Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art79 ffLeitsatz
Art144 Abs1 B-VG; Art5 StGG; Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch das bei Abhaltung einer Bundesheerübung auf dem Grundstück der Bf. ohne deren Zustimmung entfaltete Handeln; Verletzung im EigentumsrechtSpruch
Die Bf. wurden durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Abhaltung einer Übung der Landwehrstammregiments 21 des Bundesheeres am 12. August 1981 auf Grundstücken des ihnen gehörigen Gutes N, Untersiebenbrunn, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, die Bf. seien Miteigentümer des Gutes N in 2284 Untersiebenbrunn. Am 12. August 1981 habe das Bundesheer auf Grundflächen des Gutes im Bereich von Waldbeständen eine Übung durchgeführt, welche vorher nicht gemeldet worden sei.
Im Zuge dieser nicht angemeldeten Übung sei die Grundfläche insbesondere durch Graben von Löchern verändert und der Waldbestand durch Abhacken von Ästen beschädigt worden. Durch Unvorsichtigkeit sei schließlich der Wald in Brand geraten, wodurch dieser in einem Ausmaß von rund 9 ha vernichtet worden sei.
Es bestehe keine gesetzliche Regelung, die das Bundesheer berechtigen würde, fremde Grundflächen zu Übungszwecken zu betreten; hiezu bedürfe es vielmehr der Gestattung durch den Grundeigentümer. In der Praxis würden derartige Übungen vom Bundesheer bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft angemeldet, welche die Gendarmerieposten und Bürgermeister verständige, die ihrerseits die Bevölkerung informierten. Dadurch sei es den Grundeigentümern möglich, derartige Übungen auf ihren Grundflächen zu verbieten oder allenfalls nur unter bestimmten Auflagen zuzulassen. Es sei unbestritten, daß die Übung vom Bundesheer nicht angemeldet wurde.
Damit sei im vorliegenden Fall die Benützung der Grundflächen der Bf. durch das Bundesheer ohne jede Rechtsgrundlage erfolgt. Die Bf. seien daher durch die Handlungen der Übungsteilnehmer, wie das Ausheben von Gruben und die Beschädigung des Waldbestandes, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden. Da die Übung als ein willkürliches Vorgehen anzusehen sei, liege auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor. Es handle sich hiebei um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 B-VG, "die als verfahrensfreier Verwaltungsakt, und zwar als Eingriffsakt, der als Ausführung eines ihm zuzudenkenden Duldungsbefehles deutbar ist, anzusehen" sei.
Die Bf. beantragen, der VfGH möge aussprechen, daß sie durch die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt durch Abhalten einer Übung und anläßlich der Übung des Bundesheeres, Landwehrstammregiment 21, am 12. August 1981 auf ihren Grundstücken in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG, verletzt wurden.
2. Der Bundesminister für Landesverteidigung hat als bel. Beh. eine Gegenschrift erstattet, in der er die Zurückweisung der Beschwerde begehrt.
Im Rahmen des Raumverteidigungskonzeptes des Bundesheeres sei es erforderlich, die Soldaten des Bundesheeres unter Verhältnissen auszubilden, welche in etwa den Verhältnissen entsprechen, unter denen sie ihre Aufgabe in einem allfälligen Einsatzfall zu erfüllen haben würden. Dazu gehöre, daß militärische Übungen in einem Gelände durchgeführt werden, welches mit einem allfälligen Einsatzraum von Geländeform, Bewuchs usw. her gesehen, vergleichbar ist.
Aus diesem Grunde sei es nicht möglich, die Soldaten des Bundesheeres ausschließlich auf Übungsplätzen auszubilden. Vielmehr erscheine es erforderlich, solche Übungen auch auf Grundflächen durchzuführen, welche im Eigentum dritter Personen stehen.
Würden im Zuge militärischer Übungen Grundstücke dritter Personen in Anspruch genommen, werde vor Durchführung jeweils das Einvernehmen mit den Grundeigentümern hergestellt. Zusätzlich würden derartige Übungen den zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden und Sicherheitsdienststellen bekanntgegeben. Dieses Verfahren sei durch einen Erlaß des Bundesministers für Landesverteidigung vom 12. Mai 1968, Z 305.491-Ausb/68, geregelt.
Den Bf. sei zuzugestehen, daß vor Beginn der militärischen Übung am
12. und 13. August 1981 versäumt worden sei, ihre Zustimmung zur Durchführung der Übung auf ihren Grundstücken einzuholen; entgegen den Bestimmungen des zitierten Erlasses sei auch die Verständigung der Bezirkshauptmannschaft und der zuständigen Sicherheitsdienststelle unterblieben. Die bel. Beh. könne sich jedoch dennoch der Ansicht der Bf. nicht anschließen, daß in der Durchführung dieser militärischen Übung auf deren Grundstücken die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 B-VG zu erblicken sei. Im vorliegenden Fall fehle nämlich sowohl die Voraussetzung, daß die angefochtene Amtshandlung ein behördliches Handeln im Rahmen der der Behörde zustehenden Befehls- und Zwangsgewalt darstellte, als auch die weitere Voraussetzung, daß der faktischen Amtshandlung in irgendeiner Form eine rechtsfeststellende oder rechtserzeugende Wirkung beigemessen werden könne. Nach Ansicht der bel. Beh. könne vielmehr in einer solchen - nicht bewilligten - militärischen Übung auf einem fremden Grundstück lediglich, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen, eine nach den Grundsätzen des Privatrechtes zu entschädigende Schadenszufügung erblickt werden, die nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen sei.
3. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich - abgesehen vom außer Streit stehenden Sachverhalt, wonach eine Zustimmung der Bf. für die Durchführung einer Übung des Bundesheeres auf ihren Grundstücken nicht eingeholt wurde -, daß tatsächlich Erdaushübe durchgeführt und Sträucher durch Abhacken von Ästen beschädigt wurden; insofern erweist sich das Beschwerdevorbringen vom Tatsächlichen her als richtig. Die Beschwerdebehauptung, anläßlich der Übung sei durch Unvorsichtigkeit von Übungsteilnehmern der Wald in Brand gesetzt worden, verifiziert sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten dem gegenüber nicht; es erübrigte sich jedoch, auf dieses Vorbringen weiter einzugehen, da ihm offensichtlich nur illustrativer Charakter zugedacht ist.
4. Der VfGH hat erwogen:
4.1. Das Bundesheer ist offenkundig eine Einrichtung der Hoheitsverwaltung, die über "Befehlsgewalt" verfügt. Bei der Abhaltung einer Bundesheerübung, die die Schaffung (Erhaltung) der Einsatzfähigkeit der Truppe zum Ziel hat, handelt es sich somit um die Besorgung hoheitlicher Aufgaben. Das dabei entfaltete Handeln ist - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG - als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu werten.
Auch das Vorliegen dieser (sonstigen) Voraussetzungen ist zu bejahen.
4.2. Anders als im Fall VfSlg. 8800/1980 beschränkte sich das Vorgehen der Behörde nicht auf ein bloßes Betreten (Befahren) des Privatgrundes (der Privatstraße) der Bf. und davon abgesetzte (selbständig bewertbare), jeweils für sich zu sehende Einzelhandlungen ohne oder mit nur teilweisem Eingriffscharakter; die Übung auf in fremdem Eigentum stehenden Grundstücken schloß vielmehr eine - wenn auch nur vorübergehende - zweckorientierte Benützung von Waldgebieten (der Bf.) ein, wobei die Komplexität der Vorgänge eine Wertung der einzelnen Teilakte, wie das Betreten der Grundstücke, die Bodenveränderungen und das Beschädigen von Sträuchern als Einheit gebietet.
Wohl haben die Angehörigen des Bundesheeres sich den Zutritt in das im Eigentum der Bf. stehende Gelände ohne Gewaltanwendung und auch - anders als in der Rechtssache VfGH 8. Juni 1984 B552 - 555/83 (dort in ein Haus) - nicht aufgrund eines (unverzügliche Befolgung fordernden) Befehls verschafft. Das Bundesheer war aber selbst nicht der Meinung, eine Übung auf dem Grund und Boden der Bf. ohne deren Zustimmung abhalten zu dürfen, hat jedoch trotzdem um eine solche Zustimmung nicht angefragt. Wenn nun auch ebensowenig wie in der Rechtssache VfSlg. 8931/1980 versperrte Eingänge (von den Angehörigen des Bundesheeres) aus Anlaß der Amtshandlung (der Übung) geöffnet wurden, kann sich die bel. Beh. im vorliegenden Fall dennoch nicht darauf berufen, Zwang überhaupt nicht ausgeübt zu haben; das gerügte Verhalten der übenden Truppe beschränkte sich nämlich nicht auf Verhaltensweisen, wie sie üblicherweise auch von Privatpersonen unbeanstandet gesetzt werden, sondern entsprach dem typischen Erscheinungsbild, das beim Besetzen eines Geländes zu Übungszwecken durch eine Einheit des Bundesheeres hervorgerufen wird.
Es kann schließlich auch nicht in Frage stehen, daß nach den konkreten Umständen eine unmittelbare Betroffenheit der Grundeigentümer bewirkt wurde, die deren Beschwerdelegitimation auslöste (vom Fehlen eines individuellen Charakters der Maßnahme - wie im Falle VfGH 19. November 1977 B447/77 oder 20. Dezember 1984 B936/84 - kann hier nicht die Rede sein).
4.3. Bei den in Beschwerde gezogenen Maßnahmen handelt es sich somit um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 B-VG.
Die Beschwerde ist daher zulässig.
4.4. Das Grundeigentum ist ein privates Vermögensrecht. Als solches steht es unter dem durch Art5 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz auf Unversehrtheit des Eigentums. Ein durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bewirkter Eingriff in dieses Recht ist verfassungswidrig, wenn er ohne gesetzliche Grundlage, aufgrund eines
verfassungswidrigen Gesetzes oder in denkunmöglicher Anwendung eines
verfassungswidrigen Gesetzes oder in denkunmöglicher Anwendung eines verfassungsrechtlich unbedenklichen Gesetzes vorgenommen wird (vgl. VfSlg. 8764/1980). Die Übung des Bundesheeres hat einen solchen Eingriff bewirkt. Die dabei gesetzten Handlungen können sich auf keine Rechtsgrundlage stützen; weder das Wehrgesetz noch eine sonstige gesetzliche Bestimmung berechtigten die Angehörigen des Bundesheeres, ohne Zustimmung des Grundeigentümers auf deren Liegenschaften eine Übung durchzuführen. Die Bf. wurden daher durch Abhaltung der Übung und die hiebei gesetzten Verhaltensweisen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Bei diesem Ergebnis brauchte auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht weiter eingegangen zu werden, da der Beschwerde schon aus diesem Grunde Folge zu geben war.
Schlagworte
Hoheitsverwaltung, VfGH / Legitimation Ausübung unmittelbarer Befehls- und ZwangsgewaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B504.1981Dokumentnummer
JFT_10149685_81B00504_00