TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/29 G42/85, G109/85, G110/85, G111/85

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Veröffentlicht am 29.06.1985
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Index

32 Steuerrecht
32/07 Stempel- und Rechtsgebühren, Stempelmarken

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs5
MRK Art6
BAO §§217 ff
BAO §135
GebührenG 1957 §9 Abs2 idF BGBl 668/1976

Beachte

Kundmachung BGBl. 315/1985 am 31. Juli 1985 und AÖFV 202/1985 am 20. August 1985; Anlaßfälle B530/82, B91/83, B853/84 und B941/84, alle vom 28. November 1985

Leitsatz

GebG; Präjudizialität des ganzen zweiten Satzes des §9 Abs2 idF BGBl. 668/1976, nicht jedoch des ersten Satzes; in §9 Abs2 zweiter Satz vorgesehener Eintritt der Gebührenerhöhung im Ausmaß der gesetzmäßigen Gebühr bei Unterlassung einer Anzeige unabhängig vom Verschulden - formell keine Strafe; Überschreitung des rechtspolitischen Spielraumes; Verstoß der Regelung gegen den Gleichheitssatz

Spruch

Der zweite Satz in §9 Abs2 Gebührengesetz, Anlage zu BGBl. 267/1957, idF der Nov. BGBl. 668/1976 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. §9 GebührenG hatte in seiner Stammfassung für den Fall, daß eine Gebühr nicht oder nicht vorschriftsmäßig entrichtet oder eine vorgesehene Anzeige nicht rechtzeitig erstattet wird, bestimmt, daß das Finanzamt das Zwei- bis Zehnfache der verkürzten Gebühr einheben könne. Diese Bestimmung hat der VfGH (in dem durch den damaligen Anlaßfall begrenzten Teil) mit VfSlg. 4293/1962 als zu unbestimmt wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG aufgehoben.

IdF der Nov. BGBl. 115/1963 war die Ermächtigung, nach Ermessen eine Erhöhung bis zum Dreifachen der fehlenden Gebühr zu erheben, dahin begrenzt, daß bei Festsetzung der Erhöhung insbesondere zu berücksichtigen war, inwieweit dem Gebührenschuldner das Erkennen der Gebührenpflicht zugemutet werde konnte und ob eine Gebührenverkürzung erstmalig oder wiederholt erfolgt ist (Abs1), und bei verspäteter Anzeige, ob die Frist nur geringfügig oder beträchtlich überschritten wurde (Abs2).

Die Nov. BGBl. 668/1976 gab §9 Abs2 insgesamt folgende Fassung:

"Wird eine Gebührenanzeige nicht rechtzeitig erstattet, so ist bei verspäteter Anzeige bis zu einem Monat eine Gebührenerhöhung von 30 vH, darüber hinaus eine solche von 50 vH der gesetzmäßigen Gebühr zu entrichten. Wurde eine Gebührenanzeige unterlassen oder erlangt das Finanzamt noch vor der verspäteten Anzeige von dem gebührenpflichtigen Rechtsgeschäft Kenntnis, so ist eine Gebührenerhebung im Ausmaß der gesetzmäßigen Gebühr zu erheben."

2. Die beim VfGH zu B530/82 bf. Gesellschaft hatte mit Vertrag vom 4. Jänner 1980 Flugzeugzubehör und -ersatzteile um einen monatlichen Mietzins von 442145 S mit der Maßgabe vermietet, daß nach Ablauf des Mietverhältnisses mit Ende des Jahres 1982 die Gegenstände ins Eigentum des Mieters übergehen sollten. Dieser Vertrag wurde dem Finanzamt nicht zur Gebührenbemessung angezeigt, sondern kam ihm erst anläßlich einer Betriebsprüfung am 12. Juni 1981 zur Kenntnis. Hierauf wurde der bf. Gesellschaft nach §33 TP5 GebG (Bestandsverträge) eine Gebühr in der Höhe von 187823 S vorgeschrieben und nach §9 Abs2 dieses Gesetzes (idF der Nov. BGBl. 668/1976) eine Erhöhung im gleichen Ausmaß erhoben.

Dem zu B91/83 bf. Gesellschafter einer GesmbH wurde für zwei der Gesellschaft im Jahre 1976 (in Umwandlung einer sie treffenden Verbindlichkeit) gewährte und 1977 und 1978 gebuchte Darlehen in der Höhe von 8 Millionen Schilling (sA) und 6 Millionen Schilling gemäß §33 TP8 Abs4 GebG (Darlehensverträge) eine Gebühr in der Höhe von 119532 S vorgeschrieben und nach §9 Abs2 dieses Gesetzes eine Erhöhung im gleichen Ausmaß erhoben, weil das Finanzamt erst anläßlich einer Betriebsprüfung bei der Gesellschaft Kenntnis von der Darlehensgewährung erlangt hatte. Die Berufung, die das Entstehen der Gebührenschuld bestritt, weil eine Urkunde errichtet, aber dem Bf. nicht ausgefolgt worden sei, wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

Dem zu B853/84 bf. Gesellschafter einer OHG wurde für die Gründung der Gesellschaft am 1. März 1981 nach §33 TP16 Abs1 litb GebG (Gesellschaftsverträge) eine Gebühr von vorläufig 521140 S

(Bemessungsgrundlage rund 26 Millionen Schilling), endgültig 612660 S

(Bemessungsgrundlage rund 30 Millionen Schilling) vorgeschrieben und gemäß §9 Abs2 eine Erhöhung im gleichen Ausmaß erhoben, weil das Finanzamt erst durch Anzeige des Registergerichtes vom Vorgang Kenntnis erlangt hatte. Die Berufungen, die sich gegen die Höhe der Gebühr und gegen die Erhöhung wendeten, hatten keinen Erfolg.

Der Bf. zu B941/84 hat mit Vertrag vom 21. Dezember 1978 gegen eine Leibrente von monatlich 7000 S eine Privatlehranstalt erworben. Er wurde vom Finanzamt mit einer Gebühr nach §33 TP17 Abs1 Z4 GebG (Leibrentenverträge) in der Höhe von 65020 S und einer Erhöhung nach §9 Abs2 GebG im Ausmaß von 50 vH belastet. Über seine Berufung, mit der die Höhe der Bemessungsgrundlage bekämpft wurde, wurde die Gebühr zwar auf 53087 S herabgesetzt, zugleich aber eine Erhöhung im gleichen Ausmaß erhoben, weil erst eine Mitteilung des Handelsgerichtes dem Finanzamt Kenntnis vom Vorgang verschafft hatte.

Aus Anlaß der Beschwerden gegen die Berufungsbescheide hat der VfGH die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes in §9 Abs2 GebG beschlossen.

Er ist vorläufig davon ausgegangen, daß die Beschwerden zulässig sind und bei ihrer Beurteilung den zweiten Satz des §9 Abs2 GebG anzuwenden hätte. Er hat angenommen, daß auf die Beschwerdefälle zwar schon die erste Alternative des in Prüfung gezogenen Satzes (Unterlassung der Anzeige) passe, daß aber der nach einer allfälligen Aufhebung der einschlägigen (ersten fünf) Worte verbleibende Satz auch solche Fälle mit abdecken könnte, sodaß der Satz eine untrennbare Einheit bilde und nur zur Gänze in Prüfung gezogen werden könne.

In der Sache ist der Gerichtshof vorläufig davon ausgegangen, daß der Eintritt der Gebührenerhöhung bei Unterlassung der rechtzeitigen Anzeige unabhängig vom Vorwurf eines Verschuldens vorgesehen sei. Er hat deshalb das Bedenken geäußert, daß eine bloß wegen Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten vorgeschriebene Geldleistung von der Größenordnung der Abgabe nur in Gestalt einer Strafe auferlegt werden dürfe, weil andernfalls die für Strafen bestehenden Garantien (insbesondere nach Art6 MRK) umgangen werden könnten. Darüber hinaus hat er vorläufig angenommen, daß eine Gebührenerhöhung von derart hohem Ausmaß für ausnahmslos jeden Fall der Aufdeckung einer Unterlassung durch die Behörde insbesondere auch im Vergleich mit dem - bei Entschuldbarkeit gar nicht einzuhebenden - Verspätungszuschlag (§135 BAO) eine sachlich nicht gerechtfertigte übermäßige Reaktion auf die Unterlassung der Abgabepflichtigen darstelle und daher dem Gleichheitssatz widerspreche.

Die Bundesregierung hat von einer Äußerung in der Sache abgesehen und für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Vorschrift beantragt, für ihr Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen. Der Bf. eines Anlaßverfahrens meint, Abs2 des §9 hätte nur zur Gänze in Prüfung gezogen werden können.

II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.

Die Verfahren haben nichts ergeben, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden oder der Maßgeblichkeit der in Prüfung gezogenen Vorschrift zweifeln ließe. Da der nach Wegfall der ersten fünf Worte verbleibende Text kraft Größenschlusses nur so ausgelegt werden könnte, daß auch im Falle gänzlichen Unterbleibens der Anzeige als dem Extremfall der Verspätung dieselbe Gebührenerhöhung eintreten soll (weil doch nicht das bloße Nachholen der Anzeige die Erhöhung der Gebühr auslösen könnte), ist die in Prüfung gezogene Vorschrift als untrennbare Einheit zur Gänze präjudiziell. Hingegen erstreckt sich dieser Zusammenhang nicht auch auf den ersten Satz des §9 Abs2. Es ist wohl richtig, daß die angefochtenen Bescheide nach allfälliger Aufhebung des in Prüfung gezogenen zweiten Satzes - wiederum kraft Größenschlusses - am ersten Satz dieser Bestimmung zu messen sein werden, und es ist möglich, daß gegen diesen ersten Satz gleichartige verfassungsrechtliche Bedenken entstehen wie sie gegen den zweiten Satz entstanden sind, doch stiften gleichartige Bedenken noch keinen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Satz (vgl. die ähnliche Lage in VfSlg. 7330/1974 und 7394/1974). Es ist vielmehr ein tauglicher Gegenstand in Prüfung gezogen worden. Die Prozeßvoraussetzungen sind gegeben.

III. Die Bedenken des Gerichtshofes treffen jedenfalls insoweit zu, als der zweite Satz des §9 Abs2 GebG gegen den Gleichheitssatz verstößt.

1. Die Erläuterungen zur RV der Nov. (338 BlgNR, XIV. GP 3) führen zur Neufassung des §9 folgendes aus:

"Die nicht ordnungsgemäße Entrichtung von Gebühren für Schriften und Rechtsgeschäfte hat nicht nur eine Einnahmenverkürzung, sondern in der Regel auch einen erheblichen Verwaltungsmehraufwand zur Folge. Um die auf solche Art entstandenen finanziellen Nachteile auszugleichen und einem nicht gesetzmäßigen Verhalten der Abgabepflichtigen von Anfang an nach Möglichkeit entgegenzuwirken, wird in den Bestimmungen der Abs1 und 2 als als objektive Rechtsfolge einer nicht vorschriftsmäßigen Entrichtung von Gebühren in Stempelmarken oder einer verspäteten oder überhaupt unterlassenen Anzeige zur Gebührenbemessung die Festsetzung einer angemessenen Gebührenerhöhung zwingend angeordnet. Die Festsetzung dieser Gebührenerhöhung liegt somit nicht im Ermessen der Finanzbehörden. ...

... Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß die Einhaltung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes nur unter erschwerten Bedingungen durch Organe der Finanzverwaltung überwachbar ist."

Diese Motivierung zeigt unmißverständlich die Absicht des Gesetzgebers an, die Gebührenerhöhung bei Unterlassung der rechtzeitigen Anzeige unabhängig vom Vorwurf eines Verschuldens eintreten zu lassen. Das bringt auch der Wortlaut des §9 Abs2 deutlich zum Ausdruck. Die Erhöhung soll keine Strafe darstellen und bei ihrer Erhebung wird nicht auf die für Strafen geltenden Garantien Bedacht genommen; es handelt sich also um eine kraft Gesetzes geschuldete - besondere - Abgabe. §3 Abs2 lita BAO zählt auch Abgabenerhöhungen zu den Nebenansprüchen und damit zu den Abgaben iS dieses BG. Der im Verfahren unter Berufung auf das Schrifttum geäußerten Meinung, es handle sich dabei um eine Strafe (vgl. Arnold, Ist Verschulden Voraussetzung für die ... Gebührenerhöhung nach §9 GebG .., AnwBl 1977, 427 ff, 475; und Harbich, Ausgewählte Themen aus dem Allgemeinen Teil des Finanz- und Justizstrafrechts. ÖRZ 1979, 45 ff., 49), kann sich der Gerichtshof jedenfalls insoweit nicht anschließen, als es sich formell nicht um Strafen handelt.

Ob die Abgabenerhöhung nach Zweck und Auswirkung - wegen ihres "pönalen Charakters" - einer Strafe so nahe kommt, daß die für Strafen bestehenden verfassungsrechtlichen Vorkehrungen und Garantien gebieten, solche Maßnahmen in Gestalt einer Strafe zu regeln oder auf diese Garantien sonst Bedacht zu nehmen (vgl. für den Bereich außerhalb bloßer Bagatellgebühren Stolzlechner, Verfassungsrechtliche Probleme der Gebührenerhöhung gemäß §9 GebG, ÖStZ 1981, 286 ff.; weniger klar Gaier, Kommentar zum Gebührengesetz, 2. Auflage, 57) - und nur diese Bedenken wirft der Prüfungsbeschluß im vorliegenden Zusammenhang auf -, ist eine andere Frage. Sie kann allerdings hier dahingestellt bleiben. Der Prüfungsbeschluß hat nämlich auch Zweifel geäußert, ob die Gebührenerhöhung in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Gestalt insbesondere im Vergleich mit dem in anderen Bereichen des Abgabenrechtes zu entrichtenden Verspätungszuschlag sachlich ist. Treffen diese Bedenken zu, erübrigt sich eine Prüfung der anderen - bisher, soweit ersichtlich, noch nicht erörterten - Frage.

2. Die in Prüfung stehende Vorschrift verstößt in der Tat gegen den Gleichheitssatz:

Das allgemeine Abgabenrecht sieht als Folge der Nichterfüllung abgabenrechtlicher Pflichten einen Säumniszuschlag in der Höhe von 2 vH des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrages (§§217 f. BAO) und einen Verspätungszuschlag bis zu 10 vH der festgesetzten Abgabe (§135 BAO) vor. Die Verpflichtung zur Entrichtung eines Säumniszuschlages tritt ein, wenn eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet wird, und den Verspätungszuschlag kann die Behörde auferlegen, wenn die Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung nicht gewahrt wird und die Verspätung nicht entschuldbar ist. Die Anforderung eines Säumniszuschlages schließt die Festsetzung eines Verspätungszuschlages nicht aus (§135 Abs2 BAO). Beide Zuschläge erfüllen die Funktion von Verzugszinsen; zumindest der Verspätungszuschlag soll offenbar auch den mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen verbundenen zusätzlichen Verwaltungsaufwand abdecken.

Soweit Gebühren - wie vor allem Hundertsatzgebühren (§3 Abs3 GebG) - mit Bescheid festzusetzen sind, sind die gebührenpflichtigen Rechtsgeschäfte innerhalb eines Monates nach dem Entstehen der Gebührenschuld mit einer beglaubigten Abschrift oder mit einer Gleichschrift der die Gebührenpflicht begründenden Urkunde beim Finanzamt anzuzeigen (§31 Abs1 GebG); die Gebühr wird mit der Bekanntgabe des Bescheides fällig (§32 Ende). Die in §9 GebG für den Fall einer Verletzung der Anzeigepflicht verfügten Abweichungen von den allgemeinen Regelungen der BAO werden in der (oben im Auszug wiedergegebenen) RV mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, den "erheblichen Verwaltungsmehraufwand" abzugelten und die Einhaltung der gebührenrechtlichen Vorschriften wirksam zu sichern (§9 GebG ersetzt insoweit für den Bereich der Gebühren auch das hier nicht geltende Finanzstrafgesetz; §2 Abs2 lita FinStrG). Auslösend seien die "erschwerten Bedingungen", unter denen die Organe der Finanzverwaltung die Einhaltung der Vorschriften des Gebührengesetzes nur überwachen könnten.

Einen derart grundlegenden Unterschied zwischen Gebühren und sonstigen Abgaben kann der VfGH indessen nicht erkennen. Es ist wohl einzuräumen, daß das Gebührenrecht insbesondere im Bereich der festen Stempelgebühren für Schriften und Amtshandlungen nach §14 GebG verhältnismäßig häufig an Sachverhalte anknüpft, die sich als - vorübergehende - Erscheinungen des privaten Lebens der behördlichen Kontrolle besonders leicht entziehen. Dem Gesetzgeber ist es auch nicht verwehrt, an typische Merkmale eines Teilgebietes anzuknüpfen und schärfere Maßnahmen vorzusehen, die in diesem Teilgebiet allgemein und daher auch dann Anwendung finden, wenn die für die Regelung maßgeblichen besonderen Verhältnisse im Einzelfall nicht gegeben sind.

Der Gerichtshof kann aber keine sachliche Begründung dafür finden, daß dem Schuldner in sämtlichen Gebührenfällen, also auch in den Fällen der Rechtsgeschäftsgebühr, eine zusätzliche Geldleistung in der vollen Höhe der Abgabe und ohne Berücksichtigung der Entschuldbarkeit seiner Versäumnis oder ihres sonstigen Gewichtes auferlegt wird. Denn nichts sprach dafür, daß die Prüfung von Entlastungsgründen in Gebührensachen an sich mehr Aufwand erfordert und nur eine dermaßen rigide Erhöhung die rechtzeitige Anzeige in zureichendem Maße sicherstellt. Wie die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zeigt, kann die Gebührenpflicht eines Rechtsgeschäftes - und damit die Anzeigepflicht - nicht weniger zweifelhaft sein wie die Erklärungspflicht für sonstige Abgaben. Es ist auch Sache des reinen Zufalls, ob das Finanzamt vom gebührenpflichtigen Geschäft Kenntnis erlangt, bevor noch die Anzeige - aus welchen Gründen immer verspätet - erstattet wird oder werden kann.

Unter diesen Umständen erweist sich die gesetzliche Regelung als gemessen am gerechtfertigten Anliegen so weit überschießende (exzessive) Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen, daß sie den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers überschreitet und gegen das dem Gleichheitssatz innewohnende Gebot der Sachlichkeit verstößt.

Der in Prüfung stehende Satz ist daher aufzuheben.

IV. Das Verfahren hat nichts ergeben, was eine Fristsetzung notwendig erscheinen ließe. Nach Meinung des VfGH reichen die verbleibenden Bestimmungen, insbesondere Abs3 des §9 GebG zur Sicherung der Einhaltung der Gebührenvorschriften zumindest für die Zeit bis zu einer allfälligen Neuregelung aus.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG, der Ausspruch über die Nichtanwendung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände auf Art140 Abs7 B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

Schlagworte

Gebühr (GebG), VfGH / Präjudizialität, Strafen, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, Finanzverfahren, Säumnis, Gestaltungsspielraum rechtspolitischer* (des Gesetzgebers)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:G42.1985

Dokumentnummer

JFT_10149371_85G00042_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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