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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Beachte
berichtigt mit Beschl. vom 16. April 1986Leitsatz
Art83 Abs2 B-VG; ZivildienstG; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter infolge unrechtmäßiger Zurückweisung des Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks ZivildienstleistungSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bf. stellte am 29. Feber 1984 an die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK) einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht, in dem er erklärte, daß er aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ablehne und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwerwiegende Gewissensnot geraten würde. Da nach seiner von ihm gewonnenen Überzeugung jede Gewalt mit der Waffe abzulehnen sei, ersuche er um Freistellung von der Ableistung des Präsenzdienstes. Er möchte aber seine Pflicht als Staatsbürger voll nachkommen und ersuche daher, ihn einer untergeordneten Dienststelle als Zivildiener zuzuteilen. Die ZDK, Senat 6, wies diesen Antrag gemäß §5 Abs3 iVm.
§6 Abs1 des Zivildienstgesetzes (ZDG), BGBl. 187/1974, mit Bescheid vom 9. Mai 1984, Z 135152/1-ZDK/6/84, als unzulässig zurück.
2. Der gegen diesen Bescheid von H S erhobenen Berufung gab die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 1, mit Bescheid vom 3. September 1984, Z 135.152/2-ZDOK/1/84, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge.
Der Bescheid war wie folgt begründet:
"Mit Bescheid vom 9. 5. 1984, Zahl 135.152/1-ZDK/6/84, wies die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres den Antrag des nunmehrigen Berufungswerbers vom 29. 2. 1984 auf Befreiung von der Wehrpflicht gemäß §5 Abs3 in Verbindung mit §6 Abs1 ZDG als unzulässig zurück. Sie begründete diese Entscheidung damit, daß gemäß §5 Abs3 Zivildienstgesetz idgF. der Wehrpflichtige in seinem Antrag die nach §2 maßgeblichen Gründe darzulegen und sich ausdrücklich zu verpflichten habe, Zivildienst zu leisten und die Zivildienstpflichten gewissenhaft zu erfüllen. Der Ausdruck 'darlegen' bedeutet im Sprachgebrauch, 'jemandem seine Gründe ausführlich erläutern bzw. erklären' (siehe Duden, Bedeutungswörterbuch, Band 10, Ausgabe 1970). Das in der obzitierten Bestimmung normierte Gebot dürfe zwar nicht formalistisch ausgelegt werden. Es genüge jedenfalls aber nicht, wenn die Partei nicht einmal andeutungsweise zum Ausdruck bringe, aus welchen konkreten Gründen sie die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen ablehne. Die Unterlassung der nach §5 Abs3 ZDG vorgeschriebenen Verpflichtungserklärung und Begründung des Befreiungsantrages stelle (auch) nach der Rechtsprechung der Zivildienstoberkommission kein Formgebrechen einer schriftlichen Eingabe nach §13 Abs3 AVG 1950 dar, das verbesserungsfähig wäre, sondern bewirke eine Fehlerhaftigkeit in materiell-rechtlicher Beziehung, die zur Zurückweisung des Antrages wegen Unzulässigkeit führe (vgl. VwGH Erk. 19. Dez. 1967). Dieser vom Gesetz geforderten Formvorschrift sei der Antragsteller nicht nachgekommen, da er im Antrag lediglich darauf hingewiesen habe, 'jedweilige Gewalt mit der Waffe abzulehnen', ohne dies jedoch in irgendeiner Weise zu begründen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung des H S. Darin führt er aus, er sei in seiner Kindheit von Explosionssplittern schwer verletzt worden. Er habe seit dieser Zeit Abscheu vor jeder Gewaltanwendung, da er die Schmerzen, die er damals habe erleiden müssen, bis heute nicht vergessen könne. Er habe seither Angst vor jeder Waffe und auch davor, daß er jemanden mit einer Waffe verletzen könnte. Er möchte daher die Zivildienstkommission ersuchen, ihn vom Dienst mit der Waffe freizustellen, sei aber jederzeit bereit, den Zivildienst zu versehen.
Der Berufung kommt aus folgenden Gründen keine Berechtigung zu: Wie die Zivildienstkommission in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend ausführte, hat der Wehrpflichtige gemäß §5 Abs3 ZDG idgF., in seinem Antrag unter anderem die nach §2 maßgeblichen Gründe darzulegen. Dieser vom Gesetz geforderten Formvorschrift ist H S nicht nachgekommen, weil sein Antrag vom 29. 2. 1984 keine Gewissensgründe, sondern im wesentlichen die Wiederholung des im Antragsformular vorgedruckten Einleitungstextes enthält. Die Unterlassung der nach §5 Abs3 ZDG vorgeschriebenen Begründung des Befreiungsantrages stellt, wie die Zivildienstkommission richtig erkannte, kein Formgebrechen einer schriftlichen Eingabe nach §13 Abs3 AVG 1950 dar, das (auch nicht im Berufungswege) verbesserungsfähig wäre, sondern bewirkt eine Fehlerhaftigkeit in materiell-rechtlicher Beziehung, die zur Zurückweisung des Antrages wegen Unzulässigkeit führt."
3. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des H S an den VfGH; er behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäß Art14 StGG und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
4. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der VfGH prüft zunächst von Amts wegen, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt wurde. Dieses Recht wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder eine Sachentscheidung in gesetzwidriger Weise verweigert (VfSlg. 8583/1979, 9051/1981).
Die belangte ZDOK hat einen erstinstanzlichen Bescheid der ZDK vollinhaltlich bestätigt, mit dem ein Antrag des Bf. auf Befreiung vom Wehrdienst mit der Begründung zurückgewiesen wurde, der Bf. habe entgegen dem Gesetzesbefehl des §5 Abs3 ZDG, wonach der Wehrpflichtige in seinem Antrag die nach §2 ZDG maßgebenden Gründe darzulegen hat, in seinem Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht die Darlegung der hiefür maßgebenden Gründe unterlassen. Die bel. Beh. hat demnach eine Sachentscheidung verweigert. Wenn diese Verweigerung in gesetzwidriger Weise erfolgt ist, wäre der Bf. iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Der vom Bf. gestellte Antrag läßt eindeutig erkennen, daß der Bf. von der Wehrpflicht befreit werden und Zivildienst leisten will und zwar deswegen, weil er die Anwendung von Waffengewalt ablehnt. Er hat seine Gewissensgründe zwar nur knapp, aber immerhin dargelegt. Die Verwaltungsbehörden durften daher den Antrag des Bf. nicht zurückweisen. Die Bestätigung der erstinstanzlichen Zurückweisung durch die ZDOK erfolgte zu Unrecht. Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (vgl. auch VfGH 2. Oktober 1985 B627/80).
Der Bescheid war aus diesem Grunde aufzuheben.
3. Bei diesem Ergebnis hatte der VfGH keine Veranlassung, auf das Vorbringen des Bf. einzugehen.
Schlagworte
ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B919.1984Dokumentnummer
JFT_10148879_84B00919_00