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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbBeachte
einer der Anlaßfälle zu VfSlg. 10291/1984Leitsatz
FinStrG §89 Abs2; Rechtsverletzung im Anlaßfall (Beschlagnahme) nach Aufhebung des §89 Abs2 als verfassungswidrig Art144 Abs1 B-VG; finanzamtliche Pfändung durch Widerspruch gemäß §14 AbgEO bekämpfbar - keine Ausübung umittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; Unterbleiben einer Sachherausgabe - keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und ZwangsgewaltSpruch
I. Die Bf. ist dadurch, daß Organe des Finanzamtes Wr. Neustadt dortselbst im Finanzstrafverfahren AZ ... Vr 12/81 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt freigegebene Gegenstände beschlagnahmt haben, und zwar
1. am 18. Feber 1981
a) fünf Sparbücher, bezeichnet mit Überbringer (Konto-Nr. ....277, ....251, ....244, ....236 und ....269) mit Einlagenstand von je 100000 S, sowie dazugehörige fünfzehn Sparkonten(blätter) mit Losungswort "B", lautend auf Überbringer, versehen mit den Konto-Nr. ....236, ....244, ....261, ....269, ....277, ....594, ....216, ....948, ....955, ....963, ....971, ....312, ....304, ....775 und ....448,
b) ein Sparkontenblatt, bezeichnet mit "P" (Konto-Nr. ....026) und
c) neun Sparkontenblätter, lautend auf "S", "M", "St", "..21" und "F", versehen mit den Konto-Nr. ....888, ....940, ....452, ....999, ....904, ....896, ....870, ....957, ....860, sowie
2. am 20. Feber 1981 ein Sparbuch mit Nr. ....930 (J W, Einlagestand 656132,38 S),
wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
II. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
In diesem Umfang wird der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Wie insbesondere aus den Akten AZ ... Vr 12/81 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt hervorgeht, gab der für diese Strafsache (gegen E B ua.) zuständige Richter in einer am 18. Feber 1981 - im Gebäude des Finanzamtes Wr. Neustadt - stattgefundenen Tagsatzung aufgrund einer gerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung bereits nachts zum 16. Jänner1981 bei der Raiffeisenkasse N reg. Genossenschaft mbH beschlagnahmtes Gut frei (S 7 Punkt des Gerichtsprotokolls), und zwar:
a) fünf Sparbücher, bezeichnet mit Überbringer (Konto-Nr. ....277, ....251, ....244, ....236 und ....269) mit Einlagenstand von je 100000 S, sowie zugehörige fünfzehn Sparkonten(blätter) mit Losungswort "B", lautend auf Überbringer, versehen mit den Konto-Nr. ....236, ....244, ....261, ....269, ....277, ....594, ....216, ....948, ....955, ....963, ....971, ....312, ....304, ....775 und ....448;
b) ein Sparkontenblatt, bezeichnet mit "P", (Konto-Nr. ....026) und
c) neun Sparkontenblätter, lautend auf "S", "M", "St", "..21" und "F", versehen mit den Konto-Nr. ....888, ....940, ....452, ....999, ....904, ....896, ....870, ....957 und ....860.
Diese unter den Punkten a) bis c) bezeichneten Unterlagen wurden im Anschluß an die gerichtliche Freigabe von Organen des Finanzamtes Wr. Neustadt an Ort und Stelle in Handhabung der Bestimmung des §89 Abs2 FinStrG beschlagnahmt, weil sie nach Auffassung der einschreitenden Finanzbeamten als Beweismittel in einem finanzbehördlichen Strafverfahren in Betracht kommen konnten (Niederschrift vom 18. Feber 1981).
1.1.2. Ferner beschlagnahmten Organe des Finanzamtes Baden bei Wien aus Anlaß der einleitend angeführten Hausdurchsuchung bei der Raiffeisenkasse N reg. Genossenschaft mbH am 16. Jänner 1981 gemäß §89 Abs2 FinStrG zwei vorgefundene Brillanten, die von G G als Verwahrstücke Nr. ... hinterlegt worden waren und in der Folge offenbar in amtlicher Verwahrung verblieben.
1.1.3. Außerdem ordnete die Vollstreckungsstelle des Finanzamtes Eisenstadt gleichfalls iZm. der in Rede stehenden Hausdurchsuchung am 16. Jänner 1981 die (amtliche) Verwahrung von zwölfhundert (einfachen) Golddukaten an, die sich in der Raiffeisenkasse N reg. Genossenschaft mbH befunden hatten und lt. Vermerk im Vollstreckungsakt Z .../6587 des Finanzamtes Eisenstadt der Firma O & Co. KG gehören.
1.1.4. Schließlich wurde eine Reihe von Gegenständen, die aus der besagten Hausdurchsuchung bei der Raiffeisenkasse N reg. Genossenschaft mbH herrührten, in Berufung auf entsprechende Sicherstellungsaufträge - gegen verschiedene Abgabenschuldner - gemäß §232 BAO finanzbehördlich gepfändet, nämlich
a) ein Sparbuch der Stmk. Bank in Graz, lautend auf "T", Nr. 0011-..., mit Einlagenstand von 500000 S, ein Raiffeisensparbuch der RAIKA N/L, lautend auf "D", Nr. ....042, mit Einlagenstand von 300000 S, ein Raiffeisensparbuch der RAIKA N/L, lautend auf "Überbringer", Nr. ....445, mit Einlagenstand von 165825,98 S, und ein Raiffeisensparbuch der RAIKA N/L, lautend auf "Überbringer", Nr. ....076, mit Einlagenstand von 52455,55 S (Pfändungsprotokolle vom 2. Feber 1981, AHE-.../6875 des Finanzamtes Wr. Neustadt),
b) vier Sparbücher Nr. ....257 ("P I", Stand 640000 S), Nr. ....997 ("H", Stand 14727,94 S), Nr. ....323 ("P", Stand 40269,63 S) und Nr. ....318 ("K F-Kaution", Stand 54890,86 S) (Pfändungsprotokolle vom 5. Feber 1981, Z 360/1820 des Finanzamtes Eisenstadt),
c) neunzig Stück Silberbarren zu je 1 kg sowie Anleihestücke (mit 36000 S Nominale) und mindestens 2000 ITT-Aktien (ua. Pfändungsprotokolle vom 23. Jänner 1981, Z 860/2951 des Finanzamtes Eisenstadt).
1.1.5. Im Verlauf einer im Verfahren AZ ... Vr 12/81 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt am 20. Feber 1981 im dortigen Finanzamtsgebäude fortgesetzten Tagsatzung übergab der Richter den anwesenden Organen des Finanzamtes Wr. Neustadt (auch) ein Sparbuch mit Nr. ....930 (J W, Einlagenstand 656132,38 S), von dem nicht feststand, ob es bei der seinerzeit gerichtlich verfügten Hausdurchsuchung in den Räumen der Raiffeisenkasse N reg. Genossenschaft mbH beschlagnahmt worden war (S 9, 10, 12 und 13 des Gerichtsprotokolls). Dieses Buch wurde daraufhin von Beamten des genannten Finanzamtes gemäß §89 Abs2 FinStrG wegen Gefahr im Verzug als Beweismittel beschlagnahmt und amtlich verwahrt (finanzamtliche Niederschrift vom 20. Feber 1981).
1.2.1. Die Raiffeisenkasse N reg. Genossenschaft mbH begehrte in ihrer am 17. März 1981 beim VfGH überreichten Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, daß sie durch die Beschlagnahme zu Punkt 1.1.1. vom 18. Feber 1981 und zu Punkt 1.1.5. vom 20. Feber 1981, ferner ersichtlich durch die finanzbehördlichen Pfändungen zu Punkt 1.1.4. sowie dadurch, daß die zu Punkten 1.1.2. und 1.1.3. bezeichneten Gegenstände nach dem 18. Feber 1981 nicht herausgegeben wurden (s. insbesondere S 13 und 14 der Beschwerdeschrift), demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei, nämlich im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 des 1. ZP zur MRK), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf Schutz des Briefgeheimnisses (Art10 StGG) sowie im Recht nach Art6 MRK und Art18 B-VG; hilfsweise wurde die Abtretung der Beschwerde an den VwGH gemäß Art144 Abs2 B-VG idF vor dem BVG BGBl. 350/1981 beantragt.
1.2.2. Das Finanzamt Wr. Neustadt als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - jedenfalls in bezug auf das zu Punkten 1.1.1. und 1.1.5. genannte Verwaltungsgeschehen eine Gegenschrift und begehrte darin sinngemäß die Abweisung der Beschwerde.
1.3.1. Der VfGH leitete in dieser Beschwerdesache mit Beschluß vom 10. Juni 1983, Z B146, 147/81-18, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§89 bis 92 FinStrG ein.
1.3.2. Mit Erk. des VfGH vom 3. Dezember 1984, Z G24, 50/83 ua., wurde (ua.) die Vorschrift des §89 Abs2 FinStrG als verfassungswidrig aufgehoben. Zugleich wurde verfügt, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
2. Zu Punkt I des Spruches:
2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies ua. für eine Beschlagnahme, dh. die zwangsweise Entziehung einer Sache zum Zweck der Verwahrung (VfSlg. 4947/1965, 6754/1972, 9099/1981), zutrifft, die nicht aufgrund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfand. Zu solchen bescheidfreien Beschlagnahmen zählen auch die in §89 Abs2 FinStrG vorgesehenen: Diese Bestimmung berechtigt ua. Organe der Abgabenbehörden, bei Gefahr im Verzug verfallsbedrohte und als Beweismittel in Betracht kommende Gegenstände auch dann in Beschlag zu nehmen, wenn eine - vom Gesetz für Beschlagnahmen in erster Linie vorgesehene - (bescheidmäßige) Anordnung der Finanzstrafbehörde (iS des §89 Abs1 FinStrG) nicht vorliegt (s. auch VfGH 26. 11. 1982 B289/82 ua.). Um eine derartige amtliche Beschlagnahme iS des §89 Abs2 FinStrG handelt es sich auch im gegebenen Fall.
2.1.2. Da - insoweit - ein Instanzenzug nicht offensteht und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig (s. dazu schon: VfSlg. 10291/1984).
2.2. Gemäß Art140 Abs7 Satz 2 B-VG war die als verfassungswidrig aufgehobene Bestimmung des §89 Abs2 FinStrG (s. bereits Punkt 1.3.2.), auf die allein sich die hier angefochtenen Verwaltungsakte (Beschlagnahmen) gestützt hatten (s. Punkte 1.1.1. und 1.1.5.), im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) anzuwenden.
Demnach bleibt festzuhalten, daß die Bf. durch die in Rede stehenden, in Handhabung des §89 Abs2 FinStrG verfügten Beschlagnahmen wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt wurde.
2.3. Somit mußte spruchgemäß entschieden werden, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
3. Zu Punkt II des Spruches:
3.1.1. Was die zu Punkt 1.1.4. bezeichneten finanzamtlichen Pfändungen betrifft, ist festzuhalten, daß nach §78 Abs1 AbgEO aufgrund eines Sicherstellungsauftrags (§232 BAO) ua. zur Sicherung von Abgaben schon vor Eintritt der Rechtskraft die Vornahme von Vollstreckungshandlungen angeordnet werden darf.
Eine dritte Person kann nach §14 AbgEO Widerspruch gegen die Vollstreckung erheben, wenn sie "an einem durch die Vollstreckung betroffenen Gegenstand oder an einem Teil eines solchen ein Recht behauptet, welches die Vornahme der Vollstreckung unzulässig machen würde." Trägt das Finanzamt einem derartigen Rechtsakt nicht dadurch Rechnung, daß es die Vollstreckung auf die betroffene Sache einstellt, ist der Widerspruch bei Gericht mit Klage geltend zu machen.
3.1.2. Wie der VfGH schon in seinem Erk. VfSlg. 7486/1975 ausführte, kann also nach §14 AbgEO mit der Behauptung eines entsprechenden Rechtes an jenem Gegenstand, auf den vollstreckt wird, Widerspruch geführt werden. Im vorliegenden Fall behauptet die Bf., sie sei in ihren Rechten an den gepfändeten Gegenständen verletzt worden.
Sie hatte folglich die Möglichkeit, die Pfändung durch Widerspruch gemäß §14 AbgEO zu bekämpfen.
3.1.3. Damit liegt aber ein vor dem VfGH mit Beschwerde anfechtbarer Akt ummittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht vor (zB VfSlg. 5720/1968, 9418/1982).
3.2.1. Zu den Punkten 1.1.2. und 1.1.3. richtet sich die Beschwerde in Wahrheit lediglich gegen das Unterbleiben einer Sachherausgabe (ab dem 18. bzw. 20. Feber 1981), das der Rechtsmeinung der bf. Raiffeisenkasse zuwider keinesfalls als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zangsgewalt iS des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 zu beurteilen ist, der - sogleich - vor dem VfGH anfechtbar wäre. Denn ein solcher Verwaltungsakt ist nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH dann nicht gegeben, wenn die Behörde - wie hier - bloß untätig blieb, weil sie in dieser Beziehung von ihrer Befehls- und Zwangsgewalt gar nicht Gebrauch macht (zB VfSlg. 6470/1971, 9025/1981, 9348/1982, 9503/1982, 9813/1983; VfGH 29. 9. 1976 B358/76).
3.2.2. Die solcherart behauptete rechtswidrige Säumnis der Finanzbehörde kann demgemäß weder nach Art144 Abs1 B-VG noch - wie beizufügen ist - nach einer anderen Rechtsvorschrift beim VfGH bekämpft werden.
3.3. Aus diesen Gründen war die Beschwerde - im dargelegten Umfang - wegen Nichtzuständigkeit des VfGH als unzulässig zurückzuweisen.
3.4. Der auf Art144 Abs2 B-VG idF vor dem BVG BGBl. 350/1981 gestützte Eventualantrag der Bf. auf Beschwerdeabtretung an den VwGH war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur für den - vorliegend nicht zutreffenden - Fall einer ablehnenden Sachentscheidung des VfGH vorgesehen ist, nicht hingegen auch bei Zurückweisung einer unzulässigen Beschwerde (vgl. zB VfSlg. 9771/1983).
Schlagworte
Finanzstrafrecht, Beschlagnahme, VfGH / Anlaßfall, Vollstreckung (Finanzen), Abgaben Vollstreckung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und ZwangsgewaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B146.1981Dokumentnummer
JFT_10149779_81B00146_00