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44 ZivildienstNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
ZDG §74 Abs1; nach Aufhebung einiger Worte durch Erk. VfSlg. 8171/1977 neuer Antrag auf Wehrpflichtbefreiung; kein Erfordernis eines Wiederaufnahmeantrages; keine entschiedene Sache; Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verweigerung einer SachentscheidungSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bf., welcher vom 2. Oktober 1972 bis 31. März 1973 Grundwehrdienst geleistet sowie in den Jahren 1974 und 1976 an je zehntägigen Truppenübungen teilgenommen hatte, brachte beim Militärkommando Wien einen mit 29. März 1978 datierten, näher begründeten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung ein. Diesen Antrag wies die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) mit Bescheid vom 19. Mai 1978 zurück. Zur Begründung wurde im wesentlichen angeführt, daß gemäß §74 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, Wehrpflichtige, die zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen worden sind, nach Entlassung aus dem Grundwehrdienst bis zum 31. Dezember 1975 einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht stellen könnten; dieser gesetzlichen Frist entspreche der Antrag nicht und sei daher zurückzuweisen.
2. Nachdem der VfGH mit Erk. VfSlg. 8171/1977 die im §74 Abs1 des Zivildienstgesetzes enthaltenen Worte "bis zum 31. Dezember 1975" als verfassungswidrig (unter Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung mit 30. September 1978) aufgehoben hatte (s. die Kundmachung BGBl. 599/1977), richtete der Bf. eine mit 24. April 1979 datierte Eingabe an die ZDK, welche im wesentlichen folgendermaßen lautet:
"Betrifft: Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht ...
Mein Antrag vom 29. März 1978 auf Befreiung von der Wehrpflicht wurde von Ihnen mit Bescheid vom 19. Mai 1978 zurückgewiesen. Begründung:
Nichteinhalten der Frist lt. §74 Abs1 Zivildienstgesetz.
Mit Erkenntnis des VfGH vom 1. September 78 ist eine neue Rechtslage eingetreten.
Ich stelle hiemit nochmals den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht."
Dieser Antrag wurde von der ZDK mit Bescheid vom 3. Oktober 1979 "gemäß §68 (1) Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz in Verbindung mit §69 (2) zurückgewiesen". Die ZDK begründete diese Entscheidung unter Bezugnahme auf ihren in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 19. Mai 1978 im wesentlichen folgendermaßen:
"Die Änderung der Rechtslage kann einen neuen Anspruch vom Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit an gewähren, doch erfaßt diese Änderung der Rechtslage niemals die vor ihrer Wirksamkeit liegenden Zeitabschnitte und die diese betreffenden Entscheidungen. Nur dann, wenn das Gesetz ausdrücklich eine Rückwirkung der Rechtsänderung verfügt und außerdem ausdrücklich ausspricht, daß die Rechtskraft der aufgrund der alten Rechtslage ergangenen Entscheidung kein Hindernis für die Geltendmachung der Ansprüche aus dem geänderten Gesetz bildet, steht die Rechtskraft derartigen Ansprüchen - mag auch der Entscheidungstatbestand ident sein mit dem, der Gegenstand der Vorentscheidung war - nicht im Wege (vgl. dazu Fasching III 726).
Eine Veränderung der Rechtslage in dem oben aufgezeigten Sinn infolge der (teilweisen) Aufhebung des §74 Zivildienstgesetz durch den VfGH ist demnach nicht eingetreten.
Unbeschadet dessen hat der Wiederaufnahmeantrag gemäß §69 (2) Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - und als solcher muß der obzitierte Antrag gewertet werden - nicht nur den Wiederaufnahmegrund, sondern auch die Angaben über die Rechtzeitigkeit der Erhebung des Begehrens - innerhalb der 14-Tage-Frist - zu enthalten. Ein Fehlen der Angaben über die Rechtzeitigkeit des Antrages kann demnach nicht etwa nach §13 Abs3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz als Formgebrechen angesehen und dementsprechend behandelt werden (VwGH Erk. 26. Juni 1967 Slg. 7158/A; ebenso Erk. 14. Jänner 1971 Slg. 7944/A).
Aus obzitierten Gründen mußte daher der Antrag, in dem Sie lediglich auf die Änderung der Rechtslage hinweisen, zurückgewiesen werden."
3. Gegen den Bescheid der ZDK vom 3. Oktober 1979 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Bf. insbesondere eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
Wenngleich die belangte ZDK in der Bescheidbegründung anführte, daß die Eingabe des Bf. vom 24. April 1979 als Wiederaufnahmsantrag gewertet werden müsse, begründete sie ihre Entscheidung dennoch - ausdrücklich einerseits auf §68 Abs1 und andererseits auf §69 AVG Bezug nehmend - der Sache nach alternativ; sie verneinte die Verfahrensvoraussetzungen sowohl für den Fall der Beurteilung der Eingabe als neuerlichen Antrag auf Wehrpflichtbefreiung als auch für den als Wiederaufnahmsantrag. Nach Ansicht des VfGH ist diese Begründung aber insgesamt nicht stichhältig.
Das Anbringen des Bf. enthält weder ausdrücklich noch implizit das Verlangen, eine neue, an die Stelle der früheren tretende Entscheidung in einem bereits abgeschlossenen Verfahren zu treffen; es strebt vielmehr - im Hinblick auf die geänderte Rechtslage - eine Sachentscheidung aufgrund eines neuen (und bloß in der Begründung ersichtlich auf das frühere Vorbringen abstellenden) Antrages an ("ich stelle hiemit nochmals den Antrag ..."). Eine Zurückweisung der Eingabe mangels prozeßrechtlicher Erfordernisse eines Wiederaufnahmsantrages ist sohin voraussetzungsgemäß nicht möglich.
Wertet man die Eingabe des Bf. jedoch rechtsrichtig als neuen Antrag auf Wehrpflichtbefreiung, so stößt dieser nicht auf das Verfahrenshindernis der entschiedenen Sache (§68 Abs1 AVG). Denn der (frühere) Bescheid der ZDK vom 19. Mai 1978 enthält keineswegs eine Sachentscheidung über den vom Bf. am 29. März 1978 gestellten Antrag, sondern vielmehr dessen (auf ihre Richtigkeit hier nicht zu prüfende) negative prozeßrechtliche Erledigung, die als solche (insbesondere durch den Gebrauch des Zeitwortes "zurückweisen" in Spruch und Begründung) zweifelsfrei zum Ausdruck kommt. Da auch ein sonstiges Prozeßhindernis nicht erkennbar ist, war die ZDK nicht befugt, dem Bf. die verlangte Sachentscheidung über seinen Antrag zu verweigern. Hierin liegt gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 9105/1981) eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt.
Bei diesem Ergebnis ist es entbehrlich, auf weitere verfahrensrechtliche Fragen (etwa darauf, daß Anträge auf Wehrpflichtbefreiung nicht unmittelbar bei der ZDK einzubringen sind) sowie auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme, Rechtskraft Bescheid, ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B21.1980Dokumentnummer
JFT_10149390_80B00021_00