TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/20 B381/83

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Veröffentlicht am 20.06.1985
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Index

26 Gewerblicher Rechtsschutz
26/03 Patentrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art94
B-VG Art133 Z4
StGG Art5
PatentG 1970 §48, §74, §75, §163

Leitsatz

PatentG; keine Bedenken gegen §§74, 75 (Zusammensetzung des Obersten Patent- und Markensenates) - kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung; Nichtigerklärung eines bereits erteilten Patentes wegen mangelnder Erfindungshöhe (keine Patentfähigkeit) iS des §48; keine denkunmögliche Gesetzesauslegung; keine Willkür; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die bf. Gesellschaft erwirkte aufgrund einer Anmeldung aus 1972 die Eintragung eines Patentes über eine Anbügeleinrichtung für eine Schleppliftanlage, bei welcher der Schleppbügel im Bereich des Startplatzes dem Schiläufer etwa in Gesäßhöhe zugeführt wird. Ein Antrag auf Nichtigerklärung dieses Patentes wurde von der Nichtigkeitsabteilung des Patentamtes mit Bescheid vom 16. Dezember 1981 abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat der Oberste Patent- und Markensenat Folge gegeben und das Patent teilweise als nichtig erklärt: die Besonderheit der beschriebenen Anbügeleinrichtung sei von einem Durchschnittsfachmann ohne weiteres in Betracht zu ziehen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz gerügt und eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter mit einem Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung begründet. Die Vernichtung des Patentanspruches sei das Ergebnis denkunmöglicher Gesetzesanwendung und unzulässiger Unterstellungen, und es sei auffällig, daß alle vorangegangenen - für die bf. Gesellschaft positiven - Entscheidungen von fachkundigen Personen gefällt worden seien, wogegen im Obersten Patent- und Markensenat nur zwei fachlich geschulten Mitgliedern drei Juristen gegenüberstünden. Die gemäß §74 PatG in den Senat entsandten Mitglieder des OGH verbänden in einer gegen Art94 B-VG verstoßenden Weise richterliche und verwaltungsbehördliche Funktionen, da dieselben Personen einerseits - etwa im Unterlassungsstreit - als Höchstrichter, andererseits - im Feststellungsstreit - als oberste Verwaltungsbeamte das gleiche Rechtsproblem zu lösen hätten. Die Beschwerde verweist in diesem Zusammenhang auf die Rekursausführungen in einer Markensache, in denen die Zweifel an den Erfolgsaussichten der Berufung gegen eine Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung damit begründet werden, daß "der Präsident und der Vizepräsident des Obersten Patent- und Markensenates dem OGH als Präsident, als Vizepräsident oder als Senatsvorsitzender angehören oder angehört haben müssen", und meint

"... solange die §§74 und 75 PatG vom hohen VfGH nicht aufgehoben sind, lächeln die Auguren, zählen die Stimmen und wägen das Gewicht der Persönlichkeiten".

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der §§74 und 75 PatG bestehen unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken. Danach müssen der Präsident und der Vizepräsident des Obersten Patent- und Markensenates dem OGH als Präsident, als Vizepräsident oder als Senatsvorsitzender angehören oder angehört haben (§74 Abs2) und mindestens drei der rechtskundigen Mitglieder müssen Richter sein (§74 Abs3 Satz 3). Der Senat verhandelt und entscheidet unter dem Vorsitz des Präsidenten oder Vizepräsidenten "in aus fünf Mitgliedern bestehenden Senaten", die "aus dem Vorsitzenden, zwei rechtskundigen und zwei fachtechnischen" (gemeint offenbar: fachtechnisch kundigen) "Mitgliedern bestehen" (§75 Abs1). Es handelt sich um eine weisungsfrei gestellte Behörde, deren Entscheidungen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen (§74 Abs9 PatG). Daß die Einrichtung solcher Behörden verfassungsrechtlich zulässig ist, ergibt sich schon aus Art133 Z4 B-VG, wonach die Angelegenheiten, über die in oberster Instanz eine derartige Kollegialbehörde entscheidet, von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen sind, wenn dessen Anrufung nicht ausdrücklich für zulässig erklärt ist. Daß aber Rechtsfragen von Gerichten und Verwaltungsbehörden im gleichen Sinne beantwortet werden - was gefördert werden mag, wenn dieselben Personen damit einmal in diesem, einmal in jenem Verfahren befaßt sind -, will die Bundesverfassung auch ihrem materiellen Gehalt nach keineswegs verhindern.

Wenn der Bf. auf Fälle verweist, in denen solche Organwalter in beiden Funktionen mit ein und demselben "Rechtsproblem" befaßt sind, so verwechselt er die (konkrete) Rechtssache und die (abstrakte) Rechtsfrage. Wenngleich Art94 B-VG verbietet, daß Gerichte - mit Ausnahme jener des öffentlichen Rechts - Entscheidungen von Verwaltungsbehörden überprüfen oder umgekehrt, ist es doch unvermeidlich, daß Verwaltungsbehörden Vorfragen beurteilen, deren Lösung als Hauptfrage den Gerichten obliegt und umgekehrt, und es ist auch nicht ausgeschlossen, daß ein und dieselbe Rechtsfrage je nach ihrem Zusammenhang einmal von einem Gericht und einmal von einer Verwaltungsbehörde beantwortet wird; es wird dann aber nicht in zwei verschiedenen Verfahren über dieselbe (konkrete) Rechtssache, sondern - teilweise - unter Beantwortung gleicher (abstrakter) Rechtsfragen über unterschiedliche Sachen entschieden. Eine §163 PatG in der durch das Erk. VfSlg. 7021/1973 aufgehobenen Stammfassung vergleichbare, positive und negative Entscheidungen über dieselbe Rechtssache auf Justiz und Verwaltung aufteilende Regelung (vgl. VfSlg. 7027/1973) zeigt die Beschwerde nicht auf.

Fehlt es so an der entscheidenden Prämisse eines Verstoßes gegen den Gewaltentrennungsgrundsatz, dann kann auch von einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht die Rede sein.

2. Die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz könnte angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Vorschriften nur vorliegen, wenn die Behörde denkunmöglich das Gesetz angewendet oder Willkür geübt, oder aber dem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hätte.

Auch ein solcher Vorwurf wäre indessen nicht berechtigt:

Nach §48 PatG wird das Patent - auf Antrag (§112) - nichtig erklärt, wenn sich ergibt, daß der Gegenstand nicht patentfähig war. Der angefochtene Bescheid spricht dem Patentanspruch die Erfindungshöhe, also den Charakter einer Erfindung und damit die Patentfähigkeit ab. Er stützt sich dabei im wesentlichen auf eine schon 1942 veröffentlichte Druckschrift, die eine Schleppliftanlage mit einem Förderseil und mindestens einem zur Anlage am Schifahrer vorgesehenen, einen Längsholm und einen Querholm aufweisenden Schleppbügel zeigt, wobei der Schleppbügel an einem Schleppseil befestigt ist, das in einer über Kopfhöhe des Schifahrers geführten Einziehvorrichtung aufwickelbar ist. Der strittige Patentanspruch treffe nun eine Aussage über die Länge des Längsholmes, und zwar dahingehend, daß diese Länge dem am Standplatz vorliegenden Abstand zwischen der Unterkante der Einziehvorrichtung und der Gesäßhöhe des Schifahrers entspricht (sodaß der Querholm dem Schiläufer etwa in Gesäßhöhe zugeführt wird). Da in der Beschreibung der vorangegangenen Druckschrift die Bauhöhe des Schleppbügels mit zB 1,5 m, der Abstand der Unterkante der Einziehvorrichtung von der Achse des Förderseils mit 0,8 m und die Höhe dieses Seiles im Winterbetrieb mit zirka 3 - 10 m angegeben sei, wäre eine Wahl der Seilhöhe mit zirka 2,9 - 3,1 m am Startplatz - als naheliegend - vom Durchschnittsfachmann ohne weiteres in Betracht zu ziehen. Technisch liege dann aber eine Anbügeleinrichtung iS des Patentes vor.

Die Beschwerde hält das für denkunmöglich (und offenbar auch willkürlich): Damit werde unterstellt, daß jedem Durchschnittsfachmann alle druckschriftlichen Vorveröffentlichungen auf dem betreffenden Gebiet "nach Art eines Computers" jederzeit in ihrer Gesamtheit ebenso gegenwärtig seien wie die Erk. der möglichen Weiterentwicklungen, die sich aus einer ganz bestimmten Vorveröffentlichung ergeben. Die bel. Beh. bleibe eine Begründung dafür schuldig, warum die angeblich so naheliegende Maßnahme "in der ganzen Welt nirgends" verwirklicht und im druckschriftlichen Material nicht geschildert worden sei, obwohl sie "den Skiliftbau förmlich revolutioniert" habe. Der Grundsatz des Verwaltungsrechts, bestehende Rechte nur aus schwerwiegenden Gründen zu vernichten, lege es nahe, die Überprüfung der Erfindungshöhe im Nichtigkeitsverfahren überhaupt für unzulässig zu halten. Der Oberste Patent- und Markensenat habe die Auffassung der Erteilungsbehörde erstmals ausschließlich aus Gründen der Erfindungshöhe nicht geteilt, und dies in einem Fall, in dem vor Patenterteilung sogar ein Einspruchsverfahren stattgefunden habe, das sich mit der Frage der Erfindungshöhe auseinandergesetzt habe.

Dieses Vorbringen zeigt aber keinen in die Verfassungssphäre reichenden Mangel auf. Unter den gegebenen Umständen ist die Annahme, ein Durchschnittsfachmann könne eine bestimmte Holmlänge bei bestimmter Förderseilhöhe ohne weiteres in Betracht ziehen - wenn überhaupt -, keineswegs so abwegig, daß sie einer Gesetzlosigkeit gleichkäme. Daß die von der bf. Gesellschaft geforderte Unüberprüfbarkeit der Erfindungshöhe im Nichtigkeitsverfahren dem Wortlaut des Gesetzes widerspräche, räumt die Beschwerde selbst ein. Es sind auch keine verfassungsrechtlichen Gründe erkennbar, die eine solche Auslegung gebieten könnten. Der vom Bf. unterstellte Grundsatz wäre in der behaupteten Form jedenfalls kein verfassungsrechtliches Gebot. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen erworbene Rechte wieder aberkannt werden dürfen, hängt von mannigfachen Umständen ab, die gegeneinander abzuwägen im Rahmen der ihm auch sonst gezogenen verfassungsrechtlichen Schranken Sache des Gesetzgebers ist. Daß die dem bekämpften Bescheid zugrunde liegende Auffassung dem Gesetz einen Inhalt unterstellt, der diese Schranken mißachten würde, kann der VfGH nicht sehen und behauptet auch die Beschwerde nicht. Auch wenn es zutreffen sollte, daß der Oberste Patent- und Markensenat im Nichtigkeitsverfahren noch nie wie hier auf die mangelnde Erfindungshöhe abgestellt hat und diese Entscheidung falsch ist, kann daraus noch nicht auf denkunmögliche Gesetzesanwendung oder Willkür geschlossen werden.

Die Frage, ob die Nichtigerklärung eines bereits erteilten Patentes überhaupt einen Eigentumseingriff darstellt, kann bei dieser Sachlage auf sich beruhen.

Die behaupteten Verfassungsverletzungen liegen offenkundig nicht vor. Auch die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder eine Rechtsverletzung durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm ist nicht erkennbar. Die Beschwerde ist daher abzuweisen (§19 Abs4 Z1 VerfGG idF BGBl. 297/1984).

Schlagworte

Gewaltentrennung, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Patentrecht, Rechte wohlerworbene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B381.1983

Dokumentnummer

JFT_10149380_83B00381_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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