TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/26 B943/84

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Veröffentlicht am 26.09.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
DurchführungsV Zweite zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens, dRGBl I. S 215
ÄrzteG 1949

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; von Gendarmeriebeamten über Weisung des Amtsarztes erteilter Auftrag zur Schließung eines mit einem Blutdruckmeßgerät ausgestatteten Informationsstandes des Arbeiter-Samariter-Bundes - Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Art83 Abs2 B-VG; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch gesetzlose Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Erteilung des Schließungsauftrages

Spruch

Der bf. Verein ist durch die von Beamten des Gendarmeriepostenkommandos Kufstein am 5. Oktober 1984 verfügte Schließung seines mit einem Blutdruckmeßgerät ausgestatteten, in Kufstein aufgestellten Informationsstandes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der "Arbeiter-Samariter-Bund Österreich - Gruppe Kitzbühel" ist ein nach dem Vereinsgesetz 1951 gebildeter (Zweig-)Verein.

Gemäß §3 der Statuten ist der Zweck des Vereines ein gemeinnütziger; seine Tätigkeit ist keine auf Gewinn gerichtete. Er verfolgt das Ziel, die freiwillige Hilfstätigkeit zu fördern.

Als ideelle Mittel zur Erreichung des Vereinszweckes zählt §4 Abs1 ua. auf:

"Freiwillige Hilfstätigkeit auf allen Gebieten des Gesundheits- und Sozialwesens, der Volkswohlfahrt und des Rettungsdienstes" (litb); "Mitwirkung ... beim Hilfs- und Gesundheitsdienst ..." (litj).

2. Die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde dieses Vereines wendet sich gegen die als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gewertete, am 5. Oktober 1984 erfolgte Schließung eines vom Verein in Kufstein eingerichteten, mit einem Blutdruckmeßgerät ausgestatteten Informationsstandes.

In der Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Vereinsfreiheit und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und beantragt, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein hat wohl den bezughabenden Verwaltungsakt vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Aufgrund des unwidersprochen gebliebenen Beschwerdevorbringens und des dieses Vorbringen deckenden Inhaltes des vorgelegten Verwaltungsaktes der Bezirkshauptmannschaft Kufstein, Z II-344/84, nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Ab 1. Oktober 1984 richtete der Verein im Rahmen seiner Aktion "Rette Dein Leben" in Kufstein, ..., einen Informationsstand ein, in dem ua. der Blutdruck mit einem Meßgerät unentgeltlich kontrolliert wurde.

Am 5. Oktober 1984 gegen 10 Uhr erschienen dort zwei Beamte des Gendarmeriepostenkommandos Kufstein und wiesen (über Auftrag des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Kufstein) den Leiter des Informationsstandes an, die Blutdruckmessungen sofort einzustellen und den Informationsstand zu schließen. Der Leiter des Informationsstandes protestierte zwar gegen diesen Auftrag, kam ihm aber nach. Eine gesetzliche Grundlage für diese Aktion wurde von den Beamten nicht bekanntgegeben.

2. a) Der von den Gendarmeriebeamten (über Weisung des Amtsarztes) dem Leiter des Informationsstandes erteilte Auftrag zur Schließung des mit einem Blutdruckmeßgerät ausgestatteten Informationsstandes war ein ohne vorangeganges Verwaltungsverfahren erteilter, unverzügliche Befolgung fordernder Befehl, bei dessen Mißachtung der Angesprochene mit Zwang rechnen mußte.

Diese - der Bezirkshauptmannschaft Kufstein zuzurechnende - behördliche Maßnahme ist demnach als ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangener Verwaltungsakt (früher als sog. "faktische Amtshandlung" bezeichnet) anzusprechen, die nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 7279/1974, 7516/1975).

b) Durch den verwaltungsbehördlichen Auftrag wurde die weitere Verwendung des dem bf. Verein gehörenden Blutdruckmeßgerätes und das weitere Offenhalten des von ihm eingerichteten Informationsstandes verhindert. Der angefochtene Verwaltungsakt greift daher (auch) in die Rechtssphäre des Vereines ein; er ist daher beschwerdelegitimiert (vgl. zB VfSlg. 7516/1975).

c) Nach Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde (hg. Beschl. vom 4. März 1985, B943/84-3) liegen auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vor.

Die Beschwerde ist zulässig.

3. Der bf. Verein macht ua. geltend, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Mit dieser Behauptung ist er im Recht:

Dem Verein gegenüber stellt sich die angefochtene Amtshandlung als Maßnahme des sofortigen Polizeizwanges dar, der als solcher einer gesetzlichen Grundlage bedarf, unabhängig davon, ob das hier durchgeführte Messen des Blutdruckes rechtswidrig war oder nicht. Eine diese Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt deckende gesetzliche Bestimmung enthält jedoch - entgegen der Meinung des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Kufstein - weder das Ärztegesetz, noch die Zweite DurchführungsV vom 22. Feber 1935, dRGBl. I, S 215, (GBlÖ 686/1938), zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens, noch ein anderes Gesetz. Daraus folgt, daß sich die bel. Beh. mit der angefochtenen Amtshandlung eine ihr nach dem Gesetz nicht zukommende Zuständigkeit angemaßt hat (vgl. zB VfSlg. 7516/1975, 8388/1978). Sie hat daher den Verein im zuletzt erwähnten Grundrecht verletzt.

Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Ärzte, Gesundheitswesen, VfGH /Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B943.1984

Dokumentnummer

JFT_10149074_84B00943_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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