TE Vfgh Erkenntnis 1985/11/22 B75/82

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Veröffentlicht am 22.11.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Allg
MRK Art3
StGG Art8
EGVG ArtVIII zweiter Tatbestand
PersFrSchG
VStG §35 litc

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art8 StGG; vertretbare Annahme der Lärmerregung iS des ArtVIII zweiter Fall EGVG 1950; Festnehmung in §35 litc VStG 1950 gedeckt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit MRK Art3; kein Nachweis für (behauptete) Mißhandlungen erbracht

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß er am 30. Dezember 1981 von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen und angehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen folgendes vorgebracht:

Der Bf. habe am 30. Dezember 1981 gegen 15 Uhr seine Mutter E G vor dem Haus Wien, C-Gasse, aus dem von ihm gelenkten PKW aussteigen lassen wollen; infolge Schneehaufen auf beiden Seiten der Fahrbahn sei sein PKW mit halber Fahrzeugbreite in der rechten Fahrbahnhälfte gestanden. Das entgegenkommende, von Revierinspektor G gelenkte Polizeifahrzeug sei nach einem Bremsmanöver schräg vor dem PKW des Bf. zum Stillstand gekommen. Auf die Frage des Bf. bezüglich der hohen Fahrgeschwindigkeit habe Revierinspektor G erklärt, daß er sich im Einsatz befinde. Nach dem Hinweis des Bf., daß das Polizeifahrzeug nicht als Einsatzfahrzeug erkennbar sei, weil weder Blaulicht noch Folgetonhorn eingeschaltet seien, habe Revierinspektor G den Bf. aufgefordert, mit seinem PKW wegzufahren. Der Bf. habe jedoch erklärt, daß er aufgrund der Position des Polizeifahrzeuges nicht wegfahren könne, weil das Heck des Fahrzeuges in die Fahrbahnhälfte des Bf. hineinrage. Revierinspektor G habe daraufhin den Bf. abgemahnt, weil nach Meinung des Beamten "die Sprache des Beschwerdeführers ihm gegenüber zu laut gewesen sei". Nachdem der Bf. erklärt habe, daß er ohnedies nicht laut rede, habe Revierinspektor G den Bf. abgemahnt, nicht mehr zu schreien. Der Bf. habe hierauf - ohne zu schreien - gesagt, er schreie ja nicht; auch seine Mutter habe Revierinspektor G darauf aufmerksam gemacht, daß von einem Schreien keine Rede sein könne. Auf Verlangen von Revierinspektor G habe der Bf. sodann "seine Fahrzeugpapiere" ausgehändigt. Nach Feststellung der Personalien des Bf. habe Revierinspektor G den Bf. aufgefordert, aus dem Fahrzeug auszusteigen, was er jedoch zunächst abgelehnt habe. Revierinspektor G habe den Bf. daraufhin unter Androhung der Festnahme neuerlich zum Aussteigen aufgefordert. Nachdem der Bf. sich jedoch weiterhin geweigert habe, auszusteigen, habe Revierinspektor G die PKW-Türe auf der Fahrerseite aufgerissen, den Bf. aus dem Auto gezerrt und die Festnahme ausgesprochen. Inspektor M V, der sich bis dahin im Polizeifahrzeug befunden habe, habe sodann an der Festnahme des Bf. insofern mitgewirkt, als er gemeinsam mit Revierinspektor G dem Bf. Handfesseln anlegte. Nachdem der Bf. in das Polizeifahrzeug eingestiegen sei, habe er die Sicherheitswachebeamten ersucht, drei in seinem PKW befindliche wertvolle Teppiche ausladen und in die Wohnung tragen zu dürfen; er sei ausgestiegen, um dem Beamten zu zeigen, wie man den Kofferraum seines PKW öffne. Revierinspektor G sei daraufhin auf den Bf. zugelaufen, habe ihn mit Gewalt in das Dienstfahrzeug zurückgestoßen und ihm Fußfesseln angelegt; gleichzeitig habe Revierinspektor G mit den Fäusten auf den Bf. eingeschlagen. Nach Überstellung zum Bezirkspolizeikommissariat Währing habe Revierinspektor G ihn dort aufgefordert, auszusteigen. Nachdem der Bf. jedoch erklärt hatte, daß dies aufgrund der Fußfesselung nicht möglich sei, habe Revierinspektor G die hintere Wagentüre aufgerissen und den Bf. an den Haaren gerissen. Der Bf. habe durch die Faustschläge starke Kopfschmerzen und durch die Fesselung Verletzungen an beiden Knöcheln erlitten.

Der Bf. begehrt die Feststellung,

"daß dadurch, daß die belangte Behörde durch die faktische Amtshandlung des R G und des M V den Beschwerdeführer am 30. 12. 1981 unberechtigtermaßen festhielt bzw. die Festnahme des Beschwerdeführers gemäß §35c VStG aussprach, sowie weiters durch die Tätlichkeiten des Revierinspektors R G gegenüber dem Beschwerdeführer diesen in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Person gemäß Art8 StGG und gemäß Art3 der Menschenrechtskonvention durch unmenschliche Behandlung verletzt haben."

2. Die belangte Bundespolizeidirektion Wien erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift und begehrte die Abweisung der Beschwerde. Sie hält die Festnahme und darauffolgende Anhaltung des Bf. für gerechtfertigt und weist insbesondere darauf hin, daß sich die Polizeibeamten auf einer Einsatzfahrt befunden hätten, was dem Bf. bekanntgegeben worden sei. Eine Mißhandlung des Bf., gegen den in zulässiger Weise Körperkraft angewendet worden sei, habe nicht stattgefunden.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Was die Festnahme und anschließende Anhaltung des Bf. anlangt, geht der Gerichtshof gemäß seiner ständigen Rechtsprechung von §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit aus, demzufolge die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Hiezu zählt auch §35 VStG 1950, dessen - hier ausschließlich in Betracht kommende - litc den Festnehmungsgrund dahin umschreibt, daß der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht. Alle im §35 VStG 1950 angeführten Fälle, mithin auch die eben bezogene litc, setzen voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Bedingungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung aus gutem Grund annehmen kann (zB VfSlg. 9919/1984 und Folgezahlen).

Wie aus den vorliegenden Verwaltungsakten hervorgeht, erachtete der gegen den Bf. einschreitende Sicherheitswachebeamte ihn ua. der Verwaltungsübertretung nach ArtVIII zweiter Fall EGVG 1950 verdächtig, weil er - in Gegenwart von ungefähr zehn Passanten und zwei Autolenkern - anhaltend laut geschrien habe. Dieser Verdacht war nach Ansicht des VfGH begründet.

Gemäß ArtVIII zweiter Fall EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertetung, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (zB Z 2528/79 vom

15. November 1979 mit den dort enthaltenen weiteren

Judikaturhinweisen), welcher sich der VfGH anschließt, setzt die

Verwirklichung des Tatbildes dieser Verbotsnorm voraus, daß der Täter

Lärm erregt hat, der einerseits ungebührlich war (also gegen ein

Verhalten verstoßen hat, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt

werden muß und jene Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt

verlangen kann) und andererseits von unbeteiligten Personen als

störend empfunden worden ist. Der Bf. bestritt zwar sowohl bei seiner

nach der Festnahme und Überstellung am Bezirkspolizeikommissariat

durchgeführten Vernehmung als auch in der vorliegenden Beschwerde,

geschrien zu haben. Wie jedoch aus dem Akt 7 b EVr 2620/82-Hv 340/83

des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (betreffend die durch

Freispruch nach Rücktritt des öffentlichen Anklägers von der Anklage

gemäß §259 Z2 StPO abgeschlossene Strafsache gegen den Bf. wegen des

Vergehens nach §§15, 269 Abs1 StGB und einer anderen strafbaren

Handlung) hervorgeht, räumte der Bf. (dem an Ort und Stelle bereits

bekannt war, daß sich die Polizeibeamten auf einer Einsatzfahrt

befanden) in der Hauptverhandlung vom 20. April 1983 ein, daß er "in

der Situation damals ... (die) Stimme etwas erhoben habe"; auch seine

im gerichtlichen Vorverfahren zeugenschaftlich vernommene Mutter gab

zum Vorfall an, daß ihr Sohn zwar nicht geschrien habe, aber "eine

etwas lautere Stimme (habe) ... (und) auch etwas erregt (gewesen

sei)". Im Hinblick auf diese Depositionen und die vor der Verwaltungsbehörde abgelegten Zeugenaussagen der beiden Sicherheitswachebeamten nimmt der VfGH als erwiesen an, daß der Bf. seine an die Polizeibeamten gerichteten Erklärungen in einer Lautstärke abgab, die in vertretbarer Weise als Schreien qualifiziert werden konnte. Vermag der Gerichtshof jedoch insoweit den Behauptungen der einschreitenden Beamten im wesentlichen zu folgen, so bestehen auch keine Bedenken, den schon in der Anzeige festgehaltenen und durch deren Zeugenaussagen bekräftigten Umstand als erwiesen anzunehmen, daß der Vorfall von Passanten wahrgenommen wurde. Aufgrund der eigenen Angaben des Bf. steht schließlich fest, daß er abgemahnt worden war.

Aus diesen Feststellungen folgt zusammenfassend, daß gegen den Bf. der zureichende Verdacht der Verwaltungsübertretung nach ArtVIII zweiter Fall EGVG 1950 bestand und der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 gegeben war. Da im Verfahren auch nicht hervorkam, daß die an die Festnahme anschließende Anhaltung des Bf. unangemessen lang dauerte, war die Beschwerde insoweit abzuweisen, als sie sich gegen die Freiheitsentziehung richtete.

2. Im übrigen wendet sich die Beschwerde nach ihrem Begehren gegen "die Tätlichkeiten des Revierinspektors R G", worunter ausschließlich die behauptete Mißhandlung des Bf. (durch Versetzen von Faustschlägen), nicht aber das Anlegen der Fesseln verstanden werden kann.

Wie aus dem Akt 7 b EVr 625/82-Hv 389/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu ersehen ist, wurde Revierinspektor G von der wider ihn erhobenen Anklage, den Bf. durch Versetzen mehrerer Schläge gegen den Kopf, woraus eine Schädelprellung entstanden sei, verletzt und hiedurch durch das Vergehen der Körperverletzung nach §83 Abs1 StGB iVm. §313 StGB begangen zu haben, gemäß §259 Z3 StPO freigesprochen. Während der beschuldigte Beamte und Inspektor V übereinstimmend in Abrede stellten, daß Revierinspektor G auf den Bf. eingeschlagen habe, behaupteten der zeugenschaftlich vernommene Bf. und seine Mutter E G eine derartige Mißhandlung. Im Hinblick darauf, daß sonstige Beweismittel nicht zur Verfügung stehen, ist der VfGH ebensowenig wie das Strafgericht in der Lage, die vom Bf. aufgestellten Behauptungen als erwiesen anzunehmen.

Bei dieser Sachlage war die Beschwerde im restlichen Umfang zurückzuweisen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Lärmerregung, Mißhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B75.1982

Dokumentnummer

JFT_10148878_82B00075_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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