Index
10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art8Leitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; unvertretbare Annahme, daß Geldstrafe mit hoher Wahrscheinlichkeit iS des §53 Abs4 VStG 1950 uneinbringlich sei; Begriff der "Uneinbringlichkeit"; gesetzwidrige - eine "Verhaftung" bildende - zwangsweise Ergreifung und Vorführung zum Antritt einer Ersatzarreststrafe sowie nachfolgende Anhaltung gemäß §53 Abs4 VStG 1950Spruch
Der Bf. K E ist dadurch, daß er am 26. März 1984 um 13 Uhr in Wien von Organen der dortigen Bundespolizeidirektion festgenommen und zur Strafvollstreckung angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit dem - in Rechtskraft erwachsenen - Straferk. der Bundespolizeidirektion Wien (Bezirkspolizeikommissariat Wieden) vom 9. März 1982, Z Pst 411/W/82, wurden über K E wegen Verwaltungsübertretungen nach der StVO 1960 Geldstrafen von 20600 S, im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzarreststrafen in der Dauer von 4 Wochen und 48 Stunden verhängt.
1.2.1. K E begehrte in seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 26. März 1984 (13.00 Uhr) zur Vollstreckung (des offenen Restes) der zu Punkt 1.1. bezeichneten Ersatzarreststrafen festnahmen und anhielten, demnach durch einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt worden.
1.2.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete unter Vorlage der Administrativakten eine Gegenschrift und begehrte darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung einer Person zutrifft (zB VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977, 8146/1977).
Dies gilt auch für die - eine "Verhaftung" iS des Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87, bildende - zwangsweise Ergreifung und Vorführung eines bestraften zum Antritt einer (Ersatz-)Arreststrafe (VfSlg. 9623/1983, 9837/1983).
2.1.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß der Bf. am 26. März 1984 um 13 Uhr von Organen der Bundespolizeidirektion Wien, wie in der Beschwerdeschrift dargelegt, zur Einleitung der Vollstreckung auch des offenen Restes der in Rede stehenden Ersatzarreststrafen festgenommen und angehalten wurde.
2.1.3. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87, sieht in seinem ersten Abs. vor, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt einer Person "in den vom Gesetze bestimmten Fällen" in Verwahrung nehmen dürfen.
2.2.2.1. Hiezu zählt auch die - in diesem Fall heranzuziehende - Bestimmung des §53 Abs4 VStG 1950, welche die Vollziehung einer Ersatzarreststrafe davon abhängig macht, daß die "Geldstrafe ganz oder zum Teil uneinbringlich (ist) oder dies mit Grund anzunehmen (ist)". Fände die Festnehmung in dieser Gesetzesvorschrift keine Deckung, wäre der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt worden (VfSlg. 8642/1979, 8770/1980).
2.2.2.2. Die Vollstreckung der Ersatzarreststrafe an Stelle der Geldstrafe liegt also keineswegs im Belieben der Vollstreckungsbehörde: Vielmehr hat diese Behörde, ehe sie die Ersatzarreststrafe in Vollzug setzt, entweder a) ein Vollstreckungsverfahren durchzuführen oder aber b) Erhebungen zu pflegen, deren Ergebnis die Annahme rechtfertigen muß, daß die verhängte Geldstrafe mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich sei (VfSlg. 7015/1973, 8642/1979, 8679/1979, 9046/1981, 9837/1983). Dabei kommt es nicht auf die Zahlungsbereitschaft des Bestraften, sondern auf die tatsächliche Uneinbringlichkeit der Geldstrafe an (vgl. VfSlg. 8679/1979).
2.3.1. Der Bf. macht ua. sinngemäß geltend, daß er - in der Zeit ab seiner Bestrafung bis zur Festnahme - keineswegs mittellos gewesen sei, vielmehr über Arbeit, Einkommen und einen PKW verfügt habe.
2.3.2.1. Die bel. Beh. wendet zur Rechtfertigung ihrer bekämpften Vorgangsweise der Sache nach ein, daß sie nicht in Kenntnis des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes des Verpflichteten gewesen sei.
2.3.2.2. Diese Einrede ist aber schon deshalb nicht zielführend, weil der - hier maßgebende - Begriff der "Uneinbringlichkeit" im §53 Abs4 VStG 1950 zwingend voraussetzt, daß der Bestrafte zur Leistung der Geldstrafe wirtschaftlich außerstande ist: Keinesfalls kann von "Uneinbringlichkeit" iS der zitierten Gesetzesstelle also nur deswegen gesprochen werden, weil der Bestrafte - mag er auch finanziell leistungsfähig sein - für die Behörde nicht (sogleich) greifbar ist und - wie im konkreten Fall nach dem Vorbringen der bel. Beh. - zur Eintreibung der Geldstrafe erst ausgeforscht werden müßte.
2.3.3.1. Aus den vorgelegten Administrativakten geht hervor, daß der mit der Bezahlung der Geldstrafen säumig gewordene Bestrafte, der, wie der Bundespolizeidirektion Wien am 10. August 1983 zur Kenntnis gelangte, einen PKW der Marke SAAB mit der Kennzeichennummer W ... besitzt und demnach nicht mittellos ist, von Organen der bel. Beh. am 26. März 1984 ausgeforscht und zugleich zur Vollstreckung der schon bezeichneten (und anderer) Ersatzarreststrafen festgenommen und angehalten wurde, ohne daß es zuvor zu einer hinlänglichen Klarstellung seiner Einkommens- und Vermögenssituation kam. Angesichts dieser Sachlage - nämlich vor allem des Besitzes eines PKW's einerseits und der Unterlassung jedweden Versuchs einer Feststellung und Überprüfung der wirtschaftlichen Zahlungsfähigkeit nach Ausforschung andererseits (s. hiezu Anhaltemeldung vom 26. März 1984, Z Vf 532-Sg/84) - konnte die Behörde - die kein Vollstreckungsverfahren (iS des §3 VVG 1950) führte - nicht mit gutem Grund zur Auffassung gelangen, daß die Geldstrafen mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich seien. Daß die Festnehmung zur sofortigen Einleitung der Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafen - wie die bel. Beh. in ihrer Gegenschrift anzudeuten scheint - unter den obwaltenden Umständen mühelos möglich war, hingegen der Vollstreckung der (Primär-)Geldstrafen - den Abschluß der Sache verzögernde - Schwierigkeiten faktischer Art entgegengestanden sein dürften, vermochte die fehlenden Voraussetzungen des §53 Abs4 VStG 1950, wie sie zu Punkt 2.2.2.2. umschrieben wurden, nicht zu ersetzen.
2.3.3.2. Schon daraus folgt, daß die Festnahme- und Anhaltevoraussetzungen des §53 VStG 1950 nicht gegeben waren.
2.4. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Bf. durch seine gesetzlich ungedeckte und daher verfassungswidrige Festnahme und Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
Es muß somit spruchgemäß entschieden werden.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Verwaltungsstrafrecht, Vollzug Strafe, Vollstreckungshandlung, ErsatzfreiheitsstrafeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B287.1984Dokumentnummer
JFT_10149393_84B00287_00