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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
UStG 1972; gleichheitswidrige Auslegung des §10 Abs2 Z7 litc dahingehend, daß sog. "planende Baumeister" (Inhaber von Planungsbüros) nicht als Architekten iS der zitierten Bestimmung gewertet wurden (Hinweis auf VfSlg. 9666/1983); denkunmögliche Auslegung des §11 Abs12 VwGG 1965 §63 Abs1; Art144 B-VG; beschränkte Bindungswirkung aufhebender Erk. des VwGH gegenüber dem VfGH bei Prüfung von ErsatzbescheidenSpruch
Die Bf. sind durch die angefochtenen Bescheide in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Die vorliegenden Beschwerden gegen Bescheide der Finanzlandesdirektion für Vbg. machen geltend, der für die Bemessung der Umsatzsteuer maßgebliche Steuersatz sei nach §10 Abs2 UStG 1972 (Stammfassung) - Z7 litc: "Architekt, staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker" - der ermäßigte Satz von 8 vH. Obwohl die Bf. "Architekten" iS dieser Gesetzesstelle seien, habe die Berufungsbehörde die Anwendung des ermäßigten Satzes abgelehnt:
1. Der Bf. zu B333/82 (Streitjahre 1974 und 1975) ist Absolvent der Akademie der bildenden Künste, Abteilung Architektur, und betreibt ein von ihm so genanntes Planungsbüro. Im ersten Rechtsgang hatte der Berufungssenat seine Tätigkeit antragsgemäß als die eines Architekten qualifiziert. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion hat der VwGH mit Erk. vom 11. Feber 1982, Z 15/1261/80, Folge gegeben, weil nach der ständigen Rechtsprechung unter Architekt iS der genannten Bestimmung des Umsatzsteuergesetzes nur der Architekt iS des Ziviltechnikergesetzes zu verstehen sei. Dem entsprechend weist der angefochtene Ersatzbescheid die Berufung des Bf. ab.
Der Bf. zu B405/82 (Streitjahre 1978 und 1979) ist Baumeister; er hat in den Einkommensteuererklärungen sich selbst als planenden Baumeister, in der Umsatzsteuererklärung sein Unternehmen als Planungsbüro bezeichnet. Der angefochtene Berufungsbescheid lehnt die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auch für die den Empfängern mit 8 vH Umsatzsteuer in Rechnung gestellten Leistungen mit der Begründung ab, der Bf. sei nicht Architekt iS des Ziviltechnikergesetzes; auf Tätigkeiten eines planenden Baumeisters könne nach der Rechtsprechung des VwGH die Ermäßigung nicht angewendet werden.
Der Bf. zu B726/83 (Streitjahr 1981) ist Inhaber eines Planungsbüros, bezeichnet sich als "Baukünstler (Architekt)" und verweist auf seine Mitgliedschaft zur Zentralvereinigung der Architekten. Er hat seine Umsätze zum Normalsteuersatz von 18 vH erklärt und wurde erklärungsgemäß versteuert. Seine Berufung wurde mit dem Hinweis darauf abgewiesen, daß der VwGH am 27. März 1980 zu Z 293/79 die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf den Bf. mit der Begründung abgelehnt habe, unter "Architekt" sei nur der Architektenberuf iS des Ziviltechnikergesetzes zu verstehen; im Streitjahr habe der Bf. dieselbe Tätigkeit ausgeübt wie vorher. Außerdem habe er den Empfängern seiner Leistungen 18 vH in Rechnung gestellt, weshalb er den Betrag auch nach §11 Abs12 UStG schulde.
2. Sämtliche Beschwerden rügen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz. Sie machen ua. geltend, die Behörde hätte jegliche Ermittlungstätigkeit zur Frage der Qualifikation der Bf. unterlassen. Die Bf. zu B333/82 und zu B726/83 behaupten auch die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, der Bf. zu B726/83 überdies die Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren (Art6 MRK).
II. Die Beschwerden sind begründet.
1. Im Erk. VfSlg. 9666/1983 hat der VfGH in Fortentwicklung seiner früheren Rechtsprechung unter Hinweis auf die in der Rechtsprechung des VwGH zum Ausdruck gekommene Bewertung der Tätigkeit sog. "planender Baumeister" erkannt, daß solche planende Baumeister ausschließlich in dem sich mit den Architekten deckenden Teilbereich des Berechtigungsumfanges tätig seien und gerade jene Tätigkeiten nicht (mehr) ausüben, die mit dem Beruf des Baumeisters ansonsten typischerweise verbunden sind, wozu noch komme, daß die planenden Baumeister nicht (mehr) als Grenz- oder Ausnahmefälle bezeichnet werden könnten. Der Gerichtshof ist sodann zum folgenden Schluß gekommen:
"Diese Überlegungen führen aber nicht zur Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972, wie die Beschwerdeführer meinen. Der VfGH hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 7384/1974 den Begriff Architekt im Sinne der genannten Bestimmung des UStG 1972 extensiv ausgelegt und als eine Erweiterung gegenüber den vom Ziviltechnikergesetz geregelten Berufen angesehen. Wenn nun zwischen der Tätigkeit eines Architekten im Sinne des Ziviltechnikergesetzes und der eines planenden Baumeisters kein Unterschied im Tatsächlichen besteht, der eine unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung rechtfertigen würde, dann gebietet schon der Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation, unter einem Architekten in §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 auch einen planenden Baumeister zu verstehen."
Weil die Behörde aber - ausgehend von der als gleichheitswidrig abgelehnten Rechtsansicht - nicht näher darauf eingegangen war, ob sich die berufliche Tätigkeit der damaligen Bf. mit der eines Ziviltechnikers decke, wurden die angefochtenen Bescheide als gleichheitswidrig aufgehoben (vgl. dazu Rill, VfGH: Planender Baumeister ist Architekt iS von §10 Abs2 Z7 litc UStG, ÖStZ 1983, 217 ff.; auch Puck, Das Berufsbild des freiberuflichen Technikers im Einkommen- und Umsatzsteuerrecht, 129 ff., 149 f.).
2. Daß die vorliegenden Fälle dem 1983 entschiedenen gleichen, bedarf keiner weiteren Begründung. Fraglich kann nur sein, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß der zu B333/82 bekämpfte Bescheid ein Ersatzbescheid nach einem Erk. des VwGH ist, bei dessen Erlassung die Behörde an die Rechtsanschauung des VwGH gebunden war (§63 Abs1 VwGG), und ob der zu B726/83 bekämpfte Bescheid im Hinblick auf die Rechnungen des Bf. aufgrund §11 Abs12 UStG gehalten werden kann.
Indessen können auch diese Erwägungen die Aufhebung der Bescheide nicht hindern:
a) Der VfGH hat im Erk. Slg. 7330/1974 dargetan, daß er auch im Falle einer Beschwerde gegen den Ersatzbescheid nach einem Erk. des VwGH nicht gehindert ist, die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit des angewendeten Gesetzes ohne Bindung an die Rechtsanschauung des VwGH zu beurteilen und das Gesetz in einem Verfahren nach Art140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben (und den darauf gestützten Bescheid zu beseitigen). Er hat ferner schon wiederholt ausgesprochen - und gegen kritische Äußerungen daran festgehalten -, daß ihm die Wahrnehmung einer Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch dann durch keine Vorschrift verwehrt ist, wenn sie nicht die Folge einer Verfassungswidrigkeit der Norm, sondern das Ergebnis der in §63 Abs1 VwGG angeordneten Bindung der Behörde ist, das Gesetz aber zufolge des Erfordernisses der verfassungskonformen Auslegung einen anderen Inhalt haben muß, als der VwGH ihm unterstellt hat (VfSlg. 8536/1979, 8782/1980, 9110/1981, 9166/1981 und 9514/1982).
Hätte nun aber das Gesetz den ihm hier von der bel. Beh. (in Bindung an die Rechtsanschauung des VwGH) unterstellten Inhalt, wäre es wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig. Da es diesen Inhalt nicht hat - der Begriff "Architekt" nämlich so verstanden werden kann, daß er planende Baumeister (Inhaber von Planungsbüros) einschließt -, muß der VfGH den angefochtenen Bescheid als gleichheitswidrig aufheben. Diese Aufhebung hat dieselbe Folge wie die Aufhebung des Bescheides nach Beseitigung seiner verfassungswidrigen Grundlage: In Bindung an dieses (die Bindung an die Rechtsanschauung des VwGH insoweit lösende) Erk. des VfGH ist es der Behörde verwehrt, dem Gesetz neuerlich den als verfassungswidrig beurteilten Inhalt zu unterstellen (§87 Abs2 VerfGG).
b) Nach §11 Abs12 UStG schuldet der Unternehmer, der einen nicht geschuldeten Steuerbetrag in der Rechnung gesondert ausgewiesen hat, diesen Betrag aufgrund der Rechnung. Nach dem Inhalt der Akten leitete die Behörde im Berufungsverfahren aus einer Erklärung des Bf. zu B726/83 ab, daß er den Empfängern seiner Leistungen - offenbar:
in allen Fällen - 18 vH Umsatzsteuer verrechnet hat. In der Beschwerde wird dagegen eingewendet, dieser Satz sei nur bedingt mit der Erklärung angewendet worden, daß es nicht gelinge, den ermäßigten Satz geltend zu machen, bzw. sei nur "inkl. MWSt." unabhängig vom (angewendeten) Steuersatz abgerechnet worden.
Die Behörde läßt in ihrer Gegenschrift erkennen, daß sie diese Frage nicht näher geprüft hat; sie ist der Meinung, auch eine bloß bedingte Verrechnung ändere nichts an der Anwendung des §11 Abs12 UStG.
Ein solches Verständnis des §11 Abs12 UStG liegt aber keineswegs nahe. Stellt der Unternehmer den Normalsteuersatz nur unter der Bedingung in Rechnung, daß es ihm nicht gelingt, den Vorgang ermäßigt zu versteuern, so ist der höhere Betrag eben auch nur unter dieser Bedingung in der Rechnung ausgewiesen. Würde die Bedingung nicht beachtet und der höhere Betrag vorgeschrieben, würde der Eintritt der Bedingung notwendig vereitelt. Andererseits ist es dem Unternehmer auch nicht zuzumuten, den Partnern nur den bei Anwendung des niedrigeren Steuersatzes erwachsenden Betrag in Rechnung zu stellen und das Risiko einer höheren Versteuerung selbst zu tragen. Vielmehr muß er berechtigt sein, das zivilrechtliche Verhältnis bezüglich der Höhe des maßgeblichen Steuersatzes derart in Schwebe zu lassen, daß er letztlich den geschuldeten Umsatzsteuerbetrag in Rechnung stellen kann. Zu diesem Zweck könnte er auch den niedrigeren Betrag unter der Bedingung auswerfen, daß er nicht zum Normalsatz versteuern muß. Daß er den umgekehrten Weg gewählt hat, dürfte ihm nicht zum Nachteil gereichen. Wie sich bei der Verrechnung des niedrigeren Betrages kraft Vereinbarung aus der höheren Steuerfestsetzung die Notwendigkeit der Nachzahlung ergibt, so bei bedingter Verrechnung des höheren Betrages bei Maßgeblichkeit des niedrigeren Satzes ein niedrigerer Steuerausweis (und ein niedrigerer Rechnungsendbetrag). Unter diesen Umständen würde die Anwendung des Normalsteuersatzes unter Berufung auf §11 Abs12 UStG dem Gesetz einen unsachlichen - gleichheitswidrigen - Inhalt unterstellen.
Nach der Aktenlage ist im Verwaltungsverfahren nur die Qualifikation des Bf. als Architekt (oder Künstler), nicht aber die Anwendbarkeit des §11 Abs12 UStG erörtert worden; erst der Berufungsbescheid hat sich auf eine Äußerung des Bf. anläßlich einer Vorsprache gestützt, er habe 18 vH "in Rechnung gestellt". Offenkundig ist die bel. Beh. auch hiebei von einer verfassungsrechtlich unhaltbaren - denkunmöglichen - Rechtsansicht ausgegangen und hat daher nähere Einzelheiten über die vom Bf. in seiner Rechnung gesondert ausgewiesenen Beträge nicht ermittelt (und dem Bf. so übrigens auch die Gelegenheit zur allfälligen Berichtigung der Rechnung genommen). Daher bleibt ihr Vorgehen insgesamt unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel mangelhaft.
Die Bescheide sind daher sämtlich aufzuheben.
Schlagworte
Umsatzsteuer, Steuersätze (Umsatzsteuer), VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, Bindung (des VfGH an VwGH), Bindung (der Verwaltungsbehörden an VwGH), Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B333.1982Dokumentnummer
JFT_10149383_82B00333_00