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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
VerfGG 1953; ZPO; Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig und begründet - minderer Grad des VersehensSpruch
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde wird bewilligt.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit der am 19. Dezember 1984 zur Post gegebenen Beschwerde bekämpft der bf. Verein eine am 5. Oktober 1984 von Organen der Bezirkshauptmannschaft Kufstein erzwungene Schließung des mit einem Blutdruckmeßgerät ausgestatteten Informationsstandes des bf. Vereines in Kufstein und beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung.
2. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird vorgebracht, daß der Rechtsvertreter des Bf. in einer Besprechung vom 8. Oktober 1984, die von 20.00 Uhr bis zirka 23.15 Uhr dauerte, vom beschwerdegegenständlichen Sachverhalt in Kenntnis gesetzt und mit der Erhebung einer Beschwerde vor dem VfGH betraut wurde. Anhand eines Jahresüberblickskalenders sei das Ende der Frist zur Beschwerdeerhebung gemäß §82 Abs2 VerfGG 1953 mit 19. November 1984 festgestellt worden, doch habe der Rechtsvertreter in seinem Terminbuch irrtümlich den 19. Dezember 1984 eingetragen, dies sei darauf zurückzuführen gewesen, daß sich der Rechtsanwalt wegen eines am 28. April 1980 erlittenen Herzinfarktes und des daraus resultierenden Herzleidens sowie der bis in die späten Nachtstunden dauernden Besprechung in einem Erschöpfungszustand befunden habe, der diese Fehlleistung verursachte.
Daß dem Rechtsvertreter die unrichtige Fristeintragung nicht rechtzeitig zu Bewußtsein gekommen ist, sei damit erklärbar, daß dessen zehnjährige Tochter am 16. November 1984 schwer verunglückte und sich einen Schädelbasisbruch zuzog. Deshalb sei dem Beschwerdevertreter erst am 10. Dezember 1984 anläßlich der Ausarbeitung der VfGH-Beschwerde die unrichtige Fristeintragung aufgefallen.
Weiters wird noch vorgebracht, daß der Beschwerdevertreter in seiner nunmehr 24jährigen selbständigen Praxis noch nie eine "Rechtsmittelfrist" versäumt hätte.
An Bescheinigungsmitteln wurden die Krankengeschichte des Beschwerdevertreters, die Unfallkarte seiner Tochter sowie eine "eidesstattliche Erklärung" des Rechtsvertreters, daß die bezüglich des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemachte Sachverhaltsdarstellung der Wahrheit entspreche, angeboten und dem Antrag beigelegt.
II. Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet:
1. Da das VerfGG 1953 in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 ff.) sinngemäß anzuwenden.
2. a) aa) Gemäß §148 Abs2 ZPO muß der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen 14 Tagen nach Wegfall des Hindernisses, welches die Versäumung verursachte, gestellt werden.
bb) Die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde wurde durch die unrichtige Fristeintragung verhindert. Dieses Hindernis fiel erst durch Kenntnisnahme des Rechtsvertreters anläßlich der Ausarbeitung der VfGH-Beschwerde am 10. Dezember 1984 weg. Daher hat die Frist des §148 Abs2 ZPO mit diesem Tag zu laufen begonnen.
cc) Da der Antrag am 19. Dezember 1984 zur Post gegeben wurde, ist er rechtzeitig.
b) aa) Nach §146 Abs1 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Hiebei hindert ein Verschulden der Partei an der Versäumung die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Ein Ereignis ist dann unvorhergesehen, wenn es die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt von ihr unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte (vgl. Fasching, Lehrbuch des Österreichischen Zivilprozeßrechtes, Wien 1984, S 272).
Der Maßstab "minderer Grad des Versehens" findet sich bereits im §2 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bzw. §3 Organhaftpflichtgesetz. Darunter ist leichte Fahrlässigkeit zu verstehen (VfGH 12. Oktober 1983 B202/81-13).
bb) Nach dem vom VfGH als glaubhaft gemacht angenommenen Vorbringen des Antragstellers kann das Verschulden des Rechtsvertreters des Bf. - dessen Verschulden einem Verschulden der Partei gleichzuhalten ist (§39 ZPO) - daran, daß er die ihm zumutbare Aufmerksamkeit bei der Wahrung der Frist nicht aufbrachte, unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles nur als leichte Fahrlässigkeit angesehen werden. Wenngleich nämlich für rechtskundige Parteienvertreter ein strenger Maßstab anzulegen ist, kann bei der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles nicht davon gesprochen werden, daß nicht auch einem sorgfältigen Menschen eine derartige Fehlleistung gelegentlich unterlaufen kann.
3. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - gemäß §33 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung - zu bewilligen.
Schlagworte
VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B943.1984Dokumentnummer
JFT_10149696_84B00943_00