten Sachgebieten ergebenden Gesichtspunkten zum Gegenstand mehrerer gesetzlicher Regelungen zu machen, auch wenn sich diese aufverschiedene kompetenzrechtliche Grundlagen stützen (vgl. zB VfSlg. 8831/1980 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
Sollte sich sohin die in der vorstehenden sublitbb) enthaltene Prämisse als unrichtig erweisen, so wäre wohl davon auszugehen, daß der Landesgesetzgeber nach Art15 Abs1 B-VG berufen ist, die Ausübung der Jagd umfassend zu regeln, also auch eine Sperre des Waldes zu verfügen (vgl. zB VfSlg. 1712/1948, 4348/1963, 6828/1972, 8849/1980, 8989/1980).
Wenn die 'Gesichtspunktetheorie' aufrechterhalten wird, scheint sich dann aber zu ergeben, daß der Landesgesetzgeber als Jagdgesetzgeber gemäß Art15 Abs1 B-VG (zunächst) zuständig war, unter dem Gesichtspunkt (im Interesse) der Jagd eine Sperre von Gebieten (vornehmlich von Wäldern) und das Verbot, sie zu betreten, vorzusehen.
b) aa) Wenn das vorstehende Zwischenergebnis (daß nämlich der Bundesgesetzgeber zur Erlassung der §§33 ff. FostG 1975 und der Nö. Landesgesetzgeber zur Erlassung des §94 Abs4 Nö. JagdG - bei isolierter Betrachtung des Art10 Abs1 Z10 und des Art15 Abs1 B-VG - zuständig waren) zutreffen sollte, enthält die Bundesverfassung anscheinend eine andere (grundsätzliche) Anordnung, die es ermöglicht, die oben unter III.2.a (einleitend) dargestellte Problematik zu lösen.
bb) Nach dem Berücksichtigungsprinzip (vgl. zB VfSlg. 3163/1957, 4486/1963, 7138/1973, 8831/1980; siehe Mayer, Ein 'Umweltanwalt' im österreichischen Recht, JBl. 1982, S 118 f.) ist es zwar zulässig, daß der Landesgesetzgeber bei der Regelung der Materie alle öffentlichen Zwecke und daher auch die des Bundes berücksichtigt; dies gilt auch umgekehrt für den Bundesgesetzgeber. Anscheinend aber ist es nicht zulässig, unter dem Titel der 'Berücksichtigung' kompetenzfremder Gesichtspunkte deren 'Regelung' vorzunehmen (vgl. Mayer, aaO, S 119) oder gar die vom gegenbeteiligten Gesetzgeber verfolgten Ziele zu unterlaufen.
cc) Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 8831/1980 folgendes dargetan:
'Die vom bundesstaatlichen Prinzip her gebotene Trennung der Gesetzgebung in eine solche des Bundes und in eine solche der Länder verhält aber jeden zuständigen Gesetzgeber, bei seiner Regelung alle in Betracht kommenden Rechtsvorschriften der gegenbeteiligten Gebietskörperschaften zu berücksichtigen.' (Vgl. auch VfSlg. 3163/1957.)
Dieser Gedanke - daß nämlich Bund und Land verpflichtet sind, bei Regelung der ihnen übertragenen Sachgebiete auf die nach der bundesverfassungsgesetzlichen Kompetenzverteilung von der anderen Gebietskörperschaft wahrzunehmenden Interessen Rücksicht zu nehmen - scheint ein tragendes, der Bundesverfassung innewohnendes Prinzip zu sein (siehe Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, Wien 1982, S 144:
'... Eine Verpflichtung zur wechselseitigen Treue von Bund und Ländern kann aber aus dem Grundsatz der exklusiven Trennung der Aufgabenbereiche iVm dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Gleichheitssatz) in dem Sinne abgeleitet werden, daß sich Bund und Länder bei der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten nicht so verhalten dürfen, daß daraus eine sachlich nicht gerechtfertigte Behinderung der gegenbeteiligten Kompetenzausübung ensteht.' (Vgl. auch Pernthaler, aaO, S 5.)
Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu erörtern sein, ob diese Annahme zutrifft, bejahendenfalls, ob sich diese dem Gesetzgeber der einen Gebietskörperschaft obliegende Rücksichtnahme-Verpflichtung auch auf die Wahrung von Interessen bezieht, die vom zuständigen Gesetzgeber der anderen Gebietskörperschaft noch gar nicht geschützt wurden.
Der VfGH nimmt vorläufig an, daß §94 Abs4 Nö. JagdG den vom ForstG 1975 - wenngleich nicht ausnahmslos - angeordneten Grundsatz der Öffnung des Waldes unterläuft, obgleich zumindest derart weitgehende Ausnahmen von diesem Grundsatz aus Interessen der Jagd nicht erforderlich zu sein scheinen; daß diese Bestimmung sohin die gebotene zumutbare Rücksichtnahme auf die Interessen des Bundes als Forstgesetzgeber vermissen läßt.
3. a) Den Landesgesetzgeber dürfte aber diese Verpflichtung nur dann treffen, wenn die bundesgesetzlichen Vorschriften (hier jene des ForstG 1975), auf die Rücksicht zu nehmen er anscheinend gehalten ist, verfassungsmäßig sind.
Dann aber hätte der VfGH wohl auch zu untersuchen, ob die in Betracht kommenden forstgesetzlichen Bestimmungen, die Maßstab dafür sind, ob das Land seiner - vorläufig angenommenen - Rücksichtnahme-Verpflichtung nachgekommen ist, verfassungskonform sind. Es sind dies die Vorschriften des ForstG 1975, die das grundsätzlich unbeschränkte, jedermann zustehende Recht, den Wald zu Erholungszwecken zu betreten, statuieren (§33 Abs1) sowie jene, die Ausnahmen hievon vorsehen (§33 Abs2 und 3 sowie §34).
Der VfGH hätte daher diese Gesetzesstellen iS des Art140 Abs1 B-VG anzuwenden.
b) Gegen sie hat der VfGH das Bedenken, daß sie ihrerseits nicht die vom Landesgesetzgeber kompetenzmäßig zu wahrenden Interessen in ausreichendem Maß berücksichtigen, da sie von der Freiheit, den Wald zu betreten, keinerlei Vorbehalte (Ausnahmen) zugunsten der Jagdausübung vorsehen, obgleich derartige Belang durch das in dieser Hinsicht unbeschränkte Betretungsrecht offenbar beeinträchtigt werden können.
4. Wenn sich - entgegen der obigen (III.2.a.aa) Prämisse (daß nämlich die §§33 ff. ForstG 1975 im Kompetenztatbestand 'Forstwesen' Deckung finden) - ergeben sollte, daß diese Vorschriften des ForstG 1975 ihre Deckung im Kompetenztatbestand 'Zivilrechtswesen' (Art10 Abs1 Z6 B-VG) finden, hat der VfGH die folgenden (sekundären) Bedenken:
Für diese andere Ausgangsposition könnte ins Treffen geführt werden, daß die §§33 ff. ForstG 1975 in erster Linie die Rechte und Pflichten der Bürger unter sich (§1 ABGB) regeln; ferner daß historisch die Zulässigkeit des Betretens der Wälder mitunter aus dem ABGB erklärt wurde (vgl. Bobek - Plattner - Reindl, Forstgesetz 1975, Wien 1977, Anm. 1 zu §33 ForstG).
Sollte diese Annahme richtig sein, so schränken die §§33 ff. ForstG 1975 als zivilrechtliche Normen das Recht des Waldeigentümers auf ausschließliche Benützung ein. Dann dürften die Länder aber gemäß Art15 Abs9 B-VG hievon nur dann abweichende Bestimmungen treffen, wenn dies zur Regelung des Gegenstandes erforderlich ist.
Der VfGH nimmt vorläufig an, daß zumindest eine derart weitgehende Abweichung, wie sie §94 Abs4 Nö. JagdG vornimmt, zur Regelung des Jagdwesens nicht erforderlich war.
Dann aber war der Landesgesetzgeber nicht zuständig, diese zivilrechtliche Norm zu erlassen."
D. Der VfGH hat wegen der allgemeinen und besonderen Bedeutung der im Zuge dieses Gesetzesprüfungsverfahrens zu klärenden Rechtsfragen nicht bloß die zur Vertretung der in Prüfung gezogenen Vorschriften des Nö. JagdG und des ForstG 1975 berufenen Regierungen (nämlich die Nö. Landesregierung und die Bundesregierung) aufgefordert, Äußerungen zu erstatten, sondern hat auch die übrigen Landesregierungen zur Abgabe von Stellungnahmen eingeladen. Von dieser Möglichkeit haben die Ktn., Sbg., Tir., Vbg. und Wr. Landesregierung Gebrauch gemacht.
In den Äußerungen wird ausgeführt:
1. Die Niederösterreichische Landesregierung beantragt, der VfGH wolle aussprechen, daß §94 Abs4 Nö. JagdG nicht verfassungswidrig ist.
Sie begründet dies wie folgt:
"1. ..." (Zusammenfassende Wiedergabe der Begründung des Einleitungsbeschlusses).
"2. Zu den Prozeßvoraussetzungen wird bemerkt, daß die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Verwaltungsübertretung des §135 Abs1 Z19 Nö. JG (Nö. Jagdgesetz) erfolgte. Nach §135 Abs1 Z19 Nö. JG, LGBl. 6500-2, beging ua. eine Verwaltungsübertretung, wer ein gesperrtes Jagdgebiet betrat. Bei dem vom Beschwerdeführer betretenen Jagdgebiet handelte es sich um ein gemäß §94 Abs4 Nö. JG gesperrtes Jagdgehege, weshalb die Landesregierung im Spruch ihres Bescheides §94 Abs4 Nö. JG anführte.
Bezüglich der beiden letzten Sätze des §94 Abs4 Nö. JG die die Kundmachung der nach Abs3 und 4 verfügten Sperren regeln und eine Verordnungsermächtigung für die Landesregierung vorsehen, wird die Präjudizialität verneint, sodaß nicht der gesamte Abs4, sondern nur die ersten 3 Sätze Gegenstand des Gesetzesprüfungsverfahrens sein können.
Aus den im Unterbrechungsbeschluß angeführten Gründen werden gegen die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des ForstG keine Bedenken erhoben. Darüber hinaus müßte auch §174 Abs1 litb Z5 ForstG in das Gesetzesprüfungsverfahren einbezogen werden. Durch die Normierung dieser Verwaltungsübertretung wird eine Sperre von Wald nach einer anderen Rechtsgrundlage als dem ForstG selbst über das Verbot des §34 hinaus mit Strafe bedroht, weshalb diese Bestimmung auch der unter Punkt III 3a des Unterbrechungsbeschlusses angeführten Untersuchung zugrunde zu legen wäre.
3. Mit den §§33 ff. des ForstG wird die Erholung im Wald durch eine generelle Öffnung des Waldes für Erholungszwecke der Allgemeinheit ermöglicht. Diese Legalservitut, die grundsätzlich das Begehen des Waldes und eine Art 'kleiner Waldnutzung' zum Inhalt hat, wird durch Ausnahmen nach den Erfordernissen der Walderhaltung und des Ablaufes der forstwirtschaftlichen Arbeiten relativiert. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1266 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIII. GP) wird weiters ausgeführt, daß neben den im ForstG enthaltenen Ausnahmen 'in einer Reihe von anderen Gesetzen auf Bundes- und Landesebene weitere abweichende Regelungen des Rechtes auf freien Zugang zum Walde vorgesehen sind, bzw. vorgesehen werden können' (Seite 95).
Zu §34 Abs2 lite ForstG führen die Erläuterungen (noch zu §36 der Regierungsvorlage) aus:
'Was die Wildschäden im Wald betrifft, die durch Verbiß der Forstpflanzen und Schälen der Stämme entstehen, so sind diese bekanntlich sehr erheblich und nach verläßlichen Schätzungen mit etwa 250 Mio. Schilling jährlich zu beziffern. Es ist, wie schon im allgemeinen Teil der Erläuterungen ausgeführt wurde, dem Bundesgesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt, Regelungen über Wildschäden, und zwar über die vor allem zielführende Maßnahme einer Reduktion des Wildstandes zu treffen (vgl. Erkenntnis des VfGH Slg. 4348/1963). Es muß daher mit der Hineinnahme von technischen Maßnahmen, die ihrerseits auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, in den Entwurf das Auslangen gefunden werden. Dazu gehört zB die Anlage von Wintergattern, das sind eingezäunte Flächen meist geringeren Ausmaßes, auf die das Wild (Rotwild) für die Dauer des Winters konzentriert und gefüttert wird, wodurch Schäden auf ausgedehnten Waldflächen vermieden werden. Die wildbiologische Forschung hat weiters gezeigt, daß Wildschäden eng mit Störungen des Nahrungsaufnahmerhythmus des Wildes infolge Beunruhigung sowie mit der soziologischen Struktur des Wildstandes zusammenhängen: Rotwild reagiert durch Beunruhigung entstandenen Streß durch Schälen der Stämme ab.' (Seite 96 f.)
Mit den in Prüfung gezogenen Bestimmungen des ForstG wurde ua auch jagdfremden Personen das freie Betreten von Jagdgebieten, sofern sie Wald sind, grundsätzlich gestattet. Die zu erwartenden biologischen Auswirkungen dieser Waldöffnung auf das Wild veranlaßten den Nö. Jagdgesetzgeber zu einer Novellierung des §94 des Nö. JG durch eine Ergänzung der Abs3 und 4. Im Motivenbericht zur 2. Jagdgesetznovelle wird hiezu ausgeführt:
'Mit dem Inkrafttreten des Forstgesetzes 1975 wurde das Betreten des Waldes zu Erholungszwecken auch jagdfremden Personen grundsätzlich gestattet. Dies bedeutet nicht nur eine vermehrte Beunruhigung des Wildes und eine Einschränkung der Möglichkeit, die gesetzlich vorgeschriebenen Wildabschüsse durchzuführen, sondern unter Umständen eine Gefahr für diese Personen. Die neuen Vorschriften des §94 (das sind die Abs3 und 4) sollen sicherstellen, daß eine Gefährdung von Personen anläßlich der Durchführung von Jagden weitgehend ausgeschlossen wird. Darüber hinaus ist der Betrieb eines Zuchtgeheges, aber auch eines umzäunten Jagdgeheges nicht denkbar, wenn keine Möglichkeit bestünde, jagdfremde Personen vom Betreten solcher Gehege auszuschließen.' (Erläuterungen zu Z37 der Regierungsvorlage, Seite 8).
Es fällt hier besonders die Übereinstimmung mit den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des ForstG auf, wonach dem Forstgesetzgeber schon bei der Erlassung des ForstG die wildbiologischen Auswirkungen der mit der Waldöffnung verbundenen Beunruhigung des Wildes bekannt waren.
Gegen die 2. Novelle zum Nö. JG erhob die Bundesregierung Einspruch gemäß Art98 Abs2 B-VG und führt in seiner Begründung aus (BKA 651083/7-VI/2/76):
'Insoweit sich Jagd- und Zuchtgehege auf Waldflächen beziehen, hindert der im Gesetzesbeschluß vorgesehene §94 Abs4 die Wirksamkeit der Bestimmungen der §§33 ff. des Forstgesetzes 1975 über das Betreten des Waldes und den Aufenthalt im Wald zu Erholungszwecken.
Es sei in rechtspolitischer Hinsicht zugestanden, daß eine Sperre im Sinne eines Betretungsverbotes unter der Voraussetzung, daß eine solche Maßnahme aus Gründen des Zuchterfolges oder der Sicherheit von Personen erforderlich ist, als mit der forstrechtlichen Regelung der Erholungswirkung des Waldes im Einklang stehend angesehen werden kann.
Durch den 1. Satz des neuen §94 Abs4 werden neben den Zuchtgehegen die Jagdgehege in jene Flächen miteinbezogen, die gesperrt werden.
Hiezu ist festzuhalten, daß der 'Zuchterfolg' als Sperrgrund für Jagdgehege von vornherein ausscheidet und die 'Sicherheit von Personen' wohl nur für die Zeit der effektiven Jagdausübung einen vertretbaren Sperrgrund bilden kann, diese Einschränkung aber hier nicht gemacht wurde. Weiters muß aus dem dritten Satz dieser Bestimmung, der die Möglichkeit von jährlich wiederkehrenden Sperren vorsieht, eine mit der 'Waldöffnung' in Widerspruch stehenden Dauer sperre gesehen werden, denn die Formulierung 'Sperre auf regelmäßig innerhalb eines Jahres wiederkehrende Zeiträume' bedeutet, daß in jagdrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise während der 'Jagdzeiten' (also etwa während der Herbstmonate) und somit nicht nur während der Zeit der tatsächlichen Jagdausübung (zB Riegeljagd) Wälder für den Erholungszweck gesperrt werden.
In verfassungsrechtlicher Hinsicht sei bemerkt, daß der Bund auf Grund des Kompetenztatbestandes 'Forstwesen' im Sinne des Art10 Abs1 Z10 B-VG die Zuständigkeit in Anspruch nimmt, Regelungen zu erlassen, deren Gegenstand der Wald in Beziehung zum Waldbesucher ist. Der Gesetzesbeschluß greift in diesen Regelungsbereich ein. Die kompetenzrechtliche Situation ist Gegenstand des vor dem VfGH anhängigen Verfahrens G15/76 zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen des Forstgesetzes 1975. In diesem Verfahren hat es der VfGH ua. der Nö. Landesregierung freigestellt, eine Äußerung zu erstatten, die unter der GZ 128/37-II-1976 des Amtes der Nö. Landesregierung abgegeben wurde.
Im Hinblick auf das vor dem VfGH anhängige Verfahren möchte die Bundesregierung davon absehen, im vorliegenden Zusammenhang die Frage der verfassungsrechtlichen Kompetenz näher zu behandeln.
Es sei festgehalten, daß schon im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen, die darlegen, daß durch den vorliegenden Gesetzesbeschluß Bestimmungen der §§33 ff. des Forstgesetzes 1975 unterlaufen werden, Bundesinteressen gefährdet werden.'
Am 17. Februar 1977 beschloß der Landtag von Niederösterreich im Wege eines Beharrungsbeschlusses die 2. Novelle zum Nö. JG. Der diesem Beharrungsbeschluß zugrunde liegende Initiativantrag führte zum Einspruch der Bundesregierung aus:
'Der Meinung der Bundesregierung, für Jagdgehege scheide der Sperrgrund 'Zuchterfolg' von vornherein aus, liege eine fachlich nicht begründbare Beurteilung zugrunde. Demgegenüber ist festzuhalten, daß in einem Jagdgehege sehr wohl ein Zuchterfolg angestrebt werden muß. Gleiches gilt schon gemäß §§82 ff. des Nö. Jagdgesetzes 1974 für den Wildstand in der freien Wildbahn, umso mehr für den räumlich und zahlenmäßig begrenzten und daher überblickbaren Wildstand in einem Jagdgehege. Bei diesem handelt es sich nämlich um ein Eigenjagdgebiet, für das gleichermaßen die Vorschriften des §2 Nö. Jagdgesetz gelten: Erhaltung und Schaffung eines artenreichen und gesunden Wildstandes. Darüber hinaus kann ein Jagdgehege nach den Intentionen der Novelle gleichzeitig auch als Zuchtgehege geführt werden. In jedem Fall muß der Zuchterfolg in Frage gestellt sein, wenn in einem Jagdgehege der Wildstand durch Besucher beunruhigt wird. Im Gegensatz zur freien Wildbahn sind im Jagdgehege die Fluchtmöglichkeiten im Falle einer Beunruhigung durch die Umzäunung beschränkt. Dies führt erfahrungsgemäß zu Streßsituationen des Wildes, die den Zuchterfolg erwiesenermaßen nachhaltig beeinträchtigen.
Bei richtiger fachlicher Beurteilung des Gesetzesbeschlusses ist auf die dem Nö. Jagdgesetz 1974 zugrunde liegende rechtspolitische Zielsetzung Bedacht zu nehmen. Sie gilt für den gesamten Bereich des Jagdrechtes und der Jagdrechtsausübung. Das Jagdrecht bedeutet nicht nur eine Berechtigung, sondern auch eine Verpflichtung unter Bedachtnahme auf die Voraussetzungen, die der Gesetzgeber normiert hat, einen artenreichen und gesunden Wildbestand entwickeln und erhalten zu können. Abs2 weist in diesem Zusammenhang auf die Beobachtung der Grundsätze einer geordneten Jagdwirtschaft hin. So gesehen muß der angestrebte 'Zuchterfolg' als berechtigt erscheinen.
Der Landesgesetzgeber hat keinesfalls beabsichtigt, die Vorschriften der §§33 ff. des Forstgesetzes 1975 zu unterlaufen. Mit der Änderung des §7 (Tiergärten) des Nö. Jagdgesetzes 1974 wurde im Gegenteil angestrebt, die immer größer werdende Anzahl eingezäunter Jagdgebiete weitgehend zu beseitigen, der freien Wildbahn den Vorzug zu geben und damit die Begehbarkeit von Waldflächen bei einzelnen Jagdgebieten zu ermöglichen. Es sollte letztlich auch eine gewisse Konformität zur Vorschrift des §34 Abs2 lite und f des Forstgesetzes 1975 angestrebt werden, derzufolge Sperren von Waldflächen auch aus jagdwirtschaftlichen Gründen möglich sind. So gesehen wurde dem Anliegen des Bundesgesetzgebers, die Waldöffnung zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten, weitgehend Rechnung getragen.
Im übrigen berücksichtigt der Einspruch und seine Begründung nicht die Tatsache, daß Jagdgehege auch auf Flächen errichtet werden können, die nicht oder nur teilweise mit Wald im Sinne des Forstgesetzes 1975 bestockt sind. Insoweit bedeutet der Einspruch selbst in seinen Folgerungen eine verfassungsrechtlich bedenkliche Inanspruchnahme von Kompetenzen des Landes durch den Bund. In diesem Zusammenhang wird auf die folgenden, auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen von Univ. Dozent Dr. Bernd-Christian Funk verwiesen, die im Heft 17/18 der Juristischen Blätter vom 11. September 1976 gedruckt sind und die sohin bestätigen, daß der Landesgesetzgeber mit der Novelle seine Kompetenzen nicht überschritten hat.
'Grundsätzlich kann das Prinzip der strengen Getrenntheit der Gesetzgebungs- und Vollziehungsbereiche von Bund und Ländern als grundlegender, sämtlichen übrigen Maximen vorgeordneter Grundsatz angesehen werden. Die österreichische Bundesverfassung kennt (von Ausnahmen abgesehen) keine konkurrenzierenden Gesetzgebungszuständigkeiten. Das bedeutet, daß ein und dieselbe Materie nur einem einzigen Kompetenztatbestand zugeordnet werden kann.
Die exklusive materielle Trennung der Gesetzgebungs- und Vollziehungsbereiche sowie das Verbot der Schaffung identer Normen unter verschiedenen Kompetenzartikeln schließen die Erlassung von Vorschriften nicht aus, in denen ein bestimmter Sachverhalt von verschiedenen kompetenzrechtlichen Grundlagen her in verschiedener Weise normativ erfaßt wird. Es ist zulässig, wenn bestimmte Sachgebiete nach verschiedenen Gesichtspunkten geregelt werden, etwa in der Weise, daß 'die Länder auf Grund des in ihre Eigenzuständigkeit fallenden Baurechtes Bestimmungen über die Größe und Ausgestaltung der Räume in den Bauwerken erlassen, während der Bundesgesetzgeber auf Grund der Kompetenz Arbeiterschutz anordnen kann, welchen Voraussetzungen Räume zu entsprechen haben, um als Arbeitsräume verwendet werden zu dürfen' (VfSlg. 4348/1963).
Ein ähnliches Beispiel für aspektweise Kumulation bietet das Verhältnis zwischen Gewerbe-, Bau-, Feuerpolizei- und Naturschutzrecht: 'Der Landesgesetzgeber kann ... die Errichtung und Benützung von Häusern davon abhängig machen, daß ihre Lage, Beschaffenheit und Einrichtung bestimmten Erfordernissen der Baupolizei, der Feuerpolizei und des Landschaftsschutzes entspricht. Er kann dies auch dann, wenn in den Häusern das Fremdenbeherbergungsgewerbe ausgeübt wird und der Bundesgesetzgeber somit zuständig ist, gewerberechtliche Regelungen im Bezug auf die Häuser zu erlassen' (VfSlg. 5024/1965).'
Die vom Landesgesetzgeber vorgesehene Regelung betreffend die Sperre von Jagdgehegen ist daher als verfassungsrechtlich unbedenklich anzusehen.'
4. Zu den Ausführungen unter Punkt III.1 des Unterbrechungsbeschlusses wird bemerkt, daß §94 Abs4 Nö. JG nur die Sperre von Jagdgehegen (§7 Abs1 Nö. JG) und Zuchtgehegen (§7 Abs2 Nö. JG) erlaubt, während bei Schaugehegen auf Grund ihrer Zweckwidmung eine Sperre ausgeschlossen ist. Ihre Zugänglichkeit für die Allgemeinheit ist sogar Voraussetzung für ihre Bewilligung gemäß §7 Abs3 Nö. JG.
§94 Abs4 Nö. JG ermöglicht ferner nicht, allen jagdfremden Personen das Betreten von Wald zu verbieten. Durch die gesetzlich normierte Bedachtnahmeverpflichtung auf die in Abs3 enthaltenen Ausnahmen gilt dieses Verbot nicht für den Grundeigentümer, der im Falle einer Verpachtung seiner Eigenjagd in Form eines Jagdgeheges nicht selbst die Jagd ausübt, die sonst Nutzungsberechtigten sowie Personen, die auf Grund ihrer amtlichen Stellung oder amtlichen Ermächtigung zum Betreten des Jagdgebietes berechtigt oder verpflichtet sind, wie etwa Forstschutzorgane.
Die zitierte Ausnahme des §34 Abs3 litb FostG entspricht insofern nicht dem §94 Abs4 Nö. JG, als dadurch nur für Waldflächen, die der Besichtigung von Tieren gewidmet sind, wie Tiergärten, eine dauernde Sperre für zulässig erklärt wird. Diese Ausnahme dürfte daher eine Sperre für Schaugehege im Sinne des Nö. JG erlauben, während das Nö. JG keine Sperre für Schaugehege aus den oben dargelegten Gründen vorsieht.
§94 Abs4 Nö. JG sieht ein durch Ausnahmen relativiertes Verbot des Betretens von Jagdgehegen und Zuchtgehegen für jagdfremde Personen zur Verwirklichung der dem Jagdgesetz innewohnenden Zielsetzungen, nämlich eine Wildhege und eine für jagdfremde Personen gefahrlose Ausübung der Jagd zu ermöglichen, vor. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des ForstG sehen eine grundsätzliche Öffnung von Waldflächen für jedermann zu Erholungszwecken und Ausnahmen im Interesse der Walderhaltung und der gefahrlosen Ausführung der notwendigen forstwirtschaftlichen Arbeiten vor.
Somit dürfte aber ein der Derogation fähiger Normenwiderspruch gar nicht vorliegen. Die Regelungsinhalte der beiden Rechtsbereiche überschneiden sich zwar in einem bestimmten Teil, keinesfalls liegt aber ein kongruenter Regelungsinhalt vor. Unter Einbeziehung der Interessenslage dürfte sich keinesfalls ein für die Annahme einer materiellen Derogation essentieller Normenwiderspruch ergeben, als sich aus den in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht zwei Aussagen ableiten lassen, die nach dem logischen Satz des Widerspruches nicht beide richtig sein können (Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verfassungsrechtes, 4. Auflage, Seite 142).
Sollte dennoch ein für die Anwendung der Regel 'lex posterior derogat legi priori' essentieller Normenwiderspruch angenommen werden, müßte darüber hinaus die Zulässigkeit der Anwendung dieser Regel auch auf das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht nach der Bundesverfassung gegeben sein, und zwar selbst dann, wenn die den logischen Widerspruch produzierenden Normen verfassungskonform innerhalb ihres jeweiligen Kompetenztatbestandes erlassen worden sind.
Dies würde aber bedeuten, daß die Bundesverfassung vorsehen wollte, daß der Gesetzgeber, der jeweils zuletzt die Norm erläßt, in die Lage versetzt wird, seinem Gesetz den Vorrang vor dem der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft zu verschaffen. Dieses Ergebnis kann jedoch vom Bundesverfassungsgesetzgeber offensichtlich nicht gewollt sein.
Darüber hinaus wäre Voraussetzung für die Annahme der Gültigkeit dieser Regel, daß die Kompetenztatbestände nach ihrem Inhalt überhaupt verfassungskonforme konkurrierende Regelungen erlauben. Nach der herrschenden Lehre und Judikatur stellen aber nach der Bundesverfassung konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen nur die Ausnahme dar, so Art15 Abs9 B-VG, die Bedarfsgesetzgebungskompetenzen nach Art10 Abs1 Z15 und Art11 Abs2 B-VG sowie diverse Fälle der Devolution von Gesetzgebungszuständigkeiten, wie zB Art15 Abs6 und Art16 Abs1 B-VG (Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, Seite 161 ff.).
Die verfassungsrechtliche Verteilung der Aufgaben im Bundesstaat beruht vielmehr auf dem Grundsatz der strengen Trennung der Gesetzgebungs- und Vollziehungsbereiche des Bundes und der Länder, sodaß verfassungskonforme Regelungen innerhalb nicht konkurrierender Kompetenztatbestände zu keinem der Derogation überhaupt fähigen Normenwiderspruch führen können, weshalb die Gültigkeit dieser Regel nur für den Bereich konkurrierender Kompetenzen angenommen werden kann.
Gleichzeitig gebietet auch die Aufrechterhaltung der Gesichtspunkttheorie ein derartiges Ergebnis:
Wenn es nach dem B-VG zulässig ist, daß ungeachtet des Grundsatzes der Kompetenztrennung idente Sachgebiete unter verschiedenen Kompetenztiteln und den jeweils dazugehörigen rechtlichen Gesichtspunkten durch gesetzliche Regelungen des Bundes und der Länder verfassungskonform geregelt werden können, darf die spätere Regelung der früheren nicht derogieren. Eine Derogation wäre nach ha. Ansicht auch gar nicht möglich, als ein Normenwiderspruch, der zu einer materiellen Derogation überhaupt führen könnte, erst auch bei einer Identität der Gesichtspunkte vorliegen könnte. Damit müßte aber eine der den Widerspruch produzierenden Normen den vorgegebenen sachlich exklusiven Kompetenzrahmen überschreiten und schon aus diesem Grund verfassungswidrig sein. Unter der Annahme der weiteren Geltung der Grundsätze der sachlichen Exklusivität der Kompetenztatbestände und der Gesichtspunkttheorie würde daher schon die zwangsläufig mit der Schaffung eines derogationsfähigen Normenwiderspruches verbundene Überschreitung des Kompetenztatbestandes als Regulativ wirken, sodaß die Anwendung des Grundsatzes 'lex posterior derogat legi priori' im Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht gar nicht erforderlich ist. Seine Gültigkeit dürfte daher tatsächlich allein auf den Bereich konkurrierender Gesetzgebungskompetenzen beschränkt sein.
Als weiteres Regulativ wirkt das sog. 'Berücksichtigungsprinzip'. Indem Bund und Länder bei der Regelung der ihnen übertragenen Sachgebiete auf die nach der bundesverfassungsgesetzlichen Kompetenzverteilung von den gegenbeteiligten Gebietskörperschaften wahrzunehmenden Interessen Rücksicht zu nehmen haben, wird von der Bundesverfassung verhindert, daß die Ausfüllung eines Kompetenztatbestandes durch die gegenbeteiligte Gebietskörperschaft in sachlich nicht gerechtfertigter Weise unterlaufen werden kann. Diese Berücksichtigungsverpflichtung kann sich aber nicht nur auf bestehende Rechtsvorschriften der anderen Gebietskörperschaft beziehen. Wenn die Geltung dieses Prinzipes überhaupt angenommen wird, dann muß es auch auf nicht bzw. noch nicht geschützte, aber dem Kompetenztatbestand zuzurechnende Interessen angewendet werden. Nach dem Erkenntnis VfSlg. 8831 verhält die Kompetenzverteilung jeden zuständigen Gesetzgeber, bei seiner Regelung allein Betrachtkommenden Rechtsvorschriften der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft zu berücksichtigen. Würde nun die Geltung dieser Verpflichtung auf im Regelungszeitpunkt bereits bestehende Rechtsvorschriften beschränkt sein, würde ein der Derogation ähnliches Ergebnis zustande kommen:
Durch die spätere Regelung hätte es ein Gesetzgeber in der Hand, die bis dahin verfassungskonforme Regelung des gegenbeteiligten Gesetzgebers wegen der mangelnden Rücksichtnahme verfassungswidrig und sogar eine verfassungswidrige Regelung wieder verfassungskonform werden zu lassen. Wenn dieses Prinzip für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen tauglich sein soll, dann muß es auf den Inhalt eines Kompetenztatbestandes und die sich daraus ableitbaren Regelungen abstellen und unabhängig von der tatsächlichen Ausfüllung des Kompetenztatbestandes durch den zuständigen Gesetzgeber eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit erlauben. Auch die Form der Aufteilung der Kompetenzen, wonach nur der dem Bund zugewiesenen Bereich taxativ umschrieben ist, spricht für einen derartigen Inhalt des Prinzips.
Aus diesen Gründen dürfte daher das Berücksichtigungsprinzip dem Gesetzgeber verbieten, durch seine Regelung eine sachlich nicht gerechtfertigte Behinderung der Kompetenzausübung durch die gegenbeteiligte Gebietskörperschaft zu schaffen (siehe Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, Seite 144).
Somit konnte §94 Abs4 Nö. JG den §§33 ff. ForstG mangels konkurrierender Kompetenztatbestände nicht derogieren. Andererseits hätte der Bundesgesetzgeber bei der Erlassung des ForstG bereits auf die von den Jagdgesetzgebern der Länder wahrzunehmenden Interessen Rücksicht nehmen müssen und deren Regelung durch das Forstgesetz in verfassungskonformer Weise nicht unterlaufen dürfen. Durch §94 Abs4 Nö. JG hat der Nö. Landesgesetzgeber die Regelung der §§33 ff. des ForstG nicht unterlaufen, als er für jagdfremde Personen ein Verbot des Betretens von Jagd- und Zuchtgehegen in sachlich gerechtfertigtem Umfang schuf. Eine besondere Bedachtnahme auf die mit dem Forstgesetz beabsichtigte Waldöffnung übte der Nö. Landesgesetzgeber auch durch die Novellierung des §7 Nö. JG, als er der Schaffung von immer mehr ei