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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Nö. KommunalstrukturverbesserungsG 1971; Bescheid der Nö. Landesregierung vom 14. Jänner 1971, mit dem für die gemäß §3 Abs18 Z10 durch Vereinigung der Gemeinden Kirchberg am Wagram und Altenwörth geschaffene Marktgemeinde Kirchberg/Wagram provisorische Gemeindeorgane bestellt wurden; keine Zustellung sondern nur Bekanntwerden des Bescheides; Rechtzeitigkeit der Beschwerde; Beschwerdelegitimation bisheriger Mitglieder des Gemeinderates; keine Bedenken gegen §3 Abs18 Z10 im Hinblick auf den Gleichheitssatz; keine Verletzung im GleichheitsrechtSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) §3 Abs18 Z10 des Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes 1971, Nö. LGBl. 264, (im folgenden kurz: KStrVG) verfügt die Vereinigung der im politischen Bezirk Tulln gelegenen Gemeinden Kirchberg am Wagram und Altenwörth zur Marktgemeinde Kirchberg am Wagram. Die von der Vereinigung betroffenen Gemeinden haben gemäß §5 Abs1 KStrVG mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes - das ist seinem §9 zufolge der 1. Jänner 1972 - als eigene Gemeinden zu bestehen aufgehört.
b) Unter dem Datum 14. Dezember 1971 erließ die Nö. Landesregierung den Bescheid Z II/1-942-1971, dessen Spruch lautet:
"Gemäß §3 Abs18 Z10 des Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes 1971, LGBl. Nr. 264, wurden die Gemeinden Kirchberg am Wagram und Altenwörth zur Marktgemeinde Kirchberg/Wagram vereinigt.
Gemäß §6 Abs2 leg. cit. werden bis zur Angelobung des neugewählten Bürgermeisters zur Besorgung der unaufschiebbaren Geschäfte dieser Gemeinde bestellt:
Zum Regierungskommissär: ...
Zu Beiräten: (Es folgen sieben Namen)
Das Beiratsmitglied ... wird zum Stellvertreter des Regierungskommissärs bestimmt.
Die von der Gemeinde zu tragende Entschädigung des Regierungskommissärs wird mit S 3.693,- festgesetzt."
Keiner der Bf. wurde mit dem erwähnten Bescheid zum Regierungskommissär oder Beirat bestellt.
Wohl aber waren sie seinerzeit Mitglieder des Gemeinderates der Gemeinde Altenwörth; der Erstbf. war auch Bürgermeister dieser Gemeinde.
2. a) Gegen den Bescheid der Nö. Landesregierung vom 14. Dezember 1971 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
b) Die Bf. begründen ihre Behauptung, im Gleichheitsrecht verletzt worden zu sein, ausschließlich damit, daß ihrer Meinung nach die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Bestimmungen des KStrVG gleichheitswidrig seien.
Zwar habe Altenwörth im Jahre 1972 nur 450 Einwohner gehabt. Dessenungeachtet wäre aber der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, konkret zu untersuchen, ob die verfügte Gemeindezusammenlegung tatsächlich Vorteile oder aber ausschließlich Nachteile mit sich bringen werde.
Im einzelnen wird hiezu in der Beschwerde ausgeführt:
Altenwörth sei eine historisch gewachsene Gemeinde, ein räumlich und baulich eigenständiges Gemeinwesen, eine lebensfähige Gemeinde, ein Gemeinwesen mit zügig ausgebauter Infrastruktur und eine Pfarre mit überörtlicher Bedeutung gewesen. Die Gemeinde hätte sehr effizient arbeitende Verwaltungseinrichtungen gehabt. Eine Zusammenlegung von Altenwörth mit Kirchberg am Wagram sei mit Rücksicht auf die politischen und sozialen Verhältnisse in der ehemaligen Gemeinde Altenwörth nicht indiziert gewesen. Die Bevölkerung von Altenwörth habe sich im Jahre 1972 mit überwältigender Mehrheit gegen die Zusammenlegung mit Kirchberg ausgesprochen. Bis heute sei der Wille der Bevölkerung und der ihrer Funktionäre, in einer eigenständigen Fremdenverkehrsgemeinde Altenwörth leben zu wollen, und die dabei anfallenden Aufgaben selbst zu lösen, ungebrochen. Die "Hauptdorfkarte" beweise, daß zwischen Altenwörth und Kirchberg keine zentralörtliche Verflechtung bestanden habe.
Der Haushalt der Gemeinde Altenwörth sei stets ausgeglichen gewesen; meist sei sogar ein Überschuß erzielt worden. Durch den 1971 bevorstehenden Bau des Kraftwerkes Altenwörth und durch die Inbetriebnahme dieses Kraftwerkes seien Mehreinnahmen von mehr als 1 Millionen S zu erwarten gewesen. Diese Mehreinnahmen seien durch die verfügte Zusammenlegung in der Folge aber den Einwohnern der ehemaligen Gemeinde Altenwörth nie zustatten gekommen; von einer aliquoten Aufteilung der Gemeinde Kirchberg am Wagram zur Verfügung stehenden Finanzmittel auf die ehemaligen Gemeinden Kirchberg und Altenwörth könne keine Rede sein. Die neugeschaffene Gemeinde Kirchberg sei stark verschuldet.
Es sei vor der Gemeindezusammenlegung keine Grundlagenforschung betrieben worden. Altenwörth sei willkürlich mit der Gemeinde Kirchberg zusammengelegt worden, um letzterer die beträchtlichen Mehreinnahmen aus dem Kraftwerk Altenwörth zufließen zu lassen.
Als einziger Vorteil für die ehemalige Gemeinde Altenwörth bleibe übrig, daß aufgrund der Gemeindezusammenlegung ein höherer Bevölkerungsschlüssel aus dem Finanzausgleich erzielt wurde. Inzwischen habe aber das FAG 1985, BGBl. 544/1984, für die Gemeinden bis 10000 Einwohner einen einheitlichen Vervielfachungsfaktor von Eineindrittel eingeführt. Damit sei auch dieser einzige mögliche Vorteil aus der Zusammenlegung weggefallen.
Diese tatsächlich für Altenwörth nur negative Entwicklung sei für den Gesetzgeber im Jahre 1972 vorhersehbar gewesen. §3 Abs18 Z10 KStrVG sei daher gleichheitswidrig. Die Bf. regen an, von amtswegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser landesgesetzlichen Bestimmung einzuleiten. Im Hinblick auf die Perpetuierung dieses verfassungswidrigen Zustandes durch das Gesetz über die Gliederung des Landes NÖ in Gemeinden, LGBl. 1030-9, regen sie auch die amtswegige Prüfung des §1 dieses Gesetzes an.
3. Die Nö. Landesregierung als bel. Beh., erstattete am 25. Juni 1985 eine Gegenschrift, in der beantragt wird, die Beschwerde, soweit der VfGH sie nicht zurückweist, als unbegründet abzuweisen.
Darauf haben die Bf. mit Schriftsatz vom 3. September 1985 repliziert.
II. Der VfGH hat zur Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:
1. Der angefochtene Bescheid wurde den Bf. zwar - zumindest inhaltlich - bekannt; er ist ihnen aber - wie sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt - niemals zugestellt worden. Aus diesem Grunde wurde die sechswöchige Beschwerdefrist iS des §82 Abs1 VerfGG auch nicht in Gang gesetzt. Die Beschwerde wurde sohin rechtzeitig eingebracht, ohne daß untersucht zu werden brauchte, wann den Bf. der Bescheid zur Kenntnis gelangt ist (vgl. zB VfSlg. 9068/1981 und 9655/1983).
Die bel. Beh. wendet gegen diese Judikatur ein, daß damit jene Bf., denen der Bescheid zwar zur Kenntnis gelangt ist, ihnen aber niemals ordnungsgemäß zugestellt wurde, gegenüber jenen Bf., denen der Bescheid gesetzmäßig zugestellt wurde, unsachlich privilegiert würden. Diese Behauptung vermag den VfGH nicht von seiner Vorjudikatur abzubringen. Zunächst ist auf die ausführliche Begründung im hg. Erk. VfSlg. 9068/1981 (S 232) zu verweisen. Das Ergebnis dieser Rechtsprechung führt nicht zu einem gleichheitswidrigen Inhalt des Gesetzes, kann doch die erste Gruppe, die von der Beh. rechtswidrig behandelt wird, nicht mit der zweiten Gruppe, gegen die rechtmäßig vorgegangen wird, verglichen werden.
2. Der angefochtene Bescheid berührt die Rechtsstelleung der Bf. Es genügt, hiezu auf die Vorjudikatur (vgl. zB VfSlg. 9793/1983, S 110 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung) zu verweisen.
Gegen diese Rechtsprechung bringt die bel. Beh. vor, daß der angefochtene Bescheid den Bf. niemals zugestellt worden sei; er vermöge daher ihnen gegenüber keine Rechtswirkungen zu entfalten; dann aber sei es unmöglich, daß sie durch den Bescheid in ihren Rechten verletzt wurden.
Diese Ansicht ist verfehlt: Die mit dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich verfügte Bestellung von provisorischen Gemeindeorganen (anstelle aller bisherigen Gemeindeorgane) enthält die normative Feststellung, daß die Bf. alle bisherigen in der Gemeinde Altenwörth innegehabten Funktionen verloren haben. Diese Verfügungen und Feststellungen entfalten rechtliche Wirkungen gegenüber den Bf. auch dann, wenn der Bescheid nur den neubestellten (provisorischen) Gemeindeorganen zugestellt wurde, nicht aber auch den Bf.
Die Bf. sind mithin beschwerdelegitimiert.
3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
III. In der Sache hat der VfGH erwogen:
1. Der angefochtene Bescheid wird vor allem auf die Bestimmung des §3 Abs18 Z10 KStrVG gegründet, von der die Bf. behaupten, sie sei gleichheitswidrig.
Auch der VfGH hat diese Vorschrift bei Beurteilung der vorliegenden Beschwerde anzuwenden. Daran ändert auch die nach Erlassung des Bescheides eingetretene Änderung der Rechtslage nichts (vgl. zB VfSlg. 9655/1983, S 194).
Zu untersuchen ist hier nur die Verfassungsmäßigkeit der zitierten landesgesetzlichen Bestimmung, nicht aber auch - wie dies die Bf. anregen - jene des mit 1. Dezember 1978 in Kraft getretenen Landesgesetzes über die Gliederung des Landes NÖ in Gemeinden (Stammfassung: LGBl. 1030-0), da dieses Gesetz den angefochtenen Bescheid nicht stützt und es auch vom VfGH bei Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des bekämpften Bescheides nicht anzuwenden ist.
2. Bei Klärung der Frage, ob das KStrVG 1971 verfassungswidrig war, ist ausschließlich der Zeitpunkt seiner Erlassung maßgebend (s. zB VfSlg. 9655/1983, S 194).
Der VfGH hat also auch heute nur zu untersuchen, ob die im Jahre 1971 vom Gesetzgeber angeordnete Gemeindezusammenlegung sachlich gerechtfertigt war. Der Gesetzgeber mußte damals die zukünftige Entwicklung, so insbesondere die Folgen der Gemeindevereinigung abschätzen. Bei Beurteilung durch den VfGH, ob diese Prognoseentscheidung vor dem Gleichheitsgebot bestehen kann, ist also auf das Jahr 1971 zurückzuprojizieren, sohin nur auf jene Auswirkungen der Gemeindevereinigung abzustellen, die seinerzeit vom Gesetzgeber bei Abwägung aller maßgebenden Umstände erwartet werden durften. Die tatsächliche Entwicklung kann allenfalls eines der Hilfskriterien bei Lösung der Frage sein, ob die damals getroffene Prognose vertretbar war oder nicht (s. zB VfSlg. 9655/1983, S 195).
3. Die Nö. Landesregierung legt in ihrer Stellungnahme ausführlich begründet dar, daß im Jahr 1971 - auch aufgrund internationaler Erfahrungen - allgemein die Ansicht vertreten wurde, die Kleingemeinden würden künftig nicht mehr in der Lage sein, den an sie gestellten Anforderungen zu genügen. Die bel. Beh. verweist darauf, daß dieses Thema bei dem im Jahre 1967 in Stockholm abgehaltenen Kongreß des internationalen Gemeindeverbandes behandelt wurde (s. Schütz, Vereinigung oder Zusammenarbeit der Gemeinden, ÖGZ 1967, 525 ff.).
Die bel. Beh. nimmt auch zum Tatsachenvorbringen der Bf. Stellung und bestreitet es weitgehend.
4. a) Der VfGH hat bisher ständig judiziert (s. auch hiezu VfSlg. 9655/1983, S 195 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung), daß die Zusammenlegung einer Kleingemeinde mit weniger als 1000 Einwohnern in der Regel sachlich ist. Es genügt, auf die in der zitierten Vorjudikatur für diese Meinung gegebene Begründung zu verweisen, gegen die im übrigen auch die Bf. nichts vorbringen.
Die Prognose, durch Schaffen größerer Gemeinden werden im allgemeinen die Gemeindestruktur in Zukunft verbessert, war jedenfalls im Jahre 1971 begründet. Ob dies auch heute noch (uneingeschränkt) zutrifft, muß nach dem Gesagten (s. oben III.2) unerörtert bleiben.
Ausnahmen vom Grundsatz, daß die Auflösung einer Kleingemeinde sachlich begründet war, haben sich in jenen Fällen ergeben, in denen die Zusammenlegung einer Kleingemeinde - mit welcher anderen Gemeinde immer - aufgrund ganz besonderer Umstände vorhersehbarerweise völlig untauglich war, das angestrebte Ziel einer Kommunalstrukturverbesserung zu erreichen (wie etwa im Fall Alberndorf - VfSlg. 8108/1977, S 526 ff., im Fall Hirschbach - VfSlg. 9793/1983, S 112 ff. und im Fall Raach - VfSlg. 9819/1983, S 215 ff.); ferner in einem Fall, in dem eine Gemeinde mit räumlich nicht geschlossenem Gemeindegebiet neu geschaffen wurde, obgleich nicht ganz besondere Umstände dazu zwangen (s. VfSlg. 9814/1983, S 194; Fall Hollern) und in einem Fall, in dem die Zusammenlegung der Kleingemeinde mit einer bestimmten anderen Gemeinde oder ihre Aufteilung auf mehrere bestimmte andere Gemeinden (s. VfSlg. 9068/1981, Fall Gerersdorf) - beispielsweise aus geographischen Gründen unter Bedachtnahme auf das Bestehen öffentlicher Verkehrsverbindungen - voraussehbarerweise extrem unzweckmäßiger war als eine andere denkbare Zusammenlegung oder Aufteilung oder auch das Belassen der Gemeinde.
b) Die Gemeinde Altenwörth hatte im Jahre 1971 bloß 325 Einwohner. Sie war daher eine Kleingemeinde, gegen deren Auflösung nach dem Gesagten von Verfassungs wegen grundsätzlich nichts einzuwenden war.
Ganz besondere Umstände, die im Jahre 1971 trotz der äußerst geringen Einwohnerzahl für das Bestehenbleiben von Altenwörth sprachen, hat das Verfahren nicht erbracht:
Vor allem ist zu beachten, daß Altenwörth eine ganz besonders kleine Gemeinde war; die Bevölkerungszahl war eher sinkend.
Die von den Bf. aufgestellte Behauptung, die Gemeinden Kirchberg und Altenwörth hätten zum Zeitpunkt der Zusammenlegung keine gemeinsame Grenze gehabt, ist unzutreffend. Bereits zum 1. Jänner 1968 haben sich nämlich ua. die Gemeinden Neustift im Felde und Kirchberg am Wagram zur Marktgemeinde Kirchberg am Wagram vereinigt (s. LG LGBl. 468/1967). Die KG Neustift im Felde grenzt an Altenwörth an. Die alte Gemeinde Kirchberg am Wagram und die Gemeinde Altenwörth hatten also zum Zeitpunkt der Vereinigung im Jahre 1972 eine gemeinsame Grenze.
Umstände, die dagegen sprachen und mit denen der Gesetzgeber des Jahres 1971 rechnen mußte, Altenwörth gerade mit Kirchberg am Wagram zu vereinigen, sind nicht hervorgekommen. Besondere geographische Verhältnisse (Gebirgslage) wie im Fall Raach/Otterthal/Trattenbach (s. VfSlg. 9819/1983) sind nicht gegeben. Jede dieser drei Gemeinden hatte im übrigen mehr Einwohner als Altenwörth. Altenwörth und Kirchberg sind zwar etwa 6 bis 7 Kilometer voneinander entfernt. Der Gesetzgeber konnte aber von der Erfahrung ausgehen, daß aufgrund der technischen Entwicklung (insbesondere wegen der vermehrten Verwendung von Auto und Telefon auch im ländlichen Raum) die Kommunikation in den letzten Jahren wesentlich verbessert wurde und daher Entfernungen eine bedeutend geringere Rolle als bis dahin spielten. Von Altenwörth nach Kirchberg führt eine asphaltierte Straße. Wenn die öffentlichen Verkehrsverbindungen zwischen den beiden Ortschaften - wie behauptet wird - derzeit nicht günstig sind, so ist dies nicht dem Nö. Landesgesetzgeber anzulasten; dieser konnte vielmehr erwarten, daß bei bestehendem Bedarf der Autobusfahrplan entsprechend gestaltet wird.
Die sogenannte "Hauptdorfkarte" weist als Zuordnung von Altenwörth zu einer Gemeinde mit überörtlicher Bedeutung lediglich eine zu Kirchberg als "mäßig stark zugeordnete Siedlung" aus. Außerdem werden (mäßig starke) Zuordnungen von Altenwörth zu Kollersdorf und zu Winkl angeführt. Diese beiden Ortschaften gehörten aber seit der mit 1. Jänner 1968 erfolgten freiwilligen Vereinigung ihrerseits im Jahre 1971 bereits zur Gemeinde Kirchberg. Wenn der Gesetzgeber des Jahres 1971 Gründe dafür erblickte, daß Altenwörth nicht als selbständige Gemeinde weiter bestehen konnte, und wenn er sich daher veranlaßt sah, diese Kleingemeinde aufzulösen, hatte er also praktisch keine andere Wahl, als sie mit Kirchberg am Wagram zusammenzulegen.
c) aa) Der VfGH hat in ständiger Rechtsprechung (zB VfSlg. 9655/1983 und die dort zitierte weitere Judikatur) dargetan, daß die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit von Strukturänderungsmaßnahmen jederart von einer Vielzahl von Umständen abhängig sei. So gut wie niemals werde eine Situation so beschaffen sein, daß ausnahmslos alle in Ansehung einer bestimmten Maßnahme erheblichen Umstände für diese Maßnahmen sprächen; immer würden im Einzelfall auch Umstände vorliegen, an denen gemessen sie nicht erforderlich, ja vielleicht sogar unzweckmäßig sei. Auch jede Änderung der Gemeindestruktur bewirke deshalb - und zwar besonders für die unmittelbar davon Betroffenen - nicht nur Vorteile; es werde sich vielmehr manches überhaupt nicht und manches vielfach sogar - oft freilich nur vorübergehend - zum Nachteil ändern. Das sei unvermeidlich und mache deshalb eine solche Maßnahme ansich noch nicht unsachlich. Strittig könne nur die Frage der (bloßen) Zweckmäßigkeit der getroffenen Regelung sein. Nach seiner ständigen Judikatur gebe aber der Gleichheitsgrundsatz dem VfGH keine Handhabe, über die (bloße) Zweckmäßigkeit gesetzlicher Bestimmungen zu urteilen.
Der VfGH sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Judikatur - gegen die die Bf. im übrigen nichts vorbringen - abzugehen.
bb) Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich das Vorbringen der Bf. als nicht zielführend:
Der Umstand, daß Altenwörth ein historisch gewachsenes, räumlich geschlossenes Siedlungsgebiet ist, das von anderen Siedlungsgebieten mehrere Kilometer entfernt liegt, ändert an der Sachlichkeit der verfügten Gemeindevereinigung nichts, weil es aus raumordnungspolitischen Gesichtspunkten durchaus zweckmäßig sein kann, wenn eine Gemeinde mehrere geschlossene, aber räumlich voneinander getrennte Siedlungen (Ortschaften) aufweist.
Wenn die Bf. behaupten, die von den Organen der neuen Gemeinde Kirchberg am Wagram verfolgte Politik wirke sich zum Nachteil des Ortsteiles Altenwörth aus und habe zu einer Überschuldung der Gemeinde geführt, so könnte ein derartiges Verhalten der Gemeindeorgane - selbst wenn die Behauptung der Bf. zuträfe - nicht dem Gemeindestruktur-Gesetzgeber des Jahres 1971 angelastet werden; besondere Umstände, die ein derartiges Verhalten der Organe der neuen Gemeinde erwarten ließen, lagen jedenfalls nicht vor. Die Bf. meinen, Altenwörth sei mit Kirchberg vor allem deshalb vereinigt worden, um die zu erwartenden finanziellen Vorteile aus dem damals bereits geplanten und kurz vor dem Baubeginn stehenden (bald danach auch tatsächlich errichteten) Kraftwerk Altenwörth nicht der Gemeinde Altenwörth allein zukommen zu lassen. Damit weisen sie aber kein unsachliches Vorgehen des Gesetzgebers nach. Der Gesetzgeber bewegt sich nämlich im Rahmen des ihm von Verfassungs wegen zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsfreiraumes, wenn er gerade darauf abzielt, zwischen finanziell stärkeren und schwächeren Gebieten einen Ausgleich zu schaffen (s. VfSlg. 9655/1983, S 198) oder die aufgrund eines Großbetriebes der Gemeinde zufließenden höheren Abgabenerträge nicht einer Kleingemeinde allein zu belassen, sondern sie einer größeren Gebietseinheit zugute kommen zu lassen, und wenn er sich dazu des Mittels der Änderung der Gemeindestruktur bedient.
Wenngleich Altenwörth im Jahre 1971 eine an sich lebensfähige Gemeinde war, konnte der Nö. Landesgesetzgeber im Jahre 1971 begründet annehmen, daß die Vereinigung der Kleingemeinde Altenwörth mit der Gemeinde Kirchberg am Wagram (die dann etwa 3300 Einwohner zählte) ein (noch) leistungsfähigeres Kommunalwesen als bisher gewährleisten werde. Bei Lösung der hier allein maßgebenden Frage, ob diese Prognose im Jahre 1971 vertretbar war, kommt unter den geschilderten Gegebenheiten der Tatsache, daß ein Großteil der Bevölkerung von Altenwörth zum Zeitpunkt der Gemeindevereinigung gegen diese Maßnahme eingestellt war und dies auch durch eine extrem geringe Wahlbeteiligung anläßlich der Gemeinderatswahlen 1972 zum Ausdruck kam, ebensowenig entscheidende Bedeutung zu wie dem Ergebnis einer im Jahre 1985 durchgeführten "Volksbefragung", bei der sich etwa 85 vH der Altenwörther Bevölkerung für die "Wiederherstellung" von Altenwörth aussprach. Es kommt nämlich darauf an, daß der Gesetzgeber erwarten konnte, es würden sich aufgrund der Gemeindezusammenlegung für die Kommunalstruktur als Komplex betrachtet (also nicht bloß auf die Belange Altenwörths bezogen) Vorteile ergeben.
Wenn diese Vorteile in der Folge nicht oder nicht im erwarteten Ausmaß eingetreten sein sollten, so könnte dies für den Landesgesetzgeber oder den Verordnungsgeber (§9 der Nö. Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-4) allenfalls Anlaß bieten, die Kommunalstruktur neuerlich zu ändern, würde aber nicht bewirken, daß die Prognoseentscheidung des Jahres 1971 als unsachlich zu bezeichnen wäre.
d) Zusammenfassend ergibt sich, daß der VfGH unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles weder gegen §3 Abs18 Z10 KStrVG noch gegen die anderen bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften verfassungsrechtliche Bedenken - etwa im Hinblick auf den Gleichheitssatz - hat.
5. Die Bf. behaupten nicht, daß bei Vollziehung des Gesetzes Fehler unterlaufen wären. Anhaltspunkte dafür hat das Verfahren auch sonst nicht ergeben.
Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht nicht verletzt worden.
6. Sie sind auch nicht in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde war infolgedessen abzuweisen.
Schlagworte
VfGH / Fristen, VfGH / Legitimation, Gemeinderecht ZusammenlegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B235.1985Dokumentnummer
JFT_10148983_85B00235_00