TE Vfgh Erkenntnis 1985/3/2 B641/80

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Veröffentlicht am 02.03.1985
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §73
BAO §311
FinStrG §56 Abs2
VStG §24

Leitsatz

FinStrG; Fehlen einer Bestimmung über die Devolution im FinStrG - keine planwidrige Lücke; keine analoge Anwendung der Bestimmungen über die Devolution in §311 BAO und §73 AVG im finanzstrafbehördlichen Verfahren; keine Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des im finanzstrafbehördlichen Verfahren gestellten und auf §311 BAO gestützten Devolutionsantrages

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien (FA) verständigte mit Schreiben vom 11. Mai 1976 gemäß §83 Abs2 des Finanzstrafgesetzes (FinStrG) die Bf. davon, daß gegen sie ein Finanzstrafverfahren eingeleitet werde, weil der Verdacht bestehe, daß sie durch ein bestimmt bezeichnetes Verhalten ein Finanzvergehen nach §34 Abs1 FinStrG begangen habe.

Daraufhin erstattete die Bf., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J P, am 31. Mai 1976 eine schriftliche Stellungnahme. Auf diesem Schriftsatz ist auf S 1 vermerkt, daß eine Vollmacht beiliege. Es wird beantragt, das gegen die Bf. eingeleitete Strafverfahren einzustellen und ihren ausgewiesenen Vertreter hievon schriftlich zu verständigen. Die erwähnte Vollmacht wurde aber tatsächlich nicht vorgelegt. Die Behörde hat jedoch ihre nachträgliche Beibringung nicht gefordert.

Das FA erließ am 13. Oktober 1976 gemäß §143 FinStrG gegen die Bf. eine Strafverfügung, mit der über sie wegen des Vergehens der fahrlässigen Abgabenverkürzung gemäß §34 Abs4 FinStrG eine Geldstrafe verhängt wurde. Diese Strafverfügung wurde im Wege der Post der Bf. persönlich zugestellt.

Dagegen erhob sie, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J P fristgerecht einen mit 25. Oktober 1976 datierten Einspruch. Darin wurde mit "Befremden" festgestellt, daß die Finanzstrafbehörde I. Instanz die Strafverfügung an die Beschuldigte zugestellt, hiebei offenbar übersehen habe, daß sie in diesem Verfahren durch den ausgewiesenen Vertreter (Rechtsanwalt Dr. P) verteidigt werde.

Am 3. Mai 1977 lud das FA die Bf. als Beschuldigte zur mündlichen Verhandlung vor. Die Ladung erging ausschließlich an sie, nicht aber (auch) an den Rechtsanwalt. Nach durchgeführter mündlicher Verhandlung vom 8. Juni 1977 erließ das FA das "Erkenntnis" vom 1. Juli 1977. Es erkannte die Bf. neuerlich des Vergehens nach §34 Abs1 FinStrG schuldig und verhängte über sie eine Geldstrafe. Dieses Erk. wurde im Wege der Post der Bf. am 5. Juli 1977 zugestellt.

Die verhängte Geldstrafe wurde im August 1977 bezahlt.

b) Mit Eingabe vom 6. Oktober 1980 stellte die Bf., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J P, bei der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. (FLD) den "Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung im antragsgegenständlichen Finanzstrafverfahren auf die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland". Die Einschreiterin vertrat darin den Standpunkt, daß das FA über den Einspruch vom 25. Oktober 1976 bisher nicht entschieden und dadurch die ihm gemäß §311 BAO obliegende Entscheidungspflicht verletzt habe.

Die FLD wies mit Bescheid vom 27. Oktober 1980 diesen Devolutionsantrag als unzulässig zu rück und begründete dies wie folgt:

"Gemäß §56 Abs2 Finanzstrafgesetz (FinStrG) gelten die beinhaltenden Bestimmungen des 3. Abschnittes der Bundesabgabenordnung (BAO) die §§85 bis 113, soweit im Finanzstrafgesetz nichts anderes bestimmt ist, sinngemäß. Die Bestimmungen des 7. Abschnittes der BAO, so auch die des §311 BAO sind daher im Finanzstrafverfahren nicht sinngemäß anzuwenden.

Da im Finanzstrafgesetz keine Bestimmung enthalten ist, die eine Frist setzt, innerhalb derer die Finanzbehörde - bei sonstigem Eintritt bestimmter Rechtsfolgen - eine Entscheidung zu erlassen hat und auch keine Vorschrift besteht, die für den Fall der Säumnis einer Unterbehörde die übergeordnete Behörde verpflichten würde, auf Parteiantrag an Stelle der säumigen Unterbehörde zu entscheiden, war der Antrag zum 6. Oktober 1980 zurückzuweisen.

Doch selbst, wenn eine derartige gesetzliche Regelung bestünde, würde im gegenständlichen Fall die Entscheidungsbefugnis nicht auf die Finanzlandesdirektion übergehen, zumal das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern als Finanzstrafbehörde 1. Instanz nach der in Gegenwart der Beschuldigten durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 8. Juni 1977, bei der sie ihren Verteidiger nicht zugezogen hat, mit Erkenntnis vom 1. Juli 1977 entschieden hat.

G Ch. wurde in diesem Erkenntnis der fahrlässigen Abgabenverkürzung gemäß §34 Abs1 FinStrG schuldig erkannt und über sie eine Geldstrafe von S 1500,- verhängt. Diese Entscheidung wurde G Ch. am 5. Juli 1977 zugestellt. Die verhängte Geldstrafe wurde von ihr im übrigen im August 1977 bezahlt."

2. Gegen diesen Bescheid der FLD vom 27. Oktober 1980 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte, an den VfGH gerichtete Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

Die Bf. geht davon aus, daß ihr mit dem angefochtenen Bescheid eine Sachentscheidung verweigert werde, dies - wie sie meint - zu Unrecht:

"Streitentscheidend ist, ob auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren eine Entscheidungspflicht besteht oder nicht. Die belangte Behörde vermag dem bloß entgegenzuhalten, 'daß im Finanzstrafgesetz keine Bestimmung enthalten ist, die eine Frist setzt'. Damit verkennt die belangte Behörde einen der wesentlichsten Grundsätze rechtsstaatlicher Verwaltung, welche dazu bestimmt sind, eine wirksame Hilfe gegen die Untätigkeit der Behörden darzustellen. (Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren, erster Halbband 8, S 415). Dieser Grundsatz ist nicht nur in der wesentlichsten Verwaltungsverfahrensvorschrift verankert (§73 AVG), er findet auch in der wesentlichsten Abgabenverfahrensvorschrift (§311 BAO) seinen Niederschlag und führte schließlich auch zur Institution der verwaltungsgerichtlichen Säumnisbeschwerde. Auch Reeger - Stoll, Bundesabgabenordnung S 989 lehren daher, daß 'die Grundsätze des §73 AVG auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren grundsätzliche Geltung haben, obwohl das Finanzstrafgesetz ausdrückliche Bestimmungen über die Entscheidungspflicht nicht enthält.'

Aber auch Artikel 13 MRK räumt das Recht ein, im Falle der Verletzung der in der Konvention festgelegten Rechte, 'eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Institution einzulegen.'

Damit ist auch durch diese Verfassungsnorm dem Gesetzgeber der Auftrag erteilt, einem in seinen Rechten Verletzten einen Rechtsbehelf an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe sich der Verletzte gegen die Untätigkeit der Behörden schützen kann.

Im Hinblick auf den oben genannten wesentlichen und durchschlagenden Rechtsgrundsatz hat daher die Tatsache, daß im Finanzstrafgesetz der Übergang der Entscheidungspflicht nicht ausdrücklich geregelt ist, keine Bedeutung.

Die belangte Behörde hätte daher den auf §311 BAO bzw. §73 AVG und auf diese allgemeinen Rechtsgrundsätze gestützten Antrag der Bf. auf Übergang der Entscheidungspflicht einer meritorischen Behandlung unterziehen müssen. Durch die Verweigerung einer Sachentscheidung verletzte die belangte Behörde nach ständiger Rechtsprechung des VfGH das Recht der Bf. ihrem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden."

3. Die FLD als bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die FLD vertritt die Ansicht, daß das FA als Finanzstrafbehörde erster Instanz durch Erlassung des Erk. vom 1. Juli 1977 seiner Entscheidungspflicht nachgekommen sei. Von diesem Erk. hätte die Bf. unbestritten Kenntnis gehabt. Der Antrag auf Übergang der Zuständigkeit vom 6. Oktober 1980 wäre daher, auch wenn im Finanzstrafverfahren eine Devolution zulässig wäre, abzuweisen gewesen, da in der Sache bereits entschieden gewesen sei.

Im übrigen sei im Finanzstrafverfahren ein Devolutionsrecht gesetzlich nicht vorgesehen. Die Bestimmung des §311 BAO sei gemäß §56 Abs2 FinStrG im Finanzstrafverfahren nicht anwendbar.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Spruch des angefochtenen Bescheides lautet:

"Der gemäß §311 Bundesabgabenordnung gestellte Devolutionsantrag vom 6. Oktober 1980 wird als unzulässig zurückgewiesen."

Daß die Wendung "zurückgewiesen" nicht bloß ein Vergreifen im Ausdruck darstellt, sondern daß damit tatsächlich eine Sachentscheidung über den gestellten Devolutionsantrag verweigert wird, geht deutlich aus der Begründung des bekämpften Bescheides hervor: Das FinStrG enthalte keine Bestimmungen, die für den Fall der Säumnis einer Unterbehörde die übergeordnete Behörde verpflichten würde, auf Parteiantrag anstelle einer säumigen Unterbehörde zu entscheiden; deshalb sei der Antrag zurückzuweisen.

Die der Begründung beigefügten Bemerkungen (daß - selbst wenn eine gesetzliche Regelung über die Devolution bestünde - die Entscheidungsbefugnis nicht auf die FLD übergegangen wäre, weil das FA bereits mit Erk. vom 1. Juli 1977 entschieden habe, das der Bf. am 5. Juli 1977 zugestellt worden sei) tragen den Spruch des angefochtenen Bescheides offenkundig nicht.

Daraus folgt, daß die bel. Beh. der Bf. eine Sachentscheidung über den gestellten Devolutionsantrag verweigert hat.

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980), etwa, indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (vgl. zB VfSlg. 9105/1981).

3. Es ist also zu klären, ob die Meinung der FLD, daß im Finanzstrafverfahren eine Devolution nicht vorgesehen ist, zutrifft.

Unstrittig ist, daß das FinStrG eine den Übergang der Entscheidungspflicht regelnde Bestimmung nicht enthält.

Die Bf. meint - anknüpfend an eine (nach Ansicht des VfGH von ihr mißverstandene) von Reeger - Stoll, Kommentar zur BAO, Anm. 1 zu §311 BAO ("Obwohl das Finanzstrafgesetz ausdrückliche Bestimmungen über die Entscheidungspflicht nicht enthält, müssen ... die Grundsätze des §73 AVG auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren grundsätzliche Geltung haben") vertretene Meinung -, daß im finanzstrafbehördlichen Verfahren §311 BAO und §73 AVG 1950 analog anzuwenden seien.

Der VfGH teilt diese Ansicht nicht. Er schließt sich vielmehr der vom VwGH im Erk. vom 21. Dezember 1981, Z 81/17/0196, vertretenen Meinung an, daß im Finanzstrafverfahren eine Devolutionsmöglichkeit nicht besteht:

Das Fehlen einer Bestimmung über die Devolution im FinStrG ist nicht etwa eine planwidrige Lücke im Gesetz, vielmehr hat der Gesetzgeber offenkundig mit voller Absicht die Devolution in diesem Bereich nicht vorgesehen.

Das ergibt sich schon daraus, daß nach §56 Abs2 FinStrG nur die Bestimmungen des 3. Abschn. der BAO im finanzstrafbehördlichen Verfahren anzuwenden sind, der die Devolution vorsehende §311 BAO sich aber nicht im 3., sondern in deren 7. Abschn. findet. Dazu kommt, daß zum Zeitpunkt, als die BAO und das FinStrG erlassen wurden, das AVG und das VStG schon lange in Kraft standen. Diese beiden zuletzt genannten Gesetze waren zT Vorbild für die Regelung des Abgabenverfahrens und des finanzstrafbehördlichen Verfahrens. §24 VStG verfügte nun schon in der Stammfassung ausdrücklich, daß ua. §73 AVG über die Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörde im Verwaltungsstrafverfahren keine Anwendung findet. Es ist nicht anzunehmen, daß der Finanzstrafgesetzgeber für den Bereich des finanzbehördlichen Strafverfahrens anderes (hier im Wege der Nichtregelung) habe anordnen wollen. An dieser grundsätzlichen Entscheidung des Verwaltungsstrafgesetzgebers hat im übrigen auch die VStG-Nov. 1984, BGBl. 299, nichts geändert (vgl. den dem §51 neu angefügten Abs5).

Die Behörde hat also den Devolutionsantrag zu Recht zurückgewiesen und demnach die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt.

4. Da die Behörde sohin eine richtige Entscheidung getroffen hat, ist es angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Zurückweisung tragenden Rechtsvorschriften damit auch ausgeschlossen, daß die Bf. in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 8741/1980; VfGH 1. Oktober1981 B475/77).

Die Beschwerde war aus diesen Gründen abzuweisen.

Schlagworte

Auslegung eines Bescheides, Bescheidbegründung, Verwaltungsverfahren, Devolution, Analogie, Finanzstrafrecht, Finanzverfahren, Anwendbarkeit Verfahrensvorschriften

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B641.1980

Dokumentnummer

JFT_10149698_80B00641_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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