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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art133 Z4Leitsatz
Übereinkommen zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom 11. Feber 1906 bezüglich Gebühren für den Erwerb unbeweglicher Güter; Übereinkommen formell nie außer Kraft gesetzt; von beiden Seiten für nicht mehr anwendbar gehalten; vertretbare Annahme des Außerkrafttretens; Erlöschen auch der innerstaatlichen Wirksamkeit transformierter Staatsvertragsbestimmungen mit deren völkerrechtlicher Geltungsbeendigung - keine Verletzung des Eigentumsrechtes durch Nichtanwendung des ÜbereinkommensSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Mit Bescheid des Grundverkehrssenates vom 16. Oktober 1980, Z GVS-410-60, wurde der Berufung der Agip Austria Aktiengesellschaft (einer italienischen Gesellschaft iS des Ausländergrundverkehrsrechts) gegen den Bescheid der Grundverkehrs-Landeskommission vom 7. Jänner 1980, soweit mit diesem Bescheid für die erteilte grundverkehrsbehördliche Genehmigung eine Verwaltungsabgabe im Betrag von 30000 S vorgeschrieben wurde, gemäß §§1 und 6 Verwaltungsabgabengesetz (künftig: VAbgG), Vbg. LGBl. 10/1974, und TP60 litb VerwaltungsabgabenV (künftig: VAbgVO), Vbg. LGBl. 11/1974, iVm. §60 Abs4 AVG 1950 keine Folge gegeben.
2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Agip Austria Aktiengesellschaft behauptet, "in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf gesetzmäßige Verwaltung (Art18 B-VG)", in ihrem Eigentumsrecht und in ihrem subjektiven Recht aus Art1 des Übereinkommens zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom 11. Feber 1906, keine höheren Gebühren als Österreicher bezahlen zu müssen, durch die Nichtanwendung des Übereinkommens verletzt zu sein, und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides sowie für den Fall der Abweisung der Beschwerde deren Abtretung an den VwGH beantragt.
2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde und des hilfsweise gestellten Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.
3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
3.1. Die Bf. behauptet zunächst, durch den angefochtenen Bescheid in ihrem "verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf gesetzmäßige Verwaltung (Art18 B-VG)" verletzt zu sein.
Hiezu genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des VfGH zu verweisen, daß aus Art18 B-VG kein subjektives Recht auf gesetzmäßige Führung der Verwaltung ableitbar ist (vgl. VfSlg. 5800/1968, 8925/1980, 9288/1981).
3.2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums wird von der Bf. geltend gemacht, weil von ihr eine Zahlung verlangt werde, die der gesetzlichen Grundlage entbehre. Die bel. Beh. sei davon ausgegangen, daß der Vertrag zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom 11. Feber 1906, wonach von italienischen Staatsbürgern für den Erwerb unbeweglicher Güter in Österreich keine höheren Gebühren als von Österreichern zu entrichten seien, als nicht mehr in Geltung stehend anzusehen sei. Die bel. Beh. gehe davon aus, daß der Vertrag vom 11. Feber 1906 seine völkerrechtliche Geltung verloren habe, da er durch desuetudo außer Kraft getreten sei. Nun bedeutet aber desuetudo als Auflösungsgrund nicht nur bloße Nichtanwendung bestehender Normen, sondern vielmehr die Ausbildung eines derogierenden Gewohnheitsrechtes entgegen positivem Vertragsrecht. Die Argumente der bel. Beh. reichten demnach nicht aus, um den völkerrechtlichen Auflösungsgrund zu begründen; daß der Vertrag in Vbg. nie angewendet worden sei, stelle allenfalls eine Vertragsverletzung dar, keinesfalls aber eine dem Vertragspartner zuzurechnende Übung, zumal österreichische Beh. den Vertrag bis 1978 sehr wohl angewendet hätten, wie sich aus einer Bestätigung des Amtes der Wr. Landesregierung vom 18. April 1978 erweise.
Der Vertrag vom 11. Feber 1906 stelle aber, wenn er völkerrechtlich nicht mehr in Geltung stehe, dennoch geltendes innerstaatliches österreichisches Recht dar, da er durch Kundmachung im RGBl. 46/1906 als innerstaatliches Gesetz im einfachen Gesetzesrang Geltung erlangt habe, mit Bundesgesetz vom 1. Juni 1921, BGBl. 289/1921, in der ersten Republik wiederverlautbart wurde und im Wege der allgemeinen Rechtsüberleitung (R-ÜG, StGBl. 6/1945) Eingang in den Rechtsbestand der zweiten Republik gefunden habe. Die Ansicht, daß ein völkerrechtlicher Vertrag mit Wegfall seiner völkerrechtlichen Geltung ohne weiteres auch seine innerstaatliche Geltung verliere, müßte zu einer unerhörten Rechtsunsicherheit führen. Erschließbar gehe Ermacora (Österreichische Verfassungslehre, Bd. 1, 219) von einer der Lehre Walters (Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 182) - auf die sich die bel. Beh. stütze - entgegenstehenden Ansicht aus, indem er meine: "Genehmigte und abgeschlossene Staatsverträge sind im Bundesgesetzblatt wie im Gesetz (richtig: wie Gesetze) kundzumachen und werden dadurch auch innerstaatliches Recht. Sie führen damit ein unabhängig von den internationalen Beziehungen stehendes Eigenleben." Gegen ein "automatisches Außerkrafttreten" ordnungsgemäß innerstaatlich kundgemachter Staatsverträge wende sich auch Moser (Die europäische Menschenrechtskonvention und das bürgerliche Recht, 1972).
3.2.2. Die bel. Beh. vermeint demgegenüber, die behauptete Grundrechtsverletzung liege schon deshalb nicht vor, weil der angefochtene Bescheid nicht gesetzlos ergangen sei - er stütze sich auf die entsprechenden Bestimmungen des Grundverkehrsgesetzes sowie des VAbgG - und die Überlegungen, die den Grundverkehrssenat zu der Ansicht gelangen ließen, daß das Übereinkommen vom 11. Feber 1906 nicht mehr anwendbar sei, jedenfalls als denkunmöglich anzusehen sei.
3.2.3.1. Der VfGH vermag sich dieser Beantwortung des Beschwerdevorwurfes allerdings nicht anzuschließen. Die Frage, ob die für Ausländer maßgebliche TP60 litb, des einen Bestandteil der VAbgVO bildenden Tarifes, denkmöglich angewendet wurde, setzt nämlich zunächst die Beantwortung der Frage voraus, ob das innerstaatlich mit RGBl. 46/1906 kundgemachte Übereinkommen zwischen Österreich-Ungarn und Italien der österreichischen Rechtsordnung tatsächlich noch angehört.
3.2.3.2. Hiezu ist zunächst festzuhalten, daß das am 11. Feber 1906 zwischen Österreich-Ungarn und Italien abgeschlossene Übereinkommen formell nie außer Kraft gesetzt wurde. Es wurden aber nach der Wiederherstellung der Republik Österreich sowohl von der Republik Österreich als auch von der Republik Italien Akte gesetzt und ein Verhalten gepflogen, die erkennen lassen, daß beide Staaten das Übereinkommen vom 11. Feber 1906 für nicht anwendbar halten.
So hat das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten in einer am 1. Oktober 1976, Z 115.02/10-I.2/76, an das Amt der Tir.
Landesregierung gerichteten Note ausgeführt:
"Das BMA beehrt sich, zu der do. Anfrage betreffend den Staatsvertrag zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom 11. Februar 1906 im Nachhang zur ho. Note Zl. 115.01/45-I.2/75 vom 6. Februar 1976 erläuternd mitzuteilen, daß die Wiederanwendung eines Vertrages nach dem Ende des zweiten Weltkrieges jeweils in der Form erfolgt ist, daß die Vertragsstaaten einen bis 1938 in Geltung stehenden Vertrag als wiederanwendbar bezeichneten.
Eine solche Übereinstimmung wurde aber bei dem in Frage stehenden Vertrag nicht erzielt, weil er seinerzeit von der italienischen Seite aus der österreichischen Vorschlagsliste nicht übernommen wurde. Aus diesem Grunde ist der Vertrag als erloschen anzusehen."
Aus dem die Anwendbarkeit des in Frage stehenden Übereinkommens behandelnden Akt des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, der vom VfGH zusätzlich beigeschafft wurde, ergibt sich, daß im Jahre 1950 - anläßlich eines zur Klärung der weiteren Anwendbarkeit eines Staatsvertrages üblichen Meinungsaustausches - tatsächlich eine österreichische Vorschlagsliste übermittelt und aus dieser von italienischer Seite das Übereinkommen vom 11. Feber 1906 herausgenommen wurde. Dies hat die Republik Österreich unwidersprochen hingenommen. Nach einer Periode offensichtlichen Zuwartens bestätigte das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten seit mehr als zehn Jahren auf verschiedene Anfragen, daß der Vertrag vom 11. Feber 1906 nicht mehr anwendbar sei. Der Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten hat auch in einer im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer den Landesregierungen zugegangenen (mit 20. November 1979 abgeschlossenen) Aufstellung vom 21. Feber 1980 betreffend staatsvertragliche Regelungen über den Liegenschaftserwerb durch Ausländer ausdrücklich bestätigt, daß das Übereinkommen vom 11. Feber 1906 als außer Kraft getreten anzusehen sei. Das Verhalten des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten als in diesen Fragen kompetentem Organ ist der Republik Österreich zuzurechnen.
Die bel. Beh. konnte daher desuetudo hinsichtlich des Übereinkommens vom 11. Feber 1906 mit Recht annehmen.
Daran vermag auch nichts zu ändern, daß das Amt der Wr. Landesregierung noch am 18. April 1978 bestätigt hat, daß aufgrund des Übereinkommens vom 11. Feber 1906 der "Erwerb und Besitz von beweglichem und unbeweglichem Gut (RGBl. 46/1906) keiner Genehmigung bedarf", da dieses Verhalten der Vollzugsbehörde an dem bereits eingetretenen völkerrechtlichen Erlöschen des Staatsvertrages nichts zu ändern vermochte.
Die Bf. vermeint weiters, daß selbst dann, wenn das Übereinkommen vom 11. Feber 1906 völkerrechtlich erloschen wäre, die einmal eingetretene innerstaatliche Wirksamkeit solange aufrecht bleibe, bis das Außerkrafttreten im Bundesgesetzblatt kundgemacht würde. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu. Die Natur eines Staatsvertrages als Rechtsquelle besonderer Art zieht vielmehr nach sich, daß auch die innerstaatliche Wirksamkeit transformierter Staatsvertragsbestimmungen mit deren völkerrechtlicher Geltungsbeendigung erlischt (in diesem Sinne insbesondere Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 183; Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht, 321 f.), soweit nicht die innerstaatliche Wirksamkeit eine Auswirkung materiell-rechtlicher Art ist. Da dies für das Übereinkommen vom 11. Feber 1906 offenkundig nicht zutrifft, bedarf es keiner weiteren Begründung, daß das Übereinkommen mit seiner völkerrechtlichen Aufhebung auch innerstaatlich außer Kraft getreten ist (vgl. auch VfSlg. 7014/1973).
3.2.3.3. Das führt letztlich zu dem Ergebnis, daß die bel. Beh. die Bf. durch Anwendung der Tarifpost 60 litb der VAbgVO nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt hat.
3.4. Die Beschwerde war daher abzuweisen, ohne daß auf das unter der Überschrift "Einfachgesetzlicher Aspekt" offensichtlich an den VwGH gerichtete Vorbringen einzugehen war.
Der hilfsweise gestellte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen, weil Art144 Abs3 B-VG idF BGBl. 350/1981 ein solches Vorgehen verwehrt, wenn es sich um einen Fall handelt, der gemäß Art133 B-VG von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist; dies trifft hier zu, weil der Grundverkehrssenat nach den Bestimmungen des Vbg. Grundverkehrsgesetzes, LGBl. 18/1977, den Voraussetzungen des Art133 Z4 B-VG entspricht und keine gesetzliche Bestimmung besteht, welche die Anrufung des VwGH ausdrücklich für zulässig erklären würde.
Schlagworte
Staatsverträge, Verwaltungsabgaben, Grundverkehrsrecht, Geltungsbereich eines Staatsvertrages, Derogation gewohnheitsrechtliche, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B630.1980Dokumentnummer
JFT_10149699_80B00630_00