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10 VerfassungsrechtLeitsatz
Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des ArtIII Abs1 der 9. GSVG-Nov.; Legitimationsmangel, da zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit (Leistungsstreitverfahren nach §§370 ff. ASVG) zur Verfügung steht - keine Relevanz der materiellen ErfolgschancenSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Der Antragsteller bezieht nach seiner am 4. Jänner 1984 verstorbenen Ehegattin seit dem 1. Feber 1984 eine Witwerpension gemäß §136 GSVG idF BGBl. 283/1981.
Die Höhe dieser Pension beträgt gemäß ArtII Abs4 des BG BGBl. 283/1981 ein Drittel der fiktiven Pension, die der verstorbenen Gattin bei Ableben des Antragstellers zugestanden wäre. Gemäß dieser Gesetzesstelle hätte dem Antragsteller ab dem 1. Jänner 1985 eine Witwerpension zu zwei Dritteln und ab dem 1. Jänner 1989 eine solche in voller Höhe der fiktiven Pension der verstorbenen Gattin gebührt.
Gemäß ArtIII Abs1 der 9. Nov. zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. 485/1984, gebührt eine Witwerpension in der Höhe von zwei Dritteln erst ab dem 1. Jänner 1989 und eine solche in voller Höhe der fiktiven Pension der verstorbenen Gattin erst ab 1. Jänner 1995.
2. Mit einem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gegründeten Antrag begehrt der Antragsteller die Aufhebung des ArtIII Abs1 der 9. Nov. zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. 485/1984, der wie folgt lautet:
"(1) Im ArtII Abs4 der 4. Novelle zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 283/1981, ist der Ausdruck, 1. Jänner 1985, durch den Ausdruck, 1. Jänner 1989, und der Ausdruck, 1. Jänner 1989, durch den Ausdruck, 1. Jänner 1995, zu ersetzen."
Durch diese Gesetzesstelle, die gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verstoße, werde der Antragsteller unmittelbar in seinen Rechten verletzt. Es stehe ihm auch kein zumutbarer Rechtsweg offen, der ihm die Geltendmachung seiner Verfassungsbedenken vor dem VfGH erlauben würde. Dies deshalb, weil ein Verfahren, das ihm Gelegenheit geben würde, eine amtswegige Antragstellung auf Aufhebung dieser Gesetzesstelle anzuregen, nicht anhängig sei. Auch könne aufgrund der geltenden Gesetzeslage einem Antrag auf Bescheiderlassung beim Sozialversicherungsträger und in weiterer Folge einem Verfahren vor dem Schiedsgericht, ihm schon ab 1. Jänner 1985 die Pension in der Höhe der 2. Stufe auszuzahlen, kein Erfolg beschieden sein. Dieser Umweg, in dem der Antragsteller lediglich die Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens anregen könne, es jedoch dem Gerichtshof zweiter Instanz überlassen bliebe, einen derartigen Antrag beim VfGH zu stellen, wäre auch deshalb unzumutbar, weil der Antragsteller wegen seines Alters unter Umständen eine endgültige Entscheidung nicht mehr erleben würde.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der VfGH in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der Betroffenen unmittelbar eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Nicht jedem unmittelbar betroffenen Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der VfGH im Beschl. VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in seiner späteren Judikatur mehrfach, zB in VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979 bekräftigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.
2. a) Ein derartiger zumutbarer Weg steht aber dem Antragsteller im gegebenen Fall zur Verfügung: Zur Feststellung der Höhe der Witwerpension sieht das GSVG iVm. dem ASVG ein Verfahren vor der zuständigen Pensionsversicherungsanstalt (§354 iVm. §367 ASVG) und im Streitfall im Wege einer sukzessiven Zuständigkeit ein Leistungsstreitverfahren (§§370 ff. ASVG) vor, in dem gemäß §§400 ff. ASVG ein Rechtszug zum Oberlandesgericht Wien eingerichtet ist.
Vom GSVG ist somit ein Weg vorgezeichnet, den der Antragsteller beschreiten könnte, um die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit geltend zu machen.
b) Der VfGH kann auch nicht finden, daß es dem Antragsteller unzumutbar sein sollte, diesen Weg zu beschreiten: Daß der Antragsteller seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsvorschrift nicht unmittelbar beim VfGH vorbringen kann, vermag an der Zumutbarkeit dieses Verfahrensumweges nichts zu ändern. Dieser Umstand ist nämlich zwingende Folge der vom Bundesverfassungsgesetzgeber getroffenen Grundsatzentscheidung, die Initiative zur Kontrolle genereller Normen - vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen - zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet (vgl. VfSlg. 8552/1979 und 9394/1982).
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein solches Verfahren bei unveränderter Rechtslage nicht zu dem vom Antragsteller angestrebten Erfolg führen könnte. Denn es kommt nicht auf die materiellen Erfolgschancen des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Rechtsweges an, sondern darauf, daß im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit besteht, die vom Antragsteller angenommenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gesetzesbestimmung an den VfGH heranzutragen.
Auch könnte ein derartiges Verfahren weder als aufwendig bezeichnet werden noch wäre eine längere Prozeßdauer anzunehmen, weil die Erhebung von Beweisen im Hinblick auf den auch nach den eigenen Behauptungen des Antragstellers feststehenden Sachverhalt praktisch nicht in Betracht käme und die materiell-rechtliche Frage auf dem Boden einer völlig klaren Gesetzeslage zu beantworten wäre. Schon deshalb kann selbst im Hinblick auf das Alter des Antragstellers nicht von einer besonderen Härte für diesen (s. dazu VfSlg. 8979/1980 und VfSlg. 9285/1981) gesprochen werden, wenn er auf den erörterten Weg verwiesen wird.
2. Der Antrag war sohin wegen des Fehlens der Legitimation zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.
Schlagworte
Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Witwerpension, VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:G38.1985Dokumentnummer
JFT_10148998_85G00038_00