TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/27 B49/85

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Veröffentlicht am 27.09.1985
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1

Beachte

in den Entscheidungsgründen ähnlich B421/85 vom 30. September 1985

Leitsatz

ZivildienstG; gravierender Fehler auf dem Gebiet der Beweiswürdigung; Verletzung im durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 1, vom 8. Juni 1984 (richtig: 11. Mai 1984), Z 134.831/1-ZDK/1/84, wurde der von K W - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz (ZDG), BGBL. 187/1974 - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

1.2.1. Der dagegen von K W erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, vom 5. Oktober 1984, Z 134.831/2-ZDOK/2/84, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.2. Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:

"... Das Vorbringen des Rechtsmittelwerbers enthält zwar gewiß manches, was als Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe iS des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) gewertet werden kann. Es ist ihm aber nicht gelungen, diese Gründe auch glaubhaft zu machen, wie das Gesetz (§6 Abs2 ZDG) es vorschreibt.

Infolge der komplexen Natur der freien Beweiswürdigung können nicht alle für diese Ansicht des Senates maßgebenden Prämissen im einzelnen angeführt werden (vgl. hiezu VfGH B128/83 und B304/83), zumal sich die Ausdrucksbewegungen während eines Gespräches, die mitunter entscheidend dazu beitragen, ob man dem Sprecher Glauben schenkt oder versagt, nicht in Worte fassen lassen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Berufungswerber insgesamt nicht wie ein junger Mensch seines Alters und Ausbildungsstandes wirkte, der eine auf zumutbaren Überlegungen basierende gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt, der also aus echter Überzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltlos ablehnt. Er erweckte vielmehr den Anschein, fremdes Gedankengut zu reproduzieren, ohne sich im Innersten damit zu identifizieren. Bei manchen seiner Äußerungen wirkte er völlig unglaubwürdig, so etwa, als er behauptete, wirklich nicht zu wissen, wie er sich verhalten würde, wenn vor seinen Augen ein Verbrecher seinen Vater lebensbedrohend würgte und daß er sich jedenfalls eher selbst umbringen lassen würde, als einen Angreifer zu töten. Gegen eine gründliche Befassung mit der Thematik und damit gegen eine echte innere Anteilnahme spricht auch, daß die Angaben des Berufungswerbers zu der von ihm angeblich bevorzugten gewaltfreien Verteidigung ungewöhnlich geringe Substanz aufwiesen. Schließlich war es auch sehr bemerkenswert, daß der Antragsteller in der Berufungsverhandlung trotz der Aufforderung, sämtliche Gewissensgründe, gereiht nach ihrer Wichtigkeit, anzuführen, kein religiöses Argument ins Treffen führte, obwohl er in seinem Antrag behauptet hatte, durch seine Erfahrung bei der evangelischen Jugend in seiner Überzeugung bestärkt worden zu sein.

Bei der Würdigung der Person und des Vorbringens des Rechtsmittelwerbers wurde mit in Rechnung gestellt, daß er in den Jahren 1977 bis 1980 an Veranstaltungen der evangelischen Jugend in Villach teilnahm und bei dieser Gelegenheit für den Zivildienst eintrat, daß er in der Symbiose Kunstwerk bei der Betreuung schwerstbehinderter Kinder mitarbeitete, daß er ferner die fast vollständig erblindete J W unentgeltlich betreut, indem er Tätigkeiten wie Einkaufen und Heizen für sie verrichtet sowie daß er endlich gegenüber seinem Vater - der Vertrauensperson - zur gegenständlichen Thematik ähnliche Ansichten vertrat wie in der Berufungsverhandlung.

All dies war aber nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung gewonnenen Gesamteindruck des Senates - siehe oben - entscheidend zu verändern.

Mangels der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte mithin der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des K W an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.3.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBL. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982, 10247/1984; VfGH 12. März 1982 B561/81).

2.1.2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982, 10247/1984; VfGH 26. November 1982 B667/81).

2.2.1. Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.2.2. Der ZDOK unterlief hier ein derartiger gravierender Fehler auf dem Gebiet der Beweiswürdigung. Denn aus der Begründung des angefochtenen Bescheides erhellt, daß sie ua. der Auffassung anhing, der Berufungswerber wirke "völlig unglaubwürdig", wenn er nicht sagen könne, wie er sich verhielte, wenn sein Vater vor seinen Augen von einem Verbrecher lebensbedrohend gewürgt werde: Ist es doch nach der Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG keinesfalls unvereinbar, daß ein die Anwendung von Waffengewalt aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnender - und deshalb die Befreiungsvoraussetzungen erfüllender - Wehrpflichtiger in Fällen der Notwehr oder Nothilfe - und dazu zählt auch das von der ZDOK herangezogene theoretische Beispiel vom Überfall auf den Vater des Bf. - zur Waffe greift, um diese rechtswidrigen Angriffe gewaltsam abzuwehren. Derartige Verteidigungshandlungen sind nämlich vom Anwendungs- und Wirkungsbereich des §2 Abs1 ZDG ausdrücklich ausgenommen (arg. "von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen"). Wie immer die Antwort des Wehrpflichtigen auf kommissionelle Fragen nach dem mutmaßlichen Verhalten in der gedachten Nothilfesituation also lauten mochte: Sie konnte - angesichts der geschilderten Verfassungsrechtslage - über das Vorliegen der eigenständigen Befreiungsvoraussetzungen des §2 Abs1 ZDG keinerlei Aufschluß geben und durfte darum auch nicht zum Nachteil des Zivildienstwerbers ausschlagen. Wenn die ZDOK (auch) aus einer solchen Antwort zumindest der Sache nach die Unstichhältigkeit der maßgebenden Einlassungen des Bf. in der Glaubhaftmachungsfrage ableitete und erschloß, so ist darin nach Auffassung des VfGH ein grundlegender schwerer Verfahrensfehler zu erblicken, der bereits in die Verfassungssphäre reicht: Zwar zog die bel. Beh. bei ihrer Entscheidung auch andere beweiswürdigende Erwägungen (mit-)heran, doch läßt die Entscheidungsbegründung nach Formulierung und Sinngehalt keinen wie immer gearteten Zweifel, daß das erörterte, rechtlich verfehlte Argument - nach Lage des Falles - einen tragenden, unverzichtbaren Teil jener Kommissionsüberlegungen bildete, die zur Abweisung der Berufung führten, zumal die übrigen Bescheinigungsmittel erkennbar in erster Linie iZm. dieser in der Bescheidbegründung hervorgekehrten (irrelevanten) Antwort des Bf. gewürdigt wurden.

2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die bel. Beh. den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzte, sodaß der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das Beschwerdevorbringen selbst weiter einzugehen.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B49.1985

Dokumentnummer

JFT_10149073_85B00049_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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