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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Tir. BauO; Vorschreibung eines Beitrages zu den Kosten der Verkehrserschließung gemäß §19 ohne Berücksichtigung der Baumasse eines bereits früher bewilligten, aber in der Folge nur teilweise errichteten Gebäudes; verfassungskonforme, dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung tragende Interpretation des §19 durch Schließung einer Lücke im Wege der Analogie erforderlich; Verletzung im Gleichheitsrecht durch gleichheitswidrige Auslegung des §19Spruch
Die bf. Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission in Abgabensachen der Landeshauptstadt Innsbruck wurde der bf. Gesellschaft - im Hinblick auf die erteilte Bewilligung zur Errichtung eines Hotels- und Geschäftshauses auf der GP ... KG Arzl - am 2. Mai 1983 ein Erschließungsbeitrag von 605060 S vorgeschrieben, und zwar unter Berücksichtigung einer Bauplatzfläche von 2502 Quadratmeter und einer Baumasse von 14075 Kubikmeter.
In der Begründung des Bescheides der Berufungskommission wird zum Vorbringen der (nunmehrigen) Bf., daß sie bereits eine Baumasse vom 72316 Kubikmeter, deren Erichtung auf der GP mit Baubescheid vom 22. Juni 1966 genehmigt und von der bisher lediglich ein Bruchteil von 21432 Kubikmeter verbaut worden sei, seinerzeit eine Abgabe zum Straßenbauaufwand bezahlt habe und in der Vorschreibung nunmehr eine Doppelbelastung erblicke, zunächst darauf hingewiesen, daß die seinerzeitige Vorschreibung im zeitlichen Geltungsbereich des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand der Gemeinden, LGBl. 10/1960, aufgrund eines damals verwirklichten Abgabentatstandes ergangen sei. Man könne ein generelles Verbot einer derartigen "Doppelbesteuerung" aus der Tir. Bauordnung nicht ableiten. Von einer solchen könne auch schon deswegen nicht gesprochen werden, weil nacheinander verschiedene Abgabentatbestände verwirklicht worden seien. Zwar sehe die Tir. Bauordnung in §19 Abs8 und Abs12 Bestimmungen über die Berücksichtigung früherer Aufwendungen bei der Vorschreibung des Erschließungsbeitrages zwecks Vermeidung einer Doppelbelastung vor, doch lasse sich die von der Berufungswerberin geltend gemachte Zahlung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand nicht unter den Tatbestand der genannten Bestimmungen subsumieren. So könne insbesondere §19 Abs12, wonach für die Ermittlung des Baumassenanteiles die Baumasse eines abgebrochenen Gebäudes von der Baumasse des Neu- bzw. Zubaues dann abzuziehen ist, wenn die Baumasse des abgebrochenen Gebäudes Grundlage für die Ermittlung eines Beitrages zu den Kosten der Verkehrserschließung nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften war, hier nicht herangezogen werden. Für eine Auslegung dieser Bestimmung in der Richtung, daß sie auch dann zum Tragen komme, wenn eine Baumasse, die bereits Grundlage für die Vorschreibung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand war, erst aufgrund einer neu erteilten Baugenehmigung errichtet werde, sehe die Berufungskommission in Abgabensachen keine Möglichkeit.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die bf. Gesellschaft in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die hier maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Mit Dem Eintritt der Rechtskraft der Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes entsteht für den Eigentümer des Bauplatzes, auf den sich die Baubewilligung bezieht, die Verpflichtung, der Gemeinde einen Beitrag zu den Kosten der Verkehrserschließung (Erschließungsbeitrag) zu leisten (§19 Abs1 der Tir. Bauordnung (TBO), LGBl. 43/1978).
Der Erschließungsbeitrag ist die Summe des Bauplatzanteiles und des Baumassenanteils (Abs2 des genannten Paragraphen).
Soweit aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen mit der Gemeinde vom Eigentümer des Bauplatzes oder von einem seiner Rechtsvorgänger Aufwendungen für Anlagen zur Verkehrserschließung bereits erbracht worden sind, sind diese Aufwendungen bei der Vorschreibung des Erschließungsbeitrages entsprechend zu berücksichtigen (Abs8).
Wird auf einem Bauplatz, für den bereits ein Erschließungsbeitrag unter Zugrundelegung der Gesamtfläche des Bauplatzes entrichtet worden ist, ein Neu- oder Zubau errichtet, so ist ein Nachtragsbeitrag zu entrichten, der nun aus der Baumasse des Neubwz. Zubaues zu ermitteln ist (Abs10).
Wird auf einem Bauplatz, für den noch kein Erschließungsbeitrag oder ein Erschließungsbeitrag unter Zugrundelegung einer Teilfläche des Bauplatzes entrichtet worden ist, auf dem aber bereits ein oder mehrere Gebäude stehen, ein Neu- oder Zubau errichtet, so ist ein Erschließungsbeitrag zu entrichten, der aus dem Baumassenanteil des Neu- bzw. Zubaues und aus einem Bauplatzanteil zu berechnen ist (Abs11).
Der Abs12 des §19 schließlich hat folgenden Wortlaut:
"Für die Ermittlung des Baumassenanteiles ist die Baumasse eines abgebrochenen Gebäudes oder Gebäudeteiles von der Baumasse des Neu- bzw. Zubaues abzuziehen, wenn die Baumasse des abgebrochenen Gebäudes oder Gebäudeteiles Grundlage für die Ermittlung eines Beitrages zu den Kosten der Verkehrserschließung nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften war."
2. Ziel der oben unter Punkt 1. wiedergegebenen Bestimmungen des §19 TBO ist es, eine doppelte Belastung der Abgabepflichtigen aus dem Titel der Verkehrserschließung zu vermeiden. Der Zweck einer Vermeidung der Doppelbesteuerung von Bauplätzen ist auch in dem Bericht und Antrag des Rechts- und Gemeindeausschusses und des Bauausschusses zur RV betreffend ein Gesetz, mit dem die Tir. Bauordnung geändert wird (1. Bauordnungsnov.), betreffend §19 ausdrücklich erwähnt (s. Z6). Damit wollte der Landesgesetzgeber offensichtlich dem - im übrigen auch in der Judikatur des VfGH vertretenen (VfSlg. 10101/1984, vgl. hiezu auch VfSlg. 8383/1978, S 92, mit weiteren Rechtsprechungshinweisen) - aus dem Gleichheitsgebot erfließenden Grundsatz der "Einmalbesteuerung" Rechnung tragen.
Der VfGH vermag - vom Zweck eines Beitrages zu den Kosten der Verkehrserschließung her gesehen - keinen sachlich begründbaren Unterschied zwischen den in Abs12 des §19 TBO geregelten Fällen (Berücksichtigung der Baumasse eines abgebrochenen Gebäudes oder Gebäudeteiles) und jenen Fällen zu erkennen, bei denen für eine bewilligte, aber in der Folge nicht oder nur teilweise errichtete Baumasse ein Betrag zu den Kosten der Verkehrserschließung nach der TBO oder nach früheren Rechtsvorschriften geleistet worden ist. Es ist nicht einsichtig, aus welchen Gründen für Gebäude, die in der Folge wieder abgebrochen wurden, bezahlte Erschließungsbeiträge eingerechnet, für (gar) nicht errichtete Gebäude entrichtete Beiträge aber nicht eingerechnet werden. Eine derartige unsachliche Differenzierung steht mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot nicht in Einklang.
Daran vermag die Judikatur des VwGH zu §19 TBO (VwGH 16. 12. 1977 Z 265/77) nichts zu ändern, zumal sich der VwGH in dem genannten Erk. mit derartigen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht auseinandergesetzt hat.
3. Der VfGH geht aufgrund der oben zitierten Gesetzesmaterialien davon aus, daß die nicht ausdrückliche Erfassung von Sachverhalten wie dem hier vorliegenden in §19 TBO eine vom Gesetzgeber nicht geplante Lücke darstellt.
Eine verfassungskonforme, dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung tragende Interpretation der oben angeführten Bestimmungen des §19 TBO in ihrem Zusammenhang, insbesondere des Abs12 erfordert es, diese Lücke im Wege der Analogie zu schließen. Da die bel. Beh. dies nicht getan hat, hat sie dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, was den angefochtenen Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 9726/1983) mit Gleichheitswidrigkeit belastet.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
Schlagworte
Baurecht, AnalogieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B384.1983Dokumentnummer
JFT_10148992_83B00384_00