Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnhaltungLeitsatz
Art144 Abs1 B-VG; unter "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" wird nicht nur das "Ob", sondern auch das "Wie", dh. also die konkrete Gestaltung des jeweiligen Verwaltungsaktes, verstanden Art8 StGG; Art5 MRK; Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit; vertretbare Annahme ungestümen Benehmens nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch eine in §35 litc VStG 1950 gedeckte Festnehmung sowie nachfolgende Anhaltung und vorübergehende Fesselung; kein Verstoß gegen Art9 StGGSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Bf. begehrt in seiner unter Berufung auf Art144 B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch die am 19. Dezember 1982 in seiner Wohnung in A durch Beamte des Gendarmeriepostenkommandos Enns (der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land zuzurechnende) erfolgte Festnahme, die im Zuge derselben vorgenommene vorübergehende Fesselung mit Handschellen, seinen Transport zum Gendarmerieposten sowie seine nachfolgende Anhaltung, demnach insgesamt durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar insbesondere auf persönliche Freiheit (Art5 MRK und Art8 StGG), auf Schutz des Hausrechtes (Art9 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 B-VG), verletzt worden sei.
1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land erstattete als bel. Beh. unter Vorlage der Administrativakten eine Gegenschrift und begehrt darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
2.1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten, weiters durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt gegen den Bf. wegen Verdachtes der Übertretung nach der StVO und wegen ungestümen Benehmens, in das Erk. des VwGH vom 17. September 1984, Z 84/10/0119, und in den Akt der Staatsanwaltschaft Steyr, 3 St 259/83.
2.1.1. Aus dem Verwaltungsstrafakt ergibt sich, daß der Bf. mit Straferk. vom 23. August 1983 für schuldig erkannt wurde, eine Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 idF der Nov. BGBl. 232/1977 zufolge ungestümen Benehmens gegenüber den einschreitenden Beamten am 19. Dezember 1982 um zirka 21.25 Uhr vor seinem Haus bzw. in seiner Wohnung, während sich diese in rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes befanden, begangen zu haben, wofür über ihn eine Geldstrafe von 1000 S verhängt und die Vorhaft von 70 Minuten auf die verhängte Geldstrafe angerechnet wurde. Der dagegen vom Bf. erhobenen Berufung wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland OÖ mit Bescheid vom 13. April 1984 keine Folge gegeben.
2.1.2. Mit Erk. des VwGH vom 17. Dezember 1984, Z 84/10/0119, wurde die vom Bf. gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Auf die diesem Erk. zugrundeliegenden Feststellungen, denen der VfGH auch unter Berücksichtigung der sonstigen Beweisergebnisse beitritt, wird verwiesen.
2.1.3. Die vom Bf. gegen die Gendarmeriebeamten eingebrachte Strafanzeige wurde von der Staatsanwaltschaft Steyr zu Z 3 St 259/83 am 21. März 1983 gemäß §90 StPO zurückgelegt.
3. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
3.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlung (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung (zB VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977, 9860/1983, 10018/1985), aber auch für die zwangsweise Fesselung einer Person (mit Hand- oder Fußschellen) zutrifft (vgl. VfSlg. 7081/1973, 7377/1974, 8146/1977, 10321/1985). Dabei wird unter dieser, einer Beschwerdeführung zugänglichen "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" in der Bedeutung des Art144 Abs1 B-VG - nach herrschender Judikatur - nicht nur das "Ob", sondern auch das "Wie", dh. also die konkrete Gestaltung des jeweiligen Verwaltungsaktes, verstanden (s. zB VfSlg. 8126/1977, 8580/1979).
3.1.2. Demgemäß ist festzuhalten, daß die vorliegende Beschwerde - soweit sie die Festnahme, Anhaltung und Fesselung des Bf. zum Gegenstand hat - Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG bekämpft.
3.1.3. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde im dargelegten Umfang zulässig.
3.2.1. Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.): Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.
3.2.2. §35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita - c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann erfüllt ist, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen kann (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974).
Gemäß §35 litc VStG 1950 ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Bedingungen zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde aber nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.
3.2.3. Demgemäß war zunächst zu prüfen, ob die hier einschreitenden Gendarmeriebeamten mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen konnten, daß der Bf. sich die Übertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 idF der Nov. BGBl. 232/1977 zuschulden kommen ließ.
3.2.4. Nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 idgF begeht eine Verwaltungsübertretung, wer "sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Personen in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt".
Der VfGH vertritt in ständiger Rechtsprechung (zB VfSlg. 9229/1982, zuletzt VfSlg. 9921/1984) - in Übereinstimmung mit der Judikatur des VwGH (zB VwSlg. 2263 A/1951, VwGH 14. Mai 1968 Z 1759/67 und 1. März 1979 Z 873/78) - die Auffassung, daß unter "ungestümem Benehmen" ein sowohl in der Sprache als auch in der Gestik der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten anzusehen ist (s. auch VfSlg. 7464/1974).
3.2.5. Angesichts des Erk. des VwGH vom 17. September 1984, mit welchem die gegen die Verurteilung wegen ungestümen Benehmens vom Bf. erhobene Beschwerde abgewiesen wurde, kann im Hinblick auf die zugrunde liegenden Feststellungen - diesen ist der VfGH beigetreten (s. Punkt 2.1.2.) - nicht gesagt werden, daß die Beurteilung des Verhaltens des Bf. als Verwaltungsdelikt unvertretbar war. Es lag, wie die Beweisaufnahme (s. Punkt 2.1.) ergab, infolge Betretung auf frischer Tat und Tatwiederholung trotz neuerlicher Abmahnung der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 vor, daher entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.
3.2.6. Berücksichtigt man schließlich die näheren Begleitumstände der Festnahme, wie sie schon vom VwGH bei seiner Entscheidung zugrundegelegt und vom VfGH übernommen wurden, war auch die vorübergehende (zwangsweise) Fesselung des Bf. - daß diese unter unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen vorgenommen worden sei, wurde weder behauptet noch ist derartiges hervorgekommen - angesichts der konkreten Verhältnisse grundsätzlich notwendig und geboten, und zwar namentlich zur Vermeidung einer Gefährdung der körperlichen Sicherheit der Dienst versehenden Gendarmeriebeamten. Ob die Sicherheitsorgane dabei in jeder Beziehung rechtmäßig vorgingen, hat der VfGH nicht zu prüfen.
3.2.7. Unter den obwaltenden Umständen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Entlassung des Bf. aus der anschließenden verwaltungsbehördlichen Haft gesetzwidrig hinausgezögert worden ist; von einer ungerechtfertigten Verfahrensverzögerung kann nach Lage dieses Falles keine Rede sein.
3.2.8. Demgemäß wurde der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
4. Soweit der Bf. schließlich eine Verletzung des ihm nach Art9 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrechtes behauptet, ist er darauf zu verweisen, daß die zitierten Verfassungsbestimmungen nicht jedes Betreten eines Hauses oder einer Wohnung durch Sicherheitsorgane verbieten, sondern daß sie nur Schutz gegen willkürliche Hausdurchsuchungen gewährleisten. Als "Hausdurchsuchung" definiert §1 Hausrechtsgesetz, RGBl. 88/1862, eine "Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten". Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist für das Wesen einer Hausdurchsuchung charakteristisch, daß nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (vgl. VfSlg. 1906/1950, 5080/1965, 5738/1968, 6528/1971, 8668/1979).
Im vorliegenden Fall kann schon aufgrund der unter 2.1.2. getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht zweifelhaft sein, daß das Betreten des Hauses (der Wohnung) des Bf. und die dortige vorübergehende Anwesenheit behördlicher Organe einer - für den Begriff der "Hausdurchsuchung" wesentlichen - "Suche" nicht gedient hatte (vgl. VfSlg. 6328/1970, 6736/1972, 8815/1980). Derartiges behauptet selbst die Beschwerde nicht.
5. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde - da im Verfahren auch weder die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hervorkam noch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Verwaltungsakten zugrundeliegenden Rechtsvorschriften entstanden - als unbegründet abzuweisen.
6. Kosten waren der - weder von der Finanzprokuratur noch einem Rechtsanwalt vertretenen - bel. Beh. der ständigen Rechtsprechung folgend nicht zuzusprechen.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Benehmen ungestümes, Fesselung, Hausrecht, Hausdurchsuchung, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B42.1983Dokumentnummer
JFT_10149074_83B00042_00