TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/8 B548/84

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Veröffentlicht am 08.06.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
EGVG 1950 ArtIX Abs1 Z1 und Z2
PersFrSchG §4
Sbg LandespolizeistrafG §2
VStG §35 litc, §36
StGG Art8

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; vertretbare Annahme ungestümen Benehmens iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950, von Ordnungsstörung iS des ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 und ungebührlicher Lärmerregung iS des §2 Sbg. Landes-PolizeistrafG; rechtmäßige Festnahme gemäß §35 litc VStG 1950 und anschließende Anhaltung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die vorliegende, auf Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 23. Mai 1984 gegen 2.00 Uhr in Sbg. durch Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Sbg. erfolgte Festnahme und die nachfolgende etwa 2 1/2stündige Anhaltung des Bf. in einem Wachzimmer dieser Behörde. Diese Maßnahmen seien gesetzlos gewesen.

Der Bf. behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein.

Er beantragt, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.

2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Sbg. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie geltend macht, die bekämpften Maßnahmen seien durch §35 litc VStG 1950 und durch §177 Abs1 Z1 StPO gedeckt gewesen.

Die bel. Beh. begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. 1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Sbg. Z .../St 3732/84 (betreffend das - noch nicht rechtskräftig abgeschlossene - gegen den Bf. wegen Lärmerregung und Ordnungsstörung geführte Verwaltungsstrafverfahren) sowie in den Akt des Landesgerichtes Sbg. ... Vr 2140/84.

Aus diesem Gerichtsakt ergibt sich, daß das Landesgericht Sbg. den Bf. mit Urteil vom 15. Oktober 1984 des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§15, 269 Abs1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach der letztgenannten Gesetzesstelle unter Anwendung des §37 Abs1 StGB zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen a 50 S, im Uneinbringlichkeitsfall 75 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt hat. Gemäß dem §38 Abs1 Z1 StGB wurde die Vorhaft in der Zeit von 2.15 Uhr bis 4.25 Uhr am 23. Mai 1984 auf die Strafe angerechnet. Vom weiteren Anklagevorwurf des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB zum Nachteil des Polizeibeamten H S wurde der Angeklagte rechtskräftig gemäß dem §259 Z3 StPO freigesprochen.

Das Landesgericht Sbg. nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

"Im Zuge einer dienstlichen Erledigung, welche die Besatzung des Funkstreifenfahrzeuges Maxglan I, nämlich die Zeugen BezInsp. H S und RevInsp. H E, beim türkischen Konsulat zu besorgen hatten, konnten sie lautes Schreien und Lärmen wahrnehmen, dessen Ausgangspunkt etwa 100 m entfernt in der Nonntaler Hauptstraße lag. Die Stelle konnte vom Standort der Beamten gut eingesehen werden. Die Straße war dort ausreichend beleuchtet.

Als sich die Beamten an den Ausgangsort des Lärmes begaben, gewahrten sie, wie eine dort aufgestellte Sitzbank quer über den Gehsteig gekippt worden war. Der Beschuldigte und sein Freund M J waren Urheber des Lärmes. J hatte die Bank quer über den Gehsteig gestellt, welche dann entweder vom Beschuldigten oder dessen Freund umgeworfen worden war. Sowohl N als auch J hatten Alkohol konsumiert, waren jedoch nicht vollrauschig.

Der Beschuldigte saß auf dem Boden, als die Beamten einschritten, während sich J einige Schritte entfernt hatte, dann aber zurückkam. Im Zuge der nunmehr beginnenden Amtshandlung wurden die beiden Passanten um ihre Ausweise gefragt.

Während J sich einsichtig zeigte und den Reisepaß vorwies, verweigerte der Beschuldigte vorerst die Ausweisleistung, lärmte weiter und beschimpfte die Beamten fortdauernd trotz mehrmaliger Abmahnung und Androhung der Festnahme. Er foppte die Beamten, indem er den Ausweis vorzeigte und diesen rasch zurückzog, wenn einer der Beamten danach griff. Schließlich konnte S den Ausweis des Beschuldigten ergreifen. Da N die Beschimpfungen der Beamten nicht einstellte und sich sogar die in unmittelbarer Nähe tätigen Straßenarbeiter, welche Reparaturarbeiten durchzuführen hatten, aufregten, wurde die Festnahme des Beschuldigten ausgesprochen und der Genannte zum Funkstreifenwagen gebracht, wogegen sich N zur Wehr setzte, indem er sich gegen das Fahrzeug spreizte, um die Amtshandlung zu verhindern. Er mußte von beiden Beamten ins Fahrzeug geschoben werden. Auf der Fahrt zum Wachzimmer versuchte der Beschuldigte, welcher ganz aus dem 'Häuschen' war, um sich zu schlagen, versetzte BezInsp. S einen Stoß gegen den Körper und versuchte, den Genannten aus dem Fahrzeug zu drängen. Er konnte von S nur mit Mühe festgehalten werden. Auf der Fahrt zum Wachzimmer mußte der Lenker E zweimal anhalten und S gegen den Widerstand des Beschuldigten helfen, wobei N nur durch den sogenannten Würgegriff fixiert werden konnte.

Wiederholte Aufforderungen, sein Verhalten einzustellen, zeigten beim Beschuldigten keinen Erfolg. Vor der Wachstube angekommen, ignorierte N die Aufforderung der Beamten, auszusteigen, sodaß diese ihn aus dem Wagen zerren mußten. Auf dem Weg zum Wachzimmer wurde er von beiden Beamten festgehalten. Er versuchte sich jedoch loszureißen, als er von einem Beamten, der die Tür öffnen mußte, losgelassen worden war. Sodann ließ sich N zu Boden fallen und ins Wachzimmer tragen, wo er sich wiederum von der Bank fallen ließ, mit den Füßen wild um sich schluß und sich selbst mit den Fingernägeln Striemen am Bauch zufügte, weshalb ihm schließlich Handschellen angelegt wurden, als er sich noch die Hose bis zu den Knien herunterzog und sich am Hoden riß. Erst nachdem er von der Amtsärztin Dr. D untersucht worden war und erklärte, er werde sich beruhigen und nichts mehr unternehmen, wurden die Handschellen entfernt.

Anläßlich der Untersuchung durch Dr. D war der Beschuldigte zeitlich und örtlich mäßig, zur Person ausreichend orientiert und legte ein aggressives und weinerliches Verhalten an den Tag. An Verletzungen wies er streifige Rötungen am Hals, mehrere zirka 10 cm lange Kratzwunden und an der Unterlippe eine blutende reiskorngroße Rißquetschwunde auf."

Das Oberlandesgericht Linz gab mit Urteil vom 14. Jänner 1985, ... Bs 493/84, der vom Bf. erhobenen Berufung nicht Folge. Es hielt die Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichtes für unbedenklich.

2. Auch der VfGH geht bei der rechtlichen Beurteilung der vorliegenden Beschwerde von diesem Sachverhalt aus.

III. 1. Die bekämpfte Festnahme und die folgende Anhaltung des Bf. sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Bf. ergangene Verwaltungsakte iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG (vgl. zB VfSlg. 9368/1982).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die bel. Beh. beruft. Der Bf. könnte sohin durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden sein, wenn die Festnehmung nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 9368/1982).

Die Festnehmung einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG 1950 setzt voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten wird". Das Sicherheitsorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. auch hiezu zB VfSlg. 9368/1982).

Die einschreitenden Sicherheitswachebeamten haben die Tat, derer sie den Bf. beschuldigten, selbst wahrgenommen. Sie konnten zumindest vertretbarerweise annehmen, daß sich der Bf. ihnen gegenüber ungeachtet vorangegangener Abmahnung, während sie sich in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes befanden, ungestüm benommen (ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950), durch sein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet war, die Ordnung an öffentlichen Orten gestört (ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950) und ungebührlicherweise störenden Lärm erregt hatte (§2 Sbg. Landes-PolizeistrafG, LGBl. 58/1975).

Bei dieser Sachlage war - da der Bf. trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlungen verharrte - der Festnahmegrund der litc des §35 VStG 1950 gegeben.

Die im Anschluß an die - im Gesetz gedeckte, wegen Verharrens in der strafbaren Handlung ausgesprochene - Festnahme des Bf. erfolgte (etwa zweistündige) Anhaltung war ebenfalls rechtmäßig. Es wurden keine besonderen Umstände augenfällig, die eine frühere Entlassung erfordert hätten (vgl. zB VfSlg. 9368/1982 S 236 f.).

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, waren die Voraussetzungen für die Festnahme und die nachfolgende Anhaltung des Bf. nach §35 litc VStG 1950 gegeben. Der Bf. ist demnach durch diese Maßnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

Bei diesem Ergebnis braucht nicht erörtert zu werden, ob und ab welchem Zeitpunkt die (weitere) Anhaltung des (bereits festgenommenen) Bf. auch durch §177 Abs1 Z1 iVm. §175 Abs1 Z1 StPO gedeckt war.

Da die Festnahme des Bf. und seine Anhaltung rechtmäßig waren, ist es ausgeschlossen, daß er in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (vgl. zB VfSlg. 10364/1985).

Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Bf. infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war infolgedessen abzuweisen.

Schlagworte

Festnehmung, Lärmerregung, Polizeirecht, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B548.1984

Dokumentnummer

JFT_10149392_84B00548_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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