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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art18 Abs1Beachte
vgl. Kundmachung Ktn. LGBl. 13, 14/1985 am 14. März 1985Leitsatz
Ktn. Bauordnung; Verstoß des §23 gegen Art18 B-VG wegen formalgesetzlicher Delegation; Aufhebung der ganzen, auf §23 gestützten V, der Ktn. Bauvorschriften 1980, mangels gesetzlicher GrundlageSpruch
I. §23 des Gesetzes vom 30. Juni 1969, mit dem eine Bauordnung für das Land Kärnten erlassen wird (Ktn. Bauordnung), LGBl. Nr.48/1969, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 1. Dezember 1985 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
II. Die V der Landesregierung vom 9. Juli 1980, Z Verf-38/43/1980, mit der Bauvorschriften erlassen werden (Ktn. Bauvorschriften 1980), LGBl. Nr. 61/1980, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Diese Aufhebung tritt mit Ablauf des 1. Dezember 1985 in Kraft.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Beim VwGH sind zu Z 82/06/0058, zu Z 82/06/0189, zu Z 84/06/0047 und zu Z 84/06/0095 vier Nachbarbeschwerden zu baubehördlichen Bewilligungsverfahren nach der Ktn. Bauordnung, LGBl. 48/1969, anhängig:
In der Beschwerde zu Z 82/06/0058 ist insbesondere die Frage strittig, ob die Gemeindebehörden und die Ktn. Landesregierung als bel. Beh. die Bestimmung des §3 der (zufolge §23 Ktn. Bauordnung erlassenen) Ktn. Bauvorschriften 1980, LGBl. 61/1980, richtig auslegten und auf einem nach Meinung der Bf. (C P) wegen Rutschgefahr unbebaubaren Grundstück zu Recht eine Bauführung unter bestimmten Auflagen für zulässig erachteten. In der Beschwerde zu Z 82/06/0189 geht es vor allem um die Lösung des Problems, ob die Verwaltungsbehörde den nach §4 Ktn. Bauvorschriften 1980 von den Grundgrenzen des Bf. (W P) einzuhaltenden Abstand - ein Bebauungsplan der Gemeinde liegt nicht vor - richtig beurteilte. Einen im wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalt betreffen die Beschwerden zu Z 84/06/0047 und zu Z 84/06/0095.
1.2.1.1. Der VwGH stellte in diesen vier Beschwerdeverfahren die Anträge, der VfGH möge a) gemäß Art140 B-VG die Bestimmung des §23 Ktn. Bauordnung, LGBl. 48/1969, als verfassungswidrig (hg. Z G82/83, 139/84, 148/84) und b) gemäß Art139 B-VG die §§3 und 4 (V61/83) bzw. nur §4 (V25/84, 28/84), hilfsweise aber die Abs1 bis 6 und 9 des §4 der Ktn. Bauvorschriften 1980, LGBl. 61/1980, als gesetzwidrig aufheben (hg. Z V61/83, V25/84 und V28/84).
1.2.1.2. Begründend brachte der VwGH ua. wörtlich vor:
"... Die Bedenken des VwGH gegen §23 Kärntner Bauordnung gehen dahin, daß diese Gesetzesstelle im Zusammenhang mit §22 Kärntner Bauordnung, aber auch im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen der Kärntner Bauordnung nicht eine iS des Art18 Abs2 B-VG ausreichende Determination des Inhaltes der danach zu erlassenden Verordnung darstellt. Der VwGH verkennt hiebei nicht, daß unbestimmte Gesetzesbegriffe an sich in der Lage sein können, den Anforderungen nach Art18 Abs2 B-VG zu genügen, doch sind die vom Landesgesetzgeber hier gewählten Begriffe nach Meinung des Gerichtshofes zu unbestimmt, um daraus das gesamte materielle Baurecht ableiten zu können, wie es die 207 Paragraphen umfassenden Kärntner Bauvorschriften darstellen.
Gemäß Art18 Abs1 B-VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. Nach Art18 Abs2 B-VG kann jede Verwaltungsbehörde aufgrund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Art18 Abs2 B-VG verpflichtet den Gesetzgeber, Verordnungsermächtigungen derart zu gestalten, daß die zu erlassenden Durchführungsverordnungen den Gesetzestext nur präzisieren dürfen und daß der Inhalt der Verordnung im Gesetz bereits vorgezeichnet sein muß (vgl. insbesondere Mayer, Die Verordnung, S 33 und die dort zitierte Literatur und Rechtsprechung). Art18 Abs2 B-VG fordert sohin, daß der Gesetzgeber inhaltlich bestimmte Regelungen erläßt, und es soll eine formalgesetzliche Delegation ausgeschlossen sein (Mayer, aaO, S 34). Der VfGH hat in seiner langjährigen Rechtsprechung in einer Reihe von Entscheidungen die Frage der ausreichenden Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung als das entscheidende Kriterium angesehen, mag auch die Grenzziehung zwischen einer noch ausreichenden Determination und einer verfassungsrechtlich unzulässigen formalgesetzlichen Delegation im Einzelfall schwierig sein (vgl. VfSlg. 4139/1962). Worauf es ankommt, hat der VfGH sehr deutlich in seinem Erkenntnis VfSlg. 176/1923 ausgesprochen, nämlich die von der Verfassung gezogene Grenze zwischen der Kompetenz der Gesetzgebung und der Verordnung zu wahren. Schon in diesem Erkenntnis und auch in der weiteren Rechtsprechung wurde insbesondere betont, daß nicht nur das 'ob', sondern auch das 'wie' der beabsichtigten Verordnung im Gesetz bereits vorgezeichnet sein muß. Da aus dem Gesetz alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden müssen (VfSlg. 2223/1951), darf es nicht angehen, dem Art18 Abs2 B-VG einen Inhalt zu geben, der eine die Gesetzgebung supplierende Tätigkeit der Verwaltungsbehörden zuläßt (VfSlg. 4300/1962). Von der ausreichenden Determinierung hängt 'in beträchtlichem Maße die Effektuierung des Rechtsstaates ab' (VfSlg. 4139/1962). Diese Rechtsprechung hat der VfGH auch in jüngster Zeit nicht aufgegeben, wie etwa dem Erkenntnis VfSlg. 9227/1981 zu entnehmen ist. ...
Im Hinblick auf die aufgezeigte Rechtsprechung des VfGH und die im Schrifttum dargelegten Meinungen vertritt der VwGH die Ansicht, daß die Verordnungsermächtigung nach §23 Kärntner Bauordnung der Verfassungsnorm des Art18 Abs2 B-VG widerspricht. ...
Der VwGH hält es für verfassungsrechtlich unzulässig, daß der Landesgesetzgeber in dieser Art und Weise sämtliche materiell-rechtlichen Bauvorschriften dem Verordnungsgeber überläßt und hier eine supplierende, ja praktisch an die Stelle eines Gesetzes tretende Tätigkeit der Verwaltungsbehörde zuläßt. Die Gewährleistung der rascheren Anpassungsmöglichkeit an die technische Entwicklung kann seiner Meinung nach nicht so weit gehen, daß der Gesetzgeber die ihm zustehenden Aufgaben nicht wahrnimmt und sie parktisch zur Gänze der Vollziehung überläßt, wobei nur ganz allgemeine Begriffe, wie sie etwa die Bundesverfassung bei der Aufteilung der Kompetenzen verwendet, eine ausreichende Bestimmung iS des Art18 Abs2 B-VG darstellen sollen. Die hier verwendeten unbestimmten Gesetzesbegriffe lassen nach Meinung des VwGH nicht das 'wie' der beabsichtigten Regelung erkennen und ermöglichen sohin nicht, die Übereinstimmung der Verwaltungsakte mit dem Gesetz zu überprüfen (vgl. etwa VfSlg. 8813/1980 und die dort angeführte Vorjudikatur). Gerade der Umstand, daß in zeitlicher Aufeinanderfolge unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Lösungen aufgrund ein und derselben Verordnungsermächtigung vom Verordnungsgeber für zulässig angesehen wurden, spricht für die vom VwGH vorgetragene Ansicht, daß die vorliegende Verordnungsermächtigung zu unbestimmt ist, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine zulässige Delegation iS des Art18 Abs2 B-VG zu entsprechen. Schon umfangmäßig zeigt sich dies, umfaßten doch die Kärntner Bauvorschriften ursprünglich 150 Paragraphen (LGBl. 85/1969), nun dagegen 207 Paragraphen (LGBl. 61/1980). Ein Vergleich mit den materiell-rechtlichen Bestimmungen der anderen Bauordnungen der österreichischen Bundesländer zeigt, daß in diesen Gesetzen sehr unterschiedliche Lösungen getroffen wurden, sodaß auch der Hinweis auf die Erkenntnisse der Wissenschaften, insbesondere der technischen Wissenschaften, nicht ausreicht, um davon ausgehen zu können, die wesentlichen Voraussetzungen und Inhalte des behördlichen Handelns seien bereits im Gesetz umschrieben, wie dies von der Rechtsprechung des VfGH gefordert wird (vgl. etwa VfSlg. 9226/1981). Der Vergleich mit den Baurechtsnormen der anderen Bundesländer läßt im übrigen erkennen, daß kein anderer Landesgesetzgeber eine derart umfangreiche Verordnungsermächtigung gewählt hat, sofern überhaupt Verordnungsermächtigungen normiert wurden (vgl. etwa die Verordnungsermächtigungen in §29 Nö. Bauordnung, §24 Oö. Bauordnung, §24 Tiroler Bauordnung und §20 Vorarlberger Baugesetz). Gerade auch die Regelungen der Burgenländischen Bauordnung, des Salzburger Bautechnikgesetzes, der Steiermärkischen Bauordnung und der Bauordnung für Wien zeigen auf, welcher grundsätzlichen Festlegungen es zur Determinierung durch das Gesetz bedarf, während die vom Kärntner Landesgesetzgeber gewählte Vorgangsweise keine ausreichende materiell-rechtliche Vorherbestimmung der vom Verordnungsgeber zu erlassenden Bauvorschriften darstellt. Es kann keine Rede davon sein, daß der wesentliche Verordnungsinhalt dadurch im Gesetz vorherbestimmt wurde, geschweige denn, daß das Gesetz eine Regelung aller Fragen, die für die Gestaltung einer eine rechtsstaatliche Vollziehung gewährleistenden Verordnung als wesentlich anzusehen sind, enthält. Gerade diese Kriterien hat aber der VfGH in seinem schon genannten Erkenntnis VfSlg. 9227/1981 für eine dem Art18 Abs2 B-VG entsprechend ausreichende Determinierung als erforderlich angesehen. Zusammenfassend sieht der VwGH aufgrund der aufgezeigten Bestimmungen der Kärntner Bauordnung, aber auch aufgrund der übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes, keine Möglichkeit, die Übereinstimmung der Verordnungsbestimmungen mit dem Gesetz zu überprüfen, weil eben die wesentlichen Voraussetzungen und der Inhalt des behördlichen Handelns nicht bereits im Gesetz umschrieben sind, wie es der VfGH in dem gleichfalls schon erwähnten Erkenntnis VfSlg. 9226/1981 als notwendig beurteilte.
Die in §23 festgelegte Verordnungsermächtigung erweist sich mangels ausreichender Determination iS des Art18 Abs2 B-VG als eine verfassungsrechtlich unzulässige formalgesetzliche Delegation. ...
Stellt sich aber die Verordnungsermächtigung nach §23 Kärntner Bauordnung als eine verfassungswidrige formalgesetzliche Delegation dar, dann sind die vom VwGH anzuwendenden Bestimmungen der §§3 und 4 der Kärntner Bauvorschriften ohne ausreichende verfassungsgesetzliche Ermächtigung von der Kärntner Landesregierung erlassen worden und schon aus diesem Grunde vom VfGH aufzuheben (vgl. VfSlg. 2266/1952, 3680/1960, 4172/1962 ua.). ...
Die Abstandsvorschriften des §4 Kärntner Bauvorschriften 1980
(hätten) ... vom Verordnungsgeber (nicht) ... angeordnet werden
dürfen und daher (sind) diese Bestimmungen im präjudiziellen Umfang
mit einer Gesetzwidrigkeit behaftet ... Wenn auch die Absätze 7, 8
und 10 vom VwGH im Beschwerdefall nicht unmittelbar anzuwenden sind, so stehen sie doch in solchem Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen dieses Paragraphen, daß dieser Paragraph bei Gesetzwidrigkeit der übrigen Absätze zur Gänze aus dem Rechtsbestand zu beseitigen ist. ..."
1.2.2.1. Die Ktn. Landesregierung erstattete hiezu eine Äußerung und trug darin auf Abweisung der Anträge des VwGH an; hilfsweise wurde die Setzung angemessener Fristen für das Inkrafttreten der vom VwGH beantragten Normenaufhebung - zur Ermöglichung einer Ersatzregelung - begehrt.
1.2.2.2. Die Ktn. Landesregierung führte in ihrem Schriftsatz ua. aus:
"... Der VwGH hat die Bestimmungen der §§3 und 4 Kärntner
Bauvorschriften 1980, LGBl. 61, und damit indirekt auch ... §23
Kärntner Bauordnung in anderen Fällen bereits angewandt, ohne daß er gegen ihre Anwendung Bedenken im Hinblick auf ihre Gesetzmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit hatte, die zu einer Antragstellung an den VfGH nach Art139 bzw. 140 B-VG geführt hätten. ...
Es erhebt sich daher die Frage, ob der VwGH hinsichtlich dieser Regelungen noch antragslegitimiert ist, dies insbesondere im Hinblick auf das Erkenntnis des VfGH Slg. 2287/1951 (gemeint: VfSlg. 2187/1951). Der VfGH geht in diesem Erkenntnis davon aus, daß die angefochtene Gesetzesstelle vom antragstellenden Gericht anzuwenden ist und noch nicht angewendet wurde. Es könnte daher die Auffassung vertreten werden, daß das Recht der Antragstellung gleichsamverfällt, wenn das Gericht nicht hievon bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Gebrauch macht. Eine derartige Auslegung würde der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nur dienlich sein. ...
Neisser - Welan, Betrachtungen und Bemerkungen zur Judikatur des VfGH, ÖJZ 1968, S 58 ff (insbesondere S 60) geben einen sehr umfassenden Überblick über die Entwicklung der Judikatur des VfGH zu den sich aus Art18 Abs2 B-VG ergebenden Grundsätzen der ausreichenden Vorausbestimmung von Verordnungsinhalten durch Gesetz im Gegensatz zur formalgesetzlichen Delegation. Es seien daher der Erörterung der Frage, ob §23 Kärntner Bauordnung geeignet ist, Verordnungsgrundlage insbesondere für §§3 und 4 Kärntner Bauvorschriften 1980, denn nur diese sind im Anlaßfall durch den VwGH überhaupt anzuwenden, zu sein oder ob diese Bauordnungsregelung nur eine formalgesetzliche Delegation darstellt, insbesondere diese Ausführungen gleichsam vorangestellt.
Wesentlich erscheint insbesondere der Hinweis, daß in der Judikatur des VfGH zur Frage der Determinationsintensität sehr wohl Differenzierungen nach den einzelnen Materien vorgenommen werden, in denen Verordnungsermächtigungen enthalten sind, unter Hinweis darauf, daß gerade auf dem Gebiet des Bauwesens ein großzügiger Maßstab angewendet wurde (vgl. insbesondere VfSlg. 3297/1957, 3809/1960, 4707/1964).
Neisser - Welan vertreten die Auffassung, daß dem Legalitätsprinzip seiner Natur nach Grenzen gesetzt seien. Man dürfe es nicht überanstrengen. ...
... (Es) haben der VfGH und der VwGH insbesondere die Zulässigkeit der sogenannten finalen Programmierung als ausreichende Determination für Verordnungen im Planungsrecht bejaht (vgl. insbesondere VwSlg. 6785 A/1965; VfSlg. 8280/1978, 8330/1978).
Es sei in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen Mayers, Entwicklungstendenzen in der Rechtsprechung des VfGH, ÖJZ 1980, S 339 f, verwiesen. Wesentlich erscheint insbesondere das Aufzeigen einer zunehmenden Neigung des VfGH, in allgemeinen Zielsetzungen eines Gesetzes eine ausreichende inhaltliche Bestimmtheit anzuerkennen (VfSlg. 3669/1959 und 7338/1974).
Im Erkenntnis VfSlg. 7593/1975 geht der VfGH davon aus, daß eine gesetzliche Regelung unter dem Aspekt des Art18 Abs1 und 2 (B-VG) unbedenklich sei, weil sie nicht 'so unbestimmt sei, als sie einer Auslegung überhaupt nicht zugänglich wäre'.
Im Erkenntnis V8/82-21 vom 13. Oktober 1983 bringt der VfGH zum Ausdruck, daß er keine Bedenken gegen §4 Bundesstraßengesetz 1971 habe, auch wenn dem Verordnungsgeber durch die eingeräumte Bestimmung ein 'Ermessensbereich' eingeräumt sei. ...
Ein zusätzlicher Aspekt ergibt sich aus den Erkenntnissen ... VfSlg. 5670/1968 und 5993/1969 (vgl. auch Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, II, S 62 und die dort angegebene Literatur). Sachverständigengutachten spielen bei der Frage der gesetzlichen Determinierung eine große Rolle. Die inhaltliche Bedeutung von unbestimmten Gesetzesbegriffen an Gegebenheiten der Wirklichkeit zwingend anzuschließen, ist dem Gesetzgeber nach den angeführten Erkenntnissen erlaubt. ...
Abschließend sei noch auf Adamovich, Hoheitsverwaltung und Gesetze, Allgemeines Verwaltungsrecht, S 86 f, hingewiesen, der in seinem Versuch einer Lösung ebenfalls eine differenzierte Anwendung des Legalitätsprinzips entsprechend der Art der Verwaltungsmaterie als diskutabel ansieht.
Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, daß sowohl der VwGH (insbesondere die Judikatur zur Finalprogrammierung im Planungsrecht) als auch der VfGH (insbesondere die angeführte Judikatur zum Planungsrecht einerseits und die Betrachtungsweise unbestimmter Gesetzesbegriffe andererseits) von einem 'differenzierten Legalitätsprinzip' ausgehen. ...
Betrachtet man nun die unbestimmten Gesetzesbegriffe des §22, die sowohl an den Erkenntnissen der Wissenschaften und hier insbesondere der technischen Wissenschaften als auch an konkreten Anforderungen, wie die der Art, der Lage, des Umfanges, der Größe und der Verwendung des Vorhabens, zu messen sind, so ist eine Prüfung des Verordnungsinhaltes der Kärntner Bauvorschriften 1980, LGBl. 61, am Gesetz sehr wohl möglich. Der technische Sachverstand einerseits und die konkreten Inhalte des §23 Kärntner Bauordnung, die Betrachtungskriterien vorgeben, zeichnen den Verordnungsinhalt vor.
Es ist hiebei unbeachtlich, daß sich bei der Erlassung einzelner Verordnungsbestimmungen ein Ermessensbereich des Verordnungsgebers ergeben kann. Die Anforderungen der Sicherheit insbesondere im Hinblick auf die Art, die Lage und den Umfang, die Größe und die Verwendung des Vorhabens bestimmen die Regelungen voraus, die zu erlassen sind; sie inkludieren aber auch, daß eine Änderung dieser Regelungen erforderlich ist, wenn sich die Erkenntnisse der Wissenschaften auf dem Gebiet der Sicherheit geändert haben. Eine Nichtberücksichtigung dieses immanenten Änderungsauftrages würde eine bestehende Regelung gesetzwidrig werden lassen. ...
Es erscheint gerade unter diesem Blickwinkel die Begründung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zielführend, daß eine Verordnungsermächtigung deshalb dem Legalitätsprinzip widerstreite, weil sie einmal als Basis für 150 Paragraphen und einmal - allerdings nach Jahren technischen Fortschrittes auf diesem Gebiet - als Basis für 207 Paragraphen diene und weil dem Stand der technischen Wissenschaften entsprechend unter Berücksichtigung von Art, Lage, Umfang, Größe und Verwendung eines Vorhabens sogar spätere Regelungen im Gegensatz zu früheren ständen. Nebenbei sei bemerkt, daß der VwGH hiebei auch übersieht, daß eine Vielzahl von Regelungen - es handelt sich hiebei insbesondere um die Bestimmungen der baulichen Vorkehrungen für Behinderte (15. Abschnitt Kärntner Bauvorschriften 1980) und um Bestimmungen über zentrale Feuerungsanlagen für Gebäude mit Aufenthaltsräumen (16. Abschnitt Kärntner Bauvorschriften) - erst durch den Fortschritt der technischen Wissenschaften erforderlich wurden, wenn man dem Gesetzesauftrag Folge leisten wollte, die insbesondere im Hinblick auf die Art und die Verwendung des Vorhabens erforderlichen neuen Erkenntnisse der technischen Wissenschaften auch verbindlich zu machen.
Der VwGH übersieht bei dieser Argumentation auch, daß eine Vermehrung der Paragraphen durch systematische Umstellungen zustande gekommen ist. Es handelt sich hier offensichtlich um eine bereits von Hauer, Kärntner Baurecht, S 77, vertretene Auffassung, wonach er es verfassungsrechtlich für unzulässig hält, 207 Paragraphen auf die Verordnungsermächtigung des §23 zu gründen.
Wenn der VwGH annimmt, daß durch die unbestimmten Gesetzesbegriffe das 'Wie' der Kärntner Bauvorschriften durch die Kärntner Bauordnung nicht ausreichend vorherbestimmt ist, so verkennt er, daß die unbestimmten Gesetzesbegriffe durch objektive nach dem technischen Sachverstand zu beurteilende Kriterien mit Inhalten versehen sind, nicht isoliert zu sehen sind, sondern daß sie mit den sich aus der Art, der Lage, dem Umfang, der Größe und der Verwendung des Vorhabens ergebenden Besonderheiten mit zusätzlichen Inhalten erfüllt sind und daß eben die Abgrenzungen, wie sehr das 'Wie' einer Regelung vorausbestimmt sein muß, an der im Einzelfall zu regelnden Materie zu messen ist.
Das 'Wie' einer Regelung, also etwa Bestimmungen über die Sicherheit im Zusammenhang mit Art, Lage, Umfang, Größe und Verwendung eines Vorhabens - etwa für ein Einfamilienhaus oder ein Hochhaus, ein Stiegenhaus für Behinderte oder für Nichtbehinderte, für Stiegenhäuser in Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten oder Veranstaltungsräumen - kann nicht verglichen werden mit dem 'Wie' einer Regelung, die es dem Verordnungsgeber überläßt, unter bestimmten Voraussetzungen Zuständigkeiten zu übertragen oder Abweichungen von Gesetzen festzulegen. Diese Betrachtungsweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung des VfGH zur Frage der inhaltlichen Vorausbestimmtheit einer Norm.
Es sei in diesem Zusammenhang auf einige vom VfGH als ausreichende Verordnungsgrundlage angesehene unbestimmte Gesetzesbegriffe, die dem Verordnungsgeber zusätzlich Ermessen einräumen, verwiesen wie 'wesentlich', 'unwesentlich', 'häufig', 'zahlreich'. 'regelmäßig', 'einstweilig' (VfSlg. 8528/1979), 'öffentliche Rücksichten', 'öffentliche Interessen' (VfSlg. 7879/1976), 'Verkehrserfordernisse', 'Verkehrssicherheit', 'funktionelle Bedeutung eines Straßenzuges' und 'Vermeidung unzumutbarer Belästigungen der Nachbarn und Wirtschaftlichkeit' für die Festlegung eines Straßenverlaufes (VfGH 13. 10. 1983 V8/82).
Wenn der VwGH ein Indiz für die Verfassungswidrigkeit des §23 Kärntner Bauordnung daraus ableiten will, daß in den Bauordnungen anderer Länder weniger weitgehende Verordnungsermächtigungen enthalten sind, so kann dies nur ins Leere gehen; es steht dem Gesetzgeber immer frei, eine Angelegenheit bis ins kleinste Detail selbst zu regeln oder sie in mehr oder weniger großem Rahmen der Regelung durch die Vollziehung zugänglich zu machen.
Bei den Bauvorschriften handelt es sich ausschließlich um technische Anordnungen über die Lage und Ausführung von Vorhaben, die der Bewilligungspflicht nach der Kärntner Bauordnung unterliegen. Diese 'bautechnischen Angelegenheiten' unterliegen - ebenso wie die Planungsverwaltung einer eigenen Planungsgewalt - einer eigenen Gesetzlichkeit, wobei sich die erforderlichen Normen nach den Erkenntnissen der Wissenschaften, insbesondere der technischen Wissenschaften, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen der Sicherheit, der Gesundheit, der Energieersparnis, des Verkehrs, der Zivilisation, des Landschschaftsbildes und des Ortsbildes, abgestellt auf die Art, die Lage, den Umfang, die Größe und die Verwendung des baubewilligungspflichtigen Vorhabens ergeben.
Es könnte also die Auffassung vertreten werden, daß auch im Bereich des Baurechts gleichsam eine Abart der 'Finalprogrammierung' zum Tragen zu kommen hat. Eine 'Sachgerechtigkeitsprüfung' einer bestimmten Regelung der Bauvorschriften im Hinblick auf die angegebenen unbestimmten Gesetzesbegriffe im Zusammenhang mit den einzelnen Kriterien des §23 ist immer möglich.
Die Kärntner Landesregierung vertritt daher zusammenfassend die Auffassung, daß die Bestimmungen des §23 der Kärntner Bauordnung keine formalgesetzliche Delegation enthalten, sondern daß sie auch das 'Wie' der technischen Bauvorschriften ausreichend vorausbestimmen. §23 Kärntner Bauordnung entspricht im Zusammenhang mit §22 den Anforderungen des Art18 Abs2 B-VG. ..."
1.2.3. Außerdem langten Stellungnahmen des Bf. im verwaltungsgerichtlichen Anlaßbeschwerdeverfahren Z 82/06/0189 (W P) sowie der Gemeinde K, einer mitbeteiligten Partei in eben diesem Verfahren, ein; W P schloß sich der Rechtsauffassung des VwGH an, die Gemeinde K begehrte die Abweisung der Anträge des VwGH.
2.1.1. Die mit "Bauvorschriften" überschriebene Vorschrift des §23 des Gesetzes vom 30. Juni 1969, mit dem eine Bauordnung für das Land Kärnten erlassen wurde (Ktn. Bauordnung), LGBl. 48/1969, hat folgenden Wortlaut:
"Die Landesregierung hat durch Verordnung in Durchführung der Bestimmungen des §22 Vorschriften zu erlassen, die den Anforderungen, welche sich aus der Art, der Lage, dem Umfang, der Größe und der Verwendung der Vorhaben ergeben, Rechnung tragen."
2.1.2. Die im §23 Ktn. Bauordnung bezogene Bestimmung des §22 dieses Gesetzes idF der 2. Bauordnungs-Nov., LGBl. 79/1979 - betitelt mit "Anforderungen" - lautet folgendermaßen:
"Vorhaben müssen den Anforderungen der Sicherheit, der Gesundheit, die (gemeint wohl: der) Energieersparnis, des Verkehrs, der Zivilisation, des Landschaftsbildes und des Ortsbildes nach den Erkenntnissen der Wissenschaften, insbesondere der technischen Wissenschaften, entsprechen."
2.1.3. Der Motivenbericht zur RV der Ktn. Bauordnung, Z Verf-133/6/1967, führt zu diesen Bestimmungen, die in der Regierungsvorlage noch eine andere Paragraphenbezeichnung trugen (§29 Abs1 und 2), folgendes aus:
"Zu §29 Abs1:
Im Gegensatz zu den bisher bestehenden Bauordnungen, insbesondere auch im Gegensatz zur Kärntner Bauordnung aus dem Jahre 1866 und der Bauordnung für die Landeshauptstadt Klagenfurt aus dem Jahre 1904 soll nun die neue Kärntner Bauordnung keine ins Detail gehenden bautechnischen Bestimmungen enthalten. Dies erscheint deshalb zweckmäßig, weil der ständige technische Fortschritt dazu führt, daß die in den Gesetzen enthaltenen technischen Detailbestimmungen in Kürze überholt sind und nur im Wege des langwierigen Gesetzgebungsverfahrens geändert werden können. Es erscheint daher wichtig, in die neue Bauordnung nur jene grundlegenden Bestimmungen aufzunehmen, die gewährleisten, daß die durch Vorhaben iS der §§3 und 4 dieses Gesetzentwurfes verbundenen Gefahren hintangehalten werden. Diese grundlegenden Bestimmungen sollen gleichzeitig auch die Basis für die durch die Landesregierung zu erlassenden Verordnungen darstellen, mit denen bautechnische Detailvorschriften festgelegt werden. Diese Verordnungen können im Hinblick auf ihre leichtere Abänderungsmöglichkeit ständig dem letzten Stand von Technik und Wissenschaft angepaßt werden.
Zu §29 Abs2:
1. Die Bauvorschriftenverordnung wird entsprechend den Bestimmungen des §29 Abs1 des Entwurfes unter dem Tatbestand Sicherheit Regelungen zu treffen haben über die Festigkeit (statischen Erfordernisse), die Feuersicherheit, die Verkehrssicherheit, allenfalls den Zivilschutz usw.
In Ausführung des Tatbestandes Gesundheit werden Bestimmungen zu treffen sein über die Abwehr von Feuchtigkeit, Kälte und Lärm, die Sicherstellung von Licht, Luft und Sonne. Hierher fallen auch Bestimmungen über die Ermöglichung der Reinhaltung von Gebäuden und Gebäudeteilen, Bestimmungen, die eine Geruchsbelästigung hintanhalten sollen und die einer einwandfreien Trinkwasserversorgung dienen.
Durch die Bedachtnahme auf die Anforderungen der Zivilisation, also die durch den Fortschritt der Wissenschaft und Technik geschaffenen verbesserten Lebensbedingungen, soll insbesondere hinsichtlich von Gebäuden ein Durchschnittsstandard in bezug auf sanitäre Einrichtungen, Lifte und Vorkehrungen, die eine Belästigung insbesondere durch Lärm und Geruch hintanhalten sollen, gewährleistet werden.
Unter die Tatbestände Ortsbild und Landschaftsbild werden Bestimmungen über die äußere Erscheinungsform von Gebäuden, insbesondere die Form der Dächer, die Fassadengestaltung und die Farbgebung fallen.
2. Die Bestimmungen des Art18 Abs2 B-VG, daß eine Verwaltungsbehörde Verordnungen nur aufgrund der Gesetze erlassen kann, schließt nicht nur ein gesetzänderndes, sondern auch ein sogenanntes selbständiges Verordnungsrecht aus. Verordnungen können daher nur zur näheren Durchführung von Gesetzen erlassen werden. Damit aber von einer solchen Durchführung gesprochen werden kann, muß das durchzuführende Gesetz iS des B-VG inhaltlich hinreichend bestimmt sein und müssen schon aus dem Gesetz allein alle Wesensmerkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (VfSlg. 2276/1952).
Es wäre allerdings eine Überspannung des Grundsatzes, der im Art18 Abs2 B-VG ausgesprochen ist, wollte man die Ansicht vertreten, daß die Verordnungsermächtigung des Abs2 formeller Natur ist (VfSlg. 1983/1950). Der zulässige Umfang der Regelung der Bauvorschriften ist durch die unbestimmten Gesetzesbegriffe des Abs1 (Sicherheit, Gesundheit, Verkehr, Zivilisation, Landschaftsbild und Ortsbild) begrenzt. Ein unbestimmter Gesetzesbegriff muß trotz seiner unbestimmten Ausdrucksweise - zumindest im Zusammenhalt mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzes - eine bestimmte Regelung umschreiben, soll er der Vorschrift des Art18 B-VG entsprechen (VfSlg. 3297/1957). Unbestimmte Gesetzesbegriffe sind unbedenklich, soweit sie noch eine Prüfung der Verordnung am Gesetzesinhalt ermöglichen (VfSlg. 3297/1957, 3360/1958, 3981/1961 ua.). Eine Prüfung der Bauvorschriftenverordnung am Gesetzesinhalt ist möglich, da der Zusammenhalt, durch den die unbestimmten Gesetzesbegriffe des Abs1 konkretisiert werden, sich aus den Erkenntnissen der Wissenschaft und aus der Anordnung des Abs1, daß einerseits auf die Lage, also die örtlichen Gegebenheiten, und andererseits auf die Art, den Umfang und die Größe des Vorhabens Bedacht zu nehmen ist, ergibt."
2.2. §3 (bezeichnet mit "Grundstück") und §4 (bezeichnet mit "Abstandsflächen") der V der (Ktn.) Landesregierung vom 9. Juli 1980, Z Verf-38/43/1980, mit der Bauvorschriften (iS des §23 Ktn. Bauordnung) erlassen wurden (Ktn. Bauvorschriften 1980), LGBl. 61/1980, lauten:
§3:
"Gebäude und sonstige bauliche Anlagen dürfen nicht auf Grundstücken errichtet werden, die sich im Hinblick auf die Bodenbeschaffenheit, die Grundwasserverhältnisse oder wegen einer Gefährdung durch Hochwässer, Lawinen, Steinschlag oder wegen ähnlicher Gefahren für eine Bebauung nicht eignen; dies gilt insofern nicht, als diese Gefahren durch geeignete Maßnahmen abgewendet werden oder keine Gefährdung von Menschen eintritt oder wenn es sich um bauliche Anlagen zur Abwehr oder Verringerung von Gefahren handelt."
§4:
"(1) Der Abstand oberirdischer Gebäude von der Grundstücksgrenze und von anderen Gebäuden ist nach den Bestimmungen der Abs2 bis 9 festzulegen, soweit sich aus einem Bebauungsplan keine anderen Abstände ergeben.
(2) Oberirdische Gebäude sind so anzuordnen, daß vor ihren Außenwänden, ausgenommen vor deren Ecken, Abstandsflächen liegen, auf denen keine Gebäude und keine sonstigen oberirdischen baulichen Anlagen bestehen oder errichtet werden dürfen. Von diesem Verbot sind ausgenommen:
a) bauliche Anlagen, die an keiner Stelle mehr als 1,0 m hoch sind;
b) bauliche Anlagen sowie Gebäude, die keine Aufenthaltsräume und Feuerstätten enthalten wie Garagen u. ä., wenn sie nicht höher als 2,50 m über dem verglichenen Gelände liegen, wenn Interessen der Sicherheit, der Gesundheit und des Schutzes des Ortsbildes nicht verletzt werden und wenn ein Lichteinfall im Sinne des Abs4 nicht verhindert wird;
c) Dachvorsprünge, Sonnenblenden, Erker, Balkone, Wetterdächer u. ä. bis zu einer Ausladung von 1,30 m;
d) überdeckte, seitlich offene oder an einer Längsseite geschlossene und höchstens 2,0 m breite und 2,50 m hohe Zugänge zum Gebäude;
e) überdeckte, mindestens an zwei Stellen offene Terrassen von höchstens 25 Quadratmeter Grundfläche, bis zu einer Höhe von 2,50 m.
(3) Die Abstandsfläche (Abs2) muß so tief sein wie sechs Zehntel des Abstandes zwischen der Außenwand und dem Schattenpunkt, der sich auf einer in Höhe des jeweiligen Fußpunktes der Außenwand gelegten Waagrechten ergibt, wenn über das Gebäude Licht unter einem Winkel von 45 Grad einfällt. Bei der Ermittlung der Schattenpunkte sind untergeordnete Bauteile, wie Kamine u. ä., sowie Vorsprünge und Vorbauten (Abs2 litc bis e) nicht zu berücksichtigen. Als Außenwand gilt eine lotrechte Ebene in der äußersten Begrenzungslinie des Gebäudes, wobei Vorsprünge und Vorbauten nur insoweit zu berücksichtigen sind, als sie das im Abs2 litc bis e genannte Ausmaß überschreiten.
(4) Vor Außenwänden mit Fenstern von Aufenthaltsräumen müssen die Abstandsflächen in der Breite der Fenster so tief sein wie neun Zehntel des Abstandes zwischen der Außenwand und dem Schattenpunkt, der sich auf einer in Höhe der Fensterbrüstung gelegten Waagrechten ergibt, wenn über das Gebäude Licht unter einem Winkel von 45 Grad einfällt. Ergibt sich zwischen dem Schattenpunkt der Außenwand ein Abstand von weniger als 3,0 m, so ist ein Mindestabstand von 3,0 m anzunehmen. Bei Verglasungen ohne Fensterbrüstung, wie insbesondere Fenstertüren, ist die Waagrechte in Höhe von 1,0 m über dem Fußboden zu legen. Bauliche Anlagen unterhalb der Fensterbrüstung haben außer Betracht zu bleiben. Innerhalb der Abstandsflächen darf ein Lichteinfall von 45 Grad zur Waagrechten, gemessen an der Fensterbrüstung, durch Böschungen, Stützmauern, Erhebungen u. ä. nicht beeinträchtigt werden.
(5) Abstandsflächen gegenüberliegender Außenwände dürfen einander nicht überdecken. Soweit es sich jedoch um Abstandsflächen nach Abs4 innerhalb desselben Baugrundstückes handelt, darf eine Abstandsfläche bis zu ihrer halben Tiefe die andere überdecken, wenn hiedurch keine Interessen der Gesundheit, der Sicherheit oder des Schutzes des Ortsbildes verletzt werden. Als gegenüberliegende Außenwände gelten solche, deren Fluchten zueinander parallel verlaufen oder einen kleineren Winkel als 90 Grad einschließen.
(6) Soweit im Abs7 nicht anderes bestimmt ist, müssen die Abstandsflächen auf dem Baugrundstück selbst liegen.
(7) Angrenzende öffentliche Verkehrsflächen dürfen bis zu ihrer halben Tiefe in die Abstandsflächen einbezogen werden.
(8) Bei oberirdischen Gebäuden ist der sich aus Abs2 bis 7 ergebende Abstand zu vergrößern, wenn und soweit dies im Hinblick auf die Lage und Konfiguration des Grundstückes und auf den Verwendungszweck des Gebäudes im Interesse der Sicherheit oder der Gesundheit, insbesondere im Interesse einer ausreichenden Besonnung der Aufenthaltsräume, oder im Interesse des Schutzes des Ortsbildes erforderlich ist.
(9) Bei oberirdischen Gebäuden darf der aus Abs2 bis 7 ergebende Abstand verringert werden, wenn im Hinblick auf die Lage und Konfiguration des Grundstückes sowie eine zweckmäßige Bebauung und auf den Verwendungszweck des Gebäudes keine Interessen der Gesundheit oder der Sicherheit oder keine Interessen des Schutzes des Ortsbildes verletzt werden und wenn bei Gebäuden, die Wohnräume oder diesen vergleichbare Räume, wie Hotelräume u. ä., enthalten, ein Lichteinfall im Sinne des Abs4 nicht verhindert wird.
(10) Der Abstand zwischen baulichen Anlagen sowie zwischen baulichen Anlagen und Gebäuden zueinander und zur Grundstücksgrenze ist - soweit sich aus den Abs1 bis 7 nicht anderes ergibt - unter Bedachtnahme auf ihren Verwendungszweck so festzulegen, daß Interessen der Sicherheit, der Gesundheit und des Schutzes des Ortsbildes nicht verletzt werden."
3. Über die Anträge des VwGH wurde erwogen:
3.1. Zur Frage der Zulässigkeit der Normenprüfungsanträge:
3.1.1. Zunächst sei vorausgeschickt, daß der VfGH nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den VwGH an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH darf daher ein Antrag des VwGH iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (vgl. zB VfSlg. 4318/1962, 4644/1964, 5357/1966, 7999/1977, 8136/1977, 8318/1978, 8871/1980, 9284/1981, 9811/1983).
3.1.2. Im vorliegenden Fall kann nun keinesfalls mit Grund gesagt werden, daß der VwGH die Präjudizialitätsfrage denkunmöglich beantwortet habe.
Verfehlt ist in diesem Zusammenhang die Auffassung der Ktn. Landesregierung, der VwGH habe sein Anfechtungsrecht gleichsam verwirkt, weil es nicht bereits in anderen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zu einer Anfechtung der damals schon präjudiziell gewesenen Bestimmungen der Ktn. Bauordnung (§23) und der Ktn. Bauvorschriften (§§3 und 4) iS der Art140, 139 B-VG gekommen sei. Denn für eine derartige, von der Landesregierung auch gar nicht näher begründete Betrachtungsweise bieten das B-VG und das VerfGG keine wie immer gearteten Anhaltspunkte.
Das von der Landesregierung zitierte Erk. VfSlg. 2287/1951 (richtig: 2187/1951) betraf - anders als hier - eine Anfechtung, die erst eingebracht wurde, nachdem das anfechtende Gericht die angefochtene Norm in derselben Streitsache schon - mit rechtskräftig gewordenem Urteil - angewendet hatte, ohne daß eine nochmalige Anwendung in Betracht gekommen wäre.
3.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Normenprüfungsanträge zulässig.
3.2. Zur Sache selbst:
Die Anträge des VwGH sind aber auch begründet.
3.2.1. Zu §23 Ktn. Bauordnung:
3.2.1.1. §23 Ktn. Bauordnung verpflichtet die Landesregierung zur Erlassung einer V, die "in Durchführung der Bestimmungen des §22" Vorschriften zu enthalten hat, welche allen sich aus der Art, der Lage, dem Umfang, der Größe und der Verwendung der (Bau-)Vorhaben ergebenden "Anforderungen" Rechnung tragen. Das bedeutet, daß einerseits die Regelung des §22 (über "Anforderungen" der Sicherheit, der Gesundheit usw.) - s. Punkt 2.1.2. - zum mittelbaren Inhalt des §23 Ktn. Bauordnung wurde, anderseits aber §23 leg. cit. selbst - s. Punkt 2.1.1. - Vorschriften enthält, die diese schon in §22 leg. cit. umschriebenen "Anforderungen" zur Art, Lage, Beschaffenheit (Umfang, Größe) und Zweckwidmung (Verwendung) des Bauvorhabens in Beziehung setzen.
3.2.1.2. Wenn der VwGH vermeint, daß die Regelung des §23 Ktn. Bauordnung einer - der Norm des Art18 Abs1 und 2 B-VG widersprechenden - formalgesetzlichen Delegation gleichkomme, so ist er mit dieser Rechtsauffassung aus folgenden Erwägungen im Recht:
Nach der Bundesverfassung (Art18 Abs2 B-VG) sind V nur "aufgrund der Gesetze" zu erlassen. Das heißt, daß eine V bloß präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde . Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnung vollziehbar sein, müssen daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg. 4139/1962, 4662/1964, 5373/1966, 7945/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art18 Abs1 (und 2) B-VG in Widerspruch (s. VfSlg. 4072/1961, 4300/1962).
Die Grenze zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation wird nun in einzelnen Fällen nicht immer leicht zu bestimmen sein. Entscheidungskriterium ist hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann (s. VfSlg. 1932/1950, 2294/1952, 4072/1961).
Dabei sind in Ermittlung des Inhaltes des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden (Auslegungs-)Möglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen läßt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. ua. VfSlg. 8395/1978).
Nun bediente sich der Ktn. Landesgesetzgeber sowohl in §22 als auch in §23 der Bauordnung einer Mehrzahl sog. "unbestimmter", durch unscharfe Konturierung charakterisierter Begriffe, von denen jeder einzelne - für sich allein genommen - hinreichend determiniert sein mag, die aber in ihrer Gesamtheit keine bestimmte vollziehbare (Baurechts-)Regelung umreißen, sondern dem Verordnungsgeber - wie der VwGH im Ergebnis durchaus zutreffend herausstellt - in der Gestaltung des (mit nur final determinierbaren Planungsnormen - s. etwa VfSlg. 8280/1978 - nicht auf eine Stufe zu stellenden) materiellen Baurechts weitgehend freie Hand lassen. Denn der Gesetzgeber gibt sich hier damit zufrieden, das materielle Baurecht (in den §§22, 23 Bauordnung) auf zweierlei Weise zu umschreiben: Zum einen werden in Statuierung der an Bauvorhaben zu stellenden "Anforderungen" unbestimmte Rechtsbegriffe aus unterschiedlichen Lebensbereichen gehäuft und völlig undifferenziert aneinandergereiht (wie etwa Sicherheit, Gesundheit, Zivilisation, Landschaftsbild, Wissenschaften - §22 Bauordnung als mittelbarer Inhalt des §23 leg. cit.). Zum andern wird (in §23 Bauordnung) festgelegt, daß (auch) den "Anforderungen" der Bauvorhaben nach Art, Beschaffenheit und Zweckwidmung Rechnung zu tragen ist, ohne diese abermals nur durch Anführung unbestimmter Begriffe (wie Art, Lage Umfang usw.) benannten zusätzlichen Voraussetzungen näher zu bezeichnen. Da die Erfordernisse der in §23 Bauordnung einbezogenen Lebensgebiete verschiedenster Art naturgemäß nicht immer übereinstimmen und im Einklang stehen müssen, ja vielmehr durchaus gegensätzlicher Natur sein können und das Gesetz hier eine Rangordnung oder Gewichtung nicht erkennen läßt, aber auch keinerlei Anleitung zur Interessenabwägung gibt, bleibt die Gestaltung der materiellen Bauvorschriften für (Bau-)Vorhaben, wie sie §4 Bauordnung breitgefächert aufzählt, letzten Endes dem Verordnungsgeber überlassen, der dabei - je nach Betonung des einen oder anderen der im gesetzlichen Zielkatalog vorgezeichneten Gesichtspunkte - weithin bindungsfrei nach eigenen Zielvorstellungen verfahren kann (s. VfSlg. 9227/1981). Allein schon deshalb liegt aber in der Tat eine formalgesetzliche Delegation vor, die gegen Art18 B-VG verstößt.
3.2.1.3. Demzufolge mußte zu Abschnitt I spruchgemäß entschieden werden.
3.2.1.4. Der Ausspruch über das Inkrafttreten der Aufhebung stützt sich auf Art140 Abs5, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende auf Art140 Abs6 B-VG.
3.2.2. Zu den Ktn. Bauvorschriften 1980:
3.2.2.1. Die V der (Ktn.) Landesregierung vom 9. Juli 1980, Z Verf-38/43/1980, mit der Bauvorschriften erlassen wurden (Ktn. Bauvorschriften 1980), LGBl. 61/1980, - eine V iS des Art139 Abs1 B-VG - findet ihre Basis unbestrittenermaßen in der Bestimmung des §23 Ktn. Bauordnung, LGBl. 48/1969, die unter einem (s. Punkt I des Spruches) als verfassungswidrig aufgehoben wurde. Die angefochtenen Stellen dieser V sind darum nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden wären (vgl. VfSlg. 4172/1962, 6945/1972). Sie widersprechen also Art18 B-VG. Der VfGH geht im gegebenen Zusammenhang davon aus, daß die Vorschrift des §22 Ktn. Bauordnung, isoliert betrachtet, nach der - aus der Entstehungsgeschichte ableitbaren - Konzeption des Landesgesetzgebers keine ausreichende und tragfähige Grundlage für die Erlassung sogenannter Bauvorschriften abgeben sollte und tatsächlich auch nicht abgibt, vielmehr der Ergänzung durch §23 leg. cit. bedurfte und damit nach Aufhebung dieser Norm in dem in Rede stehenden Regelungsbereich nicht unmittelbar anwendbar ist.
3.2.2.2. Nach Lage dieses Falles gelangte der VfGH zur Auffassung, daß nicht nur die vom VwGH zur Aufhebung beantragten §§3 und 4 Ktn. Bauvorschriften, sondern die V insgesamt der gesetzlichen Grundlage entbehrt, weshalb, wie zu II des Spruches angeführt, auf Aufhebung dieser Norm zu erkennen war (Art139 Abs3 lita B-VG - s. hiezu VfSlg. 7951/1976, 8601/1979).
3.2.2.3. Die übrigen Entscheidungen fußen auf Art139 Abs5 B-VG.
Schlagworte
Baurecht, VfGH / Legitimation, Auslegung, Verweisung, Delegation formalgesetzliche, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:G82.1983Dokumentnummer
JFT_10158796_83G00082_00