TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/27 B216/85

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.1985
beobachten
merken

Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art83 Abs2
ZivildienstG §47 Abs3
ZivildienstG §48 Abs1

Leitsatz

Art83 Abs2 B-VG; §47 ZivildienstG; Beschlußfassung der ZDOK bei Anwesenheit von fünf Mitgliedern, in der Bescheidausfertigung versehentliche Anführung des sechsten, abwesenden Mitgliedes als anwesend; Erfordernisse des §48 Abs1 ZDG (Mindestbesetzung) erfüllt - kein Entzug des gesetzlichen Richters ZivildienstG; keine Glaubhaftmachung der Gewissensgründe; keine Verletzung im durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 8, vom 6. September 1984, Z 136.709/1-ZDK/8/84, wurde der von J F - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974 (ZDG) - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

1.2.1. Der dagegen von J F erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, vom 5. Dezember 1984, Z 136.709/2-ZDOK/2/84, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.2. Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:

"... Das Vorbringen in der Antragsbegründung erschöpfte sich in der Wiedergabe sehr allgemein gehaltener Formulierungen und ließ einen Bezug zur höchstpersönlichen Gewissenssituation des Antragstellers weitgehend vermissen. In der Verhandlung I. Instanz fehlte zur lapidaren Äußerung, die Anwendung von Gewalt aus Gewissensgründen abzulehnen, jede nähere Erläuterung darüber, welche Überlegungen ihn zu dieser Einstellung gebracht haben. Auch in der Berufungsschrift ist kein Fortschritt in Richtung der vom ZDG für die Befreiung von der Wehrpflicht aufgestellten Voraussetzungen zu verzeichnen. Der Berufungswerber blieb trotz seiner weitschweifigen Ausführungen und sinngemäßen Wiederholungen im Grund eine stichhaltige Erklärung dafür schuldig, weshalb er bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten sollte. Die von ihm gebrauchten Argumente erwiesen sich entweder als immer wieder von Zivildienstwerbern gebrauchte schlagwortartige und wenig konkrete Formulierungen oder als Erwägungen, die weniger die vom ZDG umschriebene Gewissenssphäre berühren, sondern eher in Richtung besserer Überlebenschancen im Ernstfall hindeuten.

Ausschlaggebend für die vorliegende Entscheidung war jedoch die inhaltlich äußerst mangelhafte Parteiaussage II. Instanz, in der der Berufungswerber auch einen Eindruck hinterließ, der in keiner Weise zu überzeugen vermochte. Der Berufungssenat vertritt in seiner ständigen Spruchpraxis den Standpunkt, daß im Rahmen der Beurteilung der Schwere und Glaubwürdigkeit von Gewissensgründen die spontanen Angaben des Berufungswerbers auf die an ihn gestellten Fragen das sicherste und verläßlichste Bescheinigungsmittel darstellen, zumal die schriftlichen Ausführungen erfahrungsgemäß oft nicht gänzlich frei von fremden Einflüssen sind.

Nach den vom Berufungswerber auf die Frage nach seinen persönlichen Gewissensgründen gegebenen Antworten kann keineswegs davon ausgegangen werden, daß er über eine gefestigte innere Überzeugung iS des ZDG verfügt, wie sie allein als Ausgangspunkt schwerer Gewissenskonflikte bei Ableistung des Präsenzdienstes in Betracht kommt.

Entsprechend dem dürftigen Gehalt seines Vorbringens, das über die Wiedergabe phrasenhafter Redewendungen nicht hinausging und keinen Einblick in den Wesenskern des Berufungswerbers zuließ, gelang es ihm in keiner Phase seiner mündlichen Ausführungen, die durch Unsicherheit und mangelnde Festigkeit gekennzeichnet waren, den Eindruck zu vermitteln, daß er sich einigermaßen gründlich mit den vorliegenden Fragen gedanklich beschäftigt hat und ein auf dieser Grundlage entstandenes ernstes inneres Anliegen vertritt, gegen das zu handeln schwere Gewissenskonflikte auslösen würde.

Die frühere Betätigung des Berufungswerbers im Rahmen der Freiwilligen Feuerwehr seines damaligen Heimatortes vermochte diese Wertung mangels zureichenden spezifischen Zusammenhanges bzw. Gewichtes nicht zu erschüttern.

Die Berufungsbehörde konnte daher nach Berücksichtigung aller wesentlichen Gesichtspunkte des wiederholten Ermittlungsverfahrens nur zum Ergebnis gelangen, daß J F die Glaubhaftmachung schwerwiegender Gewissensgründe iS des ZDG nicht gelungen ist."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des J F an den VfGH; der Bf. behauptet darin, er sei in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie auf Befreiung von der Wehrpflicht aus Gewissensgründen (§2 Abs1 ZDG), verletzt worden, und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.3.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Der Bf. erachtet sich zunächst im Grundrecht nach Art83 Abs2 B-VG deshalb verletzt, weil die ZDOK über seine Berufung in Abwesenheit des - in der schriftlichen Bescheidausfertigung zu Unrecht angeführten - Kommissionsmitgliedes E P entschieden habe, also damals unvollständig zusammengesetzt gewesen sei.

2.1.2. Jedem Senat der ZDOK gehören kraft §47 Abs3 ZDG zwar insgesamt sechs ständige Mitglieder an, doch bestimmt §48 Abs1 ZDG, daß zu einem Beschluß dieses Spruchkörpers bloß die Anwesenheit des Vorsitzenden, des Berichterstatters und dreier weiterer stimmberechtigter Senatsmitglieder - das sind insgesamt fünf Mitglieder - erforderlich ist. Diese Voraussetzung war hier erfüllt, denn über die Berufung des Bf. befand die ZDOK - unbestritten - in Anwesenheit von fünf Mitgliedern, nämlich Dr. H, Dr. B, M, Dr. Bu und R, somit in einer - trotz Abwesenheit des sechsten Mitgliedes P - den Erfordernissen des §48 Abs1 ZDG genügenden (Mindest-)Besetzung. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß E P offensichtlich infolge eines dem Oberkommissionsvorsitzenden unterlaufenen Versehens in der schriftlichen Ausfertigung des bekämpften Berufungsbescheides unrichtig als anwesendes Kommissionsmitglied aufschien.

Angesichts dieser Sach- und Rechtslage wurde der Bf.,wie abschließend festzuhalten ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) nicht verletzt.

2.2.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982, 10249/1984; VfGH 12. März 1982 B561/81, 24. November 1983 B304/83).

2.2.2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes wird nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann bejaht, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Zutreffen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982, 10249/1984; VfGH 26. November 1982 B667/81).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978 ua.), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.2.3.1. Die bel. Beh. ging zutreffend davon aus, daß der Antragsteller, zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, deutlich genug behauptete, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müsse:

Eine derartige (an sich taugliche) Behauptung muß aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden (vgl. zB VfSlg. 9573/1982).

2.2.3.2. Die ZDOK legte der Sache nach ausführlich dar (s. Abschn. 1.2.2.), weshalb sie der Ansicht anhänge, daß hier schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG nicht glaubhaft seien.

Entgegen der in der Beschwerdeschrift - der Sache nach in erster Linie lediglich in Form einer appellatorischen Kritik - verfochtenen Auffassung unterliefen der bel. Beh. dabei weder materielle noch gravierende prozessuale Rechtsverletzungen, und zwar auch nicht im Bereich der freien Würdigung des Bescheinigungsmaterials.

2.2.4. Der VfGH kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in eingehender Prüfung und Wägung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, namentlich unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Judikatur des OGH, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen; zB aus jüngerer Zeit: OGH 23. März 1982, 9 Os 38/82; 27. Juli 1982, 10 Os 86/82; s. dazu auch VfSlg. 9573/1982, 9785/1983).

2.2.5. Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

Beizufügen bleibt noch, daß der in der Beschwerdeschrift - neben dem angefochtenen Verwaltungsakt - behandelte und erörterte Bescheid der ZDK als Behörde erster Instanz nicht Gegenstand dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens bildet, weshalb auf die einschlägigen Beschwerdepartien nicht weiter einzugehen war.

2.3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Zivildienst, Zivildienstkommission

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B216.1985

Dokumentnummer

JFT_10149073_85B00216_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten