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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Insolvenz-EntgeltsicherungsG; §1 Abs3 Z4 begrenzt bloß für nach Zeiträumen bemessene Ansprüche den auf die Zeiteinheit entfallenden Betrag an Ausfallsgeld, periodisch nur abgerechnete Ansprüche sind von der Beschränkung ausgenommen und daher unbegrenzt gesichert; Verstoß dieser Regelung gegen den Gleichheitssatz;Spruch
§1 Abs3 Z4 des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes, BGBl. 324/1977, idF der Nov. BGBl. Nr. 580/1980, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1986 in Kraft.
Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im BGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Nach dem Insolvenz-EntgeltsicherungsG, BGBl. 324/1977, sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gesichert (§1 Abs2). Ausfallgeld gebührt nach §1 Abs3 Z4 (idF der Nov. BGBl. 580/1980) jedoch nicht
"für nach Zeiträumen bemessene Ansprüche, insoweit der als Insolvenz-Ausfallgeld begehrte Nettobetrag (§3 Abs3) im Zeitpunkt der Fälligkeit im Tag den zweifachen, in der Woche den vierzehnfachen und im Monat den sechzigfachen Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gemäß §45 Abs1 litb des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/19855, übersteigt, es sei denn, daß nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung (§97 Abs1 ArbVG) ein höherer Nettobetrag gebührt."
Beim VwGH sind Beschwerden gegen Bescheide von Landesarbeitsämtern als Berufungsbehörden anhängig, in denen die Zuerkennung von Ausfallgeld für bestimmte Anspruchsteile mit der Begründung abgelehnt wird, die in der genannten Gesetzesstelle gezogene Grenze sei überschritten.
In früheren Anlaßfall 83/11/0069 (A9/85) ist die Behandlung von Überstundengeldern, einer Umsatzprovision sowie einer Fahrtspesenvergütung und die Frage strittig, ob die Ansprüche auf Urlaubsentschädigung, Abfertigung und Kündigungsentschädigung gesetzliche bzw. kollektivvertragliche Ansprüche sind. Zu 85/11/0010 (A12/85) geht es um Gehalt und Abfertigung, zu 82/11/0266 (A13/85) um Gehalt und Kündigungsentschädigung, zu 84/11/0207 (A14/85) um Überstundenentgelt, zu 84/11/0018 (A15/85) um Abfertigung, Kündigungsentschädigung und Urlaubsgeld, zu 83/11/0212 (A16/85) um Urlaubsentschädigung und Abfertigung, zu 83/11/0280 (A17/85) um Abfertigung, Urlaubsentschädigung und eine Vergütung für eine Diensterfindung, zu 85/11/0040 (A18/85) um Abfertigung, zu 85/11/0155 (A19/85) um Urlaubsentschädigung und zu 85/11/0166 (A21/85) um einen Urlaubszuschuß.
Aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren stellt der VwGH Anträge auf Aufhebung der Z4 des §1 Abs3 IESG. Diese Bestimmung sei unsachlich und verstoße gegen den Gleichheitssatz.
Auch beim VfGH ist zu B241/83 ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid anhängig, der die Berufung gegen einen in Anwendung des §1 Abs3 Z4 IESG ergangenen Bescheid abweist. In dieser Beschwerde wird dargelegt, daß zuletzt am 20. Dezember 1979 ein Monatsgehalt von 64000 S und eine Überstundenpauschale von 10000 S vereinbart gewesen sei; durch Kollektivvertrag seien die Ist-Gehälter mit 1. Oktober 1980 um 5,9 vH angehoben worden, woraus sich ein Endbezug von monatlich 67780 S und 10590 S errechne, was den damals üblichen Bezügen leitender Angestellter der Industrie in vergleichbarer Position entsprochen habe. Zu Unrecht werde für den Teilbetrag von 665315,33 S das Ausfallgeld vorenthalten.
Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §1 Abs3 Z4 IESG beschlossen und sich vorläufig die Bedenken des VwGH zueigen gemacht.
Die Bundesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, weist auf die Begrenztheit der Fondsmittel hin und erläutert die allgemeine Absicht des Gesetzgebers, die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Ausfallgeld einzudämmen.
II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.
Es ist nichts hervorgekommen, was Zweifel daran erweckt hätte, daß die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die angefochtene bzw. in Prüfung gezogene Bestimmung in den bei ihnen anhängigen Beschwerdeverfahren anzuwenden hätten.
III. Die Anträge sind im Ergebnis auch begründet. Die Bedenken treffen teilweise zu. Die angefochtene Bestimmung verstößt gegen den Gleichheitssatz.
1. Der VwGH bemängelt zunächst, es würden Zeit- und Leistungslöhne grundlos unterschiedlich behandelt:
"1. Das Gesetz definiert die Wendung 'für nach Zeiträumen bemessene Ansprüche' nicht. Auch die Gesetzesmaterialien zur genannten IESG-Novelle (RV 446 BlgNr. XV. GP, AB 558 BlgNr. XV. G P) sind diesbezüglich unergiebig. Den Erläuterungen der Regierungsvorlage ist lediglich zu entnehmen, daß mit dem neugeschaffenen Ausschlußtatbestand (zumindest teilweise) der Auffassung der gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Rechnung getragen werden sollte, es könne nicht Gegenstand des IESG sein, Entgeltansprüche in unbegrenzter Höhe zu befriedigen.
2. Mit dem IESG ist, wie sich sowohl aus dem Titel des Gesetzes als auch aus den einzelnen Normen eindeutig ergibt, eine - sozialversicherungsrechtliche - Sicherung von Arbeitnehmeransprüchen, im Kernbereich ihrer Entgeltansprüche, im Fall der Insolvenz ihres Arbeitgebers bezweckt; versichertes Risiko ist die (von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst anwendbare und absicherbare) Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes (oder zumindest der Erfüllungsverzögerung) ihrer Ansprüche in einer möglichen Insolvenz ihres Arbeitgebers, auf deren regelmäßige Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (vgl. die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Stammgesetz, 464 BlgNr. XIV. GP sowie den Ausschußbericht, 544 BlgNr. XIV. GP).
3. §1 Abs3 Z4 IESG schließt nun von der Gewährung der öffentlich-rechtlichen Leistung des Insolvenz-Ausfallgeldes nicht alle privatrechtlichen gesicherten Ansprüche im Sinne des §1 Abs2 IESG, soweit sie die in §1 Abs3 Z4 leg. cit. genannten Grenzbeträge überschreiten, sondern nur die diese Grenzbeträge übersteigenden, nach Zeiträumen bemessenen Ansprüche aus und erachtet daher nur die letzteren als nicht sicherungswürdig entsprechend dem genannten Gesetzeszweck (dem 'Gegenstand' des IESG, wie die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur mehrfach genannten Novelle sagen).
4. Was unter den nach Zeiträumen bemessenen gesicherten Ansprüchen zu verstehen ist, muß mangels einer Difinition oder Erläuterung im IESG wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis (§1 Abs2 IESG) nach dem arbeitsrechtlichen (zivilrechtlichen) Verständnis beurteilt werden. In den arbeitsvertragsrechtlichen Normen ist wiederholt von nach Zeiträumen bemessenen Entgelt die Rede (so z.B. in den §§1154, 1159 ABGB, §3 Abs1 EFZG, §6 Abs2 UrlG). Darunter ist - in Gegenüberstellung zum Leistungs(Akkord)Lohn - nach einhelliger Auffassung (vgl. Adler - Höller in Klang, 2. Auflage, V, 257 f; Krejci in Rummel, ABGB, Rdz 10 zu §1152; Spielbüchler in Floretta - Spielbüchler - Strasser, Arbeitsrecht I, 2. Auflage, 125 ff; Söllner, Der Umfang der Arbeitspflicht beim Zeitlohn, in Tomandl, Entgeltprobleme aus arbeitsrechtlicher Sicht, 93 ff) der Zeitlohn gemeint, der nach bestimmten - den lohnmessenden - Zeitabschnitten (grundsätzlich, sofern nicht - wie z.B. in §3 Abs1 EFZG und §6 Abs2 UrlG - nur bestimmte Zeitabschnitte erfaßt sind, nach Stunden, Tagen, Wochen, Monaten oder auch längeren Zeitabschnitten) ohne Rücksicht auf den erzielten Arbeitserfolg bemessen wird. Von dem für die Bemessung des Zeitlohnes wesentlichen Entgeltbemessungszeitraum ist - wie sich unter anderem aus §1154 ABGB und §15 AngG ergibt - der für seine Entrichtung maßgebende Entgeltzahlungszeitraum zu unterscheiden (vgl. Krejci in Rummel, ABGB, zu §1154; Martinek - Schwarz, Angestelltengesetz, 6. Auflage, 319). An diese Terminologie knüpfen die für die Ermittlung des Nettobetrages im Sinne des §3 Abs3 IESG und damit des §1 Abs3 Z4 leg. cit. relevanten sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Bemessungsnormen (vgl. §44 Abs2 ASVG, §66 in Verbindung mit §77 EStG 1972) an. Wenn daher der Gesetzgeber der Novelle BGBl. Nr. 580/1980, der diese Terminologie gekannt hat, in §1 Abs3 Z4 IESG die Wendung 'nach Zeiträumen bemessene' und nicht etwa 'nach Zeiträumen abzurechnende oder zu erfüllende' Ansprüche gebraucht hat, so scheidet nicht nur eine Interpretation dieser Wendung in den Grenzen ihres Wortsinnes (§6 ABGB) aus, darunter, soweit es sich um Entgeltansprüche handelt, nicht nur Ansprüche auf Zeitlohn, sondern auch solche auf Leistungslohn (Leistungslohnteile) zu verstehen, sondern es muß auch - eben vor dem Hintergrund des aufgezeigten arbeitsvertragsrechtlichen, den sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Bemessungsnormen zugrunde liegenden Verständnisses dieser Wendung - die Zulässigkeit einer analogen Anwendung auf Leistungslohnansprüche (Anspruchsteile) ausgeschlossen werden."
Die Bundesregierung führt dazu aus:
"Der Auffassung des VwGH, daß es sich bei den 'nach Zeiträumen bemessenen Ansprüchen' nur um das nach Zeiträumen bemessene Entgelt handelt, kann nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber verwendet ausdrücklich den Begriff 'Ansprüche' anstelle des Begriffes 'Entgelt'. Zu den Ansprüchen, die nach Zeiträumen bemessen werden, gehören aber neben Gehalt und Lohn auch Überstunden, Abfertigung, Sonderzahlungen wie 13. und 14. Gehalt, Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, sowie Urlaubsentschädigung und Urlaubsabfindung. Diese weite Auffassung fand auch in den Erlässen des Bundesministeriums für soziale Verwaltung ihren Niederschlag.
Der im IESG verwendete Bergiff der 'nach Zeiträumen bemessenen Ansprüche' ist daher mit dem im Arbeitsrecht verwendeten Befriff des 'nach Wochen, Monaten oder längeren Zeiträumen bemessenen Entgeltanspruchs' (wie etwa in §1154 ABGB, §3 Abs1 EFZG und §6 Abs2 UrlG) nicht deckungsgleich.
Auch der Ansicht des VwGH, daß die für die Ermittlung des Nettobetrages im Sinne des §3 Abs3 IESG und damit des §1 Abs3 Z4 leg. cit. relevanten sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Bemessungsnormen (vergleiche §44 Abs2 ASVG, §66 in Verbindung mit §77 EStG 1972) an die arbeitsrechtliche Terminologie anknüpfen, kann nicht zugestimmt werden.
Der vom VwGH zitierte §44 Abs2 ASVG, der den Beitragszeitraum definiert, sprich vom Arbeitsverdienst, der nach Kalendermonaten 'bemessen und abgerechnet' wird. §45 ASVG legt die Höchstbeitragsgrundlagen in Tagessätzen fest. Beide Gesetzesstellen treffen jedoch keine Unterscheidung zwischen Zeit- und Leistungslohn.
Nach §66 Abs1 EStG wird die Lohnsteuer nach dem Taglohn 'bemessen', das ist der durch die Zahl der Arbeitstage des Lohnzahlungszeitraumes geteilte steuerpflichtige Lohn. Nach §77 Abs1 EStG ist Lohnzahlungszeitraum der Zeitraum, für den der Arbeitslohn gezahlt wird; dies gilt auch dann, wenn der Arbeitslohn nicht nach der Dauer der Arbeit, sondern zB nach der Stückzahl der hergestellten Gegenstände berechnet wird. Maßgebend ist, daß ein Zeitraum, für den der Arbeitslohn gezahlt wird, festgestellt werden kann. Auch in diesen Vorschriften wird sowohl das Wort 'bemessen', als auch die Ausdrücke 'gezahlt' bzw. 'angerechnet' verwendet. §77 EStG spricht überdies ausdrücklich davon, daß sowohl bei Zeitlohn als auch bei Leistungslohn ein Lohnzahlungszeitraum zu ermitteln ist.
Es steht daher fest, daß weder das ASVG noch das EStG den Begriff 'bemessen' der Definition des Zeitlohnes vorbehalten wollte. Insoweit weicht in diesen Gesetzes der Begriffsinhalt des Wortes 'bemessen' von dem Inhalt ab, der im Arbeitsrecht zur Definition des Zeitlohnes gebräuchlich ist.
Daß der Gesetzgeber im Jahre 1980 im §1 Abs3 Z4 IESG der Höhe nach auch Ansprüche auf Leistungslohn (Akkordlohn) - die ja auch in bestimmten Zeiträumen abgerechnet, gezahlt oder bemessen werden - begrenzen wollte, ergibt sich aus der sozialpolitischen Zielsetzung dieser Norm, wonach alle Einzelvereinbarungen, die eine unkontrollierbare Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewirken könnten, der Höhe nach begrenzt werden sollten. Die Aufschlüsselung nach Tag, Woche und Monat dient lediglich dazu, die Vergleichswerte leichter zu ermitteln. Nach Ansicht der Bundesregierung wird im §1 Abs3 Z4 IESG somit kein Unterschied in der Behandlung des Zeit- und des Leistungslohnes gemacht."
Die Einwände der Bundesregierung greifen aber nicht durch:
Zunächst ist dem VwGH in der Einschätzung des Wortlautes beizupflichten. "Nach Zeiträumen bemessene" Ansprüche sind solche, deren Höhe sich irgendwie nach der Zeitdauer richtet. Auch sonst unterscheidet der Gesetzgeber entsprechend dem natürlichen Wortsinn deutlich, ob ein Anspruch nach Zeiträumen "bemessen" wird oder ob er nach Zeiträumen "bemessen oder abgerechnet" wird (§44 Abs2 ASVG). Werden Ansprüche nur in bestimmten Zeitabständen abgerechnet, aber nach ganz anderen Maßstäben bemessen - wie etwa nach dem Wert zustandegebrachter Geschäfte oder der Höhe des erzielten Gewinnes -, so kann von "nach Zeiträumen bemessenen" Ansprüchen nicht die Rede sein.
Aus der Verwendung des Wortes "bemessen" in den von der Bundesregierung genannten Vorschriften, läßt sich entgegen ihrer Ansicht nichts ableiten, denn bemessen wird in diesen Fällen nicht eine Bemessungsgrundlage, sondern die Beitragszeit oder die Lohnsteuer, und hier geht es nicht etwa um die Bemessung des Ausfallgeldes, sondern um die Bemessung der Basis für die Berechnung dieses Anspruches. Der behauptete Sprachgebrauch läßt sich also nicht nachweisen.
Klar ist wohl, daß es die Absicht des Gesetzgebers war, den Anspruch auf Ausfallgeld nicht durch einen Höchstbetrag für die Summe der gesicherten Ansprüche oder für jeden einzelnen Anspruch, sondern durch Begrenzung der jeweiligen Basisgröße in Schranken zu halten. Da alle am Ende des dritten Monats nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offenen Ansprüche (§3 Abs1) und daher auch solche gesichert sind, die schon lange vor Ausbruch der Insolvenz fällig waren, kann der Rückstand überaus hoch sein. Durchschnittliche Verdienste sollen nun zwar auch dann voll gesichert bleiben, wenn sich ein großer Rückstand angesammelt hat, die Vereinbarung übermäßigen Entgeltes soll aber selbst dann nicht zulasten des Ausgleichfonds gehen, wenn der Arbeitgeber mit den Zahlungen nur für eine kurze Zeit säumig geblieben ist. Deshalb wird bloß der auf die Zeiteinheit entfallende Betrag an Ausfallgeld begrenzt, wogegen es gleichgültig bleibt, welches Vielfache dieses Betrages ausständig ist oder zB als Abfertigung gebührt. Eben diesen Bezug zur Zeiteinheit stellt die in Rede stehende Wendung her. Es kann bei solcher Zielsetzung sogar angenommen werden, daß §1 Abs3 Z4 IESG über den sogenannten Zeitlohn hinaus auch jene häufig vorkommende Form des Leistungslohnes erfaßt, bei der das Entgelt auf der Basis von Zeiteinheiten bestimmt wird (sogenannter Zeitakkord).
Dennoch bleiben die ausschließlich an der Leistung, am Umsatz oder am Gewinn orientierten Entgelte oder Entgeltbestandteile unberücksichtigt. Ansprüche, die periodisch nur abgerechnet werden, sind offenkundig nicht erfaßt. Daß es aber Gründe gäbe, gerade solche Ansprüche von der in §1 Abs3 Z4 IESG verfügten Beschränkung auszunehmen und unbegrenzt zu sichern, behauptet auch die Bundesregierung nicht. Insofern ist die Regelung unsachlich und verstößt gegen den Gleichhheitssatz.
Sie ist insgesamt aufzuheben.
2. Die übrigen Bedenken treffen allerdings nicht zu.
a) So rügt der VwGH den Umstand, daß von der Begrenzung des Ausfallgeldes nur der "als Insolvenz-Ausfallgeld begehrte Nettobetrag" erfaßt wird:
"... Das bedeutet, daß einem Arbeitnehmer, der einen die Grenzbeträge des §1 Abs3 Z4 IESG übersteigenden Zeitlohnanspruch hat, dessen Anspruch aber bereits vom Arbeitgeber (vom Masseverwalter) vor Geltendmachung seines Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld so weit befriedigt wurde, daß der noch offene Nettoanspruch unter den Grenzbeträgen liegt, Insolvenz-Ausfallgeld für den gesamten geltend gemachten offenen Anspruch zusteht.
Auch diese Regelung erscheint dem Verwaltungsgerichtshof unter Gleichheitsgesichtspunkten bedenklich, da - vor dem Hintergrund des oben aufgezeigten Zweckes des IESG - eine Privilegierung von Arbeitnehmern, deren Entgeltansprüche bereits teilweise vom Arbeitgeber (Masseverwalter) erfüllt wurden, gegenüber jenen, deren Ansprüche noch zur Gänze offen sind, sachlich nicht begründbar ist."
Die Bundesregierung meint demgegenüber, daß ein für alle Versicherten geltender Höchstbetrag für eine Versicherungsleistung auch dann nicht unsachlich werde,
"wenn der Versicherte einen Teil seiner Ansprüche von einem Dritten erhält, und sei es vom 'Schadensverursacher' selbst, sohin bei einer Insolvenz vom Arbeitgeber oder vom Masseverwalter als Vertreter der Konkursmasse."
Dem antragstellenden Gerichtshof ist zuzugestehen, daß die Regelung unter dem Blickwinkel des Sicherungsbedürfnisses nicht ganz konsequent ist. Sollen hohe Verdienste nur begrenzt gesichert werden, so entfällt das Sicherheitsbedürfnis, wenn sie ohnedies bis zu dieser Grenze beglichen worden sind. Es steht aber dem Gesetzgeber auch frei, das geringere Sicherungsbedürfnis für die Spitzenbeträge nur insoweit zum Anlaß einer Begrenzung zu nehmen, als dadurch der Fonds (im Einzelfall) übermäßig belastet würde, und auf eine Begrenzung zu verzichten, die auf das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer auch dann umfassend eingehen müßte, wenn der geltend gemachte Betrag das gesetzte Limit nicht übersteigt. Eine solche Regelung erspart das Aufrollen bereits erledigter Angelegenheiten im Arbeitsverhältnis und einen Streit, der vielleicht nur mehr als Vorfrage von der Behörde und nicht mehr als Hauptfrage vor Gericht ausgetragen werden kann. Unsachlich wird das Gesetz dadurch nicht.
b) Schließlich knüpft der VwGH Bedenken auch daran, daß das Gesetz Ausnahmen nur gestatte, wenn "nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung (§97 Abs1 ArbVG) ein höherer Nettobetrag gebührt":
" ...
2. Ist mit dem 'Gebühren' eines höheren, d. h. die Grenzbeträge übersteigenden, Nettobetrages - dem Wortlaut der Bestimmung entsprechend - gemeint, daß der Anspruch nicht nur dem Grunde, sondern auch seiner Höhe nach auf einer dieser Rechtsquellen beruhen muß, so fallen darunter nicht nur die nach Zeiträumen bemessenen Ansprüche, deren Höhe in einer dieser Rechtsquellen ziffernmäßig festgelegt ist, sondern auch jene, hinsichtlich deren Höhe diese Rechtsquellen auf andere die Ansprüche gestaltende Rechtsgrundlagen (Einzelvertrag, Betriebsübung (usw.) verwiesen, wie z. B. das Krankenentgelt (§3 EFZG), das Urlaubsentgelt (§6 UrlG), die Urlaubsentschädigung (§9 UrlG), die Urlaubsabfindung (§10 UrlG) und die Abfertigung (§23 AngG) nach dem Gesetz, die üblichen Sonderzahlungen nach einem Kollektivvertrag. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses gebührt aber auch dann ein höherer Nettobetrag nach dem Gesetz, wenn gemäß §1152 ABGB ein angemessenes Entgelt als bedungen gilt. Mag auch der Entgeltanspruch in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen als vertraglich zu qualifizieren sein (vgl. Krejci in Rummel, ABGB, Rdz 29 zu §1152), so gebührt doch der 'höhere Nettobetrag' im Sinne des vorausgesetzten Verständnisses nach dem Gesetz. Für eine Privilegierung von Arbeitnehmern, die keine Entgeltvereinbarung mit dem Arbeitnehmer getroffen haben, gegenüber jenen, hinsichtlich derer eine solche Vereinbarung besteht, fehlt aber nach Auffassung des VwGH jede sachliche Rechtfertigung.
3. Aber auch unabhängig davon, ob vom letzten Halbsatz des §1 Abs3 Z4 IESG nur jene Ansprüche erfaßt sind, deren Höhe in einer der genannten Rechtsquellen ziffernmäßig festgelegt ist, oder ob dem in Punkt 2. genannten weiteren Verständnis der Vorzug zu geben ist, erachtet der VwGH diesen Teil des §1 Abs3 Z4 IESG aus folgenden Gründen aus Gleichheitsgesichtspunkten für bedenklich:
4. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 1984, Zlen. G36, 37/82 u. a., ausgesprochen, daß der Gesetzgeber, wenn er sich zwecks Verhinderung der Umgehung steuer- oder sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften an arbeitsrechtlichen Regelungen orientiert und an sie anschließt, gehalten ist, auch die neben dem Kollektivvertrag zur Verfügung stehenden sonstigen Kriterien (hiebei verwies der VfGH bespielsweise auf §68 Abs2 lita bis c EStG 1972) möglichst auszuschöpfen, um die sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung der Dienstnehmer in weitestreichendem Umfang zu gewährleisten.
5. Den Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, was mit der die grundsätzliche Limitierung des Insolvenz-Ausfallgeldes nach §1 Abs3 Z4 beschränkenden Regelung des letzten Halbsatzes dieser Norm bezweckt wurde. Von der ... Sicherungswürdigkeit her läßt sich für die Differenzierung keine sachliche Rechtfertigung erkennen. Es mag aber bei der angenommenen Sicherungswürdigkeit der vom letzten Halbsatz des §1 Abs3 Z4 IESG erfaßten Ansprüche auch die den Ausschlußtatbeständen des §1 Abs3 Z1 und 2 IESG zugrunde liegende Überlegung mitbestimmend gewesen sein, weitere Mißbrauchsmöglichkeiten des Rechtsinstitutes der Insolvenz-Entgeltsicherung auszuschließen. Aber auch dann ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, warum nur jene Ansprüche, hinsichtlich derer nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung (§97 Abs1 ArbVG) ein höherer Nettobetrag gebührt, von der grundsätzlichen Limitierung des §1 Abs3 Z4 IESG ausgenommen sind, hingegen die Ansprüche, für die nach einer anderen Rechtsquelle, hinsichtlich derer nach dem vorausgesetzten Maßstab in gleicher Weise wie hinsichtlich der im letzten Halbsatz des §1 Abs3 Z4 IESG genannten das Mißbrauchsargument nicht durchschlägt (z. B. die im §68 Abs2 litc EStG 1972 genannte), ein höherer Nettobetrag gebührt, von der Begünstigung ausgeschlossen werden."
Dazu die Bundesregierung:
"Nach der Formulierung '... es sei denn, daß nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung (§97 Abs1 ArbVG) ein höherer Nettobetrag gebührt' in §1 Abs3 Z4 IESG ist die ziffernmäßige Festsetzung eines Anspruches in diesen Rechtsquellen selbst gemeint. Sie erschöpft sich nicht darin, daß ein Anspruch auf ein Gesetz (vgl. dazu später), einen Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gestützt wird. Gesetzliche Bestimmungen, die einen Anspruch dem Grunde nach festsetzen und hinsichtlich des Ausmaßes auf eine Bemessungsgrundlage oder ein Vielfaches davon verweisen, sind hier nicht zu subsumieren. Vielmehr kommt es darauf an, ob die ziffernmäßige Feststellung der Bemessungsgrundlage nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung erfolgte. Dies gilt sowohl für das angemessene Entgelt (§1152 ABGB) als auch für das im Krankheitsfall fortzuzahlende Entgelt, sowie für das Urlaubsentgelt, die Urlaubsentschädigung, die Urlaubsabfindung und die Abfertigung.
Was die Auffassung des VwGH betrifft, daß die Ausnahme von der Limitierung auch auf Grund anderer nicht angeführter Rechtsquellen, für die in gleicher Weise wie hinsichtlich der im letzten Halbsatz des §1 Abs3 Z4 IESG genannten das Mißtrauensargument nicht greift, erfolgen müßte, wird bemerkt:
Der VwGH verweist diesbezüglich auf das Erkenntnis des VfGH G36, 37/82 ua. vom 28. Juni 1984, in dem darauf hingewiesen wird, daß um eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung der Dienstnehmer zu gewährleisten, der Gesetzgeber auch die neben dem Kollektivvertrag bestehenden arbeitsrechtlichen Möglichkeiten (wie zB die im §68 Abs2 lita bis c EStG 1972 genannten) auszuschöpfen hat. Nach Ansicht der Bundesregierung steht die in Prüfung gezogene Bestimmung mit diesem Erkenntnis des VfGH jedoch nicht in Widerspruch.
Die angefochtene Bestimmung führt als Normen, die eine Ausnahme von der Begrenzung begründen, Gesetz, Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung (§97 Abs1 ArbVG) an. Im §97 Abs1 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974, wird lediglich festgehalten, in welchen Angelegenheiten Betriebsvereinbarungen im Sinne des §29 ArbVG abgeschlossen werden können. Nach §29 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen schriftliche Vereinbarungen, die vom Betriebsinhaber einerseits und dem Betriebsrat (Betriebsausschuß, Zentralbetriebsrat) andererseits in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung vorbehalten sind. Der Begriff der Betriebsvereinbarung im §1 Abs3 Z4 IESG umfaßt daher sowohl die im §68 Abs2 litb EStG 1972 als auch die in der litc dieser Gesetzesstelle angeführte Betriebsvereinbarung, sodaß eine differenzierte Aufzählung im IESG entbehrlich war. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die im §68 Abs2 litc EStG 1972 angeführten Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen werden sollten.
Wesentliches Motiv für die Begrenzungsregelung war auch die Hintanhaltung von Mißbräuchen durch individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Lasten des Fonds. Bei Vollziehung des IESG wurde nämlich die Erfahrung gemacht, daß dem Arbeitgeber nahestehende Arbeitnehmer (zB leitende Angestellte, Familienangehörige) nicht selten vor Eintreten der Insolvenz Einzelvereinbarungen abgeschlossen haben, die höhere Leistungen des Ausfallgeldfonds zur Folge hatten. Solche Mißbräuche individueller Vereinbarungen zu Lasten des Fonds sind naturgemäß dann nicht zu erwarten, wenn durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarungen das Lohnniveau für die Arbeitnehmer eines Betriebes oder Unternehmens generell festgesetzt ist.
Die Bedenken des VwGH gehen aber nun dahin, daß die bloße Bedachtnahme auf Gesetz, Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung unvollständig sei und auch andere Rechtsquellen heranzuziehen wären.
Geht man jedoch davon aus, daß der Begriff des Gesetzes in der in Prüfung gezogenen Vorschrift im materiellen Sinn zu verstehen ist und daher auch auf Gesetz beruhende Verordnungen, welche Entgelte der Höhe nach festsetzen, durch das IESG erfaßt wurden, so verbleiben lediglich einige Instrumente der kollektiven Rechtsgestaltung, die in der Aufzählung fehlen.
Es sind dies die generelle Festsetzung von Lehrlingsentschädigungen durch das Obereinigungsamt, der Mindestlohntarif und die Satzung eines Kollektivvertrages. Die Aufzählung dieser Instrumente konnte jedoch deshalb entfallen, weil weder Lehrlingsentschädigung noch Mindestlohntarif Entgelte festsetzen, welche die im §1 Abs3 Z4 IESG genannten Höchstbeträge auch nur annähernd erreichen. Die Satzung eines Kollektivvertrages ist nichts anderes als eine Ausdehnung des Geltungsbereiches eines Kollektivvertrages auf außenstehnde Arbeitnehmergruppen, sodaß deren durch Satzung bestimmte Entgelte lediglich auch auf Kollektivvertrag beruhen."
Der VfGH geht davon aus, daß die Feststellung des angemessenen Entgeltes nach §1152 ABGB nicht ohne Blick auf vergleichbare Fälle ("ähnliche Umstände": Krejci in Rummel, ABGB Rdz 24 zu §1152) möglich ist. Ob eine Ausnahme iS der angefochtenen Bestimmung vorliegt oder nicht hängt also davon ab, ob als Vergleichsfall ein kollektivvertraglich (allenfalls auch durch Betriebsvereinbarungen) geregeltes Dienstverhältnis dient (Krejci aaO) - sodaß das Übersteigen der gesetzlichen Höchstsumme auf diese Regelung zurückgeführt werden kann -, oder ein höheres als kollektivvertragliches (oder durch Betriebsvereinbarungen bestimmtes) Entgelt üblich ist (Krejci aaO Rdz 25). Im zweiten Fall gebührt nur der Höchstbetrag nach dem IESG. Von einer Privilegierung von Arbeitnehmern ohne Entgeltvereinbarung kann bei dieser Auslegung nicht die Rede sein.
Im übrigen ist der Äußerung der Bundesregierung nur noch hinzuzufügen, daß schon ein Größenschluß den Vorwurf des VwGH entkräftet: Während nämlich §68 Abs2 EStG den Kollektivverträgen nur solche Betriebsvereinbarungen gleichstellt, die aufgrund besonderer kollektivvertraglicher Ermächtigung oder wegen Fehlens eines kollektivvertragsfähigen Vertragsteiles abgeschlossen worden sind, nennt die angefochtene Bestimmung Betriebsvereinbarungen schlechthin (§97 Abs1 ArbVG zählt auf, worüber schon von Gesetzes wegen Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden können), läßt also schon gewöhnliche Betriebsvereinbarungen gelten. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß sämtliche Betriebsvereinbarungen erfaßt sind. Auch aus diesem Blickwinkel des Erk. VfSlg. 10089/1984 ist also die angefochtene Bestimmung in diesem Punkt nicht zu bemängeln.
IV. Die Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung soll einen nahtlosen Übergang zu einer verfassungsmäßigen Neuregelung ermöglichen; sie stützt sich auf Art140 Abs5 dritter Satz B-VG. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG, die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
Schlagworte
Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Sozialversicherung, Beitragspflicht (Sozialversicherung), Beitragsgrundlagen (Sozialversicherung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:G102.1985Dokumentnummer
JFT_10148985_85G00102_00