Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Art8 StGG; Art5 MRK; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; vertretbare Annahme des Widerstandes gegen die Staatsgewalt; rechtmäßige Festnahme gemäß §177 Abs1 Z1 iVm §175 Abs1 Z1 StPO und anschließende Anhaltung; Abweisung des Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH Art3 MRK; Verletzung durch Schußwaffe und durch Anwendung von Körperkraft; Gebrauch eines Gummiknüppels; Fesselung; Schußwaffengebrauch iS des §7 Z1 (ua. Notwehr) und §7 Z3 (ua. Erzwingung der Festnahme) WaffengebrauchsG gerechtfertigt; kein Verstoß gegen Art3 MRK; in diesem Umfang Abtretung der Beschwerde an den VwGHSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird abgewiesen, soweit sie sich gegen die Festnahme und die Anhaltung richtet. Im übrigen wird die Beschwerde dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Bf. in einem sonstigen Recht verletzt wurde.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht:
"... (Die Sachverhaltsdarstellung in Punkt I und II der Beschwerde wird mit Rücksicht auf die folgende Darlegung des vom VfGH aufgrund seiner Ermittlungen als erwiesen angenommenen Sachverhaltes nicht wiedergegeben.) ...
III. Anträge:
1. Der Beschwerdeführer beantragt, der VfGH wolle eine Verhandlung anberaumen, der Beschwerde stattgeben und erkennen, daß der Beschwerdeführer am 25. Oktober 1984 in der Zeit von zirka 3 Uhr oder etwas früher bis nach 5 Uhr oder noch später durch Beamte der Bundespolizeidirektion Schwechat in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art3 MRK (Recht auf körperliche Integrität, Schutz vor Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung) und nach dem Freiheitsschutzgesetz 1862 und Art5 MRK (Recht auf persönliche Freiheit) verletzt worden ist, und zwar:
a) durch die körperliche Gewaltanwendung gegen den Beschwerdeführer und den Versuch, ihm Handschellen anzulegen;
b) durch das Anschießen und die dadurch eingetretene Schußverletzung;
c) durch das Anlegen und Belassen von Handschellen;
d) dadurch, daß der Beschwerdeführer in das Polizeifahrzeug gestoßen wurde;
e) dadurch, daß der Beschwerdeführer vor dem Wachzimmer Schwechat, Wiener-Straße 13, an den Füßen gepackt, in das Wachzimmer geschleift und dabei verletzt wurde;
f) dadurch, daß der Beschwerdeführer trotz seiner Verletzungen am Boden des Wachzimmers liegengelassen und dort mit Füßen getreten wurde;
g) dadurch, daß dem Beschwerdeführer nahezu zwei Stunden die dringend gebotene ärztliche Versorgung vorenthalten wurde;
h) durch die Festnahme und Aufrechterhaltung der Festnahme.
2. Der Beschwerdeführer beantragt, der belangten Behörde den Ersatz der Prozeßkosten aufzuerlegen.
3. Für den Fall, daß der VfGH die Behandlung der Beschwerde ablehnt oder sie abweist, beantragt der Beschwerdeführer, die Beschwerde gemäß Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abzutreten."
2. Die Bundespolizeidirektion Schwechat als bel. Beh. begehrt, die Beschwerde abzuweisen.
II. 1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ... Vr 407/85, betreffend die gegen den Bf. anhängige (noch nicht abgeschlossene) Strafsache wegen §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4, 125, 126, 269 Abs1 StGB sowie durch Einsichtnahme in die Akten der Bundespolizeidirektion Schwechat Z St 3852/84 und St 3908/84 betreffend die (noch nicht abgeschlossenen) gegen den Bf. wegen Verdachtes des Lenkens und der versuchten Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (§5 StVO 1960) eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren.
2. Aufgrund dieser Beweismittel - insbesondere aufgrund der Wachemeldungen sowie der vor dem Strafgericht abgelegten Aussagen des unbeteiligten Taxifahrers H F sowie der Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Schwechat J M, W H und A S als Zeugen und der Aussage des Bf. anläßlich seiner Vernehmung als Beschuldigter - nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der Sicherheitswachebeamte M hielt am 25. Oktober 1984 kurz nach Mitternacht auf der Flughafen-Autobahn (A 4) nächst der Betriebsumkehre Alberner Straße den vom Bf. gelenkten LKW-Zug an, der ihm wegen seiner unsicheren Fahrweise aufgefallen war. Der Beamte stellte Symptome einer Alkoholisierung fest; die Alkotestprobe verlief positiv. Die klinische Untersuchung durch den Polizeiamtsarzt ergab einen "mittelstarken Grad der Alkoholisierung" und die Nichteignung, ein KFZ im öffentlichen Verkehr zu lenken. Aus diesem Grunde nahm der Sicherheitswachebeamte dem Bf. gemäß §76 KFG den Führerschein vorläufig ab. Der LKW-Zug wurde an Ort und Stelle abgestellt gelassen. Zur Verhinderung der Weiterfahrt nahm der Sicherheitswachebeamte dem Bf. den Zulassungsschein und ein Paar Fahrzeugschlüssel ab, nachdem er den LKW versperrt hatte.
Der Bf. begab sich in der Folge wieder zum LKW und versuchte, mit einem Draht die Fahrzeugtüre zu öffnen. Aufgrund der Mitteilung eines Taxilenkers (des Zeugen F) begaben sich die (über die Vorgeschichte informierten) Sicherheitswachebeamten S und H zum LKW. Auf die Frage der Beamten, was der Bf. hier mache, antwortete dieser, er werde nach Hause fahren; er habe noch einen (zweiten) Zündschlüssel bei sich. (Tatsächlich wurde dieser zweite Zündschlüssel bei ihm gefunden.) Nun erklärte ihn Inspektor S (das erste Mal) für festgenommen. Das war für den Bf. Anlaß, die beiden Sicherheitswachebeamten zu beschimpfen und gegen sie tätlich zu werden. Trotz Abmahnungen und Beschwichtigungen steigerten sich seine Angriffe, weshalb die Beamten versuchten, ihm Handfesseln anzulegen. Nachdem dies am rechten Arm gelungen war, schlug der Bf. mit dem Arm, an dem die Handfessel befestigt war, mehrmals gegen den Kopf von Inspektor H und bedrohte die Beamten mit dem Umbringen. Schließlich kam Inspektor H durch die ihm vom Bf. weiterhin versetzten Schläge auf der Fahrbahn zu liegen, worauf der Bf. mit den Füßen gegen Kopf und Bauch des Beamten trat. Währenddessen nahten Fahrzeuge auf der Autobahn. Inspektor S gab nun aus der Dienstpistole einen Warnschuß ab und drohte dem Bf. einen gezielten Schuß an, konnte aber diese Drohung nicht verwirklichen, ohne seinen Kollegen zu gefährden. Der Bf. schlug ungeachtet des Warnschusses weiterhin wütend auf den am Boden liegenden Inspektor H ein. Schließlich gelang es diesem, sich soweit zu befreien, daß er die Dienstpistole ziehen konnte. Er richtete den Schuß gegen die Füße des Bf. Dieser zeigte keine Reaktionen, die die Beamten darauf schließen ließen, er sei getroffen worden. Vielmehr tobte er gegen beide Beamten weiter und verletzte sie. Inzwischen war (aufgrund einer über Funk gegebenen Meldung) Inspektor M eingetroffen. Nachdem dieser den Gummiknüppel eingesetzt hatte (Schläge gegen die Oberarme), gelang es nun doch, den Bf. mit der Handfessel zu schließen. Wegen seines tätlichen Verhaltens gegen die Beamten sprach Inspektor S um etwa 3.40 Uhr (neuerlich) die Festnahme des Bf. aus, der er sich vehement widersetzte. Schließlich setzten es die Beamten durch, ihn im Funkwagen ins Wachzimmer Wiener Straße zu bringen. Erst dort stellten die Beamten gegen 4.00 Uhr fest, daß er am rechten Unterschenkel eine Schußverletzung erlitten hatte. Das unverzüglich (4.04 Uhr) verständigte Rote Kreuz brachte ihn mit einem Rettungswagen um 4.10 Uhr ins Mödlinger Krankenhaus. Er wurde dorthin von zwei Beamten begleitet. Formell wurde um 6.00 Uhr seine Verhaftung aufgehoben.
Wegen der geschilderten Vorfälle ist gegen den Bf. das oben unter II.
1. angeführte gerichtliche Strafverfahren anhängig. Gegen die einschreitenden Beamten wurde kein strafgerichtliches Verfahren eingeleitet.
3. Der VfGH folgt bei diesen Feststellungen den glaubwürdigen Darstellungen der Sicherheitswachebeamten und vor allem des unbeteiligten Zeugen F, der die hier wesentlichen Vorfälle selbst beobachtete und dem keinerlei Motiv unterstellt werden kann, falsch zugunsten der Beamten und zu Ungunsten des Bf. auszusagen.
Die Feststellungen über die zeitlichen Momente zwischen der Abgabe des gezielten Schusses und dem Transport des Bf. ins Krankenhaus gründen sich insbesondere auf die von der bel. Beh. mit ihrer Gegenschrift vorgelegte Stellungnahme des Zentralinspektorates der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 16. Jänner 1985; dieser Äußerung ist der Bf. nicht entgegengetreten. Damit ist die in der Beschwerde aufgestellte und in der Aussage des Bf. als Beschuldigter vor dem Strafgericht deponierte Behauptung widerlegt, die Beamten hätten ihn im Wachzimmer - bereits in Kenntnis seiner Verletzung - etwa eine halbe Stunde liegen lassen, ohne für ärztliche Behandlung zu sorgen. Bei der Situation, in der sich der Bf. damals befand, mag es sein, daß ihm der im Wachzimmer verflossene Zeitraum subjektiv wesentlich länger erschien, als er es tatsächlich war.
III. Der VfGH hat zur Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:
Die bekämpfte Festnahme und Anhaltung des Bf. sind ebenso wie der gegen ihn gerichtete Gebrauch des Gummiknüppels und der Schußwaffe sowie die Anwendung von Körperkraft gegen ihn und die Fesselung Verwaltungsakte, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen ihn gesetzt wurden und die nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar sind (vgl. zB VfSlg. 8082/1977, S 414; 9196/1981, S 33).
Aber auch die Umstände, unter denen die Festnahme und Anhaltung erfolgten, sind einer (gesonderten) Anfechtung nach dieser Verfassungsbestimmung zugänglich (vgl. zB VfSlg. 8627/1979, 10051/1984).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zur Gänze zulässig.
IV. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:
1. a) Was die Verhaftung des Bf. betrifft, verweist der VfGH auf seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Verletzung des Art8 StGG und des Art5 Abs1 MRK nicht stattgefunden hat, wenn eine iS des §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, erlaubte Verhaftung vorliegt (s. zB VfSlg. 8082/1975). An einer solchen kann hier kein ernstzunehmender Zweifel bestehen:
Der erste Ausspruch der Festnahme des Bf. wurde auf §35 litc VStG gestützt. Er konnte nicht effektuiert werden. Da diese Maßnahme nicht bekämpft wird - ihr folgte kein tatsächlicher Eingriff in die persönliche Freiheit -, braucht darauf nicht weiter eingegangen zu werden.
Dem zweiten Ausspruch der Festnahme hingegen folgte tatsächlich eine Verhaftung. Sie war gerechtfertigt:
Die einschreitenden Beamten konnten mit gutem Grund annehmen, daß sich der Bf. ihnen gegenüber des Vergehens (allenfalls sogar des Verbrechens) des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §269 Abs1 StGB schuldig gemacht habe. Er wurde von den Sicherheitswachebeamten hiebei auf frischer Tat betreten. Es war sohin jedenfalls der Haftgrund des §175 Abs1 Z1 StPO gegeben, der die Organe der Sicherheitsbehörde gemäß §177 Abs1 Z1 leg. cit. zur vorläufigen Verwahrung des Bf. berechtigte (vgl. zB VfSlg. 8082/1975).
Daß die Anhaltung unnötig lange gedauert hat, ist nicht hervorgekommen.
Zur Festnahme und anschließenden Anhaltung des Bf. ist zusammenfassend festzuhalten, daß eine Verletzung der - hier ausschließlich in Betracht kommenden - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Art8 StGG und des Art5 MRK nicht stattgefunden hat. Es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß der Bf. infolge der Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt worden wäre. Soweit sich die Beschwerde gegen die Verhaftung richtet, ist sie daher abzuweisen.
b) §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit gewährt Schutz vor jeder rechtswidrigen Verhaftung ohne richterlichen Befehl (VfSlg. 6102/1969, 7361/1974). Der VfGH hat daher die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung schlechthin zu prüfen (VfSlg. 7277/1974, 7427/1974, 7499/1975) und sich nicht etwa - wie zB in Fällen der Beschlagnahme (VfSlg. 7633/1975) oder der Verhängung von Freiheitsstrafen (VfSlg. 7679/1975) - auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzesanwendung zu beschränken.
Mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, wird daher ausschließlich die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht. Für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte bleibt dann kein Raum. Daraus ergibt sich aber die alleinige Zuständigkeit des VfGH (VfSlg. 9368/1982).
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war daher abzuweisen, soweit sie sich gegen die Verhaftung wendet.
2. a) Wie der VfGH bereits wiederholt aussprach (zB VfSlg. 8881/1980, 9196/1981), verstoßen gegen das im Art3 MRK verankerte Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung physische Zwangsakte nur dann, wenn ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist. Die Anwendung von Körperkraft (vgl. zB VfSlg. 9298/1981, 10250/1984), der Gebrauch des Gummiknüppels (vgl. zB VfSlg. 7377/1974, 8082/1977) sowie der lebensgefährdende Gebrauch einer Schußwaffe (vgl. zB VfSlg. 8082/1977) und die Verwendung von Handfesseln (vgl. zB VfSlg. 9196/1981), die den Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl. 149, entsprechen, können nach der zitierten Vorjudikatur keinesfalls als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iS des Art3 MRK angesehen werden.
Physische Zwangsakte der erwähnten Arten wurden gegen den Bf. gesetzt. Sie waren nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen (s. oben II.2.) aus den im §2 Z1 bis 4 WaffengebrauchsG angeführten Anlässen notwendig; sie wurden maßhaltend ausgeübt. Auf die soeben wiedergegebene Judikatur (und die dort zitierte weitere Rechtsprechung) wird hingewiesen.
Ergänzend ist beizufügen:
Gemäß §7 Z1 WaffengebrauchsG ist der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen ua. "im Falle gerechtfertigter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen" zulässig. Für Inspektor H bestand sowohl unmittelbar aufgrund der mit äußerster Brutalität, von Vernichtungswillen getragenen, gegen ihn vom Bf. gerichteten Angriffe als auch wegen der konkreten Möglichkeit, daß ihn (der auf der Autobahn lag und vom Bf. festgehalten wurde) Autos überrollten, Lebensgefahr. Um sich in dieser Situation zu retten, war es gerechtfertigt, daß der Beamte gegen die Füße des Bf. schoß.
Darüber hinaus war der gegen den Bf. abgegebene Schuß auch durch §7 Z3 WaffengebrauchsG gedeckt: Nach der derzeit geltenden Fassung (s. VfSlg. 8082/1977, S 417) ist der mit Lebensgefährdung verbundene Waffengebrauch ua. auch zur Erzwingung der Festnahme einer Person zulässig, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtig ist, für sich allein oder die iVm. ihrem Verhalten bei der Festnahme sie als für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet.
Diese Voraussetzungen lagen hier wegen des Verhaltens des Bf. bei der Festnahme vor. Es bestand nämlich der dringende Verdacht des Vergehens bzw. Verbrechens nach §269 Abs1 StGB; es war auch offenkundig, daß die durch eine geradezu hemmungslose Aggressivität gegen Leib und Leben der amtshandelnden Beamten charakterisierten Taten des Bf. ihn als einen für die Sicherheit der Person allgemein gefährlichen Menschen kennzeichneten.
Es lagen keine Umstände vor, die gemäß §4 WaffengebrauchsG 1969 den Schußwaffengebrauch gegen den Bf. ausgeschlossen hätten. Diese Bestimmung besagt, daß der Waffengebrauch nur zulässig ist, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel, wie insbesondere Handfesseln oder technische Sperren, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben. In Anbetracht des festgestellten Sachverhaltes kann der VfGH nicht finden, daß Inspektor H andere geeignet scheinende Maßnahmen zu Gebot gestanden wären, die den jedenfalls durch Abgabe eines Warnschusses für den Bf. erkennbar angedrohten Schußwaffengebrauch unnötig gemacht hätten.
Wenn der Bf. nicht bloß durch den Schuß, sondern auch durch die Anwendung von Körperkraft verletzt wurde, ist dies auf seinen nahezu nicht zu brechenden Widerstand zurückzuführen. Ein die Menschenwürde beeinträchtigendes Verhalten der Sicherheitswachebeamten iS der oben wiedergegebenen Judikatur des VfGH hat sich nicht ergeben.
b) Die absichtliche Verzögerung der ärztlichen Versorgung einer schweren Wunde könnte allenfalls gegen Art3 MRK verstoßen. Hier liegt aber eine solche Verzögerung nicht vor: Die Beamten haben die Schußverletzung erst im Wachzimmer wahrgenommen. Dies kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Aufmerksamkeit der Beamten war nach Abgabe des gezielten Schusses voll und ganz darauf gerichtet, den weiterhin tobenden Bf. von der Fahrbahn der Autobahn weg ins Polizeifahrzeug zu bringen. Aufgrund der nach dem Schußwaffengebrauch vom Bf. unvermindert gegen die Sicherheitswachebeamten geführten Angriffe konnten sie annehmen, der Schuß habe ihn nicht getroffen. Nachdem die Beamten die Schußverletzung jedoch festgestellt hatten, verständigten sie - wie sich aus der obigen Sachverhaltsdarstellung (Abschn. II) ergibt - unverzüglich den Rettungsdienst und veranlaßten den Transport des Bf. ins Krankenhaus.
c) Der Bf. wurde also auch nicht in dem durch Art3 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.
d) Da der Bf. durch die gegen ihn angewendete Gewalt und das sonst in Beschwerde gezogene Verhalten der Sicherheitswachebeamten anläßlich seiner Anhaltung auch nicht in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt war, war die Beschwerde auch in diesem Umfang abzuweisen, jedoch antragsgemäß nach Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abzutreten.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Waffengebrauch, Fesselung, Mißhandlung, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B898.1984Dokumentnummer
JFT_10149392_84B00898_00