Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; KrankenanstaltenG §49 Abs1; zwangsweise Einlieferung des bereits enthafteten Bf. in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien durch Organe der Bundespolizeidirektion - Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; Rechtmäßigkeit der EinweisungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. habe sich im Landesgericht für Strafsachen Wien (zur Geschäftszahl 25c Vr 5800/75) in Untersuchungshaft befunden. Am 23. Dezember 1981 sei zwar seine Enthaftung vom Gericht beschlossen worden, er sei aber dessenungeachtet gegen seinen Willen vom Amtsarzt in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien eingewiesen und in dieses Krankenhaus eingeliefert worden. Hiedurch fühle sich der Bf. in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der Bf. beantragt, der VfGH wolle "die in der Beschwerde näher angeführte faktische Amtshandlung der Stadt Wien, in eventu der Bundespolizeidirektion Wien, als verfassungswidrig erkennen".
2. Die Bundespolizeidirektion Wien hat - vertreten durch die Finanzprokuratur - in einer Gegenschrift ausgeführt, in den Vormittagsstunden des 23. Dezember 1981 sei der beim Bezirkspolizeikommissariat Josefstadt Journaldienst versehende rechtskundige Beamte, Rat Mag. M, von der Krankenabteilung des landesgerichtlichen Gefangenenhauses davon verständigt worden, daß sich der Bf. seit einiger Zeit weigere, Nahrung zu sich zu nehmen. Mag. M habe daher den Polizeiamtsarzt Dr. K in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Wien I zum Zweck einer Untersuchung des Bf. entsendet. Die vom Amtsarzt erstellte Diagnose habe ergeben, daß der Bf. an einer endogenen Depression leide und daß anzunehmen sei, er werde infolge dieser Geisteskrankheit seine eigene körperliche Sicherheit gefährden. Dr. K habe daher die Einweisung des Bf. in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien "beantragt". Der Bf. sei nach Ableistung des Gelöbnisses am 23. Dezember 1981 um 12.00 Uhr aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das landesgerichtliche Gefangenenhaus Wien I habe "daraufhin" den Arbeiter-Samariter-Bund im Hinblick auf das vorliegende Parere eines Amtsarztcs der Bundespolizeidirektion Wien um Überstellung des Bf. in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien ersucht. Dieser Transport sei in der Zeit zwischen 14.17 Uhr und 15.20 Uhr durchgeführt worden. Da dem amtsärztlichen Parere als formale Voraussetzung für die zwangsweise Einweisung in eine Krankenanstalt nur Tatbestandswirkung zukomme, habe kein Organ der Bundespolizeidirektion Wien im Verlaufe der angefochtenen Amtshandlung behördliche Befehls- und Zwangsgewalt dem Bf. gegenüber ausgeübt.
Über Aufforderung des VfGH legte der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eine Stellungnahme des ärztlichen Leiters der Krankenabteilung des landesgerichtlichen Gefangenenhauses I vor, in welcher es im wesentlichen heißt, daß - nach Durchführung der amtsärztlichen Untersuchung um zirka 11.00 Uhr - das Bezirkspolizeikommissariat Josefstadt telefonisch gegen zirka 12.00 Uhr von der bevorstehenden Entlassung des Bf. verständigt und durch Mag. M telefonisch die Auskunft erteilt worden sei, der Bf. solle auch als "Freiheitsperson" mit dem bereits ausgestellten polizeiamtsärztlichen Parere dem Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien eingewiesen werden. Daraufhin sei nach Enthaftung des Bf. um 13.00 Uhr telefonisch die Krankenbeförderung (Arbeiter-Samariter-Bund) zwecks "Transferierung bzw. Einweisung einer Freiheitsperson" angefordert worden. Der Transport sei sodann um zirka 14.00 Uhr ohne Begleitung eines Justizwachebeamten (da es sich bereits um eine "Freiheitsperson" gehandelt habe) durchgeführt worden.
Die Bundespolizeidirektion Wien hat über Aufforderung des VfGH in einer Äußerung hiezu ausgeführt, Mag. M habe, dazu befragt, angegeben, es erscheine ihm - soweit er sich noch erinnern könne - durchaus möglich, daß er damals angerufen und um Rat gefragt worden sei. Seine Auskunft könne nur so gelautet haben, daß aufgrund des Pareres die Grundlage für eine Einlieferung des Bf. vorhanden sei. Er habe jedoch sicher nicht gesagt, daß der Bf. kraft einer Verfügung der Bundespolizeidirektion Wien der Krankenanstalt zu überweisen sei, geschweige denn habe er selbst so eine Verfügung getroffen. Die Bundespolizeidirektion Wien vertritt in ihrer ergänzenden Stellungnahme weiterhin die Auffassung, in dieser Angelegenheit sei durch keines ihrer Organe verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt worden.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Es steht fest, daß der Bf. nach Beendigung der Untersuchungshaft nicht auf freien Fuß gesetzt, sondern nach einer Wartezeit von etwa 2 Stunden - die er nach wie vor im landesgerichtlichen Gefangenenhaus I verbrachte - im Auftrag des Stadthauptmannes mittels eines Krankenwagens des Arbeiter-Samariter-Bundes in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien gebracht und dort aufgenommen worden ist.
Den vorgelegten Akten des Bezirkspolizeikommissariates Josefstadt ist zu entnehmen, daß der Polizeiamtsarzt Dr. K aufgrund seines Gutachtens vom 23. Dezember 1981 die Einweisung des Bf. in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien beantragt hat. Anschließend findet sich im Akt folgende, im Auftrag des Stadthauptmannes von Rat S unterfertigte, an das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien gerichtete Verfügung: "Gemäß dem obigen Parere wird die genannte Person mittels Krankenwagens überstellt. Sie ist kein Polizeihäftling. Allfällige Kosten sind daher der Bundespolizeidirektion Wien nicht anzulasten."
Der VfGH geht aufgrund dessen davon aus, daß der Bf. - obgleich kein "Polizeihäftling" - über Veranlassung eines Organes der Bundespolizeidirektion Wien in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien eingeliefert worden ist. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Arbeiter-Samariter-Bund von seiten der Justizwache verständigt worden ist, der Bf. sei im landesgerichtlichen Gefangenenhaus abzuholen.
Selbst wenn anläßlich der Überstellung des Bf. keine konkreten Zwangsmaßnahmen gesetzt worden sind, besteht nach Lagerung des Falles und der Begleitumstände kein Zweifel daran, daß die Überstellung des Bf. ohne dessen Zustimmung erfolgte und auch nach den Intentionen der Behörde eine Maßnahme über den - in diesem Zeitpunkt in Gewahrsam der Behörde befindlichen - Bf. darstellte, deren Durchführung in der Entscheidung der Behörde und nicht in der des Bf. lag.
Da die bekämpfte Amtshandlung somit einen - von Organen der Bundespolizeidirektion Wien gesetzten - gegen die Person des Bf. gerichteten Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt (und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen), ist die Beschwerde zulässig.
2. Zur Sache:
Der Bf. ist durch die zwangsweise Einweisung in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien in seiner persönlichen Freiheit beschränkt worden.
Diese Freiheitsbeschränkung ist nur dann verfassungsgemäß, wenn es sich dabei um einen vom Gesetz bestimmten Fall handelt, in dem die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt gemäß §4 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, eine Person in Verwahrung nehmen dürfen (vgl. VfSlg. 4562/1963, 8180/1977).
Diese Freiheitsbeschränkung ist, wie bereits dargelegt wurde, nur dann verfassungsmäßig, wenn sie im Gesetz gedeckt ist. Von der Aufnahme, Anhaltung und Entlassung von Geisteskranken in einer Krankenanstalt handelt §49 des Krankenanstaltengesetzes, BGBl. 1/1957. Nach Abs1 dieser Gesetzesstelle dürfen in einer Krankenanstalt für Geisteskranke zwangsweise nur solche Personen aufgenommen werden, für die eine Bescheinigung (Parere) beigebracht wird, wonach anzunehmen ist, daß die aufzunehmende Person infolge einer Geisteskrankheit ihre oder die Sicherheit anderer Personen gefährdet. Eine solche Bescheinigung muß vom Amtsarzt der für den Aufenthalt der aufzunehmenden Person zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde bzw. Bundespolizeibehörde ausgestellt sein (s. hiezu die ständige Rechtsprechung des VfGH, zB VfSlg. 4878/1964, 4924/1965 und 8180/1977 sowie 10364/1985).
Da eine solche Bescheinigung - ihr waren im vorliegenden Fall mehrere Untersuchungen durch einen Psychiater und dessen Empfehlung auf Einweisung des Bf. an das Psychiatrische Krankenhaus vorangegangen - vorhanden war, ist der Bf. durch die bekämpfte Amtshandlung nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
3. Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß der Bf. durch die angefochtene Amtshandlung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, ist die Beschwerde abzuweisen.
Schlagworte
Krankenanstalten, Einweisung zwangsweise, Ausübung unmittelbarer Befehls- und ZwangsgewaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B107.1982Dokumentnummer
JFT_10149390_82B00107_00