TE Vfgh Erkenntnis 1985/2/27 V47/82, V42/83, V60/83

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.02.1985
beobachten
merken

Index

95 Technik
95/06 Ziviltechniker

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
AVG §56
IngenieurkammerG §2, §3
NotariatsO §154 Abs1
Verordnung der Vollversammlung der Sektion Ingenieurkonsulenten der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten vom 04.02.80 betreffend die wiederkehrende Überprüfung jeder Kanzlei eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen, kundgemacht mit Schreiben der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten. Sektion Ingenieurkonsulenten an alle Sektionsmitglieder vom 20.02.80

Beachte

Kundmachung BGBl. 246/1985 am 21. Juni 1985

Leitsatz

V der Vollversammlung der Sektion Ingenieurkonsulenten der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. vom 4. Feber 1980 betreffend die wiederkehrende Überprüfung jeder Kanzlei eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen gesetzwidrig - §2 Abs1, Abs2 Z2 und Abs3 Z6 IngenieurkammerG ermächtigt nicht, zur Erfüllung der Überwachungs- und Beaufsichtigungspflicht irgendwelche Zwangsmaßnahmen zu setzen

Spruch

Die V der Vollversammlung der Sektion Ingenieurkonsulenten der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. vom 4. Feber 1980 betreffend die wiederkehrende Überprüfung jeder Kanzlei eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen, kundgemacht mit Schreiben der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn., Sektion Ingenieurkammerkonsulenten an alle Sektionsmitglieder vom 20. Feber 1980, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Bauten und Technik ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im BGBl. verpflichtet.

Die Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. ist verpflichtet, dem Antragsteller Dipl.-Ing. M zu Handen seines Vertreters die mit 10800 S bestimmten Kosten des Verfahrens bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Antragsteller sind als Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen Mitglieder der Sektion Ingenieurkonsulenten der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. Die Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. ist eine Körperschaft öffentlichen Rechtes (§1 Abs1 Z1 litb, Abs3 Ingenieurkammergesetzes BGBl. 71/1969).

Sie bekämpfen gemäß Art139 Abs1 B-VG den Beschl. der Sektionsvollversammlung der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn., Sektion Ingenieurkonsulenten, vom 4. Feber 1980, wonach jede Kanzlei eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen einer wiederkehrenden Überprüfung hinsichtlich der Einhaltung der für Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen geltenden berufs- und standesrechtlichen Vorschriften zu unterziehen ist (sodann folgen Bestimmungen über die Prüforgane, die Reihenfolge und die Durchführung der Prüfungen), sowie die einen Bestandteil des Beschl. bildenden Richtlinien der Kammer für die Kanzleirevision. Der Beschl. wurde mit Schreiben der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn., Sektion Ingenieurkonsulenten, vom 20. Feber 1980 an alle Mitglieder der Sektion Ingenieurkonsulenten kundgemacht.

Die Antragsteller beantragen die Aufhebung des von ihnen als V qualifizierten Beschl. wegen Gesetzwidrigkeit.

2. a) Der VfGH hat mit seinen Beschl. vom 18. März 1981, V43/80

(= VfSlg. 9084/1981), und vom 26. November 1981, V35/80

(= VfSlg. 9271/1981), Individualanträge des Dipl.-Ing. A L und des Dipl.-Ing. H K auf Aufhebung des genannten Beschl. vom 4. Feber 1980 mangels Vorliegens einer der Voraussetzungen für eine Antragstellung nach Art139 Abs1 B-VG zurückgewiesen, weil eine Kanzleirevision vorher anzukündigen sei, eine solche Ankündigung an die Antragsteller noch gar nicht ergangen sei und die Antragsteller durch den von ihnen als rechtswidrig erachteten Eingriff nur potentiell, aber nicht aktuell in ihrer Rechtssphäre beeinträchtigt seien.

b) In der Zwischenzeit sind an Dipl.-Ing. L, Dipl.-Ing. K und Dipl.-Ing. M vom Vorsitzenden der Sektion Ingenieurkonsulenten der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. unterfertigte Schreiben vom 30. September 1982, 6. Juli 1983 und 18. Oktober 1983 ergangen. In diesen - abgesehen von den persönlichen Daten - gleichlautenden Schreiben wurde den Antragstellern mitgeteilt, daß in der Sitzung der Fachgruppe Vermessungswesen (sodann folgt das jeweilige Datum) nach Losentscheidung die Überprüfung ihrer Kanzlei beschlossen worden sei. In den Schreiben wurden den Antragstellern die mit der Prüfung jeweils betrauten Kollegen mit dem Hinweis bekanntgegeben, daß die Antragsteller das Recht der erstmaligen Ablehnung eines Prüforganes (bis zu einem bestimmten Zeitpunkt) hätten. Ansonsten würde das Einverständnis der Antragsteller mit den Prüforganen angenommen werden. Nach der Mitteilung, ab welchem Termin mit der Kanzleiüberprüfung gerechnet werden müsse, folgt in den Schreiben eine Reihe von Belehrungen über die Vorgangsweise bei und nach der Überprüfung und die Rechte der Antragsteller hiebei.

c) Die Antragsteller vermeinen, daß ihre Antragslegitimation aufgrund dieser Schreiben gegeben sei, da nunmehr die unmittelbare Beeinträchtigung ihrer Rechtssphäre eingetreten sei.

Die Beh. steht hingegen auf dem Standpunkt, mit dem Schreiben des Sektionsvorsitzenden seien individuelle Rechtsverhältnisse der Antragsteller gestaltet worden, nämlich die Anwendung des Beschl. der Sektionsvollversammlung vom 4. Feber 1980 auf die Antragsteller. Der Inhalt der Schreiben begründe das Recht und die Pflicht der Prüforgane, die Kanzleien der Antragsteller einer Revision zu unterziehen. Es handle sich bei den drei genannten Schreiben also um Bescheide iS des Art144 B-VG.

Der VfGH vermag die Auffassung der Beh. über den Bescheidcharakter der drei zitierten Schreiben nicht zu teilen. Wenngleich der Wille der Behörde darauf gerichtet gewesen sein mag, Bescheide zu erlassen, spricht nicht nur die äußere Form der Schreiben gegen die Wertung als Bescheid (was für sich betrachtet nicht ausschlaggebend wäre, vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des VfGH, zB VfSlg. 8560/1979 und die dort angeführte Vorjudikatur). Maßgeblich ist vielmehr, daß das Ingenieurkammergesetz keine Verfahrensvorschriften enthält, welche die Schlußfolgerung rechtfertigen würden, daß die Erlassung von Bescheiden des (oder ähnlichen) Inhaltes, wie ihn die drei genannten Schreiben aufweisen, im Gesetz vorgesehen wäre. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann den Schreiben iVm. dem Umstand, daß sie weder als Bescheide bezeichnet sind noch in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung unterteilt sind, kein Bescheidcharakter beigemessen werden.

Es trifft daher die Auffassung der Antragsteller zu, daß die bekämpfte V (s. hiezu die folgenden Ausführungen unter Punkt d) nunmehr ohne Erlassung eines Bescheides für sie unmittelbar wirksam geworden ist.

d) Der Beschl. vom 4. Feber 1980 lautet: "1. Jede Kanzlei eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen ist einer wiederkehrenden Überprüfung hinsichtlich der Einhaltung der für Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen geltenden berufs- und standesrechtlichen Vorschriften (Ziviltechnikergesetz, Ingenieurkammergesetz, Standesregeln, Gebührenordnungen) zu unterziehen". Nach Festlegung von Verfahrensbestimmungen wird ferner verfügt: "2. Nach Überprüfung der Kanzlei mit allen Einrichtungen und Räumlichkeiten sowie Vorlage des chronologischen Verzeichnisses und stichprobenartigen Überprüfung der Akte und Rechnungen bezüglich aller im chronologischen Verzeichnis angeführten Tätigkeitsbereiche, wie Teilungen, Widmungen und Schlußvermessungen, Arbeiten nach Bundesstraßen- und Autobahntarif, Arbeiten nach Zeitaufwand, haben die Prüforgane am Fachgruppenausschuß für Vermessungswesen, Referat für Standesfragen, einen Bericht über die Prüfung gemäß den Richtlinien zu erstatten ...".

Der Beschl. der Vollversammlung vom 4. Feber 1980 legt somit die Verpflichtung jedes Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen fest, die wiederkehrende Überprüfung seiner Kanzlei mit allen Einrichtungen und Räumlichkeiten durch die bestellten Prüforgane zu dulden und diesen das chronologische Verzeichnis und alle zur Vornahme einer stichprobenartigen Überprüfung begehrten Akte und Rechnungen vorzulegen. Der Beschl. regelt somit Rechte und Pflichten eines nach bestimmten Merkmalen festgelegten Personenkreises, nämlich der Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen. Er stellt eine V iS des Art139 B-VG dar.

e) Die Anträge sind somit, da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. In den Anträgen wird im wesentlichen vorgebracht, das Ingenieurkammergesetz biete keine Grundlage zur Erlassung einer V, womit die Einrichtung einer Kanzleirevision geschaffen wird. Die Wahrnehmung der beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Ziviltechniker sowie die Sorge für die Wahrung des Standesansehens und die Überwachung der Erfüllung der Berufspflichten der Ziviltechniker sei auf andere Weise als durch regelmäßige Kanzleirevision zu bewerkstelligen.

2. §2 Abs1 Ingenieurkammergesetz beruft die Länderkammern dazu, innerhalb ihres örtlichen Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Ziviltechniker wahrzunehmen und zu fördern, für die Wahrung des Standesansehens zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Ziviltechniker zu überwachen.

Nach §2 Abs2 Z2 des genannten Gesetzes sind die Länderkammern im selbständigen Wirkungsbereich insbesondere zur Beaufsichtigung des standesgemäßen Verhaltens der Kammermitglieder berufen.

Im übertragenen Wirkungsbereich (§2 Abs3 Z6) sind die Länderkammern dazu berufen, die Tätigkeit der Kammermitglieder als Urkundspersonen (§6 Abs1 Ziviltechnikergesetz) zu beaufsichtigen.

In §3 Ingenieurkammergesetz ist vorgesehen, daß sich jede Länderkammer in Sektionen gliedert, darunter die Sektion Ingenieurkonsulenten.

3. a) Die Vollversammlung der Sektion Ingenieurkonsulenten der Ingenieurkammer für Stmk. und Ktn. hat sich bei Erlassung der bekämpften V auf die oben angeführten Bestimmungen des §2 Ingenieurkammergesetz gestützt. Der Verordnungsgeber ging davon aus, daß das "standesgemäße Verhalten" und die "Tätigkeit als Urkundenperson" Vorgänge seien, die sich überwiegend in der Kanzlei des Ziviltechnikers abspielen. Eine Überwachung und Beaufsichtigung dieser Vorgänge setze daher rein begrifflich das Betreten der Kanzleiräume voraus. Insbesondere könne die Verpflichtung des Ziviltechnikers, gemäß §20 Abs2 Ziviltechnikergesetz eine entsprechende öffentliche Kanzlei mit den zur Ausübung der Befugnis erforderlichen technischen Hilfseinrichtungen zu halten und ihr persönlich vorzustehen, nur an Ort und Stelle in den Räumlichkeiten dieser Kanzlei überprüft werden. Auch die Verpflichtung des Ziviltechnikers, gemäß §20 Abs4 Ziviltechnikergesetz alle urkundlichen Ausfertigungen in ein chronologisches Verzeichnis einzutragen, könne nur dadurch kontrolliert werden, daß zumindest die in der Kanzlei vorhandenen Urkunden mit dem chronologischen Verzeichnis verglichen werden. Eine Überwachung und Beaufsichtigung ohne regelmäßige, an keinen Anlaßfall gebundene Überprüfung entspreche nicht dem Gesetzesbegriff der Überwachung und Beaufsichtigung. Eine bloß passive, örtlich an das Kammeramt gebundene überwachende Tätigkeit der Ingenieurkammer wäre auf die Behandlung von Anzeigen aus dem Publikum beschränkt; dabei handle es sich aber um eine bloß nachträgliche, repressive Kontrolle, für die der Gesetzgeber ohnehin durch die Einrichtung der disziplinären Verantwortlichkeit im Ingenieurkammergesetz vorgesorgt habe. Wenn der Gesetzgeber die Überwachung und Beaufsichtigung auf die nachträgliche Ahndung von Pflichtverletzungen beschränken hätte wollen, hätte es der Erwähnung der Aufsichtspflicht in §2 Abs2 Z2 und §2 Abs3 Z6 nicht bedurft. Die Ausdrücke "überwachen" und "beaufsichtigen" deckten daher das Recht der hiezu im Rahmen der Selbstverwaltung bestellten Organe, die Kanzleien der zu überwachenden Mitglieder zu betreten und Einsicht in die Geschäftspapiere zu nehmen.

b) Der VfGH teilt diese Auffassung nicht.

Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen des Ingenieurkammergesetzes (s. oben unter Punkt 2.) sehen lediglich eine Überwachungs- und Beaufsichtigungspflicht der betreffenden Organe der Ingenieurkammer über ihre Mitglieder vor, enthalten aber keine darüber hinaus gehenden Regelungen (wie sie zB in §154 Abs1 Notariatsordnung vorgesehen sind, wonach die Notariatskammer im Rahmen der Beaufsichtigung ihrer Mitglieder verpflichtet ist, von den Akten der Notare ihres Sprengels von Zeit zu Zeit durch einen Abgeordneten Einsicht nehmen zu lassen, um sich vom gehörigen Geschäftsgang bei denselben zu überzeugen, oder in Abs4 des genannten Paragraphen, wonach die Akten eines Notars bei begründeten Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung untersucht werden können). Die Bestimmungen des Ingenieurkammergesetzes ermächtigen nach Ansicht des VfGH nicht, zur Erfüllung der Überwachungs- und Beaufsichtigungspflicht irgendwelche Zwangsmaßnahmen (hier: Duldung des Betretens der Kanzlei, Überprüfung aller Einrichtungen in den Kanzleiräumlichkeiten) zu setzen, sondern nur zu Wahrnehmungen, die ohne Vornahme von Zwangsmaßnahmen zugänglich sind.

4. Die angefochtene V ist daher mangels gesetzlicher Grundlage aufzuheben.

Die Verpflichtung des Bundesministers für Bauten und Technik als zuständige oberste Beh. des Bundes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im BGBl. beruht auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG.

Die Entscheidung über die von Dipl.-Ing. M begehrten Kosten stützt sich auf §61a VerfGG 1953.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 800 S enthalten.

Schlagworte

Ziviltechniker, Ingenieurkammer, Selbstverwaltung, Notare, Bescheidbegriff, Verordnungsbegriff, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:V47.1982

Dokumentnummer

JFT_10149773_82V00047_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten