TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/27 B669/84

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Veröffentlicht am 27.09.1985
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art83 Abs2
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

ZivildienstG; mangelnde Glaubhaftmachung der Gewissensgründe; keine Verletzung des in §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, insbesondere nicht durch Verfahrensverstöße gravierender Natur im Bereich der freien Beweiswürdigung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 2, vom 13. Juli 1983, Z 129.962/1-ZDK/2/83, wurde der von T B - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz (ZDG), BGBl. 187/1974 - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

1.2.1. Der dagegen vom Antragsteller erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, vom 16. Mai 1984, Z 129.962/2-ZDOK/2/84, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.2. Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:

"... Da die Berufungsbehörde auf Grund des wiederholten Ermittlungsverfahrens zu eigenen Feststellungen gelangt ist, erübrigt es sich, im einzelnen auf die Begründung des abweisenden Bescheides einzugehen ...

Die Berufung ist nicht begründet.

Obschon es auffiel, daß der Rechtsmittelwerber in der Berufungsverhandlung - eindringlich nach seinen persönlichen Gewissensgründen befragt - nicht vorbrachte, wie er dies in seinem Antrag und in der Berufungsschrift getan hatte, daß das menschliche Leben für ihn das höchste Gut darstelle, sondern lediglich erklärte, das Leben sei das Schönste, das uns gegeben worden sei, wird unterstellt, daß er, wenn auch mit anderen Worten, inhaltlich das gleiche zum Ausdruck bringen wollte.

Damit hat er zumindest einen Gewissensgrund iS des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) behauptet.

Er vermochte aber nicht, seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs2 ZDG) Genüge zu tun.

Zu diesem Schluß gelangte der Senat in freier Beweiswürdigung, und es können demnach infolge der komplexen Natur dieses Vorganges die einzelnen Prämissen nicht detailliert aufgelistet werden.

Hervorhebenswert erscheint, daß er, obwohl er behauptete, seit Jahren auf die Stimme seines Gewissens zu achten und sein Gewissen zu schulen sowie schon seit seinem 17. Lebensjahr zur festen Überzeugung gelangt zu sein, den Dienst mit der Waffe nicht leisten zu können, sich anläßlich seiner Stellung im Oktober 1979 - als er somit bereits das 18. Lebensjahr um einige Monate überschritten hatte - zu den Panzern meldete und dies in der Berufungsverhandlung damit zu erklären trachtete, seine Einstellung sei damals noch nicht so gefestigt gewesen, daß er gleich einen Zivildienstwunsch geäußert hätte. Auch daß er in der Verhandlung erster Instanz erklärte, der Schutz der Neutralität und der Freiheit seien für ihn keine verteidigungswürdigen Werte, er dies aber in der Berufungsschrift mit der Behauptung zurücknahm, er sei mißverstanden worden - wofür das Protokoll keinerlei Anhaltspunkte bietet -, läßt darauf schließen, daß seine Überlegungen noch nicht zu einer gefestigten Einstellung geführt haben. In die gleiche Richtung deutet die in der Verhandlung erster Instanz aufgestellte Behauptung, in seinen Augen gebe es keinen echten Verteidigungskrieg. Schließlich fiel auch auf, daß er zu der von ihm bevorzugten gewaltfreien Verteidigung keinerlei konkrete Angaben zu machen vermochte.

All dies sind aber nur der Vollständigkeit halber herausgehobene Nebenumstände. Ausschlaggebend war, daß der Rechtsmittelwerber auf den Senat - der über reichhaltige Vergleichsmöglichkeiten verfügt - insgesamt nicht wie ein junger Mensch wirkte, der eine auf gründlichen eigenen Überlegungen basierende gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt, der also auf der Basis einer echten Überzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltslos ablehnt. Vielmehr erweckte er den Anschein, sich mit der gesamten Thematik nicht sehr eingehend befaßt zu haben und oberflächlich angeeignete Fremdinformation wiederzugeben, ohne sich damit im Innersten zu identifizieren.

Bei der Würdigung seiner Person und seines Vorbringens wurde mit in Rechnung gestellt, daß er seit etwa einem Jahr gemeinsam mit seiner Verlobten begann, Kontakte mit Behinderten zu suchen, sich mit diesen zu beschäftigen und die Freizeit mit ihnen zu verbringen. Gewürdigt wurde auch, daß er an der ersten großen Friedensdemonstration in Wien teilnahm.

All dies vermochte aber den in freier Würdigung gewonnenen Gesamteindruck - siehe oben - nicht entscheidend zu verändern.

Mangels der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte mithin der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des T B an den VfGH; der Bf. beruft sich darin (der Sache nach) auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG, behauptet ferner, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt worden zu sein (Art7 Abs1 MRK wurde hier offenbar nur versehentlich genannt), und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.3.2. Die bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. ua. auch VfSlg. 9391/1982; VfGH 12. März 1982 B561/81, 24. November 1983. B300/83).

2.1.2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8745/1980, 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB Vfslg. 9549/1982, 9573/1982; VfGH 26. November 1982 B667/81, 24. November 1983 B300/83).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.1.3. Die ZDOK gelangte - nach dem offenkundigen Sinn- und Aussagegehalt der Begründung des angefochtenen Bescheides insgesamt - zum Ergebnis, dem Bf. sei die im §2 Abs1 ZDG vorausgesetzte Glaubhaftmachung, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen aus Gewissensgründen ablehne, nicht gelungen.

2.1.4.1. Insbesondere rügt nun der Bf., daß die ZDOK - wiewohl sie sich zur Beweiswiederholung entschloß - bloß ungenügende eigene Erhebungen gepflogen und überdies (auch) auf Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens zurückgegriffen habe.

2.1.4.2. Verfahrensverstöße gravierender Natur, die allein nach der Judikatur des VfGH (s. Punkt 2.1.2.) unter dem Aspekt des §2 Abs1 ZDG Bedeutung erlangen, werden indessen mit diesen Beschwerdebehauptungen - nach Lage dieses Falles - nicht aufgezeigt; vor allem ging die ZDOK in der (sorgfältig abgefaßten) Begründung ihres Bescheides auf alle wesentlichen Berufungseinreden - prüfend und würdigend - ein, gelangte allerdings nicht zu dem vom Bf. gewünschten Ergebnis. Dabei konnte der Umstand, daß die ZDOK in Wiederholung des gesamten Ermittlungsverfahrens zu eigenen (Tatsachen-)Feststellungen gelangte, einer Beachtung und (Mit-)Verwertung früherer Verfahrensergebnisse keineswegs entgegenstehen. In welchen Punkten das - zweitinstanzliche - Ermittlungsverfahren ergänzungsbedürftig sein soll, gibt die Beschwerde (konkret, unter präziser Anführung der angebotenen Bescheinigungsmittel) gar nicht an; tatsächlich sind augenfällige Mängel der Beweiserhebung auch nicht feststellbar. Im übrigen hält der Bf. namentlich den unmißverständlichen (Tatsachen-)Feststellungen der bel. Beh. zur (mißlungenen) Glaubhaftmachung von Gewissensgründen im Kern nur bestimmte Aspekte seiner von der ZDOK für nicht überzeugend und bescheinigungskräftig genug erachteten Einlassungen im Verwaltungsverfahren entgegen. In Wahrheit sollen damit, ebenso wie mit den sonstigen, sich inhaltlich in einer subjektiven Wertung der behördlichen Beweiswürdigung erschöpfenden Beschwerdedarlegungen wohl bloß die Schlußfolgerungen der ZDOK in tatsächlicher Beziehung als unrichtig und verfehlt hingestellt werden. Abgesehen davon, daß ein verfassungsgesetzlich relevanter Verstoß verfahrensrechtlicher Art im gegebenen Zusammenhang nur in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechenden Beweiswürdigung der ZDOK liegen könnte (s. zB VfSlg. 9732/1983), was hier keinesfalls zutrifft, ist dieses Bestreben des Bf. schon aus folgenden Überlegungen zum Scheitern verurteilt: Angesichts des das Kommissionsverfahren beherrschenden Prinzips der freien Beweiswürdigung (hier iS freier Würdigung der Bescheinigungsmittel verstanden) - das allein Gewähr für die Berücksichtigung der Einmaligkeit der Umstände jedes einzelnen Falles bietet - geht es der in der Beschwerdeschrift ersichtlich verfochtenen Auffassung zwider keinesfalls an, die für die Kommissionsentscheidung in der Glaubhaftmachungsfrage maßgebenden komplexen Überlegungen, soweit sie in die schriftlichen Entscheidungsgründe Eingang zu finden vermochten, ungeachtet all ihrer Verzahnungen und Verästelungen, schrittweise in ihre Bestandteile zu zerlegen und diese - so aus dem Kontext der Kommissionsüberlegungen gelösten - Begründungsdetails in isolierter Wertung für nicht tragfähig zu erklären. Zudem kann die Gesamtheit aller Umstände, die den zur Entscheidung berufenen Organen die Überzeugung vom Wert und von der Aussagekraft des Bescheinigungsmaterials vermitteln, überhaupt nicht restlos analysiert werden, zumal sich vor allem das Ergebnis des persönlichen Eindrucks, den Aussagende im Zuge ihrer Befragung hinterlassen, nicht immer in voller Breite in Worte kleiden läßt (so etwa VfSlg. 9785/1983; VfGH 24. November 1983 B300/83, B304/83).

2.1.4.3. Der VfGH kann der ZDOK hier nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und - ersichtlich auch - des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Judikatur des OGH, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen; zB aus jüngerer Zeit: OGH 23. März 1982, 9 Os 38/82; 27. Juli 1982, 10 Os 86/82; s. dazu VfSlg. 9573/1982, 9785/1983).

2.1.5. Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

2.2. Wenn sich der Bf. - im Blick auf behauptete Mängel des (vor der unbestrittenermaßen zuständigen Behörde abgewickelten) Berufungsverfahrens - auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter beruft (Art83 Abs2 B-VG), so ist auf die ständige Rechtsprechung des VfGH hinzuweisen, derzufolge dieses Recht nicht vor Verletzungen der Verfahrensvorschriften schützt (s. zB VfSlg. 7121/1973, 8324/1978, 8727/1980, 8828/1980, 9104/1981, 9541/1982).

2.3. Da schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B669.1984

Dokumentnummer

JFT_10149073_84B00669_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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