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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Wr. BauO; Baubewilligung gemäß §71; dem öffentlichen Recht zugehörige Anrainerrechte nach einer BauO genießen nicht den Schutz des Art5 StGG; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch bloßes Zuwiderhandeln gegen Verfahrensvorschriften; keine WillkürSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 37 - Außenstelle für den 13. Bezirk) erteilte der Beteiligten, die eine Wurst- und Selchwarenerzeugung betreibt, mit Bescheid vom 27. Juli 1978 unter Berufung auf §70 der Bauordnung für Wien (im folgenden auch: BauO; bezogen ist dieses Gesetz stets in der damals geltenden Fassung der Nov. LGBl. 18/1976) die Bewilligung, auf näher bezeichneten Grundstücken der Liegenschaft EZ ..., KG Unter St. Veit, einen Zubau zu errichten und bestimmte bauliche Änderungen durchzuführen. Gegen diesen Bescheid brachten Nachbarn (darunter die Bf.), die Einwendungen erhoben hatten, Berufungen ein. Die Bauoberbehörde für Wien verband das Verfahren über diese Rechtsmittel mit dem Verfahren über einen Devolutionsantrag, den die Bauwerberin im Hinblick auf ein weiteres, dasselbe Objekt betreffendes Bauansuchen eingebracht hatte, und entschied mit Bescheid vom 27. März 1980, dessen Spruch - abgesehen von den Vorschreibungen - folgendermaßen lautet:
"I
Gemäß §70 der Bauordnung für Wien (BO) wird die Bewilligung versagt,
auf der Liegenschaft EZ ... des Grundbuches der KG Unter St. Veit,
Grundstücke Nr. ... und ... in Wien, A-Straße, ident F-Gasse und K-Gasse, nach Maßgabe der zum Bescheidbestandteil erklärten Pläne, die nachstehend angeführten Zubauten zu errichten und bauliche Abänderungen vorzunehmen:
Anschließend an das Gebäude an der Front A-Straße und anschließend an das Gebäude an der Front K-Gasse werden je ein ebenerdiger, nicht unterkellerter Zubau in Form einer Hofüberdachung errichtet. An der Front A-Straße wird im Zubau ein Lagerraum (Expedit), an der Front K-Gasse werden im Zubau Arbeitsräume geschaffen. Im Erdgeschoß an der Front F-Gasse bis an die Ecke der K-Gasse werden Kühlräume abgeändert bzw. neu geschaffen. Der Arbeitsraum neben dem neuen Expedit wird aufgelassen und in einen Lagerraum für Fertigprodukte geändert. Neben der Einfahrt an der Front F-Gasse werden eine Gehtüre und ein Gehweg hergestellt. Der ebenerdige, nicht unterkellerte Trakt an der Front F-Gasse wird aufgestockt. Im Gebäude werden ein Aufzugsschacht und ein Stiegenhaus hergestellt. Die Fenster des Zubaues werden an der Straßenfront fix verglast. An der Hoffront werden Lüftungsflügel hergestellt.
Das Gartenhaus sowie drei Flugdächer und die Drehkreuzselchen werden abgetragen. Die Rauchfänge der Drehkreuzselchen werden in Abluftfänge abgeändert. Die Kanalanlage wird geändert.
II
Gemäß §71 BO und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes (WGG) wird auf Widerruf die Bewilligung für die unter I beschriebenen baulichen Maßnahmen erteilt. Der Vorschrift des §36 Abs1 litb und Abs2 WGG wird durch die Schaffung von sechs Stellplätzen auf der Liegenschaft entsprochen.
Vorgeschrieben wird:
..."
In der Begründung ihrer Entscheidung legte die Bauoberbehörde insbesondere folgendes dar:
"Die Bauoberbehörde für Wien geht davon aus, daß die geplanten Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, nicht nur dem Ausbau eines der Widmung 'gemischtes Baugebiet' entsprechenden Betriebes zu dienen, sondern darüber hinaus auch die Immissionen zu verringern. Sie nimmt daher an, daß ein sachlich gerechtfertigter Ausnahmefall im Sinne des §69 BO gegeben ist. Die Abweichung von den Bestimmungen des Bebauungsplanes erreicht nicht den Umfang einer wesentlichen Änderung, die Bebaubarkeit von Nachbargrundflächen wird nicht berührt und öffentliche Interessen (Immissionsverringerung) sprechen geradezu für die Abweichung.
Sämtliche Voraussetzungen für die Befassung der Bezirksvertretung mit der Frage der Ausnahmebewilligung waren somit gegeben. Die Zustimmung wurde von der Bezirksvertretung jedoch mit dem späteren und von der Bauoberbehörde für Wien daher für maßgebend erachteten Beschluß verweigert. Die Bauoberbehörde erachtet sich nicht für befugt, den Beschluß der gewählten Bezirksvertretung auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
Aus der Annahme einer Bindung an den Beschluß der Bezirksvertretung vom 22. 5. 1979 ergibt sich folgerichtig die Versagung der beantragten Baubewilligung gemäß §70 BO. Eine Auseinandersetzung mit den von den Nachbarn gegen die Genehmigung vorgebrachten Einwendungen erübrigt sich.
Für den Fall der Versagung einer definitiven Baubewilligung hat die Bauwerberin den Antrag gestellt, ihr eine Bewilligung auf Widerruf gemäß §71 BO zu erteilen. Diese Gesetzesbestimmung lautet: 'Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Baulichkeit den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, kann die Behörde auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen. Für sie gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist. Der Bewilligung dürfen durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen, es sei denn, daß der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt hat oder gemäß §42 AVG als der Bewilligung zustimmend anzusehen ist.'
Die Behörde nimmt einen begründeten Ausnahmefall im Sinne der vorzitierten Gesetzesbestimmung an, weil das Bauvorhaben dem Bebauungsplan zwar in Einzelheiten nicht entspricht, dafür aber nach dem Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen zu einer wesentlichen Verringerung der bisherigen, recht unbefriedigenden Emissionsverhältnisse des Unternehmens führen wird. Subjektiv-öffentliche Rechte können in Anbetracht der zu erwartenden Verringerung der Immissionen nicht berührt werden."
2. Gegen diesen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde insoweit, als die auf §71 BauO gestützte Baubewilligung erteilt wurde. Die Bf. behauptet eine Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Die Bf. macht zunächst eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums geltend, welche sie - wie sich aus dem Zusammenhalt der diesem Vorwurf gewidmeten weitwendigen Ausführungen ergibt - insgesamt daraus ableitet, daß ihr aufgrund der Bauordnung für Wien zukommende Rechte verletzt worden seien. Sie verkennt dabei jedoch, daß ausschließlich private Vermögensrechte, mithin aber nicht dem öffentlichen Recht zugehörige Anrainerrechte nach einer Bauordnung den Schutz des Art5 StGG genießen (zB VfSlg. 9283/1981; zu den Anrainerrechten nach der Bauordnung für Wien: VfGH 26. Feber 1982 B529/78). Auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ist daher nicht weiter einzugehen.
2. Ferner erhebt die Bf. den Vorwurf, daß sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden sei, und begründet ihn damit, daß ihr im Verfahren erster Instanz der Eventualantrag der Bauwerberin, eine Bewilligung nach §71 BauO zu erteilen, nicht zur Kenntnis gebracht worden sei und sie daher keine Gelegenheit gehabt habe, ihre Einwendungen gegen diesen Antrag vorzubringen.
Mit diesem Vorbringen macht die Bf. der Sache nach jedoch bloß ein Zuwiderhandeln gegen Verfahrensvorschriften geltend, wodurch nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH das geltend gemachte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nicht verletzt wird (zB VfSlg. 10140/1984).
3. Die Bf. behauptet schließlich eine Verletzung des Gleichheitsrechtes, welche - unter Bedachtnahme auf die Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides - gemäß der ständigen Judikatur des Gerichtshofs (zB VfSlg. 9474/1982) nur stattgefunden hätte, wenn die bel. Beh. Willkür geübt hätte. Nach der Lage dieses Beschwerdefalles könnte der Behörde ein willkürliches Verhalten nur dann vorgeworfen werden, wenn sie die Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hätte oder wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stünde (zB VfSlg. 9726/1983).
Ein willkürliches Verhalten der bel. Beh. erblickt die Bf. einerseits darin, daß keine Sachverhaltsfestellungen über eine eintretende Kapazitätserweiterung des Betriebs der Beteiligten getroffen worden seien; sie nimmt nämlich (wie aus dem Zusammenhalt mit Beschwerdeausführungen zu einer anderen behaupteten Grundrechtsverletzung hervorgeht) an, daß der Betrieb durch eine Erweiterung zu einem Industriebetrieb geworden sei, und versteht §6 Abs8 BauO dahin, daß in gemischten Baugebieten keine Industriebetriebe errichtet werden dürfen.
Dieser Vorwurf betrifft in Wahrheit aber nur eine Frage der richtigen Gesetzesauslegung und ist nicht geeignet, eine gravierende, in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit nachzuweisen. Denn §6 Abs8 leg. cit. trifft seinem Wortlaut nach nicht etwa eine Unterscheidung nach der Art von Betrieben, sondern stellt ausschließlich auf Gefahren und den Grad der Belästigungen für die Nachbarschaft ab, die aus der Errichtung von Gebäuden und Anlagen resultieren.
Grundsätzlich das gleiche trifft für den weiteren Vorwurf zu, daß die Baubewilligung dem §71 BauO zuwider erteilt worden sei, obwohl es sich, wie aus dem Bauansuchen zu ersehen sei, nicht um Bauten handle, die nur vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können. Auch diese Frage ist eine solche nach der richtigen Gesetzeshandhabung; selbst wenn die bel. Beh. sie unrichtig beantwortet hätte - etwa nicht erkannt haben sollte, daß es sich um auf Dauer vorgesehene bauliche Herstellungen handelt, oder daß (was von der Bf. nicht ausdrücklich gerügt wurde) trotz der angenommenen Verringerung der Immissionen subjektive Nachbarrechte berührt werden (vgl. dazu VwGH 6. November 1984 Z 84/05/0101) - läge keineswegs ein als Willkürakt zu wertender schwerwiegender Entscheidungsfehler vor.
4. Im Beschwerdeverfahren kam nicht hervor, daß die Bf. aus anderen als den von ihr vorgebrachten Gründen in einem geltend gemachten oder in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre. Da auch kein Anhaltspunkt für eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm gegeben ist, war die Beschwerde abzuweisen.
Schlagworte
Baurecht, Nachbarrechte, BaubewilligungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B183.1980Dokumentnummer
JFT_10149073_80B00183_00