TE Vfgh Beschluss 1984/12/14 E1/84

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Veröffentlicht am 14.12.1984
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art142
VfGG §15 Abs2
VfGG §19 Abs3 Z2 litc idF BGBl 353/1981
VfGG §72 Abs3

Leitsatz

B-VG Art142; Eingabe betreffend die Geltendmachung der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit des Landeshauptmannes gemäß Art142; keine Eignung zur Behandlung als Anklage; besonders strenge Anforderungen an derartige Anklagen; Eingabe enthält kein ausreichend bestimmtes Begehren iS des §15 Abs2 VerfGG

Spruch

Die Eingabe wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. In der 69. Sitzung der Bundesregierung am 11. Dezember 1984 wurde aufgrund eines Berichts des Bundeskanzlers "betr. verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des Landeshauptmannes von Salzburg" eine Eingabe an den VfGH beschlossen. In dem der Beschlußfassung zugrunde liegenden Vortrag an den Ministerrat wurde vom Bundeskanzler dargestellt, daß der Bundesminister für soziale Verwaltung dem Landeshauptmann von Sbg. mit Schreiben vom 26. November 1984 die Weisung erteilt habe, die V des Landeshauptmanns von Sbg. vom 6. November 1984, mit der für den 8. Dezember 1984 die Gewerbeausübung und Ausnahmen von der Arbeitsruhe zugelassen werden, LGBl. 87/1984, "soweit sie unter Berufung auf §13 ARG die Beschäftigung von Arbeitnehmern am 8. Dezember 1984 zuläßt, aufzuheben oder abzuändern". Dieser Weisung sei der Landeshauptmann von Sbg. nicht nachgekommen. Aufgrund dieses Vortrags stellte der Bundeskanzler "den Antrag, die Bundesregierung wolle beschließen: Der Verfassungsdienst wird ermächtigt, an den VfGH folgendes" (dem Antrag beiliegendes) "Schreiben zu richten:".

2. Dieses vom Bundeskanzler unterfertigte Schreiben der Bundesregierung vom 11. Dezember 1984 langte am selben Tag beim VfGH ein. In diesem Schriftsatz heißt es:

"Betrifft: Verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des Landeshauptmannes von Salzburg

Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung am 11. Dezember 1984 gemäß Art142 B-VG beschlossen, die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des

Landeshauptmannes von Salzburg, Dr. W H, ...

für die durch seine Amtstätigkeit erfolgte schuldhafte Rechtsverletzung vor dem VfGH geltend zu machen und stellt fest:

Dr. W H hat als Landeshauptmann von Salzburg die ihm vom Bundesminister für soziale Verwaltung im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung schriftlich erteilte, ausdrückliche Weisung vom 26. November 1984, GZ (des Bundesministeriums für soziale Verwaltung) 31151/99-V/2/1984, die Verordnung des Landeshauptmannes von Salzburg vom 6. November 1984, (Salzburger) LGBl. Nr. 87, mit der für den 8. Dezember 1984 die Gewerbeausübung und Ausnahmen von der Arbeitsruhe zugelassen werden, soweit sie aufgrund des §13 Abs1 und 2 des Arbeitsruhegesetzes, BGBl. Nr. 144/1983, am 8. Dezember 1984 in bestimmten Betrieben die Beschäftigung von Arbeitnehmern zuläßt, abzuändern bzw. aufzuheben, nicht befolgt.

Er hat hiedurch seiner aus Art103 Abs1 B-VG erfließenden verfassungsrechtlichen Pflicht, Weisungen des zuständigen Bundesministers zu befolgen, zuwidergehandelt und daher in seiner Amtstätigkeit eine schuldhafte Rechtsverletzung im Sinne des Art142 Abs1 und Abs2 litd B-VG begangen.

Es wird ein Erkenntnis im Sinne des Art142 Abs3 B-VG zu fällen sein."

Sodann beantragt die Bundesregierung ausdrücklich die Verlesung bestimmter Schriftstücke in der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Weiters enthält die Eingabe eine Begründung, in der die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung ausführt.

II. Der VfGH hat über die Zulässigkeit der Eingabe erwogen:

Das Vorbringen der Bundesregierung kulminiert in der Formulierung:

"Es wird ein Erkenntnis im Sinne des Art142 Abs3 B-VG zu fällen sein".

Diese Formulierung ist aus verschiedenen Gründen unklar. Sie enthält nämlich keinen bestimmt formulierten Antrag, mit dem ein verurteilendes Erk. des VfGH iS des Art142 Abs4 B-VG begehrt wird. Das Fehlen eines entsprechenden Antrags fällt umso mehr auf, als die Bundesregierung in den verfassungsgerichtlichen Verfahren, die zu den Entscheidungen VfSlg. 8/1921 und 206/1923 geführt haben, ausdrücklich Anträge formuliert hat, in denen eine verurteilende Entscheidung durch den VfGH begehrt wird, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß die Bundesregierung in beiden Fällen - zulässigerweise - angeregt hat, der VfGH möge sich hiebei auf die Feststellung beschränken, daß eine Rechtsverletzung vorliegt. Auch die Bezugnahme auf den Abs3 des Art142 B-VG (der keine Regelung über ein vom VfGH zu fällendes verurteilendes Erk., sondern nur eine Regelung über die Ausdehnung der Anklage auf andere Mitglieder der Landesregierung enthält) vermag den fehlenden Antrag nicht zu ersetzen.

Die zitierte Formulierung des Schriftsatzes der Bundesregierung findet sich in jenem Abschnitt der Eingabe, der mit den Worten "Die Bundesregierung ... stellt fest:" eingeleitet wird. Damit wird in der Eingabe lediglich zum Ausdruck gebracht, wie die Bundesregierung das Verhalten des Landeshauptmanns wertet und welche Schlußfolgerungen sie daran knüpft, nämlich, daß sie feststellt, es werde ein Erk. des VfGH iS des Art142 Abs3 B-VG zu fällen sein. Die Bundesregierung hat dabei offenkundig in voller Absicht vermieden, einen bestimmten Antrag zu formulieren. In auffälligem Gegensatz zu der verwendeten Formulierung fügt die Bundesregierung dem zitierten Satz nämlich bestimmte (als solche bezeichnete) Anträge an, die sich aber nicht auf ein vom VfGH zu beschließendes Erk., sondern bloß darauf beziehen, daß bestimmte Schriftstücke in der öffentlichen mündlichen Verhandlung verlesen werden sollen.

Dazu kommt, daß es im Schriftsatz der Bundesregierung - im Gegensatz zu den beiden genannten Anträgen der Bundesregierung aus 1921 und 1923 - vermieden wird, das Wort "Anklage" zu verwenden. Es wird daher durch den Schriftsatz der Bundesregierung nicht mit hinreichender Deutlichkeit klar, welches bestimmte Begehren (§15 Abs2 VerfGG) die Bundesregierung an den VfGH zur Entscheidung herantragen möchte. Auch iZm. der Begründung der Eingabe bleibt nämlich offen, ob die Bundesregierung eine Anklage iS des Art142 Abs2 litd B-VG erheben will und ein verurteilendes Erk. durch den VfGH begehrt oder ob ihr Begehren bloß auf die Feststellung einer Rechtswidrigkeit eines bestimmten Vorgangs im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung gerichtet ist, ohne daß es dabei zu einer förmlichen Verurteilung kommen soll.

Es läßt aber auch der unter Punkt I 1. geschilderte Vorgang in der Ministerratssitzung vom 11. Dezember 1984 eine Deutung des Schriftsatzes der Bundesregierung als Anklage nicht zu:

Aus §72 Abs3 VerfGG geht hervor, daß zur Geltendmachung der staatsrechtlichen Verantwortlichkeit gemäß Art142 Abs2 litd B-VG ein "Beschluß der Bundesregierung auf Erhebung der Anklage" erforderlich ist. Der oben wiedergegebene Vorgang in der Sitzung der Bundesregierung macht deutlich, daß - anders als in dem mit VfSlg. 206/1923 abgeschlossenen Verfahren - ein derartiger Beschluß nicht ausdrücklich gefaßt wurde: Es findet sich nämlich weder in dem dem VfGH vorgelegten Auszug aus dem Ministerratsprotokoll noch im Vortrag des Bundeskanzlers an den Ministerrat ein entsprechender Hinweis. Die Bundesregierung hat über Antrag des Bundeskanzlers lediglich beschlossen, der Verfassungsdienst werde ermächtigt, ein bestimmtes - oben näher beschriebenes - Schreiben an den VfGH zu richten. Im Hinblick auf die oben geschilderte Undeutlichkeit dieses Schreibens kann aber auch die Tatsache, daß dieses Schreiben der Beschlußfassung der Bundesregierung zugrunde lag, den vom VerfGG geforderten Anklagebeschluß nicht ersetzen.

Nach Auffassung des VfGH kann im Hinblick auf die staatsrechtliche Bedeutung eines derartigen Aktes ein Schriftsatz nur dann als Anklage iS des Art142 B-VG angesehen werden, wenn er diese Qualifikation mit voller Deutlichkeit erkennen läßt. Es sind daher an derartige Anklagen besonders strenge Anforderungen zu stellen. Der vorliegenden Eingabe, die - wie sich aus den obigen Erwägungen ergibt - nicht mit hinreichender Deutlichkeit klarstellt, ob ein Staatsorgan unter staatsrechtliche Anklage gestellt werden soll oder nicht, ist aber ein ausreichend bestimmtes Begehren, wie es §15 Abs2 VerfGG zwingend erfordert, nicht zu entnehmen. Ein derartiger Mangel bewirkt, daß die Eingabe nicht zur Behandlung als Anklage iS des Art142 B-VG geeignet ist, weshalb sie in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 litc VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen werden mußte.

Schlagworte

VfGH / Anklage, VfGH / Formerfordernisse, Landeshauptmann

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:E1.1984

Dokumentnummer

JFT_10158786_84E00001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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