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10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art8Leitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art8 StGG; keine vertretbare Annahme des "Betretens auf frischer Tat" (Treiben gewerbsmäßiger Unzucht); Festnahmevoraussetzung des §35 VStG 1950 nicht gegeben; Verletzung im Recht auf persönliche FreiheitSpruch
Die Bf. wurde durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Festnahme und nachfolgende Anhaltung am 28. Feber 1983 durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Aufgrund des - in den hier bedeutsamen Belangen übereinstimmenden - Vorbringens der Parteien und der vorgelegten Verwaltungsakten nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Am Nachmittag des 28. Feber 1983 sollte eine Wohnung, die die Bf. gemietet hatte und in der aufgrund einer Annonce in einer Tageszeitung die Ausübung der Prostitution sehr wahrscheinlich war, durch zwei Beamte der Bundespolizeidirektion Wien, die einer sogenannten "Prostitutionsstreife" angehörten, routinemäßig überprüft werden, offenbar um festzustellen, ob darin in gesetzwidriger Weise Prostitution ausgeübt wurde oder nicht. Als die Beamten Einlaß begehrten, öffnete ihnen die Bf. die Türe. Sie war mit hautengen schwarzen Hosen und einer schwarzen Bluse bekleidet. Die Beamten traten ein, legitimierten sich und verlangten von der Bf. die Vorweisung eines Ausweises gemäß §2 der V des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 9. Mai 1974, BGBl. 314, über die gesundheitliche Überwachung von Personen, die mit ihrem Körper gewerbsmäßig Unzucht treiben. Daraufhin erklärte die Bf., einen solchen nicht zu besitzen, da sie nicht der Prostitution nachgehe und nur zufällig in der Wohnung anwesend sei. Sie habe nur eine Prostituierte besuchen wollen, die die Wohnung zu "Arbeitszwecken" benütze; diese habe aber noch in einem anderen Zimmer einen Gast zu betreuen. Die Beamten warfen der Bf. vor, in gesetzwidriger Weise Prostitution zu betreiben und verlangten von ihr, sich auszuweisen. Sie gab ihren Namen an, erklärte aber, keinen Ausweis bei sich zu tragen. Die Beamten nahmen sie sodann fest, verblieben aber noch in der Wohnung. Kurze Zeit darauf kam tatsächlich eine Prostituierte aus einem anderen Zimmer zusammen mit einem Mann. Nachdem dieser gegangen war, legitimierte sie sich durch einen Ausweis nach §2 der V BGBl. 314/1974 und bestätigte den angegebenen Namen der Bf. Sodann überstellten die Beamten die Bf. in das Sicherheitsbüro, wo sie noch zirka zwei Stunden festgehalten und nach endgültiger Feststellung ihrer Identität entlassen wurde.
2. Die Bf. beantragte, kostenpflichtig festzustellen, daß sie durch die vorgenommene Festnahme und anschließende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde; demgegenüber stellte die bel. Beh., vertreten durch die Finanzprokuratur, den Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1.1. Die Verhaftung oder Festnahme durch Verwaltungsorgane im Rahmen der Verwaltungsstrafrechtspflege stellt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (VfSlg. 7829/1976, 7983/1977, 8044/1977, 8115/1977, 8364/1978, 8507/1979, 8580/1979 und viele mehr). Dies gilt auch für die Anhaltung (VfSlg. 8507/1979). Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde zulässig.
1.2. Das Grundrecht auf Schutz der persönlichen Freiheit (Art8 StGG iVm. Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutz der persönlichen Freiheit) wird nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes durch eine Festnahme bzw. Anhaltung dann verletzt, wenn diese in gesetzwidriger Weise erfolgt (VfSlg. 7162/1973, 7427/1974, 7499/1975 uva. mehr). Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutz der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt nämlich nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Zu diesen Fällen zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, die jedenfalls voraussetzt, daß die Person "auf frischer Tat betreten" wird, dh. daß sie eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begeht und bei Begehung der Tat vom Sicherheitsorgan betreten wird. Auf frischer Tat wird eine Person aber nur dann betreten, wenn das Organ die Begehung unmittelbar wahrnimmt, ohne daß etwa zur Feststellung der Tat Erhebungen notwendig sind oder aus - wenngleich selbst wahrgenommenen Tatsachen - erst Schlüsse auf die Begehung der Tat durch diese Person gezogen werden müssen; wer bloß im Verdacht steht, eine strafbare Tat begangen zu haben, wird nicht auf frischer Tat betreten (vgl. zB VfSlg. 7252/1974, 7309/1974, 7829/1976).
Dies ist aber nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt hier der Fall. Strafbar ist nach §5 iVm. §7 der V BGBl. 314/1974 zusammen mit §12 Abs2 GeschlechtskrankheitenG, StGBl. 152/1945, das Treiben gewerbsmäßiger Unzucht, ohne den entsprechenden Ausweis nach §2 der genannten V zu besitzen. Die einschreitenden Beamten hätten demnach die Bf. bei Ausübung der Prostitution betreten müssen. Sie haben aber lediglich wahrgenommen, daß die Bf. die Türe ihrer Wohnung, in der mit großer Wahrscheinlichkeit Prostitution ausgeübt wurde, geöffnet hat und mit engen schwarzen Hosen und einer schwarzen Bluse bekleidet war. Daraus haben die Beamten geschlossen, die Bf. ginge der Prostitution nach. Es mag durchaus zutreffend sein, daß die Bf. tatsächlich zum damaligen Zeitpunkt Prostituierte war. Aber dies ist im vorliegenden Fall nicht wesentlich. Der entscheidende Punkt ist, daß die Beamten lediglich aus den Begleitumständen, wie aus der Kleidung der Bf., geschlossen haben, sie würde die Prostitution ausüben, ohne eine in irgendeiner Weise darauf gerichtete Handlung der Bf. selbst wahrgenommen zu haben. Dies reicht aber für ein Betreten auf frischer Tat nicht hin. Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, ProstitutionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B217.1983Dokumentnummer
JFT_10149393_83B00217_00