TE Vfgh Erkenntnis 2006/9/25 B751/06

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2006
beobachten
merken

Index

50 Gewerberecht
50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
HandelskammerG 1957 §57
WirtschaftskammerG 1998

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Festsetzung der Kammerumlage für einen Autovermieter aufgrund des Handelskammergesetzes 1957; Vorschreibung der Umlage für bereits vom Geltungsbereich des Wirtschaftskammergesetzes 1998 umfasste Zeiträume; Handelskammergesetz bereits außer Kraft getreten

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Die beschwerdeführende Partei betreibt seit 1996 das Gewerbe der Autovermietung (Vermietung von Kraftfahrzeugen ohne Beistellung eines Lenkers). Sie ist Pflichtmitglied der Wirtschaftskammer Österreich.

Im Rahmen einer bei der beschwerdeführenden Partei durchgeführten Betriebsprüfung erließ das Finanzamt Wien 1/23 im Mai und Juni 2005 Bescheide über die Festsetzung der Kammerumlage für die Wirtschaftsjahre 1999 bis 2004. Im Formular, das für sämtliche dieser Bescheide verwendet wurde, ist die Rechtsgrundlage der Bescheide wie folgt angegeben:

"Die Kammerumlage (§57 Abs1 Handelskammergesetz) wird wie folgt festgesetzt (Rechtslage ab 1995)".

Gegen diese Bescheide erhob die nunmehr beschwerdeführende Partei Berufung, welche vom Unabhängigen Finanzsenat (UFS) mit Bescheid vom 20. Februar 2006 abgewiesen wurde. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nach Art144 B-VG.

Die gesamten Erwägungen der belangten Behörde stützen sich auf §57 des Handelskammergesetzes (HKG), der in der Begründung mehrfach zitiert wird.

2. Das Handelskammergesetz 1949, welches mehrfach novelliert worden war (§57 idF BGBl. Nr. 661/1994), trat mit Ausnahme einiger Bestimmungen der 8. HKG Novelle BGBl. Nr. 620/1991 und der §§35 bis 40 HKG, welche im vorliegenden Zusammenhang unerheblich sind, mit Beginn des 1. Jänner 1999 außer Kraft (§150 Abs3 Wirtschaftskammergesetz 1998 - WKG, BGBl. I Nr. 103/1998). Für die Vorschreibung von Kammerumlagen gelten somit ab dem 1. Jänner 1999 die Bestimmungen des WKG 1998, die zwar §57 HKG nachgebildet sind, aber doch von der Vorgängerbestimmung abweichen (§122 WKG, zuletzt idF BGBl. I Nr. 153/2001).

3. In der Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei unter anderem geltend, dass die Kammerumlage nach einem bereits mit Jahresbeginn 1999 außer Kraft getretenen Gesetz und somit ohne gesetzliche Grundlage vorgeschrieben wurde.

Die Wirtschaftskammer Österreich hat eine Äußerung erstattet, in der sie hinsichtlich der Frage der Anwendung des HKG auf die Gegenschrift der belangten Behörde verweist. Die belangte Behörde hat jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

4. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

Die belangte Behörde hat die Berufungsentscheidung auf ein Gesetz gestützt, das zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits vor über sechs Jahren außer Kraft getreten war. Auch die Jahre, für die die Kammerumlage vorgeschrieben wurde, betreffen Zeiträume, in denen bereits das WKG 1998 galt. Die Behörde hat den Ersatz eines ganzen Gesetzes durch ein neues Gesetz nach über sechs Jahren unbeachtet gelassen und ist damit willkürlich vorgegangen. Hiebei macht es keinen Unterschied, ob die Vorschreibung der Kammerumlage auch nach der neuen Rechtslage möglicherweise ebenso gedeckt gewesen wäre. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, eine Begründung, die auf einem nicht mehr geltenden Gesetzes beruht und daher in Wahrheit völlig fehlt, für die belangte Behörde nachzureichen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind € 360,-- an Umsatzsteuer und Eingabengebühr in der Höhe von € 180,-- enthalten.

Schlagworte

Handelskammern, Wirtschaftskammern, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B751.2006

Dokumentnummer

JFT_09939075_06B00751_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten